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Passive Leistungen als Statuserhalt oder Grundabsicherung?

C. Tabellenverzeichnis

10. Datenanalyse

10.3. Passive Leistungen als Statuserhalt oder Grundabsicherung?

Die umfassende Lohnersatzleistung, die seit dem Jahr 1988 90 Prozent des vorherigen Einkommens beträgt, wird während der Regierungszeit der Moderaten (1991 bis 1994) im Jahr 1993 um 10 Prozent gesenkt (Vgl. Bergmark/Palme 2003: 112 / Olli 1996: 38).

Hinzu kommt am 01. September 1993 die Einführung von fünf Karenztagen. Das bedeutet, dass der Erwerbslose erst ab dem sechsten Tag seiner Arbeitslosigkeit einen Anspruch auf die Geldzuwendung aus dem Arbeitslosenversicherungfonds hat (Vgl.

Aronsson/Walker 1997: 222). Während die Mitgliedschaftsbedingung konstant darin besteht, mindestens 12 Monate vor Eintritt der Arbeitslosigkeit in den Versicherungsfonds eingezahlt zu haben, ändert sich im Jahr 1995 die Arbeitsvoraussetzung für den Erhalt der Transferleistung. Der Erwerbslose muss

33 Übersetzung: „Es ist Zeit Verantwortung zu übernehmen. Es ist Zeit begeistert und ohne Vorbehalt an der Arbeit teilzunehmen, um wieder Vollbeschäftigung zu erlangen.“

10. Kapitel: Datenanalyse

innerhalb der einjährigen Mitgliedschaft zumindest 80 Tage verteilt über fünf Monate beschäftigt gewesen sein. Zuvor galt die Regelung, dass der Erwerbslose vor Eintritt der Arbeitslosigkeit mindestens 75 Tage verteilt über vier Monate einer Tätigkeit nachgegangen sein muss. Demnach wird ein längerer Beschäftigungszeitraum erwartet, auch wenn die Stundenzahl reduziert wird (Vgl. Hägglund 2007: 4 / Olli 1996: 33ff).

Im Jahr 1996 wird erneut eine Kürzung der passiven Leistungen vorgenommen. Die Lohnersatzquote sinkt von 80 auf 75 Prozent. Mit diesem Schritt, so die Forschungsliteratur, entspricht die staatliche Transferleistung nicht mehr dem Prinzip der Lohnkompensation sondern einem Sicherheitsnetz. Aufgrund heftiger Kritik von Seiten der Gewerkschaften wird die finanzielle Transferleistung im Jahr 1997 wieder auf 80 Prozent angehoben (Vgl. Benner/Vad 2000: 432f / Jochem 2003: 296). Mit dieser Aufwertung kann erneut von einem Statuserhalt (für einen begrenzten Zeitraum) gesprochen werden.

Während die Bezugshöhe steigt, wird im Jahr 1997 jedoch die Arbeitsvoraussetzung erneut verschärft. Anstelle von fünf Monaten, muss der Erwerbslose nun mindestens ein halbes Jahr 70 Stunden im Monat beschäftigt gewesen sein, um den Anspruch auf Unterstützung aus dem Arbeitslosenversicherungsfonds zu erwirken (Vgl. Hägglund 2007: 4).

Jahr Bezugshöhe der Lohnersatzleistung gemessen am vorangegangenen Einkommen

1988 – 1993 90 Prozent 1993 – 1996 80 Prozent 1996 – 1997 75 Prozent seit 1997 80 Prozent

Tab. 1: Prozentuale Bezugshöhe der Lohnersatzleistung

Eine präzise Definition, die dazu beiträgt die passiven Leistungen als Lebensstandardsicherung oder Grundabsicherung zu bezeichnen, findet sich in den politischen Dokumenten begrenzt. So charakterisiert eine Arbeitsgruppe des Wirtschaftsministeriums das schwedische Arbeitslosenversicherungssystem wie folgt:

10. Kapitel: Datenanalyse

„Den svenska modellen för ersättning vid arbetslöshet bygger på kombinationen av en förhållandevis hög ersättning och en strikt arbetsprövning“34 (Pettersson et. al. 1999: 136).

Grundsätzlich lässt sich dort der traditionelle Grundgedanke wiedererkennen – generöse Auszahlung verbunden mit Arbeitsvoraussetzungen. Doch im Verlauf des Reports wird betont, dass die Höhe der Lohnersatzleistung nicht zur langfristigen Lebensstandarderhaltung.beitragen soll.

„[F]örsäkringen skall bidra till att den arbetslöse skall kunna upprätthålla sin tidigare standard och inte tvingas till en drastiskt minskad konsumtion. Samtidigt skall den vara en omställningsförsäkring och inte en permanent försörjningskälla“35 (Pettersson et. al. 1999:

165).

Den nationalen Aktionsplänen zufolge ist die finanzielle Unterstützung eine temporäre Leistung und wird als eine Art absicherndes Übergangsgehalt bis zur neuen Beschäftigung angesehen (Vgl. NAP 1998: 6, 12). Im zeitlichen Verlauf wird die Betonung der kurzfristigen Auszahlung und der Aspekt des Arbeitsanreizes stärker betont, denn „[t]he design of UI plays a big role in encouraging people to work and counteracting passive welfare dependence“(NAP 1999: 13). Dieser Grundgedanke scheint jedoch in der Realität nicht zu greifen, denn „to boost people’s motivation to apply for jobs“ (NAP 2003: 61), wird im Jahr 2001 die Reduzierung der Lohnersatzleistung nach 100 Tagen Erwerbslosigkeit beschlossen (Vgl. NAP 2001: 13 / NAP 2002: 27).36 Hier ist demnach von einer Veränderung zu sprechen, die eine sinkende Generosität aufweist. Im nationalen Aktionsplan wird diese Einschränkung jedoch positiv bewertet: Mit der Kürzung soll die Anpassung an den Arbeitsmarkt erleichtert und stimuliert werden (Vgl. NAP 2001: 3). Im Aktionsplan des Jahres 2004 ist weder eine direkte Zuordnung in die Unterkategorie der Kontinuität noch in die des

34 Übersetzung: „Das schwedische Modell zur Entschädigung bei Arbeitslosigkeit baut auf der Kombination von verhältnismäßig hohem Entgelt und einer strikten Überprüfung des Arbeitswillens.“

35 Übersetzung: „Die Versicherung soll dazu beitragen, dass der Arbeitslose seinen früheren

Lebensstandard aufrechterhalten kann und nicht zu einem drastisch geminderten Verbrauch gezwungen ist. Gleichzeitig soll sie eine Überbrückungsversicherung sein und nicht eine permanente

Versorgungsquelle.“

36 Es finden sich in den Quellen jedoch keine genauen prozentualen Angaben zur Kürzung.

10. Kapitel: Datenanalyse

Wandels möglich, denn der Betrag aus dem Arbeitslosenversicherungsfonds wird weiterhin als großzügig deklariert, jedoch mit der Beschränkung „relatively“ (NAP 2004: 72). Zusätzlich wird darauf verwiesen, dass die Transferleistung nur unter strikten Bedingungen ausgezahlt wird (Vgl. NAP 2004: 72). Damit sind die kontinuierlich vorherrschenden Mitglieds- und Arbeitsvoraussetzungen gemeint, die in Kapitel 4.1.

detailliert beschrieben werden.

Mit der Abwahl der Sozialdemokraten im Herbst 2006 erfährt die passive Arbeitsmarktpolitik einschneidende Veränderungen. „UI will be adjusted to ensure that moving into work is always economically rewarding. […] the gross replacement rate will decline from 80% to 70% after the first 40 weeks” (OECD 2007: 74). Somit kommt es zu einer finanziellen Abstufung innerhalb der 60-wöchigen Auszahlungsperiode. Die Möglichkeit der Anspruchserneuerung, die bereits im Jahr 2001 nur noch einmalig getätigt werden kann, wird mit dem Machtwechsel gänzlich abgeschafft. Bis zum Jahr 2006 ist es zudem so, dass der 60-wöchige Anspruch auf Lohnkompensation mit Antritt einer Programmteilnahme unterbrochen und nach der Maßnahme weiter ausgezahlt wird. Die bürgerliche Regierung entscheidet jedoch, dass die Bezugsdauer ab dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit berechnet wird, unabhängig davon, ob sich der Erwerbslose in der offenen Arbeitslosigkeit befindet oder an einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme teilnimmt (Vgl. Forslund/Krueger 2008: 28).

Die Aktivitätsgarantie, ein arbeitsmarktpolitisches Rahmenprogramm, dass im folgenden Unterkapitel näher charakterisiert ist, wird seit Kurzem von der Job- und Entwicklungsgarantie ersetzt. Neben dem veränderten Namen beträgt die finanzielle Unterstützung in diesem Konzept nicht länger 80 Prozent des vorangegangenen Gehalts sondern 65 Prozent. Nach dem Ablauf der 300-tägigen Auszahlung der Lohnersatzleistung ist die Eingliederung in die Job- und Entwicklungshilfe verpflichtend (Vgl. Ebd.: 29).

Welchen Stellenwert diese Erneuerungen in Schweden einnehmen, verdeutlichen die Leitfadeninterviews. Bezüglich der Frage nach den einschneidensten Veränderungen in der Arbeitsmarktpolitik, wird auf die jüngsten Modifikationen im Bereich der passiven Leistungen hingewiesen: Interessant ist dabei, dass ausschließlich die drei schwedischen Gesprächspartner diese Entwicklung hervorheben.

10. Kapitel: Datenanalyse

„Today, unemployed people are in a worse situation. […] Insurance benefits are pressed down and you have to pay more to be a member of the unemployment insurance” (Anhang: XVI).

„There were changes in the unemployment insurance system. […] You have lower replacement rates and you are paying people for shorter periods. That is especially noticeable under the new government” (Ebd.: XIX).

„There have been slide changes but I think the main thing is that they have introduced more incentives through the unemployment insurance system” (Ebd.: XXVI).

Mit den zunehmenden Verschärfungen der Arbeitsvoraussetzungen im Verlauf der 1990er Jahre sowie den jüngsten Entscheidungen nach 40 Wochen Arbeitslosigkeit die Kompensationsrate zu senken sowie eine weitere Kürzung der passiven Leistungen mit Eintritt in die Job- und Entwicklungsgarantie vorzunehmen, kann von einer Tendenz zur Grundabsicherung und weniger von einem Statuserhalt gesprochen werden.