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II. T EIL – T HEORETISCHE K ONZEPTIONEN

6. Identität

Um der einleitend gestellten Frage nach Identitätspolitik im Kontext der indigenen Bewegung Ecuadors nachgehen zu können, soll zu aller erst eine Definition von Identität erarbeitet werden. Von der Perspektive auf personale Identität wird innerhalb dieser Definition anschließend weiter auf die Vorstellung kollektiver Identität übergegangen werden.

In ihrer Grundlage basiert Identität zunächst auf dem einfachen Muster der Unterscheidung zwischen ‚identisch‟ und ‚nicht identisch‟. Diesem Schema folgend dient sie dazu, Zugehörigkeit von Objekten oder Personen zu unterschiedlichen Gruppen oder Kategorien zu- bzw. abzusprechen. Identität ist insofern eine unabdingliche Voraussetzung zur Orientierung in der Welt. Ohne eine Kategorisierung der Umwelt wäre der Mensch nicht orientierungsfähig, da er jede Situation stets unabhängig von seinen Erfahrungswerten interpretieren müsste. Ohne Identität auszukommen scheint daher unmöglich (Reese-Schäfer 1999: 15-17).100

Die im Rahmen des sogenannten cultural turn101 aufkommenden Zweifel gegenüber festen, verdinglichten Vorstellungen z.B. von Kultur, und die verstärkte Betonung der Prozesshaftigkeit, drückten mit den sozialkonstruktivistischen und poststrukturalistischen Theorien (z.B. Foucault, Derrida, Lacan) zunehmend Kritik an essentialistischen Vorstellungen von Identität aus – diesem anti-essentialistischen Diskurs folgend sollte Identität nicht länger als „singular, integral, altogether harmonious and unproblematic“

(Calhoun 1994a: 13) wahrgenommen werden. Dieser Prozess trug dazu bei, dem Subjekt

„sein ‚Wesen‟ und damit sein Zentrum“ (Supik 2005: 17) zu nehmen, warum er auch als

100 Verschiedene theoretische Ansätze, so z.B. der linguistische Ansatz de Saussures, gehen davon aus, dass Differenz grundlegend für Bedeutung sei – ohne sie könne es gar keine Bedeutung geben. Und auch

anthropologische Erläuterungen sehen Differenz gar als Grundlage von Kultur, also symbolischer Ordnung (Hall 2004: 121).

101 Bachmann-Medick weist darauf hin, dass „die Rede von einem durchschlagenden ‚Cultural Turn‟, der wie ein Paradigmensprung die sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen erfasst hat“ (Bachmann-Medick 2006:

7), an der eigentlichen Entwicklung vorbei geht. Vielmehr sei eine Vielzahl verschiedener cultural turns auszumachen, „die sich etwa seit den 1970er Jahren im Schlepptau des linguistic turn herausgebildet haben“

(ebd.). Jene ‚Wenden‟ haben demnach „durch alle Disziplinen hindurch bisher unbearbeitete Forschungsfelder quer zu den Disziplinen erschlossen und den etablierten Forschungs- und Methodenkanon durch gezielte Forschungsanstöße aufgebrochen“ (ebd.). Als von besonderem Interesse in Bezug auf Identität ist an dieser Stelle der postcolonial turn zu nennen. Bachmann-Medick erkennt insbesondere innerhalb der postkolonialen Identitätskritik „die Gefahr, dass mit der Dekonstruktion traditioneller Substanzkategorien auch die Bedeutung des kollektiven Gedächtnisses von Gemeinschaften für ihren Anspruch auf kulturelle Identität unterschätzt und ins Hybride aufgelöst wird“ (2006: 207).

6 . ID E N T I T Ä T

‚Dezentrierung des Subjekts‟ bezeichnet wird.102 Trotz der Dekonstruktion des Konzepts Identität wird dennoch an seinem Bedarf festgehalten. So schreibt Hall: „Es ist für mich daher nicht verwunderlich, daß wir in demselben Moment, indem wir ein bestimmtes Bewusstsein von Identität verloren haben, feststellen, dass wir es brauchen“ (1994: 72).

Dieses Festhalten macht aus zweierlei Perspektive Sinn. Zum ersten lässt sich feststellen, dass essentialistische und primordiale Vorstellungen von Identität – ungeachtet ihrer Ablehnung durch weite Teile der Sozialwissenschaften – weiterhin vorherrschend sind (vgl. Nederveen Pieterse 1996: 27, Baumann 1999: 288-289, Calhoun 1994: 14, Sökefeld 2001). Ihre Überzeugungskraft lässt sich nicht einfach dadurch bannen, sie für ‚falsch‟ zu erklären. Die Gründe für derartige Vorstellungen sind komplex und innerhalb dieser Arbeit nicht umfassend zu erörtern. Zum anderen ersetzt die Dezentrierung nicht die festgestellte Notwendigkeit von Identität.

Der Raum in dem sich der Mensch bewegt, ist immer bereits durch kulturelle, soziale, politische und weitere Muster geprägt. Man handelt also stets innerhalb eines gegebenen Kontextes. Orientierung schaffend, interpretiert der Mensch nicht nur seine Außenwelt und ordnet diese in die gesellschaftlich vorbestimmte Matrix ein. Darüber hinaus positioniert er auch sich selbst innerhalb dieses Schemas. Identität ist daher stets kontextgebunden und muss darüber hinaus multiple Formen annehmen und diese flexibel verwalten können.

„Identitäten sind konstruiert aus unterschiedlichen, ineinandergreifenden, auch antagonistischen Diskursen, Praktiken und Positionen. Sie sind Gegenstand einer radikalen Historisierung und beständig im Prozess der Veränderung und Transformation begriffen.“ (Hall 2004: 179)

Identität wird fortwährend in einem Wechselspiel aus Selbst- und Fremdzuschreibungen (re-) produziert (Reese-Schäfer 1999: 15-17). Insofern lässt sie sich auch als ‚Positionierung‟

bezeichnen. Dieser Begriff wirkt daher so treffend, weil er den Aspekt der Handlung benennt, während er zugleich die Zweiseitigkeit dieses Prozesses betont:

„Das Subjekt wird einerseits durch die umgebenden Verhältnisse historisch, sozial und kulturell positioniert, und andererseits positioniert es sich selbst. Positionierung hat also immer einen aktiven und einen passiven Aspekt [...].“ (Supik 2005: 13)

102 Stuart Hall bezeichnet dies als Modell des „soziologischen Subjekts“ (Hall 1994: 185). Der entscheidende Unterschied beispielsweise zum Modell der Aufklärung ist somit, dass Identität nicht länger als gegeben betrachtet wird (Hall 1994: 185).

6 . ID E N T I T Ä T

Identität verstanden als Positionierung, rückt insofern die Aktion in den Vordergrund und nimmt dem Konzept seine Starrheit. Somit wird sowohl der gesellschaftlichen Bedingtheit von Subjekten, als auch deren Handlungsvermögen Rechnung getragen.

„Sowohl kollektive wie personale Identitäten sind sozial konstruiert und stehen in einem sich wechselseitig konstituierenden Verhältnis“ (Knörr 2007: 21). Letztlich sind sie gar nicht voneinander zu trennen, auch wenn gelegentlich der Eindruck vermittelt wird, kollektive Identität würde erst unter speziellen Umständen entstehen. Dies birgt den Anschein, als handle es sich bei Gruppenbildung um einen vermeidbaren oder gar vermeidenswerten Prozess. Da der Mensch jedoch unbestreitbar eine Art ‚soziales Wesen‟ ist, bedarf es eigentlich nur weniger Erklärungen dazu, dass personale immer auch mit kollektiver Identität verbunden ist (Mennel 1994: 176; vgl. Calhoun 1994: 28).

Während die personale Identität meist als naturalisierter Rahmen wahrgenommen wird und ihre räumliche Abgrenzung insofern nicht als schwierig erscheint, offenbart sich im Bezug auf kollektive Identifikationen ein komplizierteres Szenario. Wer zu einer Gruppe dazugehört oder nicht, kann von unterschiedlichen Kriterien abhängig gemacht werden.103 Im Bezug auf Kollektive ist die Bestimmung von Zugehörigkeit also einigen Problemen unterworfen.

„Kollektive Identität ist eine Frage der Identifikation seitens der beteiligten Individuen. Es gibt sie nicht ‚an sich‟, sondern immer nur in dem Maße, wie sich bestimmte Individuen zu ihr bekennen. Sie ist so stark oder schwach, wie sie im Bewusstsein der Gruppenmitglieder lebendig ist und deren Denken und Handeln zu motivieren vermag.“ (Assmann 2005: 132)

Insofern ist kollektive Identität „das Bild, das eine Gruppe von sich aufbaut und mit dem sich deren Mitglieder identifizieren“ (ebd.). Welchen Stellenwert die Gemeinsamkeiten bei den jeweiligen Personen einnehmen ist dabei von verschiedenen Faktoren abhängig. So kann man gleichzeitig Mitglied in verschiedenen Gruppen sein, während der Grad der Identifizierung mit den einzelnen Gruppierungen jeweils schwankt. „Kollektive Identität kann bis zur Inhaltslosigkeit verblassen – und das Leben geht weiter“ (ebd.: 133).

103 Als Beispiel seien hier Kleidung, Sprache, Abstammung, phänotypische Merkmale oder auch der Besitz von Dokumenten (Pass) genannt. All diese Merkmale sagen jedoch nur bedingt etwas über die Selbstidentifizierung von Personen aus, sie bieten nur Interpretationsansätze, lassen sich aber nicht als Beweis von Identifizierung anbringen.