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Obligationenrecht

Im Dokument K U R Z G U T A C H T E N (Seite 17-21)

Eine Verstaatlichung mittels «Umwandlung» eines privaten Unternehmens – inklusive einer gemischtwirtschaftlichen AG – stellt de lege lata keinen Gegenstand des Umstrukturierungs-rechts dar und wird in Art. 751 OR für AG98 (und in Art. 915 OR für Genossenschaften) gere-gelt. Beim Inkrafttreten des OR standen Verstaatlichungen und nicht Privatisierungen im Vor-dergrund99, was sich in der Zwischenzeit grundlegend geändert hat.

Hierzu hält Art. 751 OR fest: «1Wird das Vermögen einer Aktiengesellschaft vom Bunde, von einem Kanton oder unter Garantie des Kantons von einem Bezirk oder von einer Gemeinde übernommen, so kann mit Zustimmung der Generalversammlung vereinbart werden, dass die

94 Mit einer solchen Klage soll die Wahrung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte sichergestellt werden, die bei einer Vermögensübertragung jedoch ohnehin kein Thema sind, so dass a priori keine Kontrolle möglich ist: KUNZ, Vermögensübertragung, 813.

95 Trotz unklarem bzw. offenem Wortlaut sind m.E. Anfechtungsklagen gegen Vermögensübertragungen möglich: KUNZ, Vermögensübertragung, 813; DERS., Wirtschaftsrecht, § 2 N 450.

96 Art. 108 Abs. 1 FusG: «Alle mit der (…) Vermögensübertragung befassten Personensind sowohl den Rechtsträgern als auch den einzelnen Gesellschafterinnen und Gesellschaftern sowie den Gläubigerin-nen und Gläubigern für den Schaden verantwortlich, den sie durch absichtliche oder fahrlässige Verlet-zung ihrer Pflichten verursachen. Die Verantwortung der Gründerinnen und Gründer bleibt vorbehal-ten»; passivlegitimiert wären in erster Linie die VR-Mitglieder der BKW AG; in Frage käme ev. aller-dings ebenso der Kanton Bern, notabene – abhängig von der «Interventionsintensität» – als materielles Organ der BKW AG: KUNZ, Wirtschaftsrecht, § 2 N 451 a.E.

97 Da keine «Gesellschafterübergang» erfolgt, müsste eine Entschädigung in Höhe von 100% der Vermö-genswerte und nicht bloss im Rahmen der kantonalen Beteiligung (also: 52% und künftig ev. 34%) erfolgen; der VR der BKW AG dürfte zum Eigenschutz vor möglichen Verantwortlichkeitsklagen streng auf ein «dealing at arm’s length» und damit auf Verkehrswerte bestehen; nach aktuellem Bör-senwert der BKW AG dürfte ein solcher «Auskauf» daher mehrere Milliarden Franken kosten, doch würde erst z.B. eine «Fairness Opinion» die notwendige Klarheit verschaffen.

98 Diese aktienrechtliche Bestimmung steht unter der Marginalie: «Übernahme durch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts».

99 BÖCKLI, Aktienrecht, § 3 N 13.

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Liquidation unterbleiben soll. 2Der Beschluss der Generalversammlung ist nach den Vorschrif-ten über die Auflösung zu fassen und beim Handelsregister anzumelden»100.

Eine «Teilprivatisierung» ist bei Art. 751 OR unzulässig. Die betroffene AG wird schliesslich aufgelöst, und die «Firma der Gesellschaft [ist] zu löschen» (Art. 753 Abs. 3 OR).

2. Einzelfragen

a) SpAG als «Kanton»?

Als übertragende Unternehmung wird eine «Aktiengesellschaft» vorausgesetzt, worunter eine gemischtwirtschaftliche AG (z.B. die BKW AG) subsumierte werden könnte. Auf der überneh-menden Seite werden u.a. Kantone als solche erwähnt (Art. 751 Abs. 1 OR), so dass sich die Rechtsfrage stellt, ob eine SpAG als «Kanton» qualifiziert werden kann:

M.W. hatte bis anhin noch kein Gericht zu entscheiden, ob im Rahmen von Art. 751 OR der aktienrechtliche Begriff «Kanton» extensiv zu interpretieren ist, also etwa SpAG integrierend, womit Rechtsunsicherheiten für allfällige Anfechtungsverfahren gemäss Art. 706 f. OR durch Aktionäre – notabene gegen den zustimmenden Beschluss einer GV (Art. 751 Abs. 1/Abs. 2 OR) – verbunden sind. Die h.L. sieht indessen SpAG als ausreichend an101.

M.E. dürfte somit eine «Umwandlung» von der BKW AG in eine BKW SpAG auf Grundlage von Art. 751 OR rechtlich zulässig sein. In jedem Fall bräuchte es einen Übernahmevertrag zwischen der BKW AG einerseits und einer BKW SpAG andererseits (Stichwort: «verein-bart»)102, der – mindestens im Regelfall – formfrei abgeschlossen werden könnte103.

100 Der Vermögensübergang bei Art. 751 OR erfolgt – ähnlich wie im Bereich des Fusionsrechts – als Universalsukzession («uno actu»), und zwar mittels konstitutiver Eintragung des GV-Beschlusses im Handelsregister: Art. 751 Abs. 3 OR; vgl. RUDOLF TSCHÄNI (5. A. Basel 2016) N 2 zu Art. 751 OR;

MICHEL KÄHR, OF-Kommentar: Schweizerisches Obligationenrecht (3. A. Zürich 2016) N 9 zu Art.

751 OR; FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Aktienrecht, § 58 N 35; MASSIMO CALDERAN/R IC-CARDO GEISER, OF-Aktienrecht Kommentar (Zürich 2016) N 10 zu Art. 751 OR.

101 Die Doktrin setzt eine Staatshaftung für die in Frage stehende SpAG voraus: KÄHR, Kommentar, N 3 zu Art. 751 OR; dies ergibt sich ohnehin aus den Anforderungen gemäss Art. 763 Abs. 1 OR: Vgl. dazu vorne II. B. 1. a./C. 2. b.

102 Art. 751 Abs. 1 OR; re Vertragsparteien des Übernahmevertrags: GILLES BENEDICK, Handkommentar zum Schweizer Privatrecht (3. A. Zürich 2016) N 3 zu Art. 751 OR; u.a. durch eine solche Vereinbarung unterscheidet sich die obligationenrechtliche «Umwandlung» von der fusionsrechtlichen Umwandlung, an der nicht mehrere Rechtsträger beteiligt sind: Vgl. dazu vorne III. B. 1. a./b. aa.; generell zu Über-nahmeverträgen: CALDERAN/GEISER, Kommentar, N 8 ff. zu Art. 751 OR.

103 TSCHÄNI, Kommentar, N 4 zu Art. 751 OR; KÄHR, Kommentar, N 6 a.A. zu Art. 751 OR; anders verhält es sich, wenn Grundstücke übertragen werden: BENEDICK, Kommentar, N 3 a.E. zu Art. 751 OR.

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b) Beschlussquorum?

Eine Verstaatlichung durch eine «Umwandlung» auf Basis von Art. 751 OR dürfte in aller Re-gel liquidationslos erfolgen. Dafür ist ein GV-Beschluss («Zustimmung») erforderlich:

In diesem Zusammenhang scheint unklar, ob die GV wirklich einzig über die Liquidation als solche oder ebenso über den Übernahmevertrag104 zu beschliessen hat; die «Zustimmung der Generalversammlung» hat nämlich – nach Gesetzeswortlaut – bloss den Umstand abzudecken,

«dass die Liquidation unterbleiben soll» (Art. 751 Abs. 1 a.E. OR)105.

Der GV-Beschluss untersteht den «Vorschriften über die Auflösung» (Art. 751 Abs. 2 OR), d.h.

aufgrund von Art. 704 Abs. 1 Ziff. 8 OR wird eine Mehrheit von zwei Dritteln der Aktienstim-men benötigt106. Ob ein GV-Beschluss der Aktionäre der BKW AG ein solches qualifiziertes Mehr zu erreichen vermöchte, kann und soll heute nicht beurteilt werden107.

c) Schicksal der Aktionäre?

Es fällt auf, dass Art. 751 OR die von einer «Umwandlung» betroffenen Aktionäre unerwähnt lässt. Dies bringt nicht unerhebliche Rechtsunsicherheiten mit sich, weil sich die Doktrin mit dieser Frage ebenfalls nicht auseinandersetzt. M.E. braucht es für eine Mitgliedschaftskontinu-ität der Gesellschafter eine explizite Rechtsgrundlage, die jedoch fehlt108.

Folglich dürfte die gesellschaftsrechtliche Privatautonomie von besonderer Wichtigkeit wer-den, in erster Linie bei einem Übernahmevertrag109 (z.B. zwischen der BKW AG sowie einer BKW SpAG). Was könnte in einem solchen Übernahmevertrag verabredet werden?

104 Vgl. dazu vorne III. C. 2. a.

105 Die Doktrin scheint mehrheitlich davon auszugehen, dass auch der Übernahmevertrag durch die GV gutgeheissen werden müsse: TSCHÄNI, Kommentar, N 4 zu Art. 751 OR; KÄHR, Kommentar, N 7 zu Art. 751 OR; CALDERAN/GEISER, Kommentar, N 5 zu Art. 751 OR.

106 FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Aktienrecht, § 58 N 34; TSCHÄNI, Kommentar, N 4 zu Art. 751 OR; CALDERAN/GEISER, Kommentar, N 5 zu Art. 751 OR;BENEDICK, Kommentar, N 3 zu Art. 751 OR; KÄHR, Kommentar, N 8 zu Art. 751 OR.

107 M.E. erschiene dies eher unwahrscheinlich, zumindest für den Fall, dass der GV bloss der Liquidations-entscheid als solcher und nicht der konkrete Übernahmevertrag vorgelegt würde.

108 Im Umstrukturierungsrecht wird die Mitgliedschaftskontinuität als zentraler Schutzmechanismus zu-gunsten der Gesellschafter bei Fusionen, bei Spaltungen und bei Umwandlungen (nicht bei Vermögens-übertragungen) vorgesehen; statt aller: KUNZ, Wirtschaftsrecht, § 2 N 454 f. m.w.H.

109 Vgl. dazu vorne III. C. 2. a.

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Einerseits dürften Abreden zur Entschädigung der Aktionäre (z.B. der BKW AG) getroffen werden110. Andererseits könnte wohl auch eine Vereinbarung zum «Gesellschaftertransfer» ge-schlossen werden; obwohl kein gesetzlicher Anspruch der Aktionäre der BKW AG bestünde, neu Aktionäre einer BKW SpAG zu werden, dürfte es m.E. zulässig sein, eine entsprechende vertragliche Option – hingegen keine Pflicht – für die Gesellschafter vorzusehen111.

d) Risiken?

Die obligationenrechtliche «Umwandlung» (Art. 751 OR) stellt – nebst der Vermögensübertra-gung gemäss Art. 99 Abs. 2 FusG112 – die zentrale legale Möglichkeit zur Verstaatlichung der BKW AG hin zu einer BKW SpAG dar. Unbesehen dessen drohen einige Risiken:

Im Vordergrund stehen die rechtlichen Risiken. Während die legale Einsetzbarkeit einer BKW SpAG im Rahmen von Art. 751 OR einen Nebenaspekt darstellen dürfte, scheinen die Rechts-unsicherheiten zum möglichen Schicksal der Aktionäre der BKW AG nicht unerheblich, insbe-sondere gibt es keine eindeutige Lösung; insofern drohen Anfechtungsklagen gegen GV-Be-schlüsse (Art. 706 f. OR) auf Grundlage von Art. 751 Abs. 2 OR113.

Kaum abschätzbar sind schliesslich die finanziellen Risiken für den Kanton Bern. Es bestünde bei Art. 751 OR wohl erneut – wie auch bei Art. 99 Abs. 2 FusG114 – ein heute unkalkulierbares

«Auskaufrisiko» für den Kanton Bern bzw. für eine BKW SpAG zur Entschädigung der bei einer Verstaatlichung «nicht übertragenen» Aktionäre der BKW AG.

110 In diesem Sinn: TSCHÄNI, Kommentar, N 2 a.E. zu Art. 751 OR; KÄHR, Kommentar, N 6 zu Art. 751 OR; CALDERAN/GEISER, Kommentar, N 9 zu Art. 751 OR; ungeklärt ist, ob anstelle einer Entschädi-gung an die Aktionäre – wie bei einer Umwandlung (Art. 56 FusG) – alternativ oder kumulativ eine Entschädigung an die «umgewandelte» Gesellschaft (sc. die BKW AG) – wie bei einer Vermögens-übertragung (Art. 100 Abs. 1 FusG i.V.m. Art. 69 Abs. 1 FusG) – möglich wäre; betreffend ein ev.

Finanzierungsbedarf des Kantons Bern bzw. einer BKW SpAG würde dies keine Rolle spielen.

111 Eine solche Option, deren Inhalt im Detail zu umschreiben wäre, würde zwischen der BKW AG und einer BKW SpAG im Übernahmevertrag als Vertrag zugunsten Dritter, nämlich der Publikumsaktio-näre der BKW AG, umschrieben: Art. 112 OR (Basis wäre z.B. ein «Umtauschangebot»); rechtlich unzulässig wäre m.E. hingegen eine Pflicht der Aktionäre der BKW AG: Art. 680 Abs. 1 OR.

112 Vgl. dazu vorne III. B. 1. b. aa. bbb./2.

113 Ein Aktionär der BKW AG könnte – Beispiel 1 – einen Beschluss der GV anfechten mit der Argumen-tation, eine BKW SpAG sei kein Synonym für «Kanton» (Art. 751 Abs. 1 OR), d.h. es liege eine Geset-zesverletzung vor: Art. 706 Abs. 1 OR («gegen das Gesetz»); sollte – Beispiel 2 – der Übernahmevertrag eine Pflicht zum «Gesellschaftertransfer» enthalten, wäre ein möglicher Anfechtungsgrund die Verlet-zung von Art. 680 Abs. 1 OR.

114 Vgl. dazu vorne III. B. 2. c./d.

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IV. Ergebnisse

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