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Bazots TypoLogie der vormodernen NoveLLe

1 Der ,conte'

2 Die moralische Novelle

2.1 Bazots TypoLogie der vormodernen NoveLLe

Wie seine Vorläufer versteht auch Etienne-Franc;:ois Bazot die nouvelle zunächst als eine ,mindere' Gattung, er wertet sie aber auf, indem er selbstbewulh erklärt, der erste zu sein, der den Versuch unternehme, die verschiedenen Vorschriften über die nouvelle in einem "corps de doctri-ne" zusammenzufassen. Als Grund, weshalb bislang niemand eine Poe-tik der Novelle in Angriff genommen habe, vermutet er die Tatsache, daß man bisher davon überzeugt war, daß die Novelle die gleichen Regeln habe wie der Roman.4

Bei Bazat besteht ein klares Bewußtsein dessen, daß die kürzere Nar-rativik, trotz ihrer scheinbaren Anspruchslosigkeit, technisches Können erfordert. Dies geht aus seiner Differenzierung des zweiten Gliedes der klassischen Paarung yon prodesse und dclectare hervor: Er ergänzt plalre durch amuser:

Tout littcratcur qui a la conscicnce de ses honorables fonctions veut instruire, plaire et amuser. L'instruction ne consiste pas seulement dans I'enseignement J'une science ou J'un an quelconque, elle est Jans tout ce qui fait connaitre une chose ignt)ree, non apen;uc, mal vue ou peu sentie. L'art Je plaire Hut qu'on sache dC\"lncr, qu'on flatte et qu'on entretienne le gout des personnes pour les-quelles on ecrit; et le talent J'amuser git dans le soin que I'on apporte

a

~afler ses sujets, dam 1.1 manicre de les traiter et dans 1.1 facilite que I'on met

a

prendre et

a

conserver les tons convenables.'

N,l/re und ,vnuser gehoren zwar eng zusammen und stehen beide in Op-position zu znstrulre, unterscheiden sich aber insofern, als mit der Kunst

7.U geL:dlen die Orientierung olm Publikumsgeschmack gemeint ist, den der Autor treffen muß. Das Talent zu amüsieren dagegen bezieht sich auf die technischen Aspekte des Erzählens: die Variierung der Themen, die Art und Welse, sie zu behandeln, die Wahl des richtigen Tons.

Bazats Klassifizierung der nouvelle umfaßt sieben verschiedene Ty-pen: no/welle galante, nouvelle sentimentale, nouvelle de chevalerze, nou-vcllc-anccdotc, nouvelle critique et lztteralre und nouvelle vlllagco15e ct pastorale. Er definiert sie entweder thematisch oder stilistisch. Immer dann, wenn er zwei oder mehrere No\'ellentypen demselben themati-schen Schwerpunkt zuordnet, differenziert er sie stilistisch voneinander;

nPleln ,k \Tner.H10n pour nos bons autcu!s j'ai e"aye de marcher su! leur trace\, et Ll)nsatr,l!lt mes faIbles mo\el1\ J une chose unle, mais adoptant un genre proportlonn':

a

mes !.l(lrllt·s. 1'.11 sous 1.1 formt d'hlstonettes, frisoles en apparence, donnc de solides Jc.;ons [ .. ]" (Buot, ,'owuc/I,., pawlemlc" Bel. I, ).9).

I bd .. ). 19t Ibd,'" 6.

wenn hIngegen zwei Typen stilistische Merkmale gemeInsam haben, grenzt er sIe thematISch gegeneinander ab.

Bei den nouvelles mit Liebesthematik unterscheidet Ban>t nouvelle galante und nouvelle sentimentale. Die galante Novelle hat Ihm zufolge ihre vorzugllchsten BeIspiele in der Vergangenheit (Boccaccio, Margue-rIte de Navarre, La FontaIne). Die Tatsache, daß die zeitgenössischen Schriftsteller mehr Rucksicht auf dIe "delicatesse" nehmen mußten als ihre Vorgänger vom 14. bIs zum 16. ] ahrhundert, die sogar ein wenig ob-szon sein durften, hindere sie daran, an den früheren Charme dieser Gat-tung heranzureIchen.

Die nouvelle sentzrnentale dagegen ist, wie die Wahl seiner Beispiele zeIgt, eine modernere Gattung (als Vertreter nennt er außer Cervantes Madame de Gomez und Baculard d' Arnaud). SIe unterscheide sich von der nouvelle galante durch ihren tragIschen und pathetischen Ton.

nouvelle galante

Imagination N aturlichkei t

I'einhei t Charme NaiVItät

Liebe

nouvelle sentzmentale

Tragik Pathos

extreme Empfindsamkeit Herz

Dem Themenfeld ,VergangenheIt' ordnet Bazot drei Novellentypen zu:

nouvellc historique, nouvellc de chevderze und nolt'vclh -,mccdotc. \\',lh rend er die historische Novelle mit ihrer Verbindung \ on W.1hrheit und Fiktion als eine gebhrliche, \ er.ll.htenswerte, monstrose Gattung ansieht, ist dIe RitternO\clle fur ihn "le genre le plus brillant" . Als reines Pro dukt deI ImagInation beansprucht sIe keIne historische Authentizitat, sondern kann als el11e Form der evasiven I iteratur gelten. I.,le muG sich daher nicht den Vorwurf gefallen lassen, dIe Geschichte zu \erblschcn wie die nouvcllc Jm,torzquc, welche die hlstollschen T.1ts,lchen .lUS

schmucke und mIt Gemeinpbtzen uberlüufe. BanHs \llrschl.lgc ZUC111er Reform der hIstonsehen Novelle entsprechen unter umgekchrtcn \01

zeIchen selllCf Vorstellung von deI nO//'l)ellc,!necdotc, wclchc seiner r-.lel

[ hd., 'i J6,

[,Iolull ht'leldlllL'[ SCllll' Rlltl'1110'l'11e-HIIOIllf,al-" dic 'Oll B,I/O[ ,li, Vlllbddlllhcs Bt'I SpIel dn C,1tlllllg gl'lllhl1ll Wild. ,li, cil1C wcitl'll' \',11 LU"", dn [ ugl' (,\/1"",('1/('" hg, \ "li

R, (;Odl'I1I1l', 1'.11 i, I 'J7-l. S. 4).

nung nach die nouvelle hlstorique ablösen werde, sobald der gute Ge-schmack sich durchgesetzt habe. Auch die nouvelle-anecdote bezieht ih-ren Stoff aus der Geschichte, sie stellt sie aber fakten getreu und unver-falscht dar. Im Gegensatz zu der intrigenreichen Handlung der historischen Novelle beschränkt sie sich auf die Darstellung emer Situa-tion und emes charakteristischen Zuges.

nouvellc de chcvalerie

Imagination Gefühl Natürlichkeit

Einfachheit Naivität Majestät

nouvelle hlstorique nouvelle-anecdote Vergangenheit

Geschichte Verfalschung der

Tatsachen Gut gebaute Intrige

Spannung

Authentizitat Darstellung eines charakteristischen

Zuges Anmut

NOlwclle vlflageOISe und nouvellc pastorale wiederum unterscheiden sich nicht hinsichtlich ihres Stils, der als einzige Inspirationsquelle die Natur haben soll, sondern ihres Themas: das Dorf- bzw. das Hirtenleben.

nouvelle villageozse nouvelle pastorale Einfachheit, Natürlichkeit

Tableaux Anmut, Sanftheit

Dorfleben Hirtenleben

In :ihnlicher Weise werden nouvelle critique und nouvelle lztteralre zu einem Novellentyp zusammengefaßt, der lediglich verschiedenen The-menfeldern zugeordnet ist. Beide weisen einen Stil auf, den man un-sclnver als den des conte ausmachen kann:

le sn le convenable aces sortes de nouvcllcs devait etre leger, coupe, parce qu'il est t~lus vif et plus pressant, et plus cn action selon les circonstances. Une longue penode bien arrondle, bien harmomcuse, bien ronflante peut convemr mieux a I'eloquence,

a

I'histoire ; mais elle me paralt deplacee dans un tableau OU wut doit frapper, etre de situation, OU souvcnt un mot est un trait, OU chaque tralt est un coup de fouet dcstine

a

detruire un viel' ou

a

eorriger un travers.s

Buot. VOI<t"c/lcs pamlcnncs, Bd I, S. 44

Ihre Konstruktion ist seriell ("une suIte de portraits"); die behandelten Themen sind die der philosophisch-moralischen Erzählung ("Ies

ta-bleaux hideux des vices ou 1.1 peinture comique des ridicules").

nOHvcllc cntiqHeI

rlOHVelle de mceHrs

i

Leichtigkeit Schnelligkeit LebendIgkeit Pointierung

Pragnan7 Satire

nOHvelle liw!raire

GesellschaftlIche Sitten und Unsitten

Kritik von Autoren und lIterarischen Werken Am Schuf~ seines Essai fagt Bazot dIejenigen ~lerkmale zusammen, die für alle Novellentypen gelten:

<,,;>uelgue nouvelle gue I'on ecnve, le SUjet doit en etre sImple et Im. [ ... ] L'intrigue aussl neu\e gue possible, interessante parttcultercment; les incidens doivent etre peu nOlllbreux et toujours vraiselllblables. II est indispensable, ,tprcs les avoir bien lllcdites, de soutenir du debut au denouelllent les earacteres gue I'on Lw ,tgir. Ie style doit etre nature!, beile, pur et correet; il faut gu'il soit prllpre .lUX personna ges et qu 'il ne paralsse )Jlllals deplace, sott par une pOlllpe ndicule, sott p,tr une trivialite quelconque [ ... ]:'

I inheitlichkeIt des '>uJets, NeuigkeIt, \\ahrschelIllichkeIt, Sp,mnungl',

KonsIstenz der hguren, eIn einfacher, natürlicher, ,mittlerer', dcn fIgu-ren angemessener Stil - mIt dIesen Eigenschaften I:1ßt sich Bazots r...on zeption der vormoderne Novelle resümieren.

Obwohl BJ70t keIne Angaben uber den U mbng der Nm elle nucht, Impll71ert seIne Forderung nach elnCl kbr konturIerten, schnörkell05en I landlung elIle gewisse KUI1e, die jedoch nicht Ietcht qu,tntifizierb,tr ist.

Umsieh bei dei Bestimmu ng der maximalen oder mlnin1.1len Ltnge einer Novelle nicht auf absolute Zahlen festlegen zu müssen, konnte m,tn den Umfang als ein weiteres Dlfferenzlerungsmerkm,tl \on Ntnelle ulld Ro man in das R,tster aufnehmen, das I Llns Boll Joh,111sell ,ln Stelle einer DefinitIon der belden Gattungen vOlgeschlagen hat.11 In dieses R,lster

Lbd., S (,0.

" Zur (,klrhsl't/ull~ vnll mll'u'l Illil '>p.lIlIlUllh ' u., 1 .11'. S.2.

" 11 Bnll Jnh.lIlSl'Il: "l{nl11.1n Cl Ilou\dk. Unl' l'l>lllribuIlllll .\ kut lhl'lltll"', In: .lek, d"

51-11/(' (OIlJ:r<\ d('l >01II.lIWI('\ "'''''/I/Ion.,..\, TUI ku 197\ -.;. 47 :'(" lIlld "Une' lhl'\,rtl d,' I.t

tlnuvl'lk Cl '011 .lpl'lll",lliotl .IUX (.1.7101//'/1/('.' 1L.1//(·WI<,' Lll' Sll'ndh.d", R,-V'/' dl' Iztter.1tlln' ((I/II/'ol/('(' SO (1<)7(,), S. 421 412,

kann ein Text in bezug auf die grundlegenden analytischen Kategorien der Erzähltextanalyse (Zeit, Raum, Personen, Kräfte) tendenziell entwe-der als Roman oentwe-der als Novelle eingetragen werden. So könnte etwa ein umfangreicher und daher eher ,romanhafter' Text 111 bezug auf andere Kategorien gleichzeitig der Novelle zugeordnet werden.

Weil die Literaturwissenschaft dazu neigt, quantitativ meßbaren Phä-nomenen gegenuber qualitativen Eigenschaften ein geringeres Gewicht beizumessen, wird dIe Einteilung von Gattungen hinsichtlich ihrer Text-bnge, sei es 111 Seiten, Wörtern oder Zeichen, gerne als schulbuchhafte Ped.1nterie belachelt.lc Da aber die Lange oder vielmehr Kürze fur die Eigenstindigken der Novelle in Abgrenzung zum Roman ein wesent-liches Gattungsmerkmal ist, wollen wir versuchen, eine Größenordnung anzugeben, innerhalb derer sich der ,normale' Umfang der nouvelle zwi-schen 1760 und 1830 bewegt.

Bazots eigene Novellen weisen eine durchschnittbche Seitenzahl von ca. 20 Selten auf; die langste von ihnen umfaßt 35 Seiten. I) Sie fallen damit unter dIe Grenze von 50 Seiten, die David Bryant für die zwischen 1829 und 184 I in französischen ZeItSchriften erschienenen Novellen als maxi-male Länge angibt.14 Ungebhr denselben Umfang - ein paar Dutzend Seiten - setzt Godenne als Obergrenze der kürzeren Form der Novelle fest, die er rccit court nennt." Der ralt court beschränkt sich auf ein Abenteuer, eme Episode, Anekdote oder Erinnerung und steuert gerad-linig, die \vesentlichsten Handlungsmomente auswählend, auf einen dra-matischen Höhepunkt zu. Die nouvelle etendue mit einem Umbng von 50 bis 100 Selten enthält dagegen mehrere, sich stufenweIse entfaltende Ereignisse, dIe auch aus verschiedenen Gesichtspunkten geschildert wer-den konnen." Wie aus Gower-dennes Bibliographie zur französischen No-velle des 19. Jahrhunderts hervorgeht, wird diese Grenze nur noch in Ausnahmefällen überschritten. I" Gegenüber dem 17. und den ersten bei-den Dritteln des 18. Jahrhunderts, als die durchschnittliche La.nge einer

" Vgl die in Amerika verbreitete EInteilung der verschiedenen Formen des epischen

Aus-drucks hinSichtlich Ihrer Lange: Die short short story hat demnach unter 2000 Wörter, die shurt story 2000 bis 30000 Wörter und die novelette 30000 biS 50000 Wörter (nach R. J Kilchcnmann: Dzc Kurzgeschzchte, Sturtgart u. a. '1971, S. 10).

, Diöen Ang.lben liegt die oben definierte Standardseite zugrunde (s.o., S. 9).

, Bn'ant, ,hort /zctlOn .md the press In France, 1829-1841, S. 12.

Godenne, .. La nouvelle fran,alse", S 105.

Ebd .. '>. 10M. - Die beiden von Godenne beschnebenen Tvpen werden von A. G Eng-strom "short storv" bzw. "novc!ette" genannt ("The formal short storY in France and Its devclopment bdore 1850", \tudzes In Phzlology 42 [1945], S. 627-639).

In emem anderen Zusammenhang gibt Godenne die Anzahl von 50 Selten als ,Demar-katIOnslinie' zwischen den Novellen und den Romanen Alexandre Dumas' an ("Les tex-tö courts d'Alexandre Dumas", Franc%nza 17,32 [1997], S. 116).

nOltvelle 200 bis 400 Seiten betrug,18 hat sich also auf jeden Fall ein neuer Standard etablIert, wobei die wesentliche Phase der Verkurzung zwi-schen 1770 und 1800 anzusetzen ist. 19

Auf der Grundlage der Novellentheorie Bazots und unserer eigenen Beobachtungen an den Texten selbst konnen wIr nun folgende heuristi-sche MinimaldefinitIon der vormodernen Novelle formulieren: Die vor-moderne Novelle Ist eme Prosaerzdhlung Im Umfang von bis zu 100 Sei-ten, dlc m mlmctzsch-illuslOnlstischer Erzahlueise nach emer knapp berichteten Vorgeschichte und/oder emer RahmenerzählunglC einen ein-zigen Handlungsstrang aufbaut, entWickelt und zu Ende fuhrt. Diese DefinitIon schließt die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts gepflegte Verserzählungll ebenso aus wie die lange Novelle mit über 100 Selten.

Sind fur die Begrenzung der Seitenzahl nach oben vornehmlich pragma-tische Grunde ausschlaggebend, hat Reinhard Lüthjes Untersuchung zur franzoslschen Verserzählung ausreichend Argumente geliefert, die Vers-novelle wegen ihrer Fixierung auf La Fontaine und ihrer von der Prosa-erzählung weitgehend unabhängigen Entwicklung als eine eigene Gat-tung zu behandeln."

2.2

Ehethematik

Die Frzahlmuster der Ehethematik

Der Marquis d' Argens hatte Ln seinem Discour5 sur Ics nOU'1)cllcs (1739) das EhehinderniS zu einem konstituierenden Merkmal der Gattung No-velle erklart:

Siehe Bryant, \hort [/(I/on ,'i. <) Dabei ist 7U bcruebIChtigl"l1, ,bG die n"m'dle des 17. Jahr hunderts Im 'imne von pellt rom,m lU verstehen ist

") Marttn 7ufolge ist /wISchen 1700 und 1799 der Ame" der 1· rz.lhlun~en umL" ~ 1 '>eltt: ~ in den 80er und 90er Jahren, In denen 60,.10% dlesL'r '1'""te erscheinen, arn h,'c~stLl ("l'rclIl1llnary st.ltisties. ", 'i 243) M,HtlnS bis auf die lwelte '>tdk n.lch dem Komm.l errechneten Pro/eIH,lngaben verschleiern die I .. T. bctl.iLhtllLhen l,lIlgL'nulHerschlL'de.

die durch Fornut und Druckb"d bedingt Sind. Ftner Frz,lhlung wie I' !Jed,'ums 1(<111<'

d,. HOl/logt/c, 01/ /,"~C(lmmlltl/C,rt/(m, nOllvcll,. hBtoru/",f, dlL' in der Aus~.lbe \\"1 lS24 111 'ielten umlagt, entsprechen, ulllt;Cfechnet .lUf dlc ,'>t.lnd.Hd"'ltc' von 1600 Zeichen pro 'ieile (s, 0., 'i 17), lediglich 17 <'ellen.

'0 [)IC lur dl( Novelle seit Ihren Ursprunt;en sO \\ iehtlt;" R,lI11l1enL'17.1hlllnt; Wird ,ln sp,lle rcr Stelle (<'.26111 ) IIll !:usolllllllenh.lnt; mit ubCI"ll,lturlirhen und ph.llH,lStisrhen l'hemen hcll.lndelt, wo \le ,'IIlC bcsolldl'll' RolIl' spiL'lt

, 'ilchl' ,he Blbhot;1.1phle bei R.J. luthjl" [)Il'ji"lfIZOW,!J1' \ 'n"'1z.rhhmg !loH)' I" l(>rII,1l

ne, DIS,. 11,llllbu I g 197<)

" N.leh I lIth)l' voll/lcht ,he Vl'IScl/:ihlunt; ,h,' ['.nt\\ ieklllngen ,b Pfl",lL'rz"hllln~ zur mmblll'n Novl'lhstlk mdn mit (f)/l'jl,lIIzfI.l/>chc \('r."'lz"h"/fI.~ ,'>. <)<)).

[ e mor nouvelle signifie en norre langue le recit ingenieux d'une aventure agrca-blc er inrriguee, dont le fonds ordmalre est un amour traverse par des acodents lmprcvus, gui excirent et entrctiennent la curiositc du lectcur jusgu'au dcnoue-mentn

In der zweiten Jahrhunderthälfte freilich ist die Beliebtheit dieser The-matik nicht mehr allein durch ihre romanesken Möglichkeiten bedingt, sondern sie bekommt einen neuen Stellenwert im Rahmen der Thema-tisierung der conditions, die von den Theoretikern des drame bourgeoIs zum neuen Terrain literarischer Darstellung erhoben werden.

Während sich im zeitgenössischen Drama die zunehmende Freiheit bei der W,lhl des Ehepartners vor allem in bürgerlichen Familien24 in ei-ner Entschärfung der Heiratskonflikte und eiei-ner weniger kategorischen Darstellung des Gegensatzes zwischen Eltern und Kindern widerspie-gelt, kann in der moralischen Novelle keineswegs von einem Rückgang der elterlichen Entscheidungsgewalt die Rede sein.21 Wenn auch die Lö-sungen des Konflikts die Standeshierarchie in der grogen Mehrheit nicht in Frage stellen, sondern bestätigen, ist doch die Insistenz, mit der das Thema behandelt wird, be7eichnend und kann als Indiz für eine beste-hende gesellschaftliche Problematik angesehen werden.

Das Handlungsmuster des Ehehindernisses ist so alt wie die Ursprün-ge des Romans. Eingeführt durch Heliodors ÄthIOpische Geschichten, stellt es dem Fundus des europäischen Romans ein Verlaufsmodell 7ur Verfügung, das in der Regel folgende Elemente entha.lt: die unbekannte Herkunft zweier Liebenden, ihre außergewöhnliche Schönheit und Keuschheit, ihre unerwartete Begegnung, gewöhnlich bei einem Fest, das plötzliche Aufflackern der Leidenschaft, die wie ein unaba.nderliches Fa-tum oder eine unheilbare Krankheit dargestellt wird, die Verzögerung der Hochzeit, die Trennung der Liebenden und ihr abschließendes Wie-derfinden. Letztere beiden Stationen konnen mehrfach wiederholt wer-den, wobei durch Entführungen, Schiffbrüche, Piratenüberfälle, Gefan-genschaft, Sklaverei, Krieg, irrtümlicher Tod, Verkleidung usw. für eine

I~ülle an Variationsmöglichkeiten gesorgt ist.26

" l.ecturcs ,unus.1nles, ou /es dc/assemcnts de /'esprzl, avec un discours sur /es nouvc//es, La I fayc, 1739, I, 7It. nach Nouve//es [ran,aues du XVIII" Siede, hg. von Jacquehne Hellegouarc'h, Bd I, Pans: I GI 1994, S, 9. (Herv. K. A,)

" Slchc hierlu Z B, G Sn ,der" Die große 'X/ende zn der Padagogik. Die Entdeckung des

Kl1ldcs und die Rc'vo/ullOn dcr ErZiehung Im 17 und 18 Jahrhundert zn frankreich, P,lderbolll 1971,S 227-253.

" 1 Bmu.ud Arends, die gcnau d,c;c Enrwlcklung aufzeigt, stellt fesr: ,,11 n'en esr pas

wu-Jours de mrme dans I'unlvcr, romanesquc" ("Le Manage dans Ja Imerature franc;aisc du d,x-hult,cme Slcde: Revolution famdiale er evolution sociale", Studles on Vo/calrc and the lzghtccnth Ccntury 305 [1992], S. 1707),

" N,lCh 1\1. B.ldltln: Formen der Zellirn Roman, Frankfurt a, M. 1989, S, 11.

Seinen Eingang in die Novelle findet dieser Stoff im Decameron, des -sen funfter Tag Geschichten von Liebenden gewidmet ist, "die nach Un-gemach und Kummernis Gluckseligkelt gefunden haben" 17 Die Ver-wandtschaft zum griechischen Roman ist deutlich, denn fast alle Novellen dieses Tages sind gleichzeitig Abenteuergeschichten, welche ihre Protagonisten auf ausgedehnte, ereignisreiche Reisen uber Land und Sec schicken.

Von dem reichhaltigen Arsenal des hellenistischen Romans machen die Nmellcnautoren des 18. Jahrhunderts einen redu:rierten Gebrauch. Sie verzichten zwar nicht auf Abenteuerelemente, machen sie aber so gut WH:

llle zur alleinigen Ursache fur die Trennung der Liebenden.

Grundsätz.lich kann man z\vei Arten des Ehehindernisses unterschei-den: . den vertikalen und den horizontalen Konflikt. Beim vertikalen Konflikt ist das 1 hehinderllls okonon1lSch-sozlal bedingt, sei es, daG die Partner verschiedenen )tanden angehoren, sei es, da{~ Ihre Vermogens-verlültnlsse differieren oder für die )chliegung einer Ehe nicht ausrei-chend sind. Personalisiert erscheint das vertikale Ehehllldernis III einer Auroritatsperson, im Normalbll den Eltern. Beim honzontalen Fhehlll-derllls, das in der moralischen Nm'e1le seltener ist, wurzelt der Konflikt nicht III einem GeneratIonsunterschied, sondern in individuellen, st.1n -desunabhangigen Differenzen ZWischen den Partnern. Zum Beispiel be-ruht die Liebe nicht aut Gegenseitigkeit; einer der Partner, meist die Fr.lu, will ehelos bleiben oder stellt bestimmte Bedingungen ,ln den oder die Zukünftige: man will nicht aufgrund phYSischer Merkm,llc geheiratet werden oder verlangt vom Partner ein bestimmtes moralisches Verhalten oder gesellschaftliche F:"ihigkeiten.

Wie wird das f lindernis aus dem \X'eg ger:"iumt? Die einfachste Losung besteht dann, daf\ diejelllge Person, die dem Glück der I iebenden Im Weg steht, verschwllldet, Die hartherzige Mutter, die ihre Tochter um Jeden Preis mit einem reichen Mann verheiraten will, oder der alte ~bnn, mit dem eine junge Frau ell1e KonventIOnsehe eingegangen Ist, br,lOchen nur z.u sterben. Die Erzahler des 18. Jahrhunderts bevorzugen aber eine andere losung: Das ursprüngliche Problem stellt sich als e111 nur schein· bares heraus; die Antagonisten der Liebenden geben Ihren \\ Iderst.md auf, durch Ruhrung, Reue oder I· inslcht.

Dieses I ösungsmuster, der Pscudokonf/lkt, !.1{\t Sich .1Ot" die Formel

" C. BOcl,lC(10: [)'" [)ek,um'lOn, Bd. 11, deulsch 'on A \\csselski, I"r.1I1ktun ,l.~1 [972,

~. 435

l8 [~inc tlW,lS andere KI.1S,ifi7ilTun~ des 'l"!",, des 1/I,nl.lg" <t"'/mr/(' nllllnll C Plau (,tl 101 vor ("L1 Toplquc I() III ,1 I1CSlj m"', 111: ('"I/o,!//(' cl" /,( \,\rOR .i {,,,.dh,II1/, hh' sc'"

J M.1C,1I), P,1r\S/Se,lldc(]\lhln~l'11 1,)9 [, S .~ 76).

bringen "X liebt Y gegen den Widerstand von Z; der Widerstand löst sich in Nichts auf". Die tatsächlichen Verhältnisse sind am Ende andere, als sie am Anfang schienen, da neue Informationen über Vermögensverhalt-nisse, Stand, Verwandtschaftsgrad usw. einer Person auftauchen. Zum Beispiel ist das Bauernmädchen, in das sich ein am spleen leidender Eng-länder während eines Kuraufenthaltes in der Schweiz verliebt, in Wirk-lichkeit eine emigrierte französische Adlige (Sarrazin: Le Spleen, ou la val/ce de Lauterbrunn2"); eine Waisin wird von ihrem Tutor nur deshalb in einer einfachen Familie untergebracht, damit sie, für dem Fall, daß der für ihre Vermögensverhältnisse entscheidende Prozeß ungünstig fur sie ausgeht, nicht unter der plötzlichen Veränderung ihrer Verhältnisse lei-den muß (Imbert: Georgette et D'Orly 30); ein Bruder, der eine inzestuöse Liebe zu seiner Schwester gcfafh hat, ist in Wirklichkeit ein adoptiertes Kind, dessen Identitat dle Pflegeeltern nicht enthüllt haben, um ihn vor politischen Sanktionen seine Eltern standen auf der Emigrantenliste -zu retten (Camille V. D.: Oswal ou le frere et la sa'url).

Fast immer wird das Hindernis schon vor der Heirat aus dem Weg geräumt, und wenn doch einmal die Standesschranken uberschritten

Fast immer wird das Hindernis schon vor der Heirat aus dem Weg geräumt, und wenn doch einmal die Standesschranken uberschritten