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Nur kurzfristiger oder struktureller Einbruch der Finanzierungsbasis?

Im Dokument REFORMOPTIONEN IM GESUNDHEITSWESEN (Seite 21-26)

Ohne die fiskalischen Effekte der jüngsten Neuordnungs- bzw.

Reformgesetze würden der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) schon im Jahre 1997 wieder Budgetdefizite und damit stei-gende Beitragssätze drohen. Dabei scheint die GKV momentan weniger an einem exzessiven Ausgabengebaren als an einer not-leidenden Finanzierungsbasis zu kranken. Der nur mäßige An-stieg der beitragspflichtigen Einnahmen vermag nicht einmal mit einer vergleichsweise moderaten Ausgabenentwicklung Schritt zu halten. Diese Finanzierungsprobleme wurzeln einmal in den häu-fig beklagten „Verschiebebahnhöfen", die innerhalb der Teilsy-steme der sozialen Sicherung in den letzten Jahren fast immer zu Lasten der GKV-Einnahmen gingen. Für die abbröckelnde

Finan-zierungsgrundlage der GKV zeichnen aber auch das schwache Wirtschaftswachstum, die hohe Arbeitslosigkeit und die gewan-delten Arbeitsverhältnisse verantwortlich. Diese Einflußfaktoren verhindern eine hinreichende Zunahme der Arbeitsentgelte, die als Grundlohnsumme den zentralen Teil der Beitragsbemes-sungsgrundlage bilden.

Die wirtschaftspolitische Problematik steigender Beitragssätze in der GKV veranschaulicht aus der Perspektive der öffentlichen Ab-gabenentwicklung Abbildung 1. Während die sog. gesamtwirt-schaftliche Steuerquote, d. h. der Anteil des Steueraufkommens am Bruttoinlandsprodukt, in den letzten 40 Jahren praktisch kon-stant blieb, nahm die sog. Sozialabgabenquote im Beobachtungs-zeitraum signifikant zu. Die Sozialabgaben stiegen vor allem von 1965 bis 1976 und von 1990 bis 1995 stärker an als das Brutto-inlandsprodukt. Setzt sich dieser Trend der letzten 30 Jahre künf-tig fort, dann dominieren in absehbarer Zeit innerhalb der öffentli-chen Abgaben die Sozialabgaben in quantitativer Hinsicht die Steuern. Bei allen Einwänden, die sich unter allokativen Aspekten gegen das Ziel der Beitragssatzstabilität vorbringen lassen, ge-winnt dieses Postulat im Licht der öffentlichen Abgabenentwick-lung schon eine gewisse Berechtigung.

Abb. 1: Steuer- und Sozialabgabenquote in der BRD 1950-1995

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Quelle: Zusammengestellt und errechnet aus Statistisches Bundesamt [1989, 1991a, 1991b, 1995, 1996].

Die Wachstumsschwäche der Einnahmenbasis von GKV und von gesetzlicher Rentenversicherung (GRV) deutet Abbildung 2 an.

Danach stagnierte der Anteil der GKV-Beiträge am Bruttoinlands-produkt (BIP) von 1976 bis 1991, was für den entsprechenden Ausgabenanteil der GRV sogar für den Zeitraum von 1974 bis 1993 gilt. In dieser Zeitspanne nahmen jedoch die Beitragssätze von GKV und GRV zu, denn die beitragspflichtigen Einnahmen stiegen schwächer als das BIP. Die im Vergleich zum BIP unter-durchschnittliche Wachstumsrate der Beitragsbemessungsgrund-lage bzw. der Lohnsumme geht nicht zuletzt auf die zunehmende Arbeitslosigkeit zurück, die in Abbildung 2 in dem steigenden Anteil der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zum Ausdruck kommt. Die GKV erhält zwar nicht nur von den unselbständig Be-schäftigten, sondern auch von Selbständigen und sonstig freiwillig Versicherten sowie von Rentnern, Arbeitslosen und anderen Transferempfängern bzw. deren Versicherungsträgern Einnah-men. Die Substitution des Arbeitsentgeltes durch eine andere Bemessungsgrundlage führt jedoch bei - mit Ausnahme des Krankengeldes - unverändertem Leistungsanspruch zumeist zu deutlichen Mindereinnahmen.

Abb. 2: Die Entwicklung der Sozialabgaben in Relation zum BIP nach Sozi-alversicherungsträgern

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Quelle: Zusammengestellt und errechnet aus Statistisches Bundesamt (1989, 1991a, 1991b, 1995, 1996).

Die erwähnte temporäre Konstanz des Anteils der GKV-Ausgaben am BIP stellte sich nicht automatisch im Zuge einer endogenen Entwicklung ein, sondern bildet das Resultat zahlrei-cher diskretionärer staatlizahlrei-cher Eingriffe. Mit Hilfe von sog. Ko-stendämpfungsmaßnahmen bzw. Gesundheitsreformen gelang es - wenn auch jeweils nur für eine kurze Frist-, die Wachstums-rate der GKV-Ausgaben unter die SteigerungsWachstums-rate der beitrags-pflichtigen Einnahmen zu drücken und so die Beitragssätze zeit-weilig zu stabilisieren. Abbildung 3 veranschaulicht diesen Sach-verhalt und deutet zugleich auf die zentralen diskretionären staat-lichen Eingriffe hin:

• das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz vom 27.06.1977

• das Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz vom 22.12.1981

• das Gesundheitsreformgesetz vom 20.12.1988 und

• das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21.12.1992.

Abb. 3: Jährliche Veränderungsraten der Ausgaben der GKV für Gesund-heit 1 l und der beitragspflichtigen Einnahmen (Grundlohnsumme)2>

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1) Ab 1995 wird Berlin-Ost den alten Bundesländern zugeordnet.

2) Ab 1978 geänderte Berechnungsmethode, schränkt Vergleichbarkeit mit vorangehenden Jahren ein.

Quelle: Zusammengestellt und errechnet aus: Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen [1994], Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung [1997] und Bundesministerium für Gesundheit [1997].

Diese sog. Kostendämpfungsmaßnahmen konnten für einen be-achtlichen Zeitraum den Anteil der GKV-Ausgaben am BIP kon-stant halten, aber wegen der schwachen Einnahmenentwicklung einen Anstieg der Beitragssätze nicht verhindern. Setzt sich die-ser Trend künftig fort, daß die Beitragsbemessungsgrundlage im Wachstum nicht mit dem BIP Schritt zu halten vermag, steht die GKV vor folgendem Dilemma: Entweder orientieren sich ihre Aus-gaben am Wachstum des BIP bei dann zwangsläufig steigenden Beitragssätzen, oder die Beitragssätze bleiben stabil. Dies setzt aber voraus, daß die GKV-Ausgaben schwächer zunehmen als das BIP. Die erste Alternative führt offensichtlich bei den Arbeit-gebern zu einer Erhöhung der Lohnnebenkosten und bei den Ar-beitnehmern zu einer Verminderung ihres verfügbaren Einkom-mens. Die zweite Alternative engt vor allem bei einer wenig pro-sperierenden Wirtschaftsentwicklung, die schon mit einem be-scheidenen Wachstum des realen BIP einhergeht, den Finanzie-rungsspielraum der GKV stark ein. Dieser dürfte dann rebus sie stantibus, d. h. ohne neue Reformmaßnahmen, kaum ausreichen, um künftig die zentralen ausgabenseitigen Herausforderungen, wie z. 8. den medizinischen Fortschritt und den demographischen Wandel, finanziell zu bewältigen.

Angesichts der skizzierten Entwicklungstrends steht zu befürch-ten, daß die Wachstumsschwäche der GKV-Einnahmenbasis nicht nur kurzfristiger Natur ist, sondern strukturell bedingt zumin-dest auf mittlere Frist anhält. Die Globalisierung der Wirtschaft und die Öffnung der osteuropäischen Staaten, die über relativ wenig Kapital, aber reichlich Arbeitskräfte verfügen, haben die Knappheitsverhältnisse zwischen den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital nachhaltig zuungunsten der Arbeitskraft verschoben.

Die daraus resultierenden Preis- bzw. Lohn- und Mengenwirkun-gen beeinträchtiMengenwirkun-gen umlagefinanzierte Versicherungssysteme, die sich primär auf die Arbeitsentgelte stützen, weitaus stärker als kapitalgedeckte Versicherungen. Zudem erodiert die Beitragsbe-messungsgrundlage von GKV und GRV durch die zunehmende Auflösung der bisher üblichen Arbeitsverhältnisse, denn an die Stelle von dauerhafter Vollzeitarbeit treten befristete und/oder ge-ringfügige Beschäftigungsverhältnisse, Teilzeitarbeit und (Schein-) Selbständigkeit. Insofern erscheint es unwahrscheinlich, daß die GKV auf mittlere Frist das in § 71 SGBV verankerte Postulat der Beitragssatzstabilität ohne weitere Reformschritte auf der Ein-nahmen- und/oder Ausgabenseite zu verwirklichen vermag.

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