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2.2.1 Grundlagen der Patientenschulung

In einer Patientenschulung wird Expertenwissen patientengerecht und kompetent vermittelt.

Zielgruppenadaptiertes, didaktisch und ansprechend aufbereitetes Schulungsmaterial wird ziel-orientiert mit einer nachvollziehbaren Struktur vermittelt. Wesentliche Inhalte, Ziele, Methodik und Didaktik sind in einem Curriculum beschrieben. Durch dieses systematisch vermittelte neue Krankheits- und Behandlungswissen kann die Bewertung der Erkrankung durch die Patienten und somit auch der Umgang mit einer chronischen Krankheit verbessert werden. Eine differen-zierte Wahrnehmung der Einflussfaktoren auf die chronische Erkrankung ermöglicht den Pati-enten in vielen Fällen ein verbessertes Krankheitsmanagement. Der Ausdruck „Schulung“ steht dabei für ein strukturiertes Vorgehen in Gruppen. Mit vorbereiteten Materialien und Übungen, wie z.B. Rollenspielen, soll krankheits- und behandlungsbezogenes Wissen, Fertigkeiten und motivationale Faktoren sowie der Umgang mit der Krankheit im Alltag vermittelt werden, um ein besseres Selbstmanagement zu erreichen (85-87), wie auch die folgende Abbildung 2 ver-deutlicht.

Abbildung 2: Empowerment in der Patientenschulung (86)

Die aktive Mitwirkung der Patienten und ihrer Familien bei der Therapie der chonischen krankung soll bei der erfolgreichen Alltagsbewältigung helfen. Die Akzeptanz der durch die Er-krankung bedingten Einschränkungen ist dabei genauso wichtig wie ein differenziertes Wissen und Handlungskompetenzen. Die psychosoziale Prognose der Patienten ist dabei von einem er-folgreichen Selbstmanagement abhängig (88).

Um dies zu erreichen beinhalten Patientenschulungen in der Regel folgende Komponenten (85,86):

• Informationen über die Erkrankung

• Training von Fertigkeiten zur Selbstdiagnostik und -behandlung

• Motivierung zu einem gesundheitsförderlichen Lebensstil / Reduktion von Risikoverhal-ten

• Verbesserung der Stressbewältigung

• Training von sozialen Kompetenzen

• Psychologische Unterstützung

Um ein möglichst erfolgreiches Krankheitsmanagement zu realisieren, haben sich seit den 90er-Jahren Schulungsprogramme als erfolgreich erwiesen, in denen der sogenannte Empowerment-/Selbstmanagement-Ansatz praktiziert wird (89-96). Das Empowerment stellt dabei einen in-teraktiven Prozess dar, bei dem Patienten durch neu erlangtes Wissen und Handlungs-kompetenzen dazu befähigt werden sollen, ihre Ressourcen im Bezug auf den Umgang mit der chronischen Erkrankung besser zu nutzen (90,97). „Motivationale Strategien und handlungs-bezogene Kompetenzen“ sollen hier vermittelt werden, damit die Patienten „informierte Ent-scheidungen und Selbstmanagement im Bezug auf Gesundheit und Lebensstil“ tätigen können.

Die Bedürfnisse der Schulungsteilnehmer sollten daher zu Beginn detektiert und im Verlauf da-rauf eingegangen werden, um den Transfer in den Alltag zu erleichtern (86,97).

Die Familien von chronisch kranken Kindern müssen also neben den allgemeinen Entwicklungs-aufgaben eine Therapie mit allen nötigen medizinischen Maßnahmen konsequent in ihren Alltag integrieren und die Einschränkungen des Kindes akzeptieren (11). Da Familien die Behandlung im Alltag weitestgehend eigenverantwortlich gestalten müssen, ist die medizinisch-psychologische Schulung ein unverzichtbares Therapieelement (98-100). Für die Kinder ist es nicht immer leicht, ihre Einschränkungen zu akzeptieren. Die Art und der Umfang der sozialen Unterstützung durch Freunde und Familie stellen wesentliche Faktoren dar, die das Therapie-verhalten von Kindern mit einer chronischen Krankheit beeinflussen. Dies ist auch ein wesentli-cher Grund, Bezugspersonen, vor allem auch nicht mehr ganz junger Patienten, in die Schu-lungsmaßnahmen mit einzubeziehen, um hier die Unterstützung und dadurch die Motivation der Patienten zu steigern.

Neben den vermittelten Inhalten in einer Gruppenschulung spielt auch der Austausch mit Gleichbetroffenen und bei Kindern in erster Linie auch Gleichaltrigen eine große Rolle bei der emotionalen Bewältigung der Erkrankung. Durch die Interaktion und Kommunikation mit ande-ren Patienten findet meist eine Selbstreflektion mit Neubewertung instrumenteller Hilfen statt.

Der Erfolg des in Schulungen praktizierten Empowerment-/Selbstmanagement- Ansatzes wird exemplarisch bei pädiatrischen Krankheitsbildern wie Asthma bronchiale und Typ 1 Diabetes deutlich. Hier wurden in der letzten Dekade strukturierte und qualitätsgesicherte Patienten-schulungen als ein integraler Bestandteil der Therapie anerkannt und in die Disease Manage-ment Programme (DMP) aufgenommen (101,102). Bei diesen Krankheitsbildern ist Deutschland im internationalen Vergleich bei den Patientenschulungen Beispiel gebend. Aus diesem Grund werden nach der Darstellung des aktuellen Standes der Patientenschulungen für die PKU die Schulungen zu diesen beiden Krankheitsbildern exemplarisch dargestellt.

2.2.2 Stand der Patientenschulung bei PKU

Bei Patienten mit PKU ist eine Therapie von Geburt an notwendig. Die Durchführung der Diät, von der die Entwicklung der Kinder maßgeblich abhängt, wird im Alltag durch die Eltern umge-setzt, welche hier von Anfang an eine große Verantwortung tragen. Um die Eltern zur Durchfüh-rung und Umsetzung dieser eiweißarmen Diät zu befähigen, ist eine ausgiebige Schulung der Eltern über den Stoffwechseldefekt und die korrekte Durchführung der Diät somit unabdingbar.

Ein „Stoffwechselteam“, welches meistens aus einem Arzt und einer Diätassistentin besteht (ggf.

auch einer Kinderkankenschwester und/oder einem Psychologen) begleitet die jungen Eltern auf dem Weg, selbst Experten im Bezug auf die PKU für den Alltag zu werden. Hierbei ist nicht nur das Wissen über den Phenylalaningehalt der Lebensmittel wichtig, sondern auch Kompeten-zen für den Umgang mit schwierigen Situationen im Alltag zu erlangen (103,104). Je älter die Kinder werden, desto mehr müssen sie in die tägliche Therapie mit einbezogen werden. Im Lau-fe der Jahre können die Kinder unterscheiden, welche Lebensmittel für sie geeignet sind und welche nicht. Ab diesem Zeitpunkt ist es sinnvoll, die Kinder in die Schulungsprogramme mit einzubeziehen. Durch den nicht vorhandenen Leidensdruck bei der PKU ist es um so wichtiger, die Patienten zum Einhalten der eiweißarmen Diät und zu der Einnahme der Aminosäuremi-schungen als präventive Maßnahme zu motivieren. Insbesondere für Kinder, die noch kein Krankheitsverständnis haben, ist es häufig schwer nachzuvollziehen, warum bestimmte Le-bensmittel für sie nicht erlaubt sind.

Da das Outcome bei der PKU direkt von der Adhärenz der Therapie abhängt, trägt der Therapie-verantwortliche eine große Verantwortungslast für den aktuellen und zukünftigen Gesundheits-status, was bei heranwachsenden Kindern wiederum zu innerfamiliären Konflikten bezüglich der Therapieverantwortung führen kann (83).

Um den Kindern mit PKU die bestmöglichen, auch psychosozialen Entwicklungschancen zu ge-ben, wäre auch für diese Patientengruppe und deren Familien ein an Selbstmanagement orien-tiertes Programm wünschenswert. Weder in Deutschland, noch europa- oder weltweit steht solch ein Programm zur Zeit zur Verfügung.

Es existieren zwar Trainingsprogramme wie „FIT für PKU“ (105) und „PKU gut erklären!“ (104) oder von regionalen Selbsthilfegruppen organisierte Wochenendseminare. Es fehlen jedoch eva-luierte und akkreditierte Schulungen, die regelhaft interdisziplinär durchgeführt werden. Damit wird auch die vom Gesetzgeber nach § 43 Nr. 2 SGB V eingeforderte Qualität nicht garantiert und die Voraussetzungen für eine Leistungsanerkennung durch Krankenkassen nicht erfüllt. Somit ist auch eine Finanzierung durch Krankenkassen nicht gegeben und die Familien müssen die Programme zum Umgang mit der chronischen Krankheit selbst bezahlen. Barrieren, die bisher verhindert haben, dass Schulungsmodelle für PKU entwickelt und evaluiert wurden, liegen ins-besondere in der kleinen Patientenzahl. Dadurch gestaltet es sich für den potenziellen Schu-lungsveranstalter schwierig, eine altershomogene Gruppe zusammenzustellen und insgesamt eine ausreichende Patientenzahl zu erreichen, um die durchgeführte Schulung wissenschaftlich

hinsichtlich des Benefits zu untersuchen. Hinzu kommt, dass die Entwicklung und Erprobung / Evaluation einer Schulung ein zeitintensives Projekt darstellt, für welches bis jetzt keine Gelder zur Verfügung standen, zumal die Folgefinanzierung zur Durchführung von Schulungen mit un-zureichender Evaluation nicht gesichert ist.

Für PKU-Schulungen ergibt sich zudem die Problematik, dass auf Grund der kleinen Patienten-zahlen keine Initialschulung als Guppenintervention stattfinden kann. Um den Benefit solch ei-ner Intervention dennoch zu überprüfen, wäre ein Studiendesign mit eiei-ner Warte-Kontroll-Gruppe wünschenswert. Um keine gesundheitlichen Risiken durch fehlende Therapie in Kauf nehmen zu müssen, wäre eine Warte-Kontroll Gruppe nur bei Patienten denkbar, die bereits bezüglich der Therapie gut instruiert sind. Um eine ausreichend große Patientenzahl für eine Interventionsgruppe und eine Warte-Kontroll-Gruppe zu erreichen, müssten die Patienten deutschlandweit rekrutiert werden. Das wiederum stellt die Aussagefähigkeit der Ergebnisse in Frage, da die vorbestehende krankheitsspezifische Bildung und Lebensqualität bedingt durch Bewältigung und Management der PKU stark von den betreuenden Spezialisten abhängt.

Unabhängig von einer Kontroll-Gruppe wäre für die PKU ein Wissenszuwachs an handlungs-relevantem Wissen, wie Lebensmittelkunde und Beeinflussung der PHE-Werte durch Ernäh-rung, Sport, Erkrankung etc. als Outcomeparameter denkbar. Außerdem wäre als Langzeitpara-meter auch der Verlauf der PHE-Werte interessant. Bei Patienten, bei denen vor einer Interven-tion immer wieder zu hohe PHE-Werte auffallen, wäre der Verlauf der Blut-PHE-Konzentrationen in Abhängigkeit vom Wissen ein interessanter Parameter. Würde die Studien-population hier über einen längeren Zeitraum verfolgt werden, könnten Ergebnisse im Bezug auf das Outcome und die Nachhaltigkeit einer Schulung erhoben werden.

Abgesehen von den somatischen Aspekten spielt die psychosoziale Komponente eine wichtige Rolle. Wie integrieren die Familien die Diät in den Alltag? Wie wird mit Konflikten im Bezug auf die PKU umgegangen? Wie stark wirkt sich die Therapie der PKU negativ auf den Alltag aus? In welchem Ausmaß belastet die PKU die innerfamiliären Strukturen? Welche Einschränkungen ergeben sich für alle Familienmitglieder aus der PKU? Wie stark ist das Leben des von der PKU Betroffenen eingeschränkt und führt dies zu einer Teilhabestörung? Diese Fragen lassen sich mit einer HrQoL (Health related quality of life) Befragung erfassen. Der Verlauf der HrQoL müsste möglichst über einen längeren Zeitraum stattfinden, um auch hier eine Aussage zur Nach-haltigkeit eines möglichen Benefits zu erhalten.

2.2.3 Schulungen für Kinder und Jugendliche mit Typ 1 Diabetes und deren Eltern

Diabetes mellitus Typ I ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindesalter. In Deutschland leben etwa 15.000 Kinder im Alter zwischen 0-14 Jahren mit einem Typ I Diabetes (106). Um eine gute Stoffwechseleinstellung bei hoher Lebensqualität erreichen zu können, ist sowohl die korrekte Durchführung einer patientenzentrierten intensivierten Insulintherapie, als auch die psychosoziale Situation des Patienten von großer Wichtigkeit. Das Erlernen dieser Therapieform

mit den entsprechenden Fertigkeiten zur Selbstbehandlung im Alltag und die Akzeptanz der Diagnose sind die Basis für ein erfolgreiches Krankheitsmanagement und eine somit gute Prog-nose (107). Als effektive Maßnahme zur Prävention von Folgeerkrankungen erwiesen sich ins-besondere multidisziplinäre, individuelle und zielgruppenorientierte Schulungen auf der Basis von strukturierten Schulungsprogrammen als sinnvoll (108-111). Inzwischen sind Patienten-schulungen in der Therapie des Diabetes Typ I der Goldstandard (12,13,98,100,112).

Durch neu erworbene Kenntnisse und Fertigkeiten soll die Diabetesschulung als systematischer und zielorientierter Prozess die Patienten dazu befähigen, die Behandlung des Diabetes eigen-verantwortlich in den Alltag zu integrieren und die Lebensqualität durch Vermeidung akuter oder langfristiger Komplikationen erhalten (107). Für die unterschiedlichen Altersgruppen der an Diabetes mellitus Typ I erkrankten Kinder fordern die evidenzbasierten Leitlinien spezifische Schulungskonzepte, die den körperlichen und geistigen Entwicklungsstand des Kindes berück-sichtigen. Für ihre Eltern ist ein eigenes, ebenfalls an das Alter der Kinder angepasstes Schu-lungskonzept notwendig, das zusätzlich zu dem jeweiligen Entwicklungsstand auch altersspezi-fische Probleme anspricht. Die Leitlinien sehen hier ebenfalls eine qualifizierte und evaluierte Schulung für die Eltern vor. Aus den altersadaptierten Schulungen ergibt sich auch die Notwen-digkeit von regelmäßigen Folgeschulungen, um die Therapie und den Umgang mit der Erkran-kung bzw. Erziehungsmethoden anzupassen (112).

Ziel einer Diabetesschulung sollte neben der Wissensvermittlung auch die Integration der The-rapie in den Alltag der Familie und ihre tägliche Umsetzung sein (113).

In Deutschland wurden Schulungsprogramme für Schulkinder und für Jugendliche von multipro-fessionellen Diabetesteams entwickelt und multizentrisch evaluiert (114). Die Ergebnisse dieser Studien führten zur Akkreditierung der Programme durch das Bundes-versicherungsamt im Rahmen des Disease Management Programms für Diabetes mellitus Typ I bei Kindern (102).

Dabei soll und darf eine Schulung keinesfalls mögliche psychosoziale Hilfen ersetzen. Vielmehr stehen schwerwiegende psychosoziale Probleme einem Schulungserfolg entgegen und müssen frühzeitig detektiert werden (112,115). Die Bedeutung der Diabetesschulung ist international unumstritten und ihre Umsetzung wird von vielen Leitlinien gefordert (12,98,100,107).

2.2.4 Schulungen für Kinder und Jugendliche mit Asthma und deren Eltern

In Deutschland leiden 10% aller Kinder und Jugendlichen an Asthma bronchiale. Damit ist es in dieser Altergruppe die häufigste chronische Erkrankung überhaupt (99).

Genau wie für den Diabetes mellitus Typ I gibt es auch für Asthma bronchiale ein Disease Ma-nagement Programm, das u.a. eine Patientenschulung für jeden Patienten vorsieht. So soll jeder Patient Zugang zu einem strukturierten, evaluierten, zielgruppenspezifischen und publizierten Schulungs- und Behandlungsprogramm erhalten (99,101).

Wichtige Bestandteile sind Verhaltenstraining, Verbesserung der Körperselbstwahrnehmung, Umgehen mit körperlich empfundenen insbesondere frühen Symptomen, eine Besserung im

Umgang mit den Gefühlen, wie der Angst vor den Asthmaanfällen sowie eine Verringerung der Auswirkungen im familiären und sozialen Umfeld (116).

Solch eine strukturierte, die Familie mit einbeziehende Patientenschulung bringt klinisch eine bedeutsame Verbesserung der Kompetenz im Umgang mit der Krankheit, also der Selbstma-nagementfähigkeiten, eine Verringerung der Zahl der Asthmaanfälle und Notfall-situationen sowie eine Verbesserung der Lebensqualität und Reduzierung von Krankenhaus-, Arbeitsunfä-higkeits- bzw. Schulfehltagen (94,99,117-120). Eine günstige Kosten-Nutzen-Relation konnte im Bezug auf die Maßnahme der Patientenschulung nachgewiesen werden (121,122). Diese positi-ven Effekte sind jedoch nur für Schulungsprogramme gesichert, bei denen Inhalte des Selbstma-nagements wie Selbstkontrolle (Symptomatik und Peak-Flow-Verlauf) und selbstständige An-passung der Medikation (Therapie- und Notfallplan) vermittelt werden, nicht hingegen für Pro-gramme mit reiner Wissensvermittlung ohne verhaltensmodifizierende Ansätze (121).

Eine Metaanalyse von Disease Management Programmen zeigte, dass sowohl eine gute Patien-tenschulung als auch eine korrekte Umsetzung der Leitlinien für eine gute Kontrolle des Asth-mas benötigt werden (120).

2.2.5 Schulung bei anderen chronischen Krankheiten im Kindes- und Jugendalter

Ähnlich gut evaluierte Programme, wie für Asthma und Diabetes Typ 1, gibt es auch für die Indi-kationen Neurodermitis(123-126) und Adipositas (127-129). Auch für AD(H)S (130,131) Epi-lepsie (132-134), Bauchschmerzen/Reizdarmsyndrom und Kopfschmerzen (135) liegen evalu-ierte Programme vor.

Eine positive Auswirkung auf den Verlauf und den Schweregrad der Erkrankungen konnte nach Patientenschulungen sowohl bei Neurodermitis (124,125,136,137), als auch bei der Psoriasis (138,139) belegt werden.

2.2.6 Bisher nicht gedeckter Schulungsbedarf

Darüber hinaus bedarf es jedoch eines Schulungsangebotes für die große Zahl weniger häufiger oder seltener Krankheiten, für die noch keine oder nur vorläufige Schulungskonzepte vorliegen (140,141). Die steigende Zahl chronisch kranker Kinder und Jugendlicher erhöht den Bedarf an Angeboten mit den entsprechenden Strukturen und qualifizierten Trainern weiter (142,143).

Für Krankheitsbilder wie Anaphylaxie, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Harn-inkontinenz, Immundefekte, nephrotisches Syndrom, chronische Niereninsuffizienz oder Stoff-wechselerkrankungen sind Programme lediglich in Erprobung oder in Konzeption. Bei anderen chronischen Erkrankungen liegen keine Angebote für eine strukturierte und evaluierte, interdis-ziplinäre Schulung vor (14,15). Grund hierfür ist insbesondere die kleine Patientenzahl, die eine Entwicklung, Durchführung und wissenschaftliche Evaluation schwierig gestaltet. Das Vorhan-densein eines wissenschaftlich, hinsichtlich der Wirksamkeit überprüften Schulungs-programmes ist jedoch nach SGB V Voraussetzung für eine Finanzierung.

Der wissenschaftliche ‚Goldstandard’ der Wirksamkeitsprüfung, die randomisiert kontrollierte Studie (RCT), wird jedoch bei weniger häufigen und seltenen Krankheiten als zu aufwändig ein-geschätzt, da sie mit den geringen Patientenzahlen nur schwer zu realisieren ist. Bei den Indika-tionen, bei denen von Diagnosestellung an eine konsequente Therapie notwendig ist, um ein gutes Outcome zu erreichen, ist eine Randomisierung in eine Interventions- und eine (Warte)-Kontrollgruppe bei Initialschulungen grundsätzlich nicht möglich, da die Schulung aus therapeu-tischen und ethischen Gründen unmittelbar stattfinden muss. Zusätzlich ist die Aussagekraft von RCT’s bei Gruppenschulungen kritisch zu hinterfragen, da sie trotz einer Standardisierung je nach Zusammensetzung sehr unterschiedlich verlaufen und nicht reproduzierbar sind (144).

Ohne eine gesicherte Finanzierung steht allerdings auch kein Personal zur Verfügung, um ein mögliches Schulungsangebot zu entwickeln – hier besteht ein circulus vitiosus, den es zu durch-brechen gilt, was im Rahmen des vom Bundesministerium für Gesundheit unterstützten Projek-tes „Fit für ein besonderes Leben: Modulares Schulungs-programm für chronisch kranke Kinder und Jugendliche sowie deren Familien „ModuS““ angestrebt wurde.

Die überaus positiven Ergebnisse der Vorreiter Diabetes und Asthma, die zu einer Aufnahme in die nationalen DMP’s führten (101,102) machen deutlich, wie wichtig ein multidisziplinäres Vorgehen mit dem Schwerpunkt des Selbstmanagements ist. Auch wenn für die meisten chroni-schen Erkrankungen derzeit kein DMP zur Versorgungsoptimierung zur Verfügung steht, sollten auch für weniger häufige chronische Erkrankungen entsprechende Schulungsprogramme vor-handen sein, um die Fähigkeiten der Patienten im Umgang mit ihrer Krankheit zu verbessern.

Als möglicher Lösungsansatz, um die Schwierigkeit der wissenschaftlichen Auswertung bei klei-nen Studiengruppen zu umgehen, wurde bundesweit ein Programm für chronsich kranke Kinder und Jugendliche und deren Familien entwickelt, welches im Baukastensystem sowohl krank-heitsübergreifende, als auch krankheitsspezifische Module enthält. Die weitreichende Erpro-bung in mehreren Krankheitsbildern mit Outcomeparametern wie Lebensqualität, handlungsre-levantes Wissen und Selbstmanagementkompetenzen sollen hier eine RCT ersetzen.