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Die Durchführung der Mordaktion

2. Ausnahme: Patienten aus der Rheinprovinz

4.3.6 Die Durchführung der Mordaktion

123 Vgl. ZSL, Ordner Sta-Stz.

124 Vgl. ebenda, Ordner Kn-Kz.

125 Ebenda, Ordner F.

126 Ebenda, Ordner Bra-Bz.

Am 21. November 1940 traf der erste Transport mit 25 Kranken und Behinderten aus der Brandenburgischen Landesanstalt Neuruppin in der „Euthanasie“-Anstalt Bernburg ein. Die Busse, mit denen die Patienten nach Bernburg gebracht wurden, fuhren in eine Holzgarage ein, deren Tore geschlossen wurden, bevor die Insassen aussteigen durf-ten. Von dort wurden sie durch einen geschlossenen Verbindungsgang in das Erdge-schoß des Tötungsgebäudes gebracht. Neben den Räumen, die dem Empfang der Pa-tienten dienten, befanden sich auch Büroräume, in denen Schreibarbeiten verrichtet wurden. Von hier aus war die Ankunft der Transporte zu beobachten: „Als ich bei H. Kar-teikarten schrieb, verließ ich einmal mein Dienstzimmer in einem Augenblick, als gerade unbekleidete Personen dort vorbeigeführt wurden. Wenn ich befragt werde, ob es sich um männliche oder weibliche Personen handelte, meine ich, es seien Personen beider-lei Geschlechts gewesen ... Meine Beobachtungen wirkten sich so aus, dass ich in Zu-kunft solchen Transportankünften aus dem Wege ging.“128

Alle ankommenden Transporte wurden von einem Arzt, dem jeweiligen Verwaltungslei-ter und einer Schreibkraft empfangen: „Im übrigen war es so, dass die Ärzte bei jeder Transportabfertigung zugegen sein mussten. Der Büroleiter wurde nur aus verwal-tungsmässigen Gründen zugezogen. Es kam nämlich vor, dass die Abgabeanstalten bei Patienten, die ähnliche Namen hatten, falsche Akten mitgegeben hatten. Die Aus-schliessung solcher Irrtümer war Sache des Büroleiters. Das Medizinische, nämlich die kurze Inaugenscheinnahme des Kranken und die anschliessende Tötung war Sache der Ärzte.“129 Eine der Schreibkräfte erinnerte sich daran, „dass sich die Kranken im Erdge-schoß, also auf der Etage unserer Büroräume ausziehen mußten. Ich sah einmal die Kleider der bereits entkleideten Kranken auf dem Gang liegen. Auf dem Gang befand sich eine Klapptüre, ... auf der einen Seite der Klapptüre waren unsere Büroräume, auf der anderen Seite fand offenbar die Entkleidung statt mit der anschließenden Arztvor-stellung.“130

127 HHSTAW, Abt. 631a Nr. 253, Bl. 66.

128 ZSL, Ordner Her-Ho, vgl. ebenda Ordner Haa-Hd.

129 Ebenda, Ordner Li-Lz.

130 Ebenda, Ordner Bra-Bz.

Die meisten der Patienten verfügten über persönliches Eigentum wie Eheringe, Uhren und Bekleidung, die sie nach ihrer Ankunft abgeben mussten. Eine Schreibkraft aus der im gleichen Haus untergebrachten Nachlassabteilung registrierte den Besitz: „Der Nach-lass wurde in Beutelchen gesammelt. Es wurde ein Beutelchen für je eine getötete Per-son benutzt... Zumeist befanden sich in den Beutelchen Wertgegenstände wie zum Bei-spiel Trauringe, Kettchen oder ähnliches. Die sonstige Habe der Getöteten (Kleider, De-cken, Kopfkissenbezüge und ähnliches) registrierte ich nur, ohne dass diese Dinge ins Büro kamen... Die Wertsachen der zu Tötenden waren in Bernburg in einem Kellerraum bereits auf einem Tisch abgelegt worden. Ich nahm dann den Bestand auf.“131

Nach dem Entkleiden wurden die Kranken einem Arzt vorgestellt, der sie kurz begutach-tete, manchmal ein Wort sprechen ließ und sich in dieser Zeit für eine fingierte Todesur-sache entschied, die dann in der Sterbeurkunde angegeben wurde. Danach wurden sie fotografiert, je ein Gesamtbild, ein Brustbild und eine Profilaufnahme. Die Anwesenheit von Pflegern und Schwestern täuschte bis zur Gaskammer äußerlich immer noch die Normalität eines psychiatrischen Krankenhauses vor. In Gruppen von 60 bis 75 Men-schen führte das Pflegepersonal die Kranken in den Keller und dort unter dem Vorwand des Duschens in die Gaskammer. In dem kleinen Raum mit einer Grundfläche von 13,78 m2 standen die Menschen dicht gedrängt. Drei bis fünf Minuten lang strömte Koh-lenmonoxyd-Gas ein, bis eine tödliche Konzentration erreicht war. Das Umlegen des Hebels, das zum Einströmen des Kohlenmonoxyd-Gases führte, wurde in der „Euthana-sie“-Anstalt Bernburg sowohl von Ärzten als auch von den als „Desinfektoren“ bezeich-neten Leichenbrennern vorgenommen.132 Durch das Sichtfenster in die Gaskammer beobachtete das Personal die Wirkung des Gases. Bei den Eingeschlossenen blockierte das Einatmen von Kohlenmonoxyd die Sauerstoffaufnahme des Blutes. Nach dem Ein-setzen von Hör- und Sehstörungen, Herzrasen, Schwindelgefühl und Muskelschwäche trat je nach Konstitution die Bewusstlosigkeit ein. Einige der Kranken waren ruhig,

131 Ebenda, Ordner Haa-Hd.

132 Die Bedienung der Gasanlage gehörte zwar grundsätzlich zu den Aufgaben der Ärzte, die Handha-bung dieser Regelung hing aber von dem jeweiligen Leiter der „Euthanasie“-Anstalt ab. So ist bekannt, dass Dr. Horst Schumann jeden Mordvorgang in den von ihm geleiteten „Euthanasie“-Anstalten selbst überwachte. Für die Gasmordanstalt Bernburg liegen mehrere Zeugenaussagen vor, dass nicht immer einer der Ärzte anwesend war.

den zum Teil auch noch unter dem Einfluss von Medikamenten. Andere wehrten sich, schrieen und schlugen in Todesangst gegen die Türen.

Die Gaskammer blieb etwa eine Stunde lang verschlossen. Bevor der Raum wieder ge-öffnet wurde, saugte eine Entlüftungsanlage das Kohlenmonoxyd-Luft-Gemisch ab. Vor-sichtsmaßnahmen wie Gasmasken waren nicht notwendig. Lediglich in den direkt dar-über liegenden Büroräumen mussten die Fenster geschlossen werden. Danach began-nen die Leichenbrenner, die verkrampften Körper zu trenbegan-nen und aus der Gaskammer zu tragen.

Einige der Toten wurden seziert. Die betreffenden Personen erhielten bereits bei der Registrierung nach ihrer Ankunft eine entsprechende Kennzeichnung auf dem Rücken.

Die Schreibkraft Anneliese B. sah bei einer Besichtigung der Anlage im Keller auch die Gläser, in denen die entnommenen Gehirne aufbewahrt und dann versandt wurden. Sie erhielt dazu die Erklärung, „dass Kranke die besonders interessant erschienen, [vorab - d. V.] ein rotes Kreuz auf den Rücken bekamen.“133 Die Sektionen erfolgten auf Wunsch des stellvertretenden Arztes: „Schon bald habe ich in Brandenburg das Gespräch darauf gebracht, dass ich es im Interesse der Wissenschaft für unverantwortlich hielte, derart zahlreiches Krankenmaterial wissenschaftlich ungenutzt zu lassen. Ich habe also ange-regt, einzelne Leichen gehirnmässig zu sezieren, um dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung (Prof. Dr. Hallervorden) diese Gehirne zur Verfügung zu stellen. In Bran-denburg wurde das noch nicht akut, weil die nötigen Einrichtungen fehlten. In Bernburg habe ich aber bei Einrichtung der Anstalt darauf gedrungen, dass die nötigen Einrich-tungen gleich geschaffen wurden.“134 Die anderen Toten wurden von den Brennern zu-nächst in den anschließenden Leichenraum gebracht, bevor im benachbarten Kremato-rium die Verbrennung in zwei stationären Öfen erfolgte.

Damit außen stehende Personen keinen Einblick in die Beurkundung der Todesfälle er-hielten, erfolgte eine strenge Trennung von den jeweiligen städtischen Einrichtungen.

Zudem unterschrieben die Ärzte und die Standesbeamten alle Dokumente mit

133 ZSL, Ordner Bra-Bz.

134 Ebenda.

men. Die Familien erhielten neben der Todesurkunde auch einen sog. Trostbrief, in dem der jeweilige Unterzeichner gegenüber den Angehörigen sein Bedauern über den Tod der betreffenden Person aussprach.

Das Sonderstandesamt zur Beurkundung des Todes, die Nachlassverwaltung und die Sonderpolizeistation wurden im Obergeschoß des Gebäudes eingerichtet. „Die Sterbe-urkunden wurden anhand der Krankenakten ausgeschrieben. Als erstes Blatt befand sich dort eine Fotokopie, die wir aus Berlin erhalten hatten. In dieser Kopie, die nicht immer vollständig war, war im wesentlichen die Angabe der Personalien, die Dauer des Aufenthaltes in einer Landes-Heil- und Pflegeanstalt, die Krankheitsart und der Kosten-träger angegeben. Am unteren Rand waren die Worte: Todesursache und Sterbetag vorgedruckt. Beides wurde von Dr. Eberl handschriftlich ausgefüllt. Ausserdem befand sich unten rechts noch ein Kreuzzeichen... 2 Sterbeurkunden wurden den Angehörigen übersandt, eine kam zu den Krankenakten und eine wurde zu einem grossen Stoss ge-legt, wo sämtliche Urkunden gesammelt wurden.“135 Alle Angaben wurden gleichzeitig in Totenlisten festgehalten.

Am 24. August 1941 erfolgte der Stopp für die „Euthanasie“ in den Gasmordanstalten, auch in Bernburg. Das Verwaltungspersonal verblieb noch bis zum Sommer 1943 für die Abwicklungsarbeiten im Zusammenhang mit der Registrierung der Toten und den An-fragen von Angehörigen und erhielt dann die Versetzung in die Zentrale Verrechnungs-stelle in der „Euthanasie“-Anstalt Hartheim bei Linz. Die Gebäude wurden am 30. Juli 1943 zurückgegeben.

Über die Opfer ist wenig bekannt. Namen und Lebensdaten sind in den meisten Fällen alles, was geblieben ist. Nur von wenigen Personen liegt ein weitgehend vollständiger Lebenslauf vor. Diejenigen, die für Organisation und Durchführung der „Euthanasie“

verantwortlich waren, haben sich in der Mehrzahl bemüht, diese Menschen als das er-scheinen zu lassen, als was man sie gern sehen wollte: als nutzlose Esser, die sowieso keine Umwelt mehr wahrnehmen konnten, und für die der Tod eine Erlösung gewesen sei. Dabei waren viele unter ihnen, die schon auf den ersten Blick das Pseudo-Bild des

135 Ebenda, Ordner Scha-Schq.

Mitleids und der Hilfe trübten: die Kinder136, die alten Menschen und die selbst nach lai-enhafter Beurteilung durchaus Zurechnungsfähigen, die noch durch die Tür der Gas-kammer schrieen: „Ihr Mörder! Ihr werdet es bereuen!“137

Entgegen einer Unzahl von Beteuerungen sind auch Verletzte des Ersten Weltkrieges durch die „Euthanasie“ getötet worden. Der Bischof von Galen hatte bereits in einer öf-fentlichen Predigt darauf hingewiesen, dass bei einer alleinigen Bewertung des Men-schen nach seiner Leistungsfähigkeit auch die schwer verwundeten Frontsoldaten die-sen Kriterien zum Opfer fallen würden.138 Er dachte dabei in erster Linie an die Soldaten des Zweiten Weltkrieges, ohne zu wissen, dass seine Prognose für etliche Versehrte aus dem Ersten Weltkrieg bereits zur tödlichen Realität geworden war. Das traf auch für die „Euthanasie“-Morde in Bernburg zu: Eines Tages „wurde aus Berlin angerufen - an-geblich durch Prof. Dr. Heyde -, es seien leichtsinnigerweise in Bernburg Teilnehmer des Ersten Weltkrieges vergast worden, die infolge Kriegseinwirkung geisteskrank ge-worden waren. Es musste unverzüglich nunmehr anhand der Krankenakten festgestellt werden, wieviel solcher Personen vernichtet worden waren. Dabei wurden schätzungs-weise 100 solcher Personen festgestellt. Dabei darf ich der Vollständigkeit halber darauf hinweisen, dass Dr. Eberl versuchte, uns zu schnellem oberflächlichen Arbeiten zu ver-leiten, damit die genauen Zahlen nicht bekannt würden.“139

136 Die Krankenbücher der psychiatrischen Anstalt in Brandenburg weisen aus, dass zumindest aus die-ser Einrichtung Transporte mit Kindern in die „Euthanasie“-Anstalt Bernburg gingen. Gleiches gilt für die Anstalt Schleswig-Hesterberg.

137 Zit. nach Kaul: Schlußvortrag im Strafverfahren gegen Vorberg und Allers, vorgetragen am 28.11.1968 vor dem Schwurgericht beim Landgericht Frankfurt/Main, S. 61.

138 Vgl. H.-W. Schmuhl: Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie. Göttingen 1992, S. 350ff.

139 ZSL, Ordner Scha-Schq.