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5. ONLINE-BERATUNG (ANDREA BÜLOW)

5.2. O NLINE -B ERATUNG HEUTE

Sowohl Mail-, Chat-, Foren-, Messenger als auch Video-Beratung werden aufgrund ihrer Gemeinsamkeit als nicht in einem gemeinsamen Raum stattfindendem Beratungsformat im englischsprachigen Raum mit dem Begriff “Distance Counseling” bezeichnet (vgl. En-gelhardt/ Storch 2013, S. 3). Im deutschsprachigen Raum werden bspw. die Begriffe “E-Counseling“ oder „Beratung im Internet“ synonym zur allgemeinen Bezeichnung von On-line-Beratung verwendet (Sauerbrey 2020, S.13). Jedoch unterscheidet sich die Video-Beratung durch ihre bild-, sowie sprachbasierte, synchron83 gestaltete Form von der schriftbasierten, (quasi) synchronen Form der Chat- und Messenger-, sowie der asyn-chronen Form der Mail-und Foren- Beratung.

Eine Übersicht über die unterschiedlichen Medien der Onlineberatung gibt folgende Ta-belle:

textbasiert nicht-textbasiert/sprachbasiert synchron Chat, Messenger Video, Internettelefonie, Avatare asynchron Mail, Forum Sprachnachrichten,

Videonachrich-ten

Tabelle 4: Erstellt nach Engelhardt 2018, S. 16

Textbasierte Online-Beratungssettings werden im Folgenden in ihren Spezifikationen und Wirkmechanismen kurz vorgestellt.

83 Kreller und Thiery benutzen den Begriff „simultan” im Sinne von zeitgleich, jedoch räumlich getrennt (vgl. Thiery/ Kreller 2021a, S. 3; Thiery/Kreller 2021b, S. 5)

70 5.2.1. Online-Beratungssettings

- Webbasierte Mail-Beratung:

• Asynchronizität

• Anonymität

• Möglichkeit, Texte vor dem Verschicken wiederholt zu überarbeiten

• Dokumentation des Beratungsprozesses, rekapitulierendes Lesen möglich

Nähe durch Distanz (Knatz 2005, S. 5; kursiv im Orig.) ermöglicht schamfreie Öffnung der zu Beratenden

• Online-Disinhibition-Effect: enthemmender Effekt durch Faktoren wie psycholo-gische Anonymität, „für-den-anderen-unsichtbar-sein“, oder Asynchronizität (vgl.

Suler 2004: S.321ff)

• Schreibprozess kann zu erhöhter Selbstreflexion der zu Beratenden führen (vgl.

Engelhardt 2018, S. 59ff) - Foren-Beratung:

• Asynchronizität

• Öffentlich, Mitlesen, sowie Mitschreiben auch ohne Registrierung möglich

• In der Regel „many-to-many-Kommunikation“ (Engelhardt 2018, S. 65; kursiv im Orig.)

• Positives Feedback, Ratschläge und (emotionale) Unterstützung durch andere Nutzer:innen möglich

• Bei brisanten Themen besteht zum Schutz der zu Beratenden die Möglichkeit, die Kommunikation in Form einer Einzelberatung weiterzuführen.

- Chat-Beratung:

• Quasi synchron

• Gebündelte Textsequenzen, die jeweils von den Empfänger:innen gelesen wer-den müssen, bevor diese antworten

• festgelegter Termin

• festgelegter ZeitrahmenEinzel-, Gruppen-, Expert:innen84-Chat, sowie eine Of-fene Sprechstunde85 möglich

84 Ein fest definiertes Thema wird durch extern hinzugezogene Expert:innen behandelt. Hierbei koordiniert, bzw. moderiert die Beratungsfachkraft lediglich und beantwortet selbst keine Fragen (vgl. Engelhardt 2018, S. 63)

85 Keine festgelegten Themen, oftmals Orientierung für zu Beratende, der eine Mail- oder Chat-Beratung folgen kann.

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• Häufig Verzicht auf Groß-und Kleinschreibung

• Einsatz von Emojis und weiteren nonverbalen Elementen

• Ähnelt eher einem Dialog (vgl. Engelhardt 2018, S. 62ff) - Messenger-Beratung:

• Generell ermöglichen Mobile Messaging Apps sowohl (quasi) synchronen Sprach-, Text- und Videoaustausch, als auch asynchronen Austausch via Spra-che, Text, Video oder Fotos. Beispiele sind WhatsApp oder Signal (vgl. Ba-laouras 2018, S. 14).

• Engelhardt spricht von „eher latente[n] Konversationsfäden“ (Engelhardt 2018, S. 66), innerhalb einer der Chat-Beratung ähnlichen Kommunikationsform, in der es jedoch keinen festgelegten Zeitrahmen gibt, also sowohl sofortige als auch spätere Antworten möglich sind (vgl. ebd, S. 66).

- Video-Beratung:

Die nicht-textbasierte Video-Beratung wird in Kapitel sechs eingehend vorge-stellt.

Im Kontext vor allem textbasierter/schriftbasierter Online-Beratung ergeben sich Sozial-psychologische Besonderheiten, die anhand relevanter Theorien computervermittelter Kommunikation im Folgenden kurz dargestellt werden.

5.2.2. Theorien computervermittelter Kommunikation

- Die Kanalreduktionstheorie:

Laut der Kanalreduktionstheorie86 handelt es sich bei schriftbasierter „komputervermit-telter [sic] Kommunikation […] um einen unpersönlichen, entemotionalisierten, […] ent-menschlichten Kontakt“ (Döring/ Eichenberg 2013, S. 1593; kursiv im Orig.), da Wahr-nehmungskanäle für non-und paraverbale87 Signale fehlen und damit eine „Reduktion gemeinsamer Handlungsmöglichkeiten und verfügbarer Zeichensysteme“ (Döring 2003, S. 149) einhergehe. Diese defizitäre Sicht weist Döring jedoch „auf Basis des aktuellen Forschungsstandes“ zurück, da „in bestimmten sozialen Situationen der [schriftbasierte

86 Zu Kommunikationskanälen siehe auch das Kapitel Medienmodelle. Zur Kanalreduktion i.R.d. Videokon-ferenz siehe Kapitel Eigen- und Fremdwahrnehmung in Audiovisueller Fernkommunikation

87 als paraverbale Signale bezeichnet werden bswp.: Intonation, Stimmlage, Lautstärke (siehe auch Tabelle 5, S. 81 vorliegender Arbeit)

72 - Anm. d. V.] Online-Austausch sogar als emotionaler und persönlicher empfunden wird als der Face-to-Face-Kontakt“ (Döring/ Eichenberg 2013, S. 1593)88.

- Die Filtertheorie

Die Filtertheorie der computervermittelten Kommunikation hebt hervor, dass „das medi-ale Herausfiltern von Hintergrundinformationen89 beim textbasierten Online-Austausch […] oft zu einer sozialen Enthemmung und gesteigerten Emotionalität [kursiv im Orig.]

führt“ (Döring 2013, S. 1593), da ein Nivellierungseffekt eintritt, durch den „soziale Hem-mungen, Hürden, Privilegien und Kontrollen“ (Döring 2003, S. 155) abgebaut und „ver-stärkte Offenheit, Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Partizipation und Egalität“ (ebd., S. 155) begünstig werden.90

- Die Theorie der sozialen Kommunikationsverarbeitung

Die Theorie der sozialen Informationsverarbeitung postuliert, dass Nutzer:innen „we-sentlichen Einfluss“ (Döring 2013, S. 1593) darauf haben, was sie im Kontakt preisge-ben91 und wendet sich damit gegen eine deterministische Vorgabe der Kommunikations-qualität durch die Eigenschaften der Medien (vgl. ebd., S. 1593).

- Die Theorie der hyperpersonalen Interaktion

Laut der Theorie der hyperpersonalen Interaktion werden vor allem länger andauernde schriftbasierte Online-Kontakte „zuweilen als näher und persönlicher empfunden […] als entsprechende Face-to-Face-Kontakte“ (Döring/ Eichenberg 2013, S. 1594). Gründe hierfür können einerseits die gespeicherten und daher immer wieder nachzulesenden und zu rekapitulierenden Nachrichten sein, andererseits können Ratsuchende in diesem Setting Fantasievorstellungen bezüglich der Beratenden entwickeln, in denen diese ide-alisiert werden. Döring empfiehlt daher, „Übertragungs- und Gegenübertragungspro-zesse […] besonders deutlich zu überdenken“ (ebd. 1594).

- Medienwahltheorien

Allgemein auf alle Formen computervermittelter Kommunikation anwendbar sind Medi-enwahltheorien, welche verkürzt besagen, dass in „vielen sozialen Kontexten – so auch im Beratungskontext- meist mehrere mediale Kommunikationskanäle zur Verfügung

88 Ergänzt werden muss hier um den Aspekt der Anonymität, siehe auch Seite 75 vorliegender Arbeit:

Qualitätsmerkmale nach Reindl, Punkt 4, Fußnote 91.

89 Aussehen, Auftreten, Kleidung….

90 Siehe hierzu auch: The Online Disinhibition Effekt (Suler 2004)

91 Bspw. können Emoticons zur Gefühlsverdeutlichung eingesetzt werden, Beratende können ihre Website mit oder ohne Foto gestalten (vgl. Döring/ Eichenberg 2013, S. 1593)

73 stehen“ (Döring/ Eichenberg 2013, S. 1595). Sowohl seitens Beratender als auch Rat-suchender ist die Auswahl eines bevorzugten Beratungssettings eine „Wahlentschei-dung“, welche immer auch für den Wechsel in einen „anderen Kommunikationskanal“

offen ist (vgl. ebd, S. 1595)92.

Im folgenden Unterkapitel werden ethische Implikationen thematisiert, welche sich aus computervermitteltem Kommunikations- und Beratungshandeln ergeben.