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Organisierung in sierra und selva

3. Der indigene Organisierungsprozess

3.3 Organisierung in sierra und selva

Mit Gründung von Ecuador Runacunapac Riccharimui46 (ECUARUNARI) Anfang der 1970er, schuf sich die indigene Bevölkerung der sierra Ecuadors erstmalig ein eigenständiges Organisierungs- und Mobilisierungskonzept auf regionaler Ebene. Im Gegensatz zu FEI und FENOC, welche mehr auf bäuerliche Interessen ausgerichtet waren, entwickelte

45 „Ecuadorianischer Fonds zum Fortschritt des Volkes“.

46 Quichua für: „Das Erwachen des ecuadorianischen Indios“.

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ECUARUNARI ihre eigene Position durch Verbindung bäuerlicher und eher ethnisch begründeter Bezüge (Pallares 2002: 232).

ECUARUNARI hat ihre Wurzeln in der katholischen Kirche, da die ersten darin beteiligten Gemeinden durch progressive Pfarrer und Priester organisiert worden waren.

Obwohl die kirchlichen Bemühungen auch dem Interesse geschuldet waren, den klassenkämpferischen Einfluss der FEI zu unterbinden, orientierte sich ECUARUNARI von 1977-85 schließlich mehr am Klassenbewusstsein, so dass in dieser Zeit kaum noch Unterschiede zur Politik der FENOC wahrnehmbar waren. Zunehmend verbreitete sich jedoch der Wunsch nach Unabhängigkeit von den einstigen Unterstützern und nach einer eigenen Linie. Mitte der 1980er Jahre entschied sich ECUARUNARI schließlich dazu, sich nunmehr eine explizit ethnische Agenda zu verleihen (Yashar 2005: 106-109). Insofern ließ sie klassenkämpferische sowie christliche Positionen zunehmend hinter kulturellen zurückstehen.

Pallares weist auf einen zunächst eher taktischen Umgang mit dem eigenen Selbstverständnis hin, welcher in der zweiseitigen Strategie Ausdruck findet, sich je nach Kontext als bäuerliche oder als indigene Organisation zu präsentieren:

Despite its almost exclusively campesinista rhetoric after 1977, ECUARUNARI was actually conducting a dual strategy: to the Left and the popular sector, the organization was the voice of highland peasants, whereas with lowland organizations and state actors, organization activists were negotiating positions as Indians.”

(Pallares 2002: 165)

Den inhaltlichen Wechsel zur ausdrücklich ethnisch geprägten Organisation führt Pallares auf den Einfluss seitens der organisierten Tieflandindios zurück (2002: 168-169):

Der Gründung der Confederación de Nacionalidades Indígenas de la Amazonía Ecuatoriana47 (CONFENIAE), der ersten regionalen Indígena-Organisation der selva des Landes, gingen verschiedene lokale und provinziale Organisierungsprozesse voraus. Die Bedingungen jener Region unterschieden sich dabei wesentlich von den bereits geschilderten Umständen im Hochland. Während die indigene Bevölkerung der sierra schon lange Zeit im Kontakt mit Weißen/Mestizen stand, waren die vereinzelt stattgefundenen Versuche seitens des Staates, die selva zu besiedeln, stets wieder aufgegeben worden.

„Successive uprisings by Amazonian Indians, however, effectively quashed these efforts and prevented the state from establishing political control over this economically

47 „Konföderation der Indigenen Nationalitäten des Ecuadorianischen Amazoniens.“

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attractive area. [… T]he state was attempting to build a sense of national identity in the highlands and the coast, but there was no parallel effort to do the same in the Amazon”.

(Yashar 2005: 110)

Wie bereits im vorhergehenden Kapitel erwähnt, hatten die Regierungen Ecuadors die Amazonasregion weitgehend den kirchlichen Missionen überlassen. Aufgrund dessen lebten viele indigene Gruppen über lange Zeit in relativer politischer Autonomie. Da es insofern – verglichen mit den Umständen in der sierra – weniger rechtliche Hindernisse im Bezug auf Organisierungsbemühungen gab, sind für die Analyse der Organisierung in der Amazonasregion jene Faktoren von besonderem Interesse, welche die relative politische Autonomie indigener Gruppen beeinflussten oder angriffen (ebd.: 109-112).

Die besonders mit der Agrarreform von 1964 beschleunigte Kolonisierung des Ostens zählt hier zu den wichtigsten Einflüssen. In den folgenden zwei Dekaden wurde mehreren zehntausend Siedlerfamilien Grund in der selva überschrieben. Nachdem dort 1967 zusätzlich große Ölvorkommen ausgemacht wurden, nahm das Interesse an dem über lange Zeit ignorierten Gebieten48 um so mehr zu – die indigene Bevölkerung sah sich noch mehr Druck ausgesetzt. Während die erste Organisierungswelle indigener Gruppen jener Region eine direkte Reaktion auf die Siedlungspolitik darstellte, nahm durch die stark intensivierte Förderung von Öl der bis dahin nur mäßig entwickelte Prozess der Vertreibung indigener Gruppen aus ihren angestammten Gebieten sowie deren Zerstörung durch extreme Umweltverschmutzung deutlich zu (ebd.: 112-117).

Im Gegensatz zur großen Gruppe der Hochland-Quichua, lebte die Bevölkerung der selva jedoch in bedeutend kleineren und teils isolierten Gruppen. Interethnische Abgrenzungen und Differenzen zwischen Tiefland-Quichua, Huaorani oder Shuar erschwerten die Realisierung einer gemeinsamen Organisierung zusätzlich (Pallares 2002: 170). Sie konnten allerdings auf Strukturen zurückgreifen, die sie verschiedenen Missionen zu verdanken hatten. So ermöglichte beispielsweise erst das Erlernen der spanischen Sprache ein politisches Agieren zwischen Indios und dem Staat (Yashar 2005: 119-124).

„Their schools trained a generation of Shuar leaders who spoke the same language, came to know each other, gained access to ideas and resources, and witnessed the ways in which the church had formed its own centers throughout the region.”

(ebd.: 120)

48 Yashar weist darauf hin, dass selbst der offizielle Zensus die selva bis vor Kurzem nicht berücksichtigte (2005:

110).

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Als erste indigene Organisation kam bereits 1964 die Federación de Centros Shuar49 zusammen. Ihrem Ziel, als konstitutiver Teil der ecuadorianischen Gesellschaft anerkannt zu werden und dennoch ökonomische Unabhängigkeit sowie kulturelle Eigenständigkeit zu bewahren, versuchte die Föderation durch Errichtung von Kommunen, Assoziationen und Kooperativen näher zu kommen, welchen offizielle Landtitel übertragen werden konnten.

Konnte über diese Strategie ihre Verdrängung zwar eingedämmt werden, so änderten sich jedoch grundlegende Strukturen des traditionellen Lebens der Shuar – Sesshaftigkeit und Viehwirtschaft breiteten sich aus (ebd.: 119-121).

Ähnlich verliefen die Prozesse in der Provinz Napo. Die fünf Jahre nach der Shuar-Föderation gegründete Federación Provincial de Organizaciones Campesinas del Napo50 (FEPOCAN) orientierte sich zunächst an andinen Strukturen und gab sich ein bäuerliches Image. Dies änderte sich jedoch im Laufe der Jahre und es entstand schließlich die Federación de Organizaciones Indígenas del Napo51 (FOIN). Sie setzte ebenfalls besonders auf den Erwerb kollektiver Landrechte (ebd.: 121-123).

Einen anderen Weg ging die Organización de Pueblos Indígenas de Pastaza52 (OPIP).

Ihre Gründung erfolgte erst Ende der 1970er Jahre. Das erbrachte ihr jedoch den Vorteil auf Erfahrungen und Unterstützung ihrer Vorreiter in anderen Provinzen zurückgreifen zu können. So entschied sich OPIP nicht dafür, mittels der gesetzlichen Möglichkeiten der Landreform oder der Kolonisierungsgesetze Besitztitel zu erwerben, um einer Verdrängung zu entgehen. Stattdessen berief sie sich auf ein generelles Recht auf Territorium. „With or without title, we are the legitimate owners of the indigenous territories of Pastaza“ (ebd.:

126), so der damalige OPIP-Präsident. Ihren territorialen Ansprüchen verliehen sie durch einen aufsehenerregenden Marsch auf Quito Ausdruck.53

Um sich untereinander bei der Verteidigung von Land und Kultur koordinieren zu können, gründeten die Dargestellten, zusammen mit weiteren Gruppen der Amazonasregion, 1980 die CONFENIAE. Diese „called not just for the end of colonisation […] and social programs (education, health, infrastructure, etc.), but they also demanded a percentage of the proceeds from oil and mining companies” (CONAIE in Yashar 2005: 129). Indigene

49 „Föderation der Shuar-Zentren“.

50 „Provinziale Föderation der Bauernorganisationen von Napo“.

51 „Föderation indigener Organisationen in Napo“. Yashar zu Folge, begannen bereits 1973 Führungskräfte der Föderation den Namen FOIN zu nutzen, die offizielle Umbenennung erfolgte jedoch erst 1984 (2005: 123-124).

52 „Organisation indigener Völker von Pastaza“.

53 Die an diesem Marsch beteiligten etwa 2000 Menschen waren über 13 Tage zu Fuß von Puyo, der

Provinzhauptstadt Pastazas in der selva, bis in die Landeshauptstadt Quito in der sierra unterwegs. Der Marsch war der Höhepunkt einer Reihe (erfolgloser) Bemühungen, staatliche Beachtung ihrer Forderungen nach einem selbstverwalteten Territorium zu erlangen.

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Organisierung stieg somit auch im Tiefland auf regionale Größe an, während gleichzeitig ihre Forderungen weitreichender formuliert wurden. So forderte CONFENIAE u.a. das Recht auf Selbstregierung, während sie jedoch deutlich machte, dass sie keineswegs einen separaten Staat errichten wolle. Wie bereits erwähnt, wird ihr zum einen Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung der ECUARUNARI zugeschrieben. Trotz vorhandener interner Kämpfe spielte sie darüber hinaus eine entscheidende Rolle dabei, indigene Organisation auf nationales Niveau anzuheben (Yashar 2005: 129-130).