• Keine Ergebnisse gefunden

Ley de Comunas und indigenismo

2. Die geteilte Gesellschaft Ecuadors

2.2 Ley de Comunas und indigenismo

In den 1930er Jahren startete die damalige Militärregierung einen nennenswerten Versuch der steigenden Unzufriedenheit unter den Indios und den zunehmenden ruralen Konflikten entgegen zu wirken. Der liberale Diskurs der Eliten drängte bereits seit längerem auf die Errichtung eines Binnenmarktes. Um diesen realisieren zu können, so die Annahme, müssten jedoch zunächst die feudalen Strukturen auf dem Land bekämpft werden. Innerhalb der vorhergehenden Dekaden wurden bereits der diezmo, eine Abgabe an die Kirche, sowie die concertaje offiziell abgeschafft. Letzteres kann jedoch eher als Formsache angesehen werden, da die concertaje zunächst einfach durch ein anderes System ersetzt wurde, welches die Indios weiterhin in Abhängigkeit festhielt (Lucero 2003: 28).25

Mit dem Ley de Comunas, dem Kommunalgesetz von 1937, sollten ländliche Kommunen einen rechtlichen Status verliehen bekommen, denn bis dahin waren sie nicht in die staatliche Verwaltung einbezogen gewesen. Offizieller Anstoß für diesen politischen Wechsel war die Absicht, die soziale Entwicklung jener Kommunen fördern zu wollen. Mit dem Ley de

23 Zum Bezug der mestizaje auf Integration von Schwarzen sowie deren (Nicht-)Berücksichtigung innerhalb der Diskurse um Kollektivrechte siehe Safa 2005.

24 Roper et al. weisen darauf hin, dass es in verschiedenen Kontexten zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Auslegungen des Prinzips mestizaje gekommen ist. Seine Benutzung werde oftmals „as an ideological tool in nation building political and economic strategies“ ausgelegt, welchem es entweder nicht gelingt die indigene Bevölkerung einzubeziehen oder deren ökonomische und politische Integration in die dominante mestizische Kultur als wichtigen Teil modernisierender Nationalismen ansieht (Roper et al. 2003: 7).

25 Die auf den haciendas arbeitenden Indios waren gezwungen, ihre angehäuften ‚Schulden‟ abzuarbeiten. Sie bekamen eine eigene Parzelle (huasipungo) zugewiesen, auf der sie im Durchschnitt ein bis zweit Tage in der Woche zur Ernährung der eigenen Familie arbeiteten. Den Rest der Zeit standen sie im Dienste der hacienda.

2 . DI E G E T E I L T E GE S E L L S C H A F T EC U A D O R S

Comunas konnten Siedlungen nicht nur an lokale Verwaltungen angeschlossen werden, sie konnten von nun an auch lokale Regierungen (cabildos) wählen sowie gemeinschaftlichen Besitz deklarieren. Darüber hinaus sollte ihnen mehr Unabhängigkeit gegenüber den haciendas eingeräumt werden (ebd.: 29). An den Verhältnissen auf den haciendas änderte sich dennoch bis in die 1960/70er Jahre nur wenig. Lucero folgend lag dies u.a. daran, dass sich das Gesetz ausschließlich auf ‚freie‟ Kommunen bezog – deren Anteil relativ gering war – und somit den hacendados kaum Vorschriften machte (ebd.: 31).26

Spätestens ab den 1920er Jahren begann sich die Ideologie des indigenismo zu verbreiten. In einer Art paternalistischen Fürsprechens setzten sich Intellektuelle wie auch Politiker im Sinne von Modernisierung und Integration der Indios ein und machten sich beispielsweise für den Ausbau von Bildungsstätten stark. Einrichtungen wie das Instituto Indigenista Ecuatoriano27 ließen die indigenismo-Bewegung in den 1940er erneut erstarkten – was für weite Teile Lateinamerikas gilt. Oftmals basierte die Ideologie auf einer Geschichtsinterpretation, welche eine Separierung zwischen den präkolumbianischen und als glorreich betrachteten Indios und jenen der Gegenwart vornahm (Boris 1998: 60, Radcliffe/Westwood 1996: 68-70).28

Wie im Folgenden aufgezeigt werden wird, fokussierte sich das damalige Interesse gegenüber indigenen Gemeinden auf deren ‚Zivilisierung‟, ihre Vorbereitung darauf, ‚moderne Produzenten‟ im freien Markt zu werden. Dieses Vorhaben spiegelt sich auch innerhalb der damaligen Bildungspolitik wieder. Für das liberale Projekt war freier Zugang zu Bildung selbstredend ein Grundsatz. Die Realisierung dessen war jedoch vor verschiedene

26 Das Ley de Comunas lässt sich als Ausdruck jener Stimmung interpretieren, die vor allem aus der

Küstenregion stammend, für die ‚Befreiung‟ der Indios eintrat. Die aufstrebende Wirtschaft der costa litt zu jener Zeit merklich an Arbeitskräftemangel und die Herauslösung der Indios aus ihren Abhängigkeitsverhältnissen in der sierra war die Hoffnung, dies zu ändern.

27 „Ecuadorianisches Indigenista Institut“.

28 Diese verstärkte sich besonders nachdem Ecuador in einem Grenzkonflikt mit Peru 1941 etwa die Hälfte seines Territoriums im Osten verloren hatte. Nationalistische Feindschaftsgefühle gegenüber Peru trugen mit dazu bei, die indigene Vergangenheit Ecuadors vor der Eroberung durch die Inka (aus Peru kommend) zu idealisieren (Peru bezieht sich selbst in offizieller Darstellung gerne auf das Inka-Reich; vgl. Mücke 2007). So konnte die Konkurrenz (oder Feindschaft) zu Peru in eine vermeintliche Tradition gestellt werden, indem sich Ecuador in seinem Gründungsmythos auf die Legende des Königreichs von Quito bezog. Der als ‚heldenhaft‟

verklärte Widerstand des damaligen Adels gegen die Inka-Besatzung verleiht Ecuador somit in der Gegenwart das Gefühl, eine ‚ehrenwerte‟ Vergangenheit zu besitzen (Silva Charvet 2004: 102). Dies, obwohl jener Mythos, der im späten 18. Jahrhundert durch den Pater Juan de Velasco Verbreitung fand, in der Fachwelt heute als orale Tradition beschrieben wird, welche insbesondere auf Missinterpretationen und Ideologisierungen beruhe (vgl.

Salomon 1986: 10-12).

2 . DI E G E T E I L T E GE S E L L S C H A F T EC U A D O R S

Schwierigkeiten gestellt. Einerseits erschwerten sozialdarwinistische Ideologien ein gerechtes Vorgehen, andererseits sah sich der Staat auch mit finanziellen Engpässen konfrontiert.

Für die ‚Rasse‟ der Indigenen wurde aufgrund der ihnen unterstellten besonderen Psychologie und Mentalität ein gesondertes Bildungsprogramm erstellt. Dieses sollte u.a.

sicherstellen, dass die Betroffenen von ihrem ‚Aberglauben‟ abgebracht und wissenschaftlichen Erkenntnissen gegenüber zugänglich gemacht werden. Das für sie aufgestellte Bildungsprogramm war „adapted to the states´s needs in terms of its project of civilising the Indians, and focused on those aspects that would integrate them into the national community” (Foote 2006: 270). 29 Besondere Interessen oder Probleme indigener Gemeinschaften wurden nicht berücksichtigt. Weder wurde auf Bräuche und Traditionen Rücksicht genommen, noch wurden sprachliche Hürden thematisiert. Indios wurden insofern zum Objekt einer weiß/mestizischen Bildungspolitik, welche es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den vermeintlich Rückständigen eine Chance einzuräumen, ihren Entwicklungsstand anzuheben (ebd.).

Dennoch muss hier unterschieden werden. Das besagte Vorgehen der Bildungsbehörden beschränkt sich auf Hochlandindios. Diese galten im damaligen Diskurs quasi als

‚Vorzeigeindianer‟, da sie als formbare zukünftige Bürgerinnen und Bürger angesehen wurden, während Indios des Amazonasgebiets als hochgradig unzivilisiert und wild galten.

Die Bildung letzterer wurde demnach weitestgehend den Missionen überlassen, staatliches Interesse bestand hier kaum.30 Jedoch schien es der staatlichen Verwaltung darüber hinaus auch aus finanzieller Hinsicht nicht möglich Grundbildung in der selva zu garantieren. Erst dadurch sah sie sich gezwungen, so Foote, trotz Säkularität den Einfluss der Kirche zu erhöhen und die Bildung den Missionen zu überlassen (ebd.: 271-272).31

29 Das Bildungsprogramm sah im Durchschnitt zwei bis vier Jahre der Unterrichtung von Grundlagen in

ecuadorianischer Geschichte, Geografie und Naturwissenschaft sowie praktische landwirtschaftliche Ausbildung vor.

30 Der bildungspolitische Umgang mit Indigenen in der selva kommt jenem der Schwarzen Bevölkerung gegenüber schon nahe. Dies lag daran, dass beide Gruppen in der Vision einer zukünftigen Nation keinen Platz zugewiesen bekamen. Die bildungspolitischen Verhältnisse in der Provinz Esmeraldas, jener Provinz mit den meisten Schwarzen Einwohnenden, werden folgerichtig als katastrophal beschrieben (Foote 2006: 270-271).

31 Aus demselben Grund war es dem Staat auch nicht möglich das illegale Vorgehen von meist Ressourcen fördernden Unternehmen in der selva zu verfolgen. Bis in die 1940er hinein kam es hier systematisch zu Menschenhandel, Sklaverei oder Bezahlung in Form von Gutschriften. Dies geschah, obwohl die Integration der Indios in den Markt ein Anliegen des Staates zur Förderung der wirtschaftlichen Erschließung des

Amazonasgebietes gewesen war. Noch dazu trotzte das Verhalten der Unternehmen dem im Vergleich mit den Nachbarstaaten eigentlich fortschrittlichsten Gesetz zum Schutz der lokalen Bevölkerung (Foote 2006: 272-275).

2 . DI E G E T E I L T E GE S E L L S C H A F T EC U A D O R S