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Die Organisation der Transporte

2. Ausnahme: Patienten aus der Rheinprovinz

4.3.5 Die Organisation der Transporte

Zuständig für die Transporte aus den Ursprungsanstalten in die Zwischenanstalt und von dort weiter in eine Tötungseinrichtung war die Gemeinnützige Kranken-Transport G.m.b.H. (Gekrat). Die dafür notwendigen Unterlagen in Form der Transportlisten erhielt die Gekrat ihrerseits von der Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten (RAG).

Die Gekrat wandte sich nach dem Erhalt der Transportlisten - so war zumindest das wei-tere Vorgehen in den preußischen Provinzen - an den Oberpräsidenten des jeweiligen Provinzialverbandes. So heißt es in einem Schreiben an den Oberpräsidenten des Pro-vinzialverbandes der Provinz Sachsen: „Auf Grund eines mir erteilten Auftrages des Reichsverteidigungskommissars sollen aus der obengenannten Anstalt 91 Männer ver-legt werden. Eine entsprechende Anordnung des Reichsverteidigungskommissars soll

Ihnen Anfang der nächsten Woche zugehen. Ich überreiche Ihnen in der Anlage die mir übergebene Transportliste Nr. 1 in vierfacher Ausfertigung mit der Bitte, der Anstalt je 3 Exemplare der Liste zuzustellen. Die von mir für die Verlegung vorgesehenen Fahrzeu-ge werden am frühen Nachmittag des 31. Mai in der Anstalt eintreffen.“117 Außerdem forderte der Mitarbeiter der Gekrat, die Anstaltsleitung anzuweisen, „dass gleichzeitig die Personal- und Krankengeschichten sowie persönliches Eigentum der zu verlegen-den Kranken zwecks Übergabe an verlegen-den Transportleiter bereit gelegt werverlegen-den, da dieser die Anweisung hat, diese Unterlagen der Aufnahmeanstalt zu überbringen.“118

Wer der Verfasser solcher Schreiben bei der Gekrat war und welche Dienststellung er innehatte, geht aus dem Dokument nicht hervor. Mit dem zweimaligen Bezug auf den Reichsverteidigungskommissar119 und der Ankündigung des Eintreffens einer entspre-chenden Anordnung verlangte er jedoch vom Oberpräsidenten des Provinzialverbandes bereits vorab, dass dieser den Anweisungen Folge zu leisten habe. Die Formulierung

„die mir übergebene Transportliste“ implizierte außerdem, dass eine Nachfrage nach dem Zweck der Verlegungen wenig Erfolg haben würde. Sowohl die Gekrat als auch der Reichsverteidigungskommissar hätten behauptet, nur auf Weisung zu handeln.

Im Auftrag des Oberpräsidenten wurde dann „die Verlegung der in beigefügter Liste auf-geführten Kranken“120 angeordnet: „Die Abholung der Kranken erfolgt in meinem Auftra-ge durch die GemeinnütziAuftra-ge Kranken-Transport G.m.b.H., die sich mit Ihnen ins Be-nehmen setzen wird. Der Transport ist von Ihnen vorzubereiten... Die Kranken-Personalakten- und Geschichten sind dem Transportleiter auszuhändigen.“121 Da der Oberpräsident des Provinzialverbandes den staatlichen Heil- und Pflegeanstalten über-geordnet war, gab es für das von der Verlegung betroffene Krankenhaus keinen Grund, die Abgabe der Patienten zu verweigern.

117 HHSTAW, Abt. 631a Nr. 253 n.fol.

118 Ebenda.

119 Das Amt des Reichsverteidigungskommissars wurde vom Reichsstatthalter der Provinz bzw. des Lan-des in Personalunion ausgeübt. Der Reichsverteidigungskommissar aber unterstand dem Ministerrat für Reichsverteidigung. Der Ministerrat für Reichsverteidigung wiederum war berechtigt, im Kriegsfall Verord-nungen mit Gesetzeskraft zu erlassen. Der Reichsstatthalter als Träger der Reichsgewalt unter Dienst-aufsicht des Reichsinnenministers hingegen war eine vorgesetzte Dienststelle des Oberpräsidenten. Für einen Oberpräsidenten gab es also keine formalen Bedenken, dieser Aufforderung nicht nachzukommen.

120 HHSTAW, Abt. 631a Nr. 253 n.fol.

Zur Vorbereitung sandte der Leiter der Gekrat und des Amtes II c in der Kanzlei des Führers, Reinhold Vorberg, einen Mitarbeiter in die Einrichtung, aus der Patienten ab-transportiert werden sollten. Einer dieser Mitarbeiter schilderte in seiner Zeugenaussage vom Jahr 1963 den weiteren Vorgang folgendermaßen: „Weisungsgemäss fuhr ich in eine bestimmte Stadt und holte dort bei der Post eine füch [so im Original - d. V.] la-gernde Sendung ab. Diese enthielt einmal die Transportliste, zum anderen die Weisung, in welcher weiteren Stadt ich mich dann einzufinden hätte... Nun hatte ich mich bei dem Direktor der Anstalt dieses Ortes einzufinden. Dieser war schon von Berlin aus über meine Ankunft informiert. Ich übergab ihm die mir zugesandten Listen und sagte, wei-sungsgemäss, dass der Transport in 2 Tagen abginge. Das war normalerweise die Frist.

Nach meiner Erinnerung enthielten die Listen jeweils über 200 Namen, es standen aber für den Abtransport immer nur 2 Eilzugwagen zur Verfügung. Für jeden Kranken musste ein Sitzplatz vorhanden sein. Ich teilte dem Anstaltsleiter mit, für wieviel Kranke Sitzplät-ze vorhanden seien und es war nun seine Sache, die Kranken auf der Liste zu strei-chen, die er behalten wollte. Am Tage des Transportes habe ich dann die Kranken am Bahnhof dem Transportkommando übergeben, nachdem sie von dem Pflegepersonal der Anstalt zum Bahnhof gebracht worden waren. Damit war dieser Auftrag dann für mich erledigt.“122 Ob die Listen immer mehr als 200 Namen enthielten, ist fraglich. E-benso wurden die Transporte aus den Ursprungsanstalten nicht nur per Bahn, sondern auch mit Bussen durchgeführt. Möglichweise befasste sich der vernommene Mitarbeiter der Gekrat nur mit den Eisenbahntransporten.

Für den Transport aus der Zwischen- in die „Euthanasie“-Anstalt war gleichfalls die Ge-krat zuständig. Der Oberpräsident und die Verwaltung des Provinzialverbandes wurden dabei nur noch von der geplanten Patientenverlegung informiert. Es erschien auch kein Mitarbeiter der Gekrat mehr zur Vorbereitung der Verlegung. Zuständig für die Festle-gung, wann und wie viel Patienten aus den Zwischenanstalten abgeholt wurden, war der Leiter der „Euthanasie“-Anstalt und seine Mitarbeiter. Die Transportlisten führten zudem meist mehr Namen, als letztlich Patienten aus der jeweiligen Zwischenanstalt abgeholt

121 Ebenda.

122 ZSL, Ordner Kn-Kz.

wurden. Das gab einerseits den Anstaltsärzten die Möglichkeit, einzelne Patienten von der Verlegung zurückzustellen. Andererseits wurde mit dieser Maßnahme dafür gesorgt, dass eventuelle Lücken, die vor dem Transporttermin durch Tod oder Entlassung von Patienten entstanden, aufgefüllt wurden.

Zu Beginn der „Aktion T 4“ wurden statt der Busse kleinere Gefangentransportwagen benutzt. Da pro Wagen nur 15 Personen transportiert werden konnten, wurden sie nach einigen Monaten durch Omnibusse ersetzt.123 Die Busse waren feldgrau gestrichen und fuhren mit Kennzeichen der Reichspost. In Bernburg waren es neuere Modelle, darunter ein Mercedes-Bus (Baujahr 1938/39), mit 29 Sitzplätzen.124

Die Aussage eines Pflegers aus Königslutter macht deutlich, wie der Abtransport im ein-zelnen vorbereitet wurde: „Eines Tages sagte mir der Oberpfleger St., ... es müssten überall auf Leinenstreifen die Namen der Patienten geschrieben werden und diese Strei-fen müssten in die Sachen eingenäht werden... Ich selbst sollte am Abend allen Patien-ten den Namen mit TinPatien-tenstift auf den Unterarm schreiben. Das habe ich dann auch ge-tan. Am nächsten Morgen kamen dann 2 Omnibusse und holten diese Kranken... ab.

Wir dachten, die Patienten kämen in andere Anstalten. Wohin sie kamen, haben wir nicht erfahren.“125 Andere ahnten die Zusammenhänge. So gab eine Oberpflegerin aus Königslutter dazu an: „Mir ist dann gelegentlich aufgefallen, dass Patienten unserer An-stalt bald nach ihrer Verlegung nach unbekannten Zielorten verstarben. Dies entnahm ich aus Todesanzeigen in der Zeitung, bei denen als Sterbeort die Anstalten Hadamar, Bernburg und Sonnenstein angegeben waren.“126 Den weiteren Ablauf schilderte eine Pflegerin folgendermaßen: „Wir fuhren wöchentlich etwa 3 Mal und jedes Mal mit 3 Ver-kehrsomnibussen... In jedem Autobus befand sich außer dem Leiter noch ein Pfleger und eine Schwester als Begleitpersonal. Es waren im ganzen 18 Pfleger und 12 Schwestern, die diese Transporte als Pflegepersonal begleiteten.“127