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Die Einrichtung der „Euthanasie“-Anstalt

4.3 Die Heil- und Pflegeanstalt Bernburg

4.3.1. Die Einrichtung der „Euthanasie“-Anstalt

Im Oktober 1940 traf in Bernburg noch vor der formalen Unterzeichnung des Pachtver-trages mit der Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege ein Vorkommando ein. Ihm gehörten mehrere Handwerker an, die von der Berliner Zentrale abgeordnet waren, so-wie handwerklich geschickte Pfleger und Wachleute der „Euthanasie“-Anstalt Branden-burg.37 Verantwortlich für den Umbau war ein Ingenieur, der ebenfalls Angehöriger der

„T 4“ war.38 Die baulichen Veränderungen, die die Handwerker vornahmen, waren nur gering. Im Keller des ehemaligen Männerhauses II wurde eine als Duschraum getarnte, knapp 14 m2 große Gaskammer mit einem kleinen Sichtfenster und zwei luftdicht schließenden Türen, ein Sektionsraum mit zwei Seziertischen zur Entnahme von Gehir-nen und ein Krematorium mit zwei stationären koksbefeuerten Verbrennungsöfen instal-liert. Da jedoch die Genehmigung zum Einbau der Gaskammer aus Berlin nicht vorlag, verzögerte sich die Fertigstellung der Tötungseinrichtung nochmals.39

An der südlichen Giebelseite des betreffenden Hauses wurde eine Holzgarage errichtet und von dort die Wand zum Flur des Erdgeschosses durchbrochen. Die Garage war für die Transportbusse gedacht und so groß, dass zwei bis drei Busse gleichzeitig darin Platz fanden. Sie diente als Sichtschutz, verhinderte gleichzeitig aber auch eine Flucht der Passagiere während des Aussteigens.

Zwischen dem Gelände der Tötungsanstalt und dem restlichen Anstaltsteil wurde nach-träglich ein Bretterzaun gezogen, der beide Teile voneinander trennte. Über die Abgren-zung zwischen den beiden Anstaltsteilen differieren die einzelnen Zeugenaussagen stark. Ein Büroangestellter der Tötungsanstalt gab an: „Außerdem waren beide Gebiete

37 Vgl. ZSL, Ordner Na-Oz.

38 Der Maurer Erwin L., der auch die Gaskammern in Treblinka errichtete, nannte den Ingenieur Walter W.

als Verantwortlichen. Allerdings ist sich L. nicht mehr sicher, ob er bereits in Bernburg unter der Leitung W.’s arbeitete oder erst in Hadamar. (Vgl. ZSL, Ordner La-Le.) Erich Sp. war sich dagegen sicher: „Für diese Bauveränderungen und das Aufstellen der festen Öfen war Baumeister W., ca. 43 Jahre, wahr-scheinlich aus Berlin ... verantwortlich.“ (HHSTAW, Abt. 631a Nr. 253, Bl. 5.)

39 Vgl. ZSL, Ordner Na-Oz.

... durch einen Lattenzaun getrennt.“40 Von einer Trennung durch einen simplen Bretter-zaun sprach auch einer der Brenner.41 Eine Laborantin in der Anhaltischen Nervenklinik konnte sich wiederum an keine bauliche Abtrennung erinnern und meinte, eine Tren-nung wäre „nicht durch irgendwelche Baulichkeiten, sondern allein durch die strickte Anweisung, nicht dort hinzugehen“42 erfolgt.

Da sich noch heute auf dem Gelände des Landeskrankenhauses Bernburg an der da-malige Trennlinie zwischen den beiden Anstaltsteilen die in den frischen Zement ge-schriebene Jahreszahl „1941“ erkennen lässt, ist vielleicht die Aussage der Ehefrau des ärztlichen Leiters am zutreffendsten: „Dieser Teil der Anstalt ... war schon von früher her von der Anstalt durch eine Mauer getrennt. Es war also garnicht mehr nötig, eine Trennmauer zu ziehen. Nach meinen Feststellungen deckte man aber die Zufahrt von der Straße zu diesem anderen Teil der Anstalt noch mit einer Bretterwand ab, als der neue Betrieb dort anfing. Es ist möglich, ... dass man sogar die Zufahrt nach oben ab-deckte. Das habe ich von meiner Dienstwohnung aus gesehen und all dies machte auf mich einen recht unheimlichen Eindruck.“43

Eine vollständige Separierung der Tötungsanstalt vom restlichen Anstaltsteil war damit jedoch nicht gegeben, weder in der Nutzung von Wirtschaftsbereichen noch in der Ab-grenzung der Kompetenzen. Sowohl der Leiter der „Euthanasie“-Anstalt Dr. Eberl als auch der Direktor des verbliebenen Anstaltsteiles Prof. Enke wiesen unabhängig von-einander darauf hin, dass es zwischen beiden zu Streitigkeiten gekommen war. Enke führte dazu in seiner Vernehmung vom 27. Juni 1962 aus: „Eines Tages wurde mir mit-geteilt, dass sich Männer aus der Abteilung von Dr. Eberl an den Zimmern meiner Kü-chenmädchen zu schaffen machten. Ich habe daraufhin Herrn B., meinen Verwaltungs-leiter, beauftragt, bei der Abteilung von Dr. Eberl anzurufen und anzudrohen, dass ich im Wiederholungsfalle Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch erstatten würde. Bald da-nach erschien Dr. Eberl mit einem Polizeihauptmann ... und erklärte mir, er würde mich verhaften lassen, wenn ich wagen würde, etwas zu unternehmen. Wir haben uns

40 Ebenda, Ordner Sta-Stz.

41 Vgl. ebenda, Ordner Na-Oz.

42 Ebenda, Ordner Scha-Schq.

43 Ebenda, Ordner Dr-Ez.

schliesslich ... dahin gehend geeinigt, dass das Personal der beiden Abteilungen wech-selseitig die andere Abteilung zu meiden habe. Dieser Zwischenfall trübte das Verhältnis zwischen Dr. Eberl und mir, das bisher nicht besonders glücklich gewesen war, weil mir Dr. Eberl unsympathisch war, erheblich.“44 Eberl äußerte sich über sein Verhältnis zu Enke wie folgt: „Der Verkehr zwischen ihm und mir hat sich auf einer freundschaftlichen Basis abgespielt. Da er der Ältere war, hatte ich auch niemals Bedenken, zu ihm zu ge-hen bezw. auf seinen Wunsch ihn aufzusucge-hen. Dies hat jedoch im Laufe der Zeit dazu geführt, dass Herr Prof. Enke glaubte, mir gegenüber sich etwas herausnehmen zu kön-nen, sodass ich in letzter Zeit gezwungen war etwas stärker die Tatsache herauszustel-len, dass wir stellungsmäßig zumindest einander gleich stehen, wenn nicht meine Stel-lung höher zu bewerten ist, da ich ja einer Reichsstelle angehöre. Prof. Enke hat diesen von mir mit einigem Takt bekundeten Wink anscheinend verstanden.“45

Im November 1940 traf weiteres Personal auf Weisung der „T 4“-Zentrale in Bernburg ein und wurde in den anderen geräumten Gebäuden untergebracht. Bis auf zwei Kü-chenkräfte kamen sie nicht aus Bernburg. Zum überwiegenden Teil waren sie bereits vorher in der Brandenburger „Euthanasie“-Anstalt eingesetzt, einige wenige auch in Gra-feneck. Einzelne Personen erhielten eine Notdienstverpflichtung nach Bernburg, ohne vorher in einer anderen Tötungsanstalt tätig gewesen zu sein (vgl. Kapitel 4.5).

Leitender Arzt in der „Euthanasie“-Anstalt war Dr. med. Irmfried Eberl. Als Stellvertreter fungierten Dr. med. Heinrich Bunke, zeitweilig auch Dr. med. Kurt Borm und Dr. med.

Theodor Steinmeyer. Insgesamt waren etwa 140 Personen in vier Abteilungen der Tö-tungsanstalt beschäftigt:

 die Transportabteilung mit dem Transportleiter und den Fahrern sowie Pflegepersonal für die Begleitung der Patienten,

 die Tötungsabteilung mit dem leitenden Arzt und seinem Stellvertreter, dem Pflege-personal für die Beaufsichtigung der Patienten bis zum Eingang in die Gaskammer und den Leichenbrennern für die Beseitigung der Toten,

44 Ebenda, Ordner Dr-Ez.

45 HHSTAW, Abt. 631a Nr. 1632, I/250/3.

 die Verwaltungsabteilung mit dem Verwaltungsleiter, dem Standesbeamten, den Schreibkräften für den Schriftwechsel mit den Angehörigen, den Angestellten für die Verwaltung der Akten und des Nachlasses der Opfer sowie den Angehörigen der Sonderpolizeistation,

 die Wirtschaftsabteilung mit dem Wirtschaftsleiter, dem Personal für die Küche und die Reinigung und den Handwerkern.