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1 Der ,conte'

3 Die ,wahre Geschichte'

3.3 Nouvelle historique

Die etymologische Bedeutung von anecdote - ,das nicht Herausgegebe-ne' - bildet 7Ugleich die Grundlage der historischen Novelle in ihrer klas-sischen Konzeption, wie sie durch Madame de Lafayettes La Przncesse de A/ontpenszer (1662) oder Saint- Reals Dom Carlos (1672) verkörpert wird:

Historische Ereignisse werden durch Liebesbeziehungen zwischen den Mächtigen motiviert, die die Autoren aus angeblichen geheimen Doku-menten entnommen zu haben behaupten.9} In der historischen Novelle der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nehmen, wie Godenne an hand eines Vergleichs zwischen den Nouvelles histonques von Baculard d'Arnaud (1774-1783) und historischen Novellen um 1700 gezeigt hat, die galanten Szenen einen geringeren Raum ein, wie auch insgesamt die Länge der Texte und die Komplexität der Intrige reduziert sind.94

Die größere Sorgfalt, mit der die Autoren die historischen Fakten be-handeln, manifestiert sich u. a. in erläuternden Fußnoten oder Erklärun-gen im Text selbst, die, wie aus dem oben dargestellten Beispiel von La Sorciere de Verbene hervorging, die Texte häufig als eine inhomogene Verbindung \ on objektivem Tatsachenbericht und romanhafter Darstel-lung erschelllen lassen.

Gleichzeitig legen die Autoren das Interesse mehr und mehr auf die

., B.1701. \ouvclle, parzslcnne" Bd. I, S. 39.

n Lbd., S 37

., /iwam de la naut'cllc /ranr;alSc aux XV//' Cl XV/JI' sleclcs, S. 95.

.. Lbd., S 206.

EinmalIgkcit der dargcstcllten gcschichtlichcn Situation. Der historische HlIltergrund dicnt nIcht mchr nur, durch dic Erinnerung an ruhmreiche Taten und hcroischc Aktioncn, der Evokation einer Illustren Vergangen-heit und damit der Anhebung dcs Prestiges der Gattung, sondern stellt durch seinc U nwiedcrholbarkcit cincn außergewöhnlichen Augenblick berclt, dessen literanscher Darstellung einc große Zukunft in der Gat-tung Novellc beschieden seIn WIrd.

I'lne Novcllc von Madame de Genlis soll zeigen, wie die Berufung auf eine historische Materie Grundregeln der moralischen Novelle außer Kraft setzcn kann. Der I'all von Mademoiselle de Clermont95 ist um so intcrcssanter, als die Autorin, cine erklarte Feindin sowohl der Aufklä-rung als auch der Romantik, jcdcn attackIerte, der nIcht ihrc religiösen, aristokratischen und monarchistischen Werte teilte und sich auf literari-schcm Gebict gegen jede Form von Innovation aussprach.96 Dennoch entwickelte sie als Erlählerin durch ihrc Dctailschilderungen haufig eine erstaunliche Suggestionskraft, dic ihr schon von George Sand attestlert wurde.97 Der didaktische Eifer, mIt dem sic ihre Ansätze schriftstelleri-scher Onglnaiitit zumeIst Im KeIm zu ersticken pflegt, ruckt in M'lde-mOlSelle de Clermont, dank der besonderen Voraussetzungen des histori-schen SUJets, immcr mchr in den Hintergrund und macht gegcn Ende dcr Novcllc eincr bemcrkcnswcrtcn Inszenierung dcs Augenblicks Platz.

Dic Novclle handelt von dcr Liebe ZWIschen ciner jungen Dame aus dem Haus Bourbon Conde, Mlle dc Clermont, und dem Duc dc ~lelun, dem letzten Sproß ellles zwar illustren, jcdoch nicht königlichen Ge-schlechts. Es werden die üblichen Stadien einer heimlichen Liebes-gcschichte durchlaufen, von den crsten versteckten Gunstbezeugungen

.. J', ISI die eimige unler Ihren Novcllen, dIe gleich In ZWCI modcrnen Ausg.lhen 7upn~

lieh ISI (hg. von l:I. Dldlcr. Pam 1977, und hg. von C. Gcngembre. Paris I':J':J4l. Dldler bC/elcllllcl die Novclle als "Ie lexle Ic plus p.lrbncmcnl .Iehnt' de WUIC (C((C n:U\'fe s .Ibondanle". als "bc.lu reeil d.lssiquc" und "sem.lhlc pc!t!c muslque de nun" (). IS. 25 und 33) .

.. \).1, ncg.l!Ive Uned uber Ihrc Werkc IsI Il.lultg vcrmischl ml! Anup,l!hl" ~q;cn dIe Auw -nn (vgl. A, M. Llbonk { 'O:uen' dc H,ld,UIlC de C;cn/z,. P.lnS 1 %6. '> D ,I) Fm Bel splcl tur eine besonders bös.lrug Bcul!cdung findcI 111.ln bCI I:nn.lnd BlldcnspL'q~cr m {.e JfOU'llCmcnt dc, dce, d,w, 1',:mly,r,lllOn Ir,wI'I/'" (/789 /.1'/5/. Bd I. :-.JC\\ Y"rk I96S

I Pans 19241 Dll' Ml11e dc Gcnlts gcwldml'lcn ~cncn sehlicl\cn mll dcn \\'<'rlcn. "FI 1\>11 se prend .1 rcgrcltcr q u 't'n 1791. cn p.lrt,lncc f",ur I' Anglctl·!TC. l'inl'H nglbk' clns .1Ilicu Sl' n'ait 1'.1S etc Jl'tec. S.lns clllrc ni l'.1pll .... d.lm un l.lchot rcs"lutionn.lire. d'c,u c1iL' .IUI,lit pu ern' eXlI.llll' pour ll1l'nrc ~on Incontl'\Lü .. dl' VOI....1t 11.)11

rt' ...

b~cJglqul' ,lU SCf\H.:C' des pr", S.llltl'S rl('lC"nCs d'emclglll'ml'nt ct d·org.lIlis.l!lLlIl Sl'o\.lire de b h.ln(e n'lu,dk"

(S, 242) Ihs !1.lehstl' I\:.lPltel heginnt Illt! deI tlll't'HIS(hen Fr.lgl'· "F.d\.lIt tl une plullle 1l).lsndllll' POU! Ictf.lrl'l plus vigollleuscllll'nt les lontllls SUSt'lIes P,H 1'c'1llIgr.ltil,n)"

(S.242)

uber die verschiedenen Phasen der Eroberung bis zum Liebesgeständnis.

Es folgen mehrere vergebliche Versuche des Paares, sich zu trennen, be-vor sie schließlich mit einer heimlichen Eheschließung ihre Liebe besie-geln. Ihr Gillck ist von kurzer Dauer. Bereits wenige Tage später erliegt der Herzog den Folgen eines Jagdunfalls, ohne daß Mlle de Clermont-die auf die Etikette Rllcksicht nehmen muß und just in den Stunden, in denen ihr Mann im Sterben liegt, bei dem zu Gast weilenden König die Honneurs machen muß - ihn noch einmal sehen kann.

Der Anfang der Novelle kündigt die Darstellung einer starken Lei-denschaft an. In Umkehrung eines der Empfindsamkeit lieben Klischees, daß die Liebe nicht in den Palästen, sondern in der einfachen Hütte am mächtigsten sei, verspricht die Erzählerin:

Non, guoi gu'en disent les amants et les poetes, ce n'est point loin des cites fastu -cu ses, ce n'est point dans la solitude et sous le chaume gue I'amour regne avec le plus d'emplre. 11 aime I'eclat et le brult, il s'exalte de tout ce gui satisfait I'ambition, le louange, la pompe et la grandeur. C'est au milieu des passions fac-tiees produites par I'orgueil et par I'imagination, c'est dans les palais, c'est entou-re des plus brillantes illusions de la vie, gu'il nah avec violence."'

Der Ort des Geschehens - Chantilly - ist der romaneske Ort schlecht-hin. Er ist so beschaffen, daß jedes menschliche Naturell dort Anregun-gen erfährt:

Chantilly est le plus beau lieu de la nature; il offre

a

la fois tout ce gu'une ame sensible peut almer de champctre et de solitaire. L'ambitieux y voit partout l'empre1l1te de la grandeur; le guerrier s'y rappelle les exploits d'un heros. Oll peut-on micux rcver

a

la glOlrc gue dans Ics bosguets de Chantilly? Le sage

y

trouve des reduits retircs et paisibles, et I'amant s'y peut cgarcr dans une vastc foret ou dans I'ile d'Amour.""

Der Geltungssllchtige kommt dort ebenso auf seine Kosten wie die emp-findsame Seele, der Ehrgeizige, der Weise und der Liebende. Worin die

Y! "son ima~inat1lln est res tee fraiche sous les glaces de l'äge, et dans les detaIls, elle est sentablement artiste et porte "(G. Sand, Histolre de ma vie, zit. nacb P. Brown' ,,,La I-emmc enselgnante'; Madame de Genlts and the moral and didactic tale III France", Bulletzn of the John R)lands Unzvcrszty Llbrar)' of Jfanchester 76, no. 3 [1994), S 28).

Welchen Rang I\.1.1dame de Genlts als Schriftstellerin genog, zeigt die Tatsache, daß sIe In der Zeit 7wischen 1770 und 1815 die melstubersetzte franzosische Autorelll in Deutsch land war. Die Anzahl der Übersetzungen ihrer Werke ubertraf selbst Arnaud, Flonan, Marmontd und Beaumarchais bei wettern (R. Nohr: "Die deutsch-franzoSlSche ,Uber-sctzungsmanufaktur'. Daten ellles IIlterkulturellen Transfers 1770-1815", in: Landes-kunde urld Kultur<nsscnschaft zn der Romanzstlk. Theoneansatzc, UnterrIchtsmodelle, lomhungspcnpektlven, hg. von H.-]. Lusebrink und D. Roseberg, Tüblllgen 1995, S. 132).

.. .Hademo"l'ile de Clermont, hg. von B. Didler, S. 35 . .,., Ebd, S 39.

Schönheit dieses Ortes besteht, wird nicht beschrieben. Der Autorin kommt es einzig und allein auf seine seelisch-moralische Wirkung an, An einem solch perfektem Ort wie Chantilly hat selbst eine junge Frau vom Rang einer Mlle de Clermont gar keine andere Wahl, als sich verfuhren zu lassen. Die Erzahlerin analysiert genauestens die Auswirkungen des gesellschaftlichen Lebens, das die Heidin zu führen verpflichtet ist:

Il est difficde de se defendre de l'emotlOn qu'insp,re si naturellement la premiere vue de ce seJour SI enchante: Mlle de Clermont I'eprouva; elle sentit au fond de son creur des mouvements d'autant plus dangereux qu'ils etaient nouveaux pour elle. Le plalslr secrct de fixer sur soi tous les regards et d'exciter I'admiration de la soclete la plus brillante [ ... ); le doux poison de la louange, si bien pn:pare la' des louanges qui ne sont offenes qu'avec un tour deltcat et neuf, et qui sont toujours SI Imprevues et SI eonelses qu'on n'a le temps III de s'armer contre elles ni de les repousser; des louanges que le respeet et le bon gout preserivent de ne donner )amais qu'indireetement (eh! comment refuser eelles-Ia?): que de seductlons reu-nies! Est-il possible, a vingt ans, de se defendre de I'espeee d'enivrement qu'elles doivent inspirer?'OO

Nun aber verliebt sich die Heidin nicht in einen galanten Schmeichler, sondern in einen krassen Außenseiter der höfischen Gesellschaft. Wah-rend der Romanlesungen, die sie allabendlich veranstaltet, fällt ihr ein Mann auf, der sich durch sein beharrliches Schweigen und seine kühle, betrübte Miene von den anderen abhebt.

Der Beginn der Liebesgeschichte bewegt sich in den gewohnten Bah-nen tugendhafter Empfindsamkeit: Meluns kritischer Blick bewegt Mlle de Clermont dazu, anstelle von Romanen Geschichtswerke vorzulesen, obwohl dies allgemeines Gahnen hervorruft; sie freundet Sich mit Me-luns Schwester an, deren euphemistische Beschreibung' 1 unsch\\ er ver-hullt, dag sie eine senile alte Jungfer iSt; Sie glaubt allen Ernstes, daß Sie 5ich von Melun nIcht wegen seines Augeren und auch mcht wegen selller Galanterie angelogen fuhlt, sondern einzig und allelll wegen selller Strenge, Vernunft und Charakterfestigkeit.

Von dem Augenblick an jedoch, wo das ,weH stattfindet, verlaßt die Novelle ihre moraliSierenden Bahnen. '!2 Der Grund dafür ist 111 dem ho

lllU I· bJ. , 5 39f

ICI "L a marquise n'et,lIt plus dl' 1.1 premiere jl'unl'sse, et elle avaI[ plus de 111~Il[C que d'agrell1el1[s" (ebd., ~. 46); "elle ,wait un dc.'sagrrment qUl re nd e,trcmemcIH Il1sipidt' dam b SOClete: (elul de sc repctcr et de I even,r conllnuellemel1[ sur I", mcmt'S Idees", .e1lc aval( a"ce IUI [Melun], d,lIl; le l11onde, un ton I.Uig,ll1l, de per'lfbgc, qu 'elle qum,lll rarel11el1l, et qu'elle prell,llt SUrlout qu,lnd eile voubit pLlIre Llle pLll,ant,llt ',lllS (esse, aVel plus dl' l11onownle que de fInesse, ,ur ',1 Inlldeul et sur S,l d"tl,l((",n,"

10' Amtelle eines IU erwartenden ,1V1'lI lindl't IUll,ldlS! ellll' l11or,lII"he l.ektilln ,I.U! I, Mlle dt' Clerl110nl 11111 Melun, In Anwesenheit seina "ehwe,!er, ,nd der ,l'l'bcsll1sd'

neben einer Skulp!ur 1111( dt'lll lüel "Ll ded,lr,uion" \11:1, wird ihr ""1 l'1I1l'111 Unhe

hen Stand der Personen, Insbesondere der Heidin, zu suchen. Durch ihre Stellung genießt Mlie de Clermont das Privileg, Initiative ergreifen zu konnen, wo andere Frauen abwartend ausharren müssen:

En amnie ainsl qu'en amour, les princesses sont condamnees a faire tüus les pre-miers fraIs. [ ... ] 11 resulte de ces lois trop severcs, inventees par I'orgueil, que la princcsse la plus fiere fait souvent des demarchcs et des avances quc tres peu de femmcs d'un rang inferieur oseraient se permettre.'OJ

Zwar beziehen sich diese Bemerkungen auf Mlie de Clermonts Freund-schaft mit der Marquise; der Zusatz "ainsi qu'en amour" impliziert aber, daß sie auch in bezug auf Melun den ersten Schritt tun muß, was für eine Frau ungewohnlich und kühn ist. Der hohe gesellschaftliche Rang der Hcldin verhindert, im Gegensatz zu Madame de Genlis' bürgerlichen Protagonistinnen, den moralischen Fall, der mit der geringsten Konzes-sion an eine gesellschaftlich nicht sanktionierte Liebe verbunden ist.

Madmolselle de Clermont entkommt daher den vorgezeichneten Bahnen der moralischen Novelle.

Hinter dem durch strengste Beachtung der Tugendnorm bestimmten Verhalten der Heidin laßt die Erzahlerin immer wieder verborgene Trieb-federn erkenncn.'14 So läßt sich Mlle de Clermonts Bekehrung vom Ro-man zur Geschichtsschreibung durchaus als eine Form der Koketterie auffassen. Es ist deutlich zu erkennen, daß sie nur deshalb aus einem hi-storischen Werk liest, um Melun zu gefallen:

Je SUIS ennuvee des romans, dit-elle en regardant le duc de Melun [ ... ] On fut chcrcher un lIvre d'histüire que Mlle de Clermont commen<;a avec un air d'applzClltlOn cl d'mteret. 101

Ihr anschließendes Gespräch mit Melun, bei dem sie ihn ausdrücklich darauf hinweist, daß sie sich seine Ratschlage zu Herzen genommen habe, kommentiert die Erzählerin mit dem Satz: "Elle n'avait jamais cprouvc autant de dcsir de plaire". Wenn sie als selbstauferlegte Strafe für

kannten eine Bittschrift übcrrelcht. S,C verspneh!, III dessen Angelegenheit bel ihrem Brudcr vOf!usprechen. Da kurz darauf eIn Ballkleid fur sie ellltnfft, vergiflt sie Ihr Ver-sprechen schnell. Besch,1mt mufl sie feststellen, dafl SIch Melun In der ZWIschenzeit für den Bittsteller eingese!?t hat, um ihr aul diese Art und Welse eine LektIon zu erteilen Als selbstaulerlcgtc Strale bcschlieflt SlC, CIIl ganzes Jahr nicht zu tanzen. DIesmal hält SIe eISern an Ihrem \'ersprcchen fest. Selbst als SIe vom Kömg zum Tanz aufgefordert WIrd (und obwohl sie III Anbetracht der besonderen Umstände von Melun Dispens be·

kommt), schutlt sie einen vcrstauchten Knochel vor, um SIch meht noch eInmal den Vorwurf machen IU lassen, Cln Versprechen nicht IU halten.

I \ lbd" S_ 46.

",. DIes geschIeht bel 1\1adame de Genlis Immer WIeder wie unfreiwillig.

I~ Fbo., S 45 (lIt.'rv K. A.).

einc moralischc Vcrfehlung gelobt, ein Jahr lang nicht zu tanzen und dies ausdrücklich als Opfer und Buße erklärt, dann läßt sich das schlecht mit ihrcr fruhcrcn Behauptung vereinbaren, daß sie den Ball verabscheue.

Und auch die Religion gerat in cin zweifelhaftes Licht, wenn sIe zur Rechtfertigung einer gesellschaftlich nicht abgesegncten Licbe dient. In den Augcn dcr l'rzahlerin ist Mllc de Clermonts Licbe zu Melun legitim vor Gott, aber nicht vor dem Gcsetl: "Dans ce moment, la religion etait pour elle un refugc ct Ja sauvegarde du mepris."I06

Ähnliche Übcrlegungen könnte man in bczug auf Melun anstellen, auch wenn dIeser nicht zur fokalisierenden Figur wIrd. ObgleIch er auf der cinen Seite zum vollkommenen Geliebten hochstilisiert wird, zeigt er Momente der Schwäche, die sich mit dIesem Ideal nicht vercinbarcn las-sen. Kaum hat cr Mlle de Clermont cln Licbcsgcständnis gemacht und ihr Treuc bis zum Grab geschworcn, möchtc cr am licb~tcn allcs wider-rufen: "Je voudrais pouvoir racheter de mon sang un aveu tcmcraire ct coupablc"lv7. Im Gcgcnsatz zu Mllc dc Clcrmont schcint cr sich dcr un -heilvollen Folgen ihrcr Vcrbindung bcwulh zu sein. \Y! ahrcnd die PrIn -zessin den Tag vor ihrer heimlichen Heirat In freudigcr Errcgung und Im Überschwang des Glücks verbringt,I08 erlebt ihn Mclun als leere Zcit Er starrt den ganzen Nachmittag nur auf die Uhr: ,,1.1. de Melun passa toute I'aprcs-dinee dans lc salon, assis

a

l'ccart cn facc d'unc pendule, ct lcs yeux constamment attachcs sur l'aiguillc, ou sur r-.l11e de Clermont."1)9

Was MademOiselle de C!ermont bereits cincr modcrnen o\'clle annä-hert, ist die Zcntricrung auf ein EreIgnis, dcn Jagdunfall Mcluns und sei-nen Tod. Dicse Scquenz ist nicht als Bestrafung aufzufassen; nicht ihre moralische Botschaft ist entscheidend, sondern die Inszcnierung des Au -genblicks. Durch dic Verwendung clIles LeItmotivs "-der beiden Arm-b.1!1der mit dcr Aufschrift Pour toujoun bzw. Jusqll ',w tombc,zu, mit de nen die llebcnden sich gcgenseitlg ,lll dlc Wortc erinnern, die sIe beim avcu ausgesprochen habcn wIrd fruhzcItlg auf dlcses EreIgnis hinge-arbeitet. Dic Vorbereitung dazu bildet dIe heimliche n:ichtliche Hoch -zeIt, dIe von unheihollen VorzeIchen begleitet ist. BeIm G.lng uber den vom Mondschein erleuchteten Hof Illeint Mlle de Clellllont plotzlich,

", !'bJ, 'i. '17

107 ]'hJ, 'i 70.

m "(~ue ceUc jouln~r p.lrul longue:, Cl qU'l'IIe: lut <epend,lnt dcltlll'USl'l11l'nt rl't1lpltcl ']'<,ut IlIl pl""ir dur.lI11 crt e'p,lcl' dc: temp', JU''lU'.lU, u\nlidcnü" 'lu'il I.1l1ut f.lIrc" (cbd ..

S '16)

10'1 Ibd.,~, 96.

110 1.l'I[n\(\[IVl' linden ,ich 'chI h,llI11g in dell No,dlen 'on lnlL' dc Cenl" (; B In I C.'

!!('UYI jUl/cr'!/Ic\ odl'1 ,bllJ/(t cl \oplnolllt', l"'ltll' .HIS dl'n .VO//!'CdU\ ,,,nln '/wr.:u.\ <'I lIouvcl/C\ ImIOlIl/u{'\ von 1 H06), ZUI \l'I\\l't1dung H\n ll'itnH\tl\l'll' U" S 2';6ff

von hinten ergriffen zu werden. Sie war aber nur mit dem Saum ihres Kleides am Sockel eines Denkmals hängengeblieben, das ihren berühm-ten Vorfahren, den großen Conde, darstellt. Einen Augenblick lang ficht sie eInen inneren Kampf zwischen der Verpflichtung gegenüber ihrer Fa-milIe und ihrer Liebe zu Melun aus; er verflüchtigt sich aber, sobald sie die Stimme ihres Geliebten vernimmt.

Die eigentliche Schlußsequenz beginnt damit, daß die Heidin durch ihren Bruder erfährt, daß man um ihre Gefühle für Melun weiß. Daß sie selbst, der Aufforderung ihres Bruders Folge leistend, Melun gebeten hatte, sich nicht in der Nähe ihrer Kutsche blicken zu lassen, rechnet sie sich spater als Verschulden an seinem Tod an. Von dem Augenblick an, als dIe Nachricht von seinem Unfall eintrifft, bis zum Schluß befindet sich dIe Heidin in ständiger U ngewißheit um den Zustand ihres Mannes.

Die Erzählerin versteht es gekonnt, Spannungseffekte einzusetzen. 111 Zu den sich ständig abwechselnden Meldungen über Meluns

Verletzungen-"blesse", "grievement blesse

a

la tcte", "Ies blessures [ ... ] etaient affreu-ses et paraissent mortelles" - kommt hinzu, daß die Protagonistin noch mehrere Stunden lang kreuz und quer durch den Wald gefahren wird, um nicht vor dem König erscheinen zu mussen. Beim Eintreffen im Schloß signalisiert die Totenglocke die Spendung der Sterbesakramente. Von da an steigt die Hoffnung wieder, wenn auch die Anspielung von Mlle de Clermonts Bruder, daß Melun wieder gesund werden könnte, eher als Warnung vor den Folgen der heimlichen Vermählung zu verstehen ist denn als tröstende Zuwendung. Von "Il n'est pas

a

l'extremite" tiber

"Vous pouvez tout esperer" und "la marquise, ainsi qu'elle, croyait M. de Melun hors de danger" bis zu der Bestätigung dieser guten Nachrichten ftihrt eIne aufsteigende Linie, die aber von den Vorahnungen der Heidin wieder unaufhaltsam abwarts gelenkt wird: "cependant elle ne trouva plus au fond de son ca:ur la vive esperance et la joie qu'elle avait ressen-ti es peu d'heures auparavant."112 Daß der Arzt Melun absolute Ruhe ver-ordnet hat, erscheint ihr nicht mehr als reine Vorsichtsmaßnahme, son-dern verwirrt sIe. Der plötzliche Gedanke während des Balls, daß sich der Zustand ihres Mannes vielleicht in eben diesem Moment verschlech-tern konnte, wird ihr zur Vorahnung, um so mehr, als sie daran denkt, daß niemand die Feierlichkeiten durch eine so traurige Nachricht stören würde. In angstvoller Erwartung durchquert sie ein zweites Mal den llof:

I Siche hicrw Kap. 5 .

. " If,:dcmo/Sc/h' Je C/crmont. S 112.

la nuit, I'heure, le sdence, tout IUI rappela un souvenir dcchirant dans ce mo -ment! ... <<I Was! dn elle, J'ai passe ICI avec le meme mystere il ya huit jours! ...

e

ette nun s'ecoula pour moi dans tous les transports de I'amour et du bon -heur! ... et celle-ci! ... Cette feItcitc ne fut gu'un songe rapide, et cette aurore gui va luire sera peut-etre pour moi le plus affreux reved ... Arretons nous ...

Jouis-selnS encore un instant, sinon de I'espcram.e, du moins de l'IncertJtude, le seul

bien gui me reste! ... 111

Diese Situation spIegelt aber auch eine andere wider, in der die Rollen 7wischen Mlle de Clermont und Melun vertauscht waren. Wa.hrend der Krankheit seiner Geliebten saß Melun Im Garten und konnte nur durch einen Blick durchs Fenster ahnen, was an ihrem Krankenbett vorging:

Diese Situation spIegelt aber auch eine andere wider, in der die Rollen 7wischen Mlle de Clermont und Melun vertauscht waren. Wa.hrend der Krankheit seiner Geliebten saß Melun Im Garten und konnte nur durch einen Blick durchs Fenster ahnen, was an ihrem Krankenbett vorging: