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I MPLIKATIONEN FÜR DIE P RAXIS – H ANDLUNGSEMPFEHLUNGEN

5. K ATEGORIE : Z UKUNFT DER V IDEO -B ERATUNG

7.4. D ISKUSSION (A NDREA B ÜLOW , B ARBARA K UNNER )

7.4.4. I MPLIKATIONEN FÜR DIE P RAXIS – H ANDLUNGSEMPFEHLUNGEN

Wie bereitsdurch Simpson et al. konstatiert154, bietet die aktuell noch nie dagewesene Situation neben Risiken auch Möglichkeiten (vgl. Simpson et al. 2020, S. 1). Um diese bestmöglich zu nutzen, sollten neben den in diesem Kapitel vorgestellten Anforderungen an die Kompetenzen Beratender verschiedene Faktoren als Fundament zum Aufbau ei-ner tragfähigen Beziehungsgestaltung im Video-Setting berücksichtigt werden.

Durch die Verfasserinnen wurden diesbezüglich Handlungsempfehlungen erstellt, wel-che anschließend vorgestellt werden. Neben den Aussagen der Expert:innen wurden die aus der Literaturrecherche gewonnenen Erkenntnisse bspw. ethischer Grundlagen zur onlinebasierten Beratung herangezogen. Wichtig sind demnach die Beachtung von Ver-traulichkeit, Datenschutz, Qualifikation der Berater:innen, die Identifizierung mit den Rat-suchenden, die Angemessenheit der Interventionen sowie die Möglichkeit einer Krisen-intervention (vgl. Rocha Dores/ Silva 2018, S. 36).

Weiterhin kann generell festgehalten werden, dass Besonderheiten der Kommunikati-ons- und Wahrnehmungsbedingungen, Kenntnisse der technischen Rahmenbedingun-gen und des Mediums, sowie eine Neuorganisation des Blickverhaltens erlernt werden müssen (vgl. Kopp 2004, S. 193 ff.). Beispielsweise können Berater:innen möglicher-weise die Reaktionen der Klient:innen weniger gut wahrnehmen (I3, #00:44:31-1#) oder müssen entscheiden, ob sie (zur Simulation des Blickkontaktes) auf das Display schauen oder einen „stechenden” Blick in die Kamera richten wollen (I1, #00:36:03-5#).

Die Kenntnis der technischen Rahmenbedingungen beinhaltet bspw. das Vorhalten nes ruhigen Arbeitsplatzes, eines neutralen Hintergrunds, einer guten Ausleuchtung, ei-nes leistungsfähigen Mikrofons, neutraler Kleidung, sowie der Vereinbarung eiei-nes alter-nativen Kommunikationsweges im Falle von Störungen (vgl. Wenzel/Jaschko/Engel-hardt 2020, S. 60f.; Kühne/Hintenberger 2020, S. 39; EngelWenzel/Jaschko/Engel-hardt 2018, S. 122). Auch

154 (siehe Seite 91 vorliegender Arbeit)

136 seitens einiger Expert:innen wird betont, dass Berater:innen eine gute technische Aus-stattung (Beleuchtung, Kamera und Mikrophon etc.) benötigen (bspw. I5, #00:20:35-2#).

Eine Beraterin konstatiert, dass sie auf einen neutralen Hintergrund sowie eine gute Aus-leuchtung achtet, um einen professionellen Eindruck zu gewährleisten (I2, #00:24:54-5#).

Weitere Empfehlungen für Berater:innen sind: Genaues Hinhören (aktives Zuhören), Hinsehen und eine deutliche Aussprache, die Reflexion des eigenen Blickverhaltens so-wie der eigenen Körperhaltung den Klient:innen gegenüber, Sprecherwechsel mit deut-lichen nonverbalen, akustischen, mimischen und gestischen Signalen, Einsatz weiterer Hilfsmittel (wie Chat, Bildschirmfreigabe, Übermittlung von Dateien). Darüber hinaus kann im Video-Setting grundsätzlich wie im Face-to-Face-Setting gearbeitet werden (vgl.

Wenzel/Jaschko/Engelhardt 2020, S. 61; Kühne/Hintenberger 2020, S. 39).

Zum besseren Überblick wird im Folgenden eine Differenzierung in die Themen:

1. Technik/Medien/externe Hilfsmittel (Tools) 2. Psychohygiene/Kognitive Entlastung 3. Qualifizierung/Qualitätssicherung vorgenommen.

1. Technik/Medien/externe Hilfsmittel (Tools):

- Klient:innen benötigen Information die Technik betreffend: bzw. Bildausschnitt, mögliche technische Probleme wie Verzögerungen, Abbruch der Verbindung (siehe Notfallkommunikation)

- Stabiles und schnelles Internet, sowie technisches Verständnis und geeignete Hardware (PC oder Tablet geeigneter als Smartphone) auch bei Klient:innen (I3,

#00:37:20-0#).

- Gute Sichtbarkeit/Ausleuchtung sowohl bei Beratenden als auch bei Klient:innen zur besseren Erfassung des emotionalen Ausdrucks/nonverbaler Signale (I3,

#00:20:15-9#). Beratende sollten „einfach ein bisschen was in/investieren“ (I5,

#00:20:35-2#) und bspw. einen zweiten Bildschirm, eine Beleuchtungsanlage, eine externe Kamera und ein Richtmikrophon einsetzen.

- Je nach Beratungsthema bzw. Zielgruppe und beabsichtigten Interventionen/Me-thoden das Video-Setting flexibel nutzen, bspw. Kameraeinstellungen so erwei-tern, dass der gesamte Körper zu sehen ist, auch in Bewegung (I6, #00:04:51-2#).

137 - Einrichtung eines Beratungsraumes in der Beratungsstelle mit installierter

Tech-nik, um permanentes Auf- und Abbauen zu vermeiden (I6, #00:58:11-6#).

2. Psychohygiene/kognitive Entlastung

- Wenn möglich, das Kontrollbild ausschalten (siehe hierzu Kapitel 6.2. und 6.3.2.

vorliegender Arbeit) um die kognitive Belastung durch permanente Selbstbe-obachtung zu verringern (I5, #00:31:08-1#).

- Da im Online-Setting die Zeiträume/Pausen zwischen den Beratungsterminen nicht wie im Face-to-Face-Setting durch Anfahrtswege, sowie Ankommens- und Verabschiedungssituationen vorgegeben sind, empfindet ein Experte das Zeit-management als herausfordernd und gibt folgende Empfehlung zum „Ausleiten“

der Beratung: In der letzten Viertelstunde einer Beratungssequenz schalten Be-rater:in und Klient:in nach der Verabschiedung Kamera und Mikrofon aus, bleiben aber noch im „Raum“. Die Beratenden sind in dieser Zeit weiterhin ansprechbar, erhalten jedoch die Gelegenheit den Prozess zu reflektieren und/oder sich Noti-zen zu machen. Klient:innen erhalten die Möglichkeit, eventuell noch aufkom-mende Fragen/Gedanken zu äußern. Nach Ablauf der Zeit schalten beide Seiten ab (I3, #00:33:15-0#).

Sowohl Berater:innen als auch Klient:innen sollten sich Pausen nach der Bera-tung nehmen, um aus der Situation herauszukommen und ihre Gedanken zu sor-tieren (I3, #00:32:15-9#).

- Zur Entlastung in besonders emotionalen Situationen und zur Kompensation feh-lender Körperlichkeit wird empfohlen, die Verbindung beizubehalten, jedoch Ka-mera und Mikrofon auszuschalten und bspw. aufzustehen, sich zu bewegen, sich selbst ein Taschentuch zu holen: „vielleicht einfach mal Kamera aus, Mikro aus, aufstehen bisschen rumlaufen, Tempo holen. Also es ist so, wenn ich das Tempo nicht selbst reichen kann, dann zumindest, dass ich sage „komm mach mal eine Pause, schnauf mal durch, geh mal vielleicht kurz an die frische Luft“. Aber eben, damit die Verbindung gewahrt bleibt sage ich ganz klar nicht „wir legen jetzt auf hier an der Stelle und machen eine Pause“, sondern „Kamera aus, Mikro aus“

und trotzdem sind wir noch miteinander verbunden“ (I3, #00:15:03-7#).

- Das Ausschalten der Kamera wird auch in Prozessen vorgeschlagen, in denen es um eine Innenschau/Reflexion der Klient:innen geht: „[…] dass man mal ganz bewusst sagt: Ok, jetzt zu so einem Visualisierungsprozess, Visualisierungsme-thode oder zu einer TRAUMreise oder zu einem Brainstorming oder was auch

138 immer, Zielvisualisierung, kann man mal ganz bewusst die Kamera ausschalten“

(I3, #00:19:03-3#).

- Eine Interviewpartnerin gibt an, Video-Beratungen lieber im Büro als zu Hause durchzuführen, da sie keinen Einblick in ihre Privatsphäre geben möchte:“[…] ir-gendwie fühlt sich das an, als wenn ich die Klienten mit nach Hause hole. Das mag ich nicht so gerne“ (I4, B5, #00:27:08-2#). Dies kann als Handlungsempfeh-lung insofern aufgefasst werden, als dass es eines Raumes speziell zur Durch-führung von Video-Beratung in der Wohnung bedarf, um sich als Berater:in ge-schützt zu fühlen.

- Der permanente Versuch sich gegenseitig anzuschauen, sowie die normaler-weise frontale Sitzposition von Beratenden und Klient:innen im Video-Setting ver-hindert nach Aussage eines Interviewten die Erzeugung innerer Assoziationen.

Berater:innen wird empfohlen, eine versetzte Sitzposition einzunehmen, sowie bspw. ein Bild aufzuhängen. Hierdurch kann der Fokus der Klient:innen von den Beratenden weg in den Raum gelenkt werden. Auch Beratende selbst sollten sich optische „Ausweichmöglichkeiten“ schaffen, in dem sie bspw. über die Ka-mera/den Monitor hinweg schauen, dies jedoch den Klient:innen gegenüber auch kommunizieren um Irritationen zu vermeiden: “ […] wenn wir jetzt ständig auf den Bildschirm schauen dann versperren wir uns diesen projektiven Leinwänden und das ermöglicht, oder verhindert uns, gleichzeitig den Zugang zu unseren inneren Bilderwelten. Und auf der Seite der Professionals verhindert es den Zugang zu den inneren Assoziationen und auch zu den inneren kreativen Anteilen. Deshalb schau ich immer wieder drüber hinweg“ (I5, #00:35:03-5#).

3. Qualifizierung/Qualitätssicherung:

- Um datenschutzrechtliche Vorgaben einzuhalten, innerhalb der spezifischen Kommunikationsbedingungen im Video-Setting Methoden aus der Face-to-Face- Beratung angemessen adaptiert anzuwenden und das beraterische Potenzial vollumfänglich auszuschöpfen, sowie die Skepsis gegenüber dem Medium Video zu überwinden bedarf es nach Ansicht eines Interviewten der Festlegung fachli-cher Standards durch die Berufsverbände, sowie Aus- und Weiterbildungsange-boten: „Das ist in der Tat etwas, was wir seit einem Jahr beobachten, dass durch die Corona-Pandemie es hier einen ENORMEN Wildwuchs gibt von Leuten/und das ist ja auch/beim Datenschutz merkt man es eh auch. Wenn man heute goo-gelt, wer in Österreich Psychotherapie über Skype anbietet, […] es ist wirklich ein

139 Wildwuchs sondergleichen“ (I1, #00:27:30-3#). „Und das ist etwas, wo aus mei-nem Dafürhalten die Berufsverbände EXTREM ausgelassen haben bisher. Von fachlichen Standards. Weil inzwischen ja auch seit einem Jahr unter Online-Be-ratung auch fast DAS HIER verstanden wird, also so ein Video-Konferenzsystem, aber es ja ein viel breiteres Feld ist, was dementsprechend auch methodisch dif-ferenziert aufbereitet werden kann für die Praxis. Und ich will ja nicht ausschlie-ßen, dass man mit Bauchgefühl richtig liegen kann, wenn Leute TALENT haben für etwas, aber es vergibt natürlich viele Chancen mit dem was noch möglich wäre in dem Format, oder was eben NICHT passieren SOLLTE in dem Format“ (I1,

#00:28:07-8#).

- Des Weiteren könnten Aus- und Weiterbildung, sowie verbindlich durch die Ver-bände formulierte fachliche Standards u.U. den Weg zu einer Übernahme der Kosten in Video-Beratung und -Therapie durch die Krankenkassen ebnen: „Dass man sagt: „Wir setzen uns dafür ein, dass DIESE Beratungsleistung kassenfinan-ziert GENAUSO abzurechnen ist, wie Face-to-Face in der Praxis, wenn das und das GEGEBEN ist“ (I1, #00:31:35-7#). Wenzel sieht hinsichtlich der „Finanzie-rung und Zuständigkeit von Beratung mittels Elektronischer Medien” (Wenzel 2015, S. 48) Verbände und Politik gefordert (ebd., S. 48).