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Arbeitsmarktpolitik: Pfadkontinuität oder Pfadwechsel?

C. Tabellenverzeichnis

13. Arbeitsmarktpolitik: Pfadkontinuität oder Pfadwechsel?

In diesem Kapitel werden die Ergebnisse der Datenanalyse mit dem theoretischen Konzept der Pfadabhängigkeit verbunden, um eine Aussage darüber zu treffen, inwiefern die schwedische Arbeitsmarktpolitik von ihrem traditionellen Pfad im zeitlichen Verlauf von 1991 bis 2007 abgewichen ist.

Wie bereits im Kapitel zwei dargestellt, vollzieht sich der Prozess, der zur Pfadabhängigkeit führt, in drei Schritten. Zunächst liegen verschiedene Optionen vor, zwischen denen entschieden werden muss. Im Fall der schwedischen Arbeitsmarktpolitik gibt es zu Beginn der 1950er Jahre zwei Möglichkeiten, die eine langfristige Strategie für dieses Politikfeld präsentieren. Zum einen handelt es sich dabei um das Rehn-Meidner-Modell, benannt nach den Urhebern Gösta Rehn und Rudolf Meidner. Dieses sieht einen Ausbau der aktiven arbeitsmarktpolitischen Programme vor. Zum anderen gibt es das Rubbestad-Modell, ebenfalls bezeichnet nach dem bekanntesten Komiteemitglied des Arbeitsvermittlungsausschusses Axel Rubbestad. Dieses Konzept wird zunächst von der Regierung präferiert und fordert eine Minimierung der aktiven Maßnahmen sowie einen Personalabbau in den Arbeitsämtern (Vgl. Wadensjö 2001: 6ff).

Der Punkt des critical juncture ist mit der Entscheidung für das Rehn-Meidner-Modell erreicht. Diese Strategie setzt auf eine umfassende aktive Arbeitsmarktpolitik, um das Ziel der Vollbeschäftigung zu erlangen. Wie in Kapitel 5.3. dargelegt, werden im Verlauf der Jahrzehnte aktive Maßnahmen, wie Umschulungen, Lohnsubventionen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Mobilitätszuschüsse, kontinuierlich verwendet und führen somit zu einem selbstverstärkenden Prozess. Wachsende Erträge ergeben sich durch die Etablierung der nationalen Arbeitsmarktverwaltungsbehörde (AMV) mit ihren zahlreichen Untereinheiten. Da die Gründung derartiger Institutionen kostenintensiv ist, gilt sie als zentraler Akteur bei der Umsetzung und Gestaltung der Arbeitsmarktpolitik.

Nach Pierson wird die Pfadabhängigkeit in einem Staat begünstigt, der asymmetrische Machtrelationen, eine hohe Dichte an starren Institutionen sowie eine Präferenz zum kollektiven Handeln aufweisen. Diese Merkmale lassen sich in der schwedischen Vergangenheit wiederfinden. Bezüglich der Machtstruktur sind die Sozialdemokraten

13. Kapitel: Arbeitsmarktpolitik: Pfadkontinuität oder Pfadwechsel?

mit wenigen Unterbrechungen (1976 – 1982, 1991 – 1994) seit den 1930er Jahren an der Regierung beteiligt, unter anderem aufgrund einer Zersplitterung des bürgerlichen Blocks. Die Moderate Sammlungspartei und ihre potentiellen Koalitionspartner – die liberale Volkspartei, die Christdemokraten und die Zentrumspartei – scheinen „nicht im Stande, eine gemeinsame Plattform zu finden und breiten Schichten eine verlockende Zukunftsperspektive zu bieten“ (Zänker 1998: 89). Starre Institutionen und Akteure mit hohem Organisationsgrad bilden in Schweden nicht nur die Arbeitsmarktverwaltungsbehörde, sondern auch die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Hinzu kommt die korporatistische Prägung, die im Abkommen von Saltsjöbaden aus dem Jahr 1938 manifestiert ist. Besonders im Bereich der Arbeitsmarktpolitik zeichnet sich die Zusammenarbeit zwischen den Vertretern von Arbeit und Kapital sowie dem Staat ab. Beispiele dafür sind die Lohnverhandlungen und die Finanzierung der passiven und aktiven Maßnahmen. Kollektivistisches Handeln wird aber auch durch das Remissverfahren befördert, das alle Interessenvertreter in den Gesetzgebungsprozess involviert. Außerdem gibt es die Möglichkeit von Minderheitsregierungen, die die schwedischen Parteien bei Gesetzesbeschlüssen zur Gewinnung von temporären Koalitionspartnern zwingt. Demnach sind die Voraussetzungen für ein pfadabhängiges Verhalten in der Vergangenheit günstig.

Doch mit der Aufkündigung der zentralen Lohnverhandlungen Anfang der 1990er Jahre wird Schweden lediglich ein abgeschwächter Korporatismus bescheinigt. Mit dem Wahlsieg der Allianz für Schweden im Herbst 2006 und die damit verbundene Überwindung der Zersplitterung des bürgerlichen Blocks schwinden die asymmetrischen Machtstrukturen. Die Parteien wirken nicht länger „unentschieden und führungslos“ (Zänker 1998: 89), sondern präsentieren sich geschlossen im Wahlkampf und nehmen sozialdemokratische Themen, wie die Beschäftigungs- und Wohlfahrtspolitik, auf ihre Agenda (Vgl. Jochem 2006: 11). Das Parteiensystem verliert zudem an Beständigkeit, weil vor allem junge Bürger Wechselwähler darstellen (Vgl.

Zänker 1998: 91). Eine weitere Neuerung ist die Umstrukturierung der AMV zu Beginn dieses Jahres, wobei sich die Bedeutung dieser Maßnahme noch nicht abschätzen lässt.

Insgesamt zeigen diese Veränderungen, dass die Voraussetzungen für ein pfadabhängiges Verhalten geschwächt sind.

13. Kapitel: Arbeitsmarktpolitik: Pfadkontinuität oder Pfadwechsel?

Ein Pfadwandel ist der Theorie nach möglich, wenn die Zustimmung des Wählers für eine Strategie schwindet oder wenn die Pfadbeibehaltungskosten höher sind als der Nutzen. In den ausgewerteten Dokumenten ließen sich keine Anzeichen für die Abneigung der Wähler bezüglich einer aktiven, vollbeschäftigungsorientierten Arbeitsmarktpolitik finden. Der Aufbau von Erwartungen, was die Funktionsfähigkeit von Institutionen und Strategien betrifft, muss hier jedoch erwähnt werden.

Mit dem wirtschaftlichen Schock im Jahr 1991 stieg die Arbeitslosenquote rapide an.

Dieser Aspekt beeinflusst die Arbeitsmarktpolitik stark und die Wähler erwarten eine Reaktion von Seiten der Politik auf diese Veränderung. Der Mitarbeiter des WZB beschreibt die Situation wie folgt: „Für die schwedische Gesellschaft war diese hohe Arbeitslosenquote von acht Prozent eine Krisenerfahrung sondergleichen“ (Anhang:

IX). Aufgrund des vollbeschäftigungsgeprägten Pfades ist in den Augen der Bevölkerung „eine hohe Arbeitslosenquote ein Staatsversagen“ (Ebd.). Sein schwedischer Kollege pflichtet ihm bei: „No political party could say: ’We are accepting a high unemployment rate.’“ (Ebd.: XVIII). Mit seinem Zusatz: „[Y]ou have a history. The history is important“ (Ebd.) verweist er auf die Historizität, die die Pfadabhängigkeitstheorie bestimmt. Um nun der Legitimationskrise zu entgehen, ist die Politik demnach gezwungen zu handeln, was aus Sicht des Arbeitsmarktexperten des WZB ab dem Jahr 1994 geschieht (Vgl. Ebd.: IX). Dieser Zeitpunkt, der im Ergebniskapitel der vorliegenden Arbeit in die Phase der einsetzenden Konsolidierung fällt, kann demnach als Startpunkt für erste Pfadmodulierungen gesehen werden.

Damit einher geht der zweite Aspekt, der von Vertretern der Pfadabhängigkeitstheorie als Grund für Pfadabweichungen benannt wird. Die Rede ist vom steigenden Kostenumfang der Instrumente zur Arbeitsmarktreintegration, der nicht mehr im Verhältnis zum Nutzen steht. So kommt eine im Jahr 1995 veröffentlichte Gemeinschaftsarbeit von schwedischen Ökonomen und amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlern des National Bureau of Economic Research, in Auftrag gegeben von der privaten schwedischen Forschungsgruppe Studieförbundet Näringsliv och Samhälle (SNS), zu dem Ergebnis „die vielgepriesene aktive Arbeitsmarktpolitik Schwedens habe […] kaum positive Spuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen und sich als kostspieliger Luxus erwiesen“ (zitiert nach Zänker 1998: 20). Auch der Mitarbeiter der Arbeitsmarktbehörde zieht die Schlussfolgerung, dass die verwendeten Programme

13. Kapitel: Arbeitsmarktpolitik: Pfadkontinuität oder Pfadwechsel?

der ersten Jahre zu kostenintensiv ausgefallen sind. „It cost more than what was necessary“ (Anhang: XV). Die Datenanalyse der vorliegenden Arbeit besagt ebenfalls, dass zwischen 1994 und 1997 der Umfang aktiver Maßnahmen rückläufig ausfällt. Der mögliche tipping point, der den Zeitpunkt bezeichnet, ab dem die Ineffizienz von Strukturen und Instrumenten erkennbar wird, könnte bei Betrachtung der Datenanalyse jedoch bereits für das Jahr 1993 datiert werden. Kostengünstigere Maßnahmen, wie beispielsweise das ALU-Programm, die Beendigung der Expansion des öffentlichen Sektors und die Kürzung des Arbeitslosengeldes um 10 Prozent sprechen dafür. Die Akzeptanz der Bevölkerung für diese Veränderungen begründet der Wissenschaftler des SOFI wie folgt: „[I]f you have a crisis you can get people to accept many more changes“ (Ebd.: XVIII).

Trotz erster Umgestaltungen bleibt die Arbeitsmarktpolitik aktiv geprägt und verwendet weiterhin Instrumente aus den 1980er Jahren wie Lohnsubventionsmodelle und praxisbezogene Trainingsmaßnahmen. Erst mit der Einführung der Aktivitätsgarantie, der Institutionalisierung individueller Handlungspläne und der zunehmenden Fokussierung auf persönliche Beratung kann von einer Modifikation des schwedischen Pfades gesprochen werden. Das Jahr 2000 kann daher als zweiter tipping point bezeichnet werden, da die Regierung mit dem Zusammenspiel von Fördern und Fordern, der Bekämpfung von Leistungsmissbrauch und der zügigen Integration gefährdeter Langzeitarbeitsloser konsequent auf das Ziel der Vollbeschäftigung hinarbeitet.

Interessant sind die Gründe für das lange Zögern, denn Parteien, die in Schweden die Regierung bilden, haben wenige Vetospieler, gegen die sie ihre Vorstellungen durchsetzen müssen. Da Schweden weder ein Zweikammersystem noch über föderale Strukturen verfügt und keine Art von Bundesgerichtshof besitzt, kann die Regierung abgesehen von den Interessengruppen sehr eigenständig neue Wege gehen. Dass der schwedische Prozess so langwierig ist, begründen die Interviewpartner mit internen Widerständen bei der SAP. Diese verhindern eine zügige Reaktion auf die arbeitsmarktpolitischen Entwicklungen.

„Es gab auf Parteitagen Widerstände gegen solche Vorschläge wie die Aktivitätsgarantie“

(Ebd.: IX).

13. Kapitel: Arbeitsmarktpolitik: Pfadkontinuität oder Pfadwechsel?

„I think there was quite widespread belief that active labour market policies really were the solution“ (Ebd.: XXIV).

Der Einsatz aktiver Maßnahmen zählt demnach bei vielen Sozialdemokraten als Allheilmittel. „[T]hey [labour market policies] worked in the 80s and they worked well.

So why should we abandon them?” (Ebd.: XXV). So lautet die klassische Frage der Politiker in den 1990er Jahren. Evaluationsstudien verweisen jedoch auf Verdrängungseffekte43 und Ineffektivität der arbeitsmarktpolitischen Programme (Vgl.

Calmfors et. al. 2001 / Sianesi 2001). Trotz dieser Ergebnisse wird eine Pfadkorrektur abgelehnt. „[M]ost people in the Social Democrat Party said: ‚These guys [researchers]

don’t like labour market policies. So we shouldn’t believe in their results’ (Anhang:

XXV). Diese Darstellung von Seiten des IFAU-Wissenschaftlers unterstreicht die Pfadkontinuität der Sozialdemokraten in den 1990er Jahren. „There was a believe that it must work and that it does work“ (Ebd.). Demnach lässt sich zwar, angesichts des Kostendrucks, ein pragmatischer tipping point für den Zeitpunkt 1993/1994 festlegen, aber der ideelle wird erst im Jahr 2000 mit der Einführung der Aktivitätsgarantie erreicht.

Festzuhalten ist demnach, dass die schwedische Arbeitsmarktpolitik aufgrund eines wirtschaftlichen Schocks mit einer hohen Arbeitslosenquote konfrontiert ist und diese zunächst pfadgemäß mit traditionellen Maßnahmen und eingespielten Prozessen und Institutionen kostengünstig bewältigen möchte. Jedoch zeigen die verwendeten Programme wenig Erfolg zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, so dass zu Beginn der 1990er Jahre erste Veränderungen zur Kostensenkung vorgenommen werden und im Verlauf des Jahrzehnts eine Bildungsoffensive möglichst viele Erwerbslose aktiv einbinden soll. Innerparteiliche Widerstände in der SAP sorgen für die Pfadkontinuität bezüglich der Instrumente und Ziele.

Mit dem Jahr 2000 setzt jedoch eine Modifikation des schwedischen Pfades ein, der zu einer stärkeren Eigenverantwortung der Arbeitsuchenden auffordert, Leistungsmissbrauch entgegen wirkt und den Matching-Prozess mittels individueller

43 Verdrängungseffekte liegen vor, wenn Arbeitgeber regulär Angestellte durch subventionierte Arbeitskräfte ersetzen. Demnach befördern einige arbeitsmarktpolitische Programme keine neuen Arbeitsplätze, sondern den Abbau regulärer Beschäftigung (Vgl. Calmfors et. al. 2001: 81).

13. Kapitel: Arbeitsmarktpolitik: Pfadkontinuität oder Pfadwechsel?

Beratung zu verbessern versucht. Dabei bleibt das Vollbeschäftigungsziel erhalten und auch die aktive Arbeitsmarktpolitik findet bis in die Gegenwart Anwendung - jedoch mit neuer Ausrichtung und einem Zusatz an aktivierenden Elementen. Demnach kann nicht von einem Pfadwechsel in diesem Politikfeld gesprochen werden, sondern von einer Pfadmodifikation.

14. Kapitel: Hypothesenüberprüfung