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A BGRENZUNG VON P SYCHOTHERAPIE UND B ERATUNG

2. BERATUNG (BARBARA KUNNER)

2.2. A BGRENZUNG VON P SYCHOTHERAPIE UND B ERATUNG

„Das grundsätzliche Ziel einer jeden Beratung ist die „Hilfe zur Selbsthilfe““ (Nußbeck 2019, S. 99) die kognitive und emotionale Neubewertungen ermöglichen soll und die Handlungsmöglichkeiten der Klient:innen erweitern hilft (vgl. Steinebach 2003, S. 138f.).

Nachdem in diesem Abschnitt eine Definition zum Begriff Beratung erarbeitet wurde, soll im Folgenden näher auf die Unterschiede und Überschneidungen zwischen Psychothe-rapie und Beratung eingegangen werden.

2.2. Abgrenzung von Psychotherapie und Beratung

Beratung und Psychotherapie haben einerseits eine große Nähe sind jedoch unter-schiedlich eingebunden und organisiert (vgl. Engel/ Nestmann/ Sickendiek 2007, S. 37).

Beide Hilfeformen zeichnen sich durch eine Beziehungsgestaltung aus, die Klient:innen bzw. Patient:innen im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe unterstützen soll, ihr Leben wieder selbstbestimmt zu gestalten (vgl. Stimmer/ Ansen, 2016, S. 42). In beiden Bereichen arbeiten zumeist: Psycholog:innen, Pädagog:innen, Mediziner:innen und Sozialpäda-gog:innen mit Klient:innen bzw. Patient:innen an deren zwischenmenschlichen Bezie-hungen und Konflikten die kommunikativ bearbeitet werden. Die theoretischen und me-thodischen Grundlagen beider Disziplinen liegen in der Psychoanalyse, der Gesprächs-therapie, der Gestalt- oder der Verhaltenstherapie (vgl. Nußbeck 2019, S. 21). Beiden liegt ein ähnliches Verständnis zur Entstehung und Veränderung von Problemsituationen zugrunde. In der Beratung werden vielfach (modifizierte) Konzepte aus der Psychothe-rapie eingesetzt. Hoff und Zwicker-Pelzer merken hierzu kritisch an, dass aus aktueller beratungswissenschaftlicher Sicht die therapeutischen Konzepte häufig die kontextuelle Eingebundenheit vermissen lassen, die in der Beratung einen wichtigen Stellenwert hat (vgl. Hoff/ Zwicker-Pelzer 2015, S. 149). Ebenso wie eine Therapie ist auch der

11 Beratungsprozess gekennzeichnet durch grundlegende Handlungsmuster der Diagnos-tik, Intervention und Evaluation (vgl. Nußbeck 2019, S. 19 ff.).

Unterschiede zwischen Therapie und Beratung zeigen sich u.a. im Veränderungspro-zess, der in der Psychotherapie zentraler Bestandteil ist und in der Beratung häufig (erst) nach der Beratung erfolgt (vgl. Hoff/ Zwicker-Pelzer 2015, S. 148). Die Psychotherapie wird stark reguliert, insbesondere durch das Psychotherapeutengesetz und orientiert sich am medizinischen Modell: Diagnostik, Indikationsstellung und die Heilung von psy-chischen Erkrankungen bilden die Hauptmerkmale (vgl. Engel/ Nestmann/ Sickendiek 2007, S. 37). Menschen mit psychischen Erkrankungen kommen jedoch auch in die Be-ratung, so dass Berater:innen Kenntnis zu Störungen mit Krankheitswert haben sollten, um diese Klient:innen ggf. an geeignete Stellen zu verweisen (vgl. Hoff/ Zwicker-Pelzer 2015, S. 148). Psychotherapeuten verfügen zumeist über eine Approbation und eine Finanzierungsmöglichkeit über die Krankenkassen (vgl. Nußbeck 2019, S. 21). Beratung zeichnet sich demgegenüber durch ihren größtenteils niedrigschwelligen Zugang, einer Fokussierung auf präventive und entwicklungsorientierte Angebote sowie ihr eklekti-sches Vorgehen aus (vgl. Engel/ Nestmann/ Sickendiek 2007, S. 37). Darüber hinaus nehmen Ratsuchende Beratung in Entscheidungssituation oder zur Kompetenzerweite-rung in Anspruch. Die Beratungsleistung ist für die/den Klient:in zumeist kostenfrei und die Beratungsstellen befinden sich häufig in kirchlicher oder öffentlicher Trägerschaft (vgl. Nußbeck 2019, S. 19 ff.).

Eine Übersicht von Nestmann (2002), zitiert in Kupfer zeigt fünf häufig genannte Modelle zum Verhältnis von Beratung und Psychotherapie:

1. Nach dem Kongruenzmodell gibt es keinen grundlegenden Unterschied zwischen Therapie und Beratung. Grundlage dieser Annahme ist u.a., dass viele Berater:innen psychotherapeutische Zusatzausbildungen haben.

2. Im Differenzmodell werden Therapie und Beratung voneinander abgegrenzt und verschiedene Interventionsformen angenommen.

3. Das Ablegermodell betrachtet Beratung als “Kleine Psychotherapie”, der die glei-chen Konzepte wie der Psychotherapie zugrunde liegen, mit Hilfe derer jedoch we-niger starke Störungen behandelt bzw. Probleme wewe-niger tiefgreifend und zumeist in kürzerer Dauer bearbeitet werden können. Die Aus- und Weiterbildung der Bera-ter:innen erfolgt häufig durch Psychotherapeuten:innen.

4. Das Integrationsmodell fasst Beratung als Teil von Psychotherapie, z.B. in Form von Psychoedukation auf.

12 5. Das Überschneidungsmodell bezeichnet Nestmann als „realitätsangemessenstes”

Modell. Beratung und Therapie weisen jeweils eigene Wissenschafts- und Praxisbe-reiche auf (z.B. Traditionen, Funktionen, professionelles Selbstverständnis etc.), ha-ben jedoch in den meisten Bereichen Ähnlichkeiten und es kommt zu Überschnei-dungen. Beratung und Therapie werden als Pole von Kontinuen beschrieben, die sich z.B. in den Bereichen Anlässe, Organisationsform oder Setting etc. einerseits durch gemeinsame Schnittstellen und anderseits durch ihre Positionierung zur einen oder anderen Seite abgrenzen (vgl. Nestmann 2002 zitiert in Kupfer 2015, S. 45 ff.).5 Dörrich hat sich im Rahmen ihrer Masterarbeit speziell mit der Übertragbarkeit der Wirk-faktoren der Psychotherapie nach Grawe auf die Beratung befasst. Nach einer umfas-senden Gegenüberstellung beider Disziplinen und der intensiven Analyse der Wirkfak-toren, zieht sie die Schlussfolgerung, dass die Ähnlichkeiten beider Hilfeformen für den spezifischen Bereich der Wirkfaktoren eine Übertragbarkeit zulässt (vgl. Dörrich 2017, S. 76 ff.). Behr et al. resümieren:

„Zusammenfassend bestehen zwischen Beratung und Psychotherapie ge-wisse Unterschiede, vor allem aber Gemeinsamkeiten. Therapien können hohe Beratungsanteile haben, z.B. zeitlich begrenzt, informationsbezogen und lösungsorientiert sein, aber auch tiefgreifende Veränderungsprozesse in Gang setzen. Beratungen haben manchmal einen eher formellen und infor-mativen Charakter, psychische Veränderungsprozesse stehen dann weniger im Vordergrund. In anderen Fällen erreichen sie aber auch, ähnlich wie er-folgreiche Psychotherapien, eine bedeutsame Veränderung der Selbststruk-tur. Es handelt sich im Kern um die Förderung derselben psychischen Pro-zesse […]“ (Behr et. al. 2017, S. 212).

Für die vorliegende Arbeit bedeutet dies, dass die Autorinnen, aufgrund der Ähnlichkeit und der vielfältigen Überschneidungen zwischen Therapie und Beratung, von einer grundsätzlichen Übertragbarkeit der Erkenntnisse aus der Psychotherapierforschung auf die Beratung ausgehen.

Nach dieser kurzen Abhandlung zu Unterschieden, Überschneidungen und Gemeinsam-keiten der Beratung und der Psychotherapie wird im folgenden Abschnitt der Fokus auf dem Thema Beratungsforschung und der Relevanz dieser liegen.

5 Stimmer und Ansen (2016, S. 42) sehen Therapie und Beratung ebenfalls als Pole eines Kontinuums, Boeger (2018, S. 16) spricht von fließenden Übergängen ebenso Dietrich (1991, S. 11), er ergänzt zudem mit den Begriffen Deckung und Überlappung.

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