• Keine Ergebnisse gefunden

Welche Form von der ‚Identitätspolitik’?

III. T EIL – A NALYSE

11. Welche Form von der ‚Identitätspolitik’?

11. Welche Form von der ‚Identitätspolitik’?

Wie in Kapitel 9.1 bereits erläutert, unterscheidet Castells grundlegend drei Typen der Identitätskonstruktion. Für eine Analyse erscheint sein Ansatz insbesondere deswegen vielversprechend, da er die soziale Stellung der Akteure zu berücksichtigen vermag. Die Differenz der drei Typen beruht insofern auf der jeweiligen Verortung innerhalb gesellschaftlicher Machtbeziehungen. Zwar vermeidet Castells in diesem Kontext den Begriff der ‚Identitätspolitik‟, doch macht allein seine Definition klar, dass es sich hier um politische Identitäten handelt.

Legitimierende Identität

Legitimierende Identität wird durch dominante Institutionen einer Gesellschaft definiert. Sie lässt sich als Legitimierung ihrer eigenen Herrschaft gegenüber der Zivilgesellschaft interpretieren. Letztere wiederum ist aktiv an der Re-Konstruktion der Identität und damit auch der Herrschaftsform beteiligt (Castells 1997: 8-9). Ecuatorianidad ist insofern im Sinne einer solchen legitimierenden Identität zu verstehen. Das Bild der ecuadorianischen Identität schloss Indigene aus; durch die Auslegung der ecuatorianidad wurden sie als ‚Andere‟

stigmatisiert – als nicht dazugehörig und minderwertig. Später verlangte die Entwicklung des kapitalistischen Marktes die zumindest formale ‚Freiheit und Gleichheit aller Bürger‟.153 Rassistische Ressentiments und auch die materielle Abhängigkeit von ausbeutbaren Indios ließen deren reale Gleichbehandlung jedoch nicht als erstrebenswert erscheinen. Hier leugnete die ecuatorianidad schlicht die Existenz indigener Gemeinschaften, so dass nun alle als Mestizen galten.154 Erst als der Protest der organisierten indigenen Bewegung so stark wurde, dass er nicht länger ignoriert werden konnte, wurde der Re-Konstruktion der ecuatorianidad stattgegeben. Die Nation Ecuador bildet sich seither aus Mestizen und Indigenen, welche in einer plurikulturellen und multiethnischen Gesellschaft beheimatet sind. Eine Herrschaftslegitimierung findet gleichwohl noch immer statt, da die Anerkennung von Indigenität als Teil der nationalen Identität Ecuadors, als Mittel der Vereinnahmung und Schwächung der indigenen Bewegung interpretiert werden kann. Denn hierüber wird die Verhandlung kultureller Rechte ausgetragen – und gleichzeitig die Ausblendung weitreichender Verteilungsansprüche der Bewegung.

153 Nach Marx ist dies Grundvoraussetzung für eine kapitalistische Vergesellschaftung.

154 Diktator Guillermo Rodríguez Lara verkündete in den 1970ern: „No hay más problema en relación con los indígenas [...] todos nosotros pasamos a ser blancos cuando aceptamos las metas de la cultura nacional” („Es gibt kein Problem mehr mit den Indigenen [...] wir alle werden weiß werden, wenn wir die Ziele der Nationalkultur akzeptieren.“ Silva Charvet 2004: 99).

1 1 . WE L C H E FO R M V O N D E R ‚ ID E N T I T Ä T S P O L I T I K‟ ?

Widerstandsidentität

Die zweite Form in Castells Schema bezeichnet er als Widerstandsidentität. Diese löst sich der Beschreibung nach aus der legitimierenden Identität der Zivilgesellschaft heraus und bildet eine Gegenidentität155 – „the exclusion of the excluders by the excluded“ (Castells 1997:

9, Hervorhebung im Original). Die Aufgabe der Widerstandsidentität besteht darin, einen innerhalb der herrschenden Identität nicht formulierbaren Ungerechtigkeitsdiskurs thematisieren zu können.

„It constructs forms of collective resistance against otherwise unbearable oppression, usually on the basis of identities that were, apparently, clearly defined by history, geography, or biology, making it easier to essentialize the boundaries of resistance.”

(ebd.)

Das Konzept der nacionalidades indígenas kann insofern als Widerstandsidentität bezeichnet werden. Auch eine klassenbasierte Identifizierung hätte zur Thematisierung wirtschaftlicher und sozialer Ungerechtigkeit den Bauernfamilien gegenüber genutzt werden können. Die kulturellen Aspekte, welche im Sinne der ecuadorianischen Assimilierungspolitik von den Indios aufgegeben werden sollten, hätten hier kaum Ausdruck finden können.156 Das Konzept der nacionalidades indígenas lehnt sich gegen den Ausschluss aus der Nation, gegen die Herabsetzung als ‚Primitive‟ sowie gegen die geplante Auslöschung indigener Identitäten durch mestizaje auf. Das Konzept der nacionalidades indígenas verweist auf kulturelle Vielfalt (der verschiedenen Ethnien) in politischer Einheit (der indigenen Bewegung). Damit wird durch die Selbstbeschreibung als ‚Nationen‟ die Rechtmäßigkeit der Forderungen – über Aspekte des kulturellen Ausdrucks hinaus – in den Raum gestellt. Dieses Vorgehen offenbart letztlich die Ethnozentriertheit der hegemonialen (weiß/mestizischen) kapitalistischen Vergesellschaftung.157

Um die Widerstandsidentität jedoch aufrecht erhalten zu können, muss es fortwährend zu Positionierungen gegenüber der weiß/mestizischen Kultur als dem vermeintlich ‚Anderen‟

155 Dementsprechend wird „das Wiederaufleben des Ethnischen [...], die Forderungen auf die eigene Identität von seiten ethnischer Bewegungen an den Nationalstaat, [als] Ausdruck der Legitimationskrise eines Zentralstaates, der das ethnische Prinzip als Regulator des menschlichen Zusammenlebens angegriffen und sukzessive zerstört hat...“ beschrieben (Gugenberger 1995: 16, eigene Hervorhebung).

156 Dennoch existieren klassenbasierte Positionierungen auch weiterhin innerhalb der indigenen Bewegung.

157 In diesem Zusammenhang erscheint es mir als sinnvolle Ergänzung, auf die durch den antikolonialen Autor Frantz Fanon formulierte Bedeutung der dualistischen Rassenkonstruktion in kolonialen Gesellschaften hinzuweisen, welche sich auch auf postkoloniale Gesellschaften übertragen lässt. Fanon macht eine als ‚Weiße Normativität‟ bezeichnete „Wirkungsweise von Normen, durch die Weiße und Weißsein privilegiert werden“

(Jungwirth 2007: 212) als symbolische Ordnung jener Gesellschaften aus. Die ‚Weiße Normativität‟ lässt in diesem Kontext gesellschaftliche Homogenisierung als Normalisierung erscheinen. Zur Vertiefung siehe Jungwirth 2007: 210-222.

1 1 . WE L C H E FO R M V O N D E R ‚ ID E N T I T Ä T S P O L I T I K‟ ?

kommen. Hier fallen Konzepte des – u.U. strategischen – Essentialismus und des othering ins Gewicht. Eine Homogenisierung nach innen findet zwar auch statt, z.B. durch eine behauptete Naturverbundenheit, trägt jedoch weniger das Risiko einer Festschreibung in sich, da die kulturelle Vielfalt einen Hauptbestandteil der Identität ausmacht (siehe 5.2). Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass das widerständische ‚Wir‟ diskursiv auf eine weiterreichende Gruppe aller Marginalisierter übertragen wird. Somit verschieben sich die Grenzen des Interessenkonflikts von Indigen vs. Weiße/Mestizen auf el pueblo (die Marginalisierten, inklusive der Indigenen) vs. Oligarchie und partidocracia158.

Projektidentität

Als dritten Typ macht Castells die sogenannte „project identity“ (Castells 1997: 8) aus. Jene Projektidentität beschreibt er als Prozess der Schaffung einer neuen Identität. Diese bestimmt zum einen die soziale Position der sie umfassenden Subjekte innerhalb der Gesellschaft neu und transformiert zum anderen genau hierdurch die gesamte Sozialstruktur. Insofern geht jene Projektidentität über die Ziele der Widerstandsidentität hinaus. Erstere vollzieht sich unter der Prämisse nicht nur die eigene Lage, sondern die Gesamtsituation der Gesellschaft grundlegend zu verändern. „In this case, the building of identity is a project of a different life, perhaps on the basis of an oppressed identity, but expanding toward the transformation of society as the prolongation of this project of identity“ (ebd.: 10). Jene Projektidentitäten können aus bereits existierenden Widerstandsidentitäten hervorgehen. Andersherum ist es jedoch nicht als Notwendigkeit anzusehen, dass letztere neue Projektidentitäten hervorbringen (ebd.: 357).

Diesen dritten Typ auf die ecuadorianische Gesellschaft anzuwenden halte ich jedoch für zweifelhaft. Zum jetzigen Zeitpunkt lassen sich zwar Tendenzen feststellen, die sich im Sinne der project identity interpretieren ließen, dennoch scheint das von Castells entworfene Gesellschaftsbild, welches mit der Entstehung jener Projektidentitäten verbunden ist, bis heute unerfüllt geblieben zu sein. So fragwürdig die Entstehung der durch Castells beschriebenen Netzwerkgesellschaft heute ist, so fragwürdig ist auch die Beschreibung von Projektidentitäten.

158 Partidocracia bezeichnet eine Parteienherrschaft. Auch der seit Anfang 2007 amtierende Präsident Rafael Correa greift in seinem Urteil über den Zustand des ecuadorianischen Gesellschaftssystems auf jenen Begriff zurück. Er bezieht sich damit auf eine korrupte Parteienherrschaft, welche sich nicht den eigentlichen Anforderungen einer Demokratie stelle (Fuhrmann 2007).