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neuerung vor dem göttlichen Forum eine Sühne und Wiederherstellung für möglich erachten können

Im Dokument CHRISTLICHE SITTENLEHRE. (Seite 183-200)

V i e r t e s C a p i t e l .

INc Wiederherstellung wahrer Sittlichkeit oder das „ c h r i s t l i c h G u t e " als Inhalt c h r i s t l i c h e r Sittenlehre.

§· 13. D a s „ c h r i s t l i e h G u t e " im V e r h i i l t n i s s zum a l l g e m e i n e n sittlichen I d e a l , hristus a l s p e r s ö n l i c h e V e r k ö r p e r u n g d e r sittlichen I d e e . D i e w a h r e G e r e c h t i g k e i t

•ins d e m G l a u b e n o d e r d a s H e i l s l e b e n in der G e m e i n s c h a f t J e s u , des g e k r e u z i g t e n

"»d a u f e r s t a n d e n e n g o t t m c n s e h l i e h e n V e r s ö h n e r s . D a s H e i l s l e b e n d e s C h r i s t e n , aus ' « n Centrum der W i e d e r g e b u r t a l s fortschreitende H e i l i g u n g m i t d e m Z i e l der

" U e n d u n g . D i e p a r a l l e l e n c h r i s t l i c h e n G i u n d t u g e n d o n des G l a n b e n s , der ' • e h e und der H o f f n u n g und ihre s i e g r e i c h e H e w ä h r u n g i m K a m p f des L e b e n s

a l s I n h a l t christlicher E t h i k .

Es erscheint auf den ersten Blick sonderbar, das sogenannte

» ° h r i s t l i c h G u t e " zum sachlichen Mittolbegriff derjenigen ttenlohre zu machen, dio aus dem Geist des Evangeliums her­

g e h ö r e n ist. Wenn man die Ethik die theologische Wissen­

schaft vom christlichen Leben als dem „christlich Guten" ge­

nannt hat (Chr. Fr. S c h m i d ) , so könnte an solche Bezeichnung eicht der Missverstand sich anknüpfen, als handelte es sich in

e r christlichen Sittenlehre um ein sonderliches ethisches Ideal 'νδ1· §. 5), welches gänzlich ausserhalb des allgemein sittlichen Be­

wusstseins liegend, als ein Monopol des historischen Christenthums

S I°h darstellte. Es würden so die Fäden zwischen dem Humanen und Christlichen zerrissen und das Christenthum verlöre bei solcher Exclusivität das Recht, sich als die wahre

Humanitäts-'gton mit schlechterdings universeller (katholischer) Tendenz

г ц bezeichnen.

Das „christlich Gute" kann unmöglich etwas Apartes sein

°n und ausser der von uns bereits gefundenen sittlichen

(§ 5 e e - Kein anderes, als das Matorialprincip heiliger Liebe

8; °) kann auch in dem „christlich Guten" das einzig be-niendc und alle sittlichen Postulato in sich schliessende I f je a' S.e'n* ^ e heilige Liebe irdisch zu verwirklichen, das ewige

eal in die zeitliche Realität, ihr himmlisches Wesen in die

e Eischeinung treten, die Liebe also Fleisch werden zu de!-6"' ^a s '8 t Ja Wurzel und Aufgabe des Christenthums als

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e n und sittigenden Weltreligion. Das Gute im

üb l 8,*^("'hen Sinne muss sich also mit dem docken, was wir

b i l r l l - " ^U r ^cn z ur Gottesgemeinschaft bestimmten,

gottes-als r T *1 g 0 8 c n a f f en e n Menschen als die wahre freie Sittlichkeit,

d f t8 an sich Gute bereits erkannt haben ( § . 5 - 8 ) .

Und doch läge dieser Voraussetzung eine gewaltige Täuschung zu Grunde, wenn man nämlich meinte durch solche Identificirung des christlich Guten mit der allgemeinen Idee der Sittlichkeit das speeifische Wesen des Christenthums als heils­

geschichtlich gewordener Weltreligion oder den eigentümlichen Character „christlicher Sitte" erfasst und begriffen zu haben.

Das Speeifische der christlichen Sittlichkeitsidee kann nicht in der bloss ausgesprochenen Forderung der Liebe liegen. Das Neue und Eigentümliche derselben muss in dem Nachweis wurzeln, wie die Liebe g e g e n ü b e r d e r e m p i r i s c h g e w o r d e n e n U n s i t t l i c h k e i t ( § . 9 ff.), gegenüber der egoistischen Ver­

kehrung menschlichen Eigenwillens zur Verwirklichung kommen könne und zwar factisch durch die geschichtliche Person Christi zur Verwirklichung gelangt sei und annoch allein durch ihn und sein Werk auf Erden dazu gelangen könne.

Daher ist es auch keineswegs ein besonderes Gebiet christ­

licher Ethik, etwa den Urständ des Menschen vor der einge­

tretenen Sünde und das mit diesem Urstande gesetzte Kind-schaftsverhältniss des g o t t e s b i l d l i c h e n Menschen zur Dar­

stellung zu bringen, wie unter den neueren Ethikern namentlich W u t t k e , B. W e h dt u. A. es gethan haben. Was in Christo zur Verwirklichung gebracht ist, und was durch die Macht seines wiedergebärenden Geistes in dem „neuen Menschen" sich aus­

wirkt, ist ja nichts anderes als die ursprünglich gottgewollte I d e e des Menschen. Und die mit der Natur und dem Wesen des Menschen gesetzte, durch die Sünde unverlorene (formale) Gottesbildlichkeit, das was man gewöhnlich als den „liest der Gottesbildlichkeit" im Gewissen auch des sündigen Menschen zu bezeichnen pflegt, wird ja in der Entwickelung der Lehre vom

„alten Menschen" zur Sprache gebracht werden müssen (vgl. §. 27)·

Die Lehre vom Gewissen ist die einzig berechtigte ethische Doctrin vom Ebenbilde Gottes, soweit es noch in dem mensch­

lichen Personloben vorhanden ist.

In der christlichen Ethik kann jedoch dasLiebes- undFrcihoits-i d e a l , sowundFrcihoits-ie dundFrcihoits-ie wahre GerechtundFrcihoits-igkeundFrcihoits-it des Menschen nur als durch Christum wiederhergestelltes Gottesbild zur wissenschaftlichen Erkenntniss kommen. Das „christlich Gute" muss jedenfalls das von Christo stammende und im Sinne Christi sich verwirklichende Liebes­

ideal bezeichnen. In diesem Sinne will Jesus seinen Jüngern ein „neu Gebot" (χαινή ΐντολή Joh. 13, 34) gegeben haben, dass sie sich unter einander lieben sollen; was ja an und für sich

§. Iii. Die speeifische Idee dos ..christlich Outen." lf>9

tes 4 · W o nn au cn durch Christum neu gestaltetes und

motivir-mo 't t e ng c s e t z 'solche Rechtbeschaffenheit zu bewirken. Die

der

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80

^

10 ^ e c des Christenthums kann weder in der Forderung Geb t G' n°C l 1 ίη d ( m J-> 0 8 t u l a t ^0 1' Entsagung, weder in dem

0 der D e m u t und Sclbstcntäusscrung, noch auch in der betrachtet gar nichts „Neues" ist, sondern der alte Mosaische, Ja derselbe sittliche Grundgedanke, der sich wenigstens an­

deutungsweise auch bei den Heiden, bei einem P l a t o und S e n e c a , bei einem S o c r a t e s und C i c e r o findet. Das Neue

mnss also in dem eigentümlichen Geiste Christi d. h. in der Art und Weise liegen, wie in Christo und durch ihn das Liebes-Pnneip, als ein wahrhaft überragendes und siegreich starkes Mo­

tiv in die egoistisch geartete Menschheit hincingopflanzt, den

s°lbstischen Willen derart zu reinigen und zu beseelen vermag, dass mit dem neuen Beweggründe auch ein neues Leben, eine normale Hcrzonsstellung zu Gott und den Menschen, sowie zum eigenen Ich eintrete.

Wenn wir als das eigentlich Hemmende und Lähmende in der empirisch corrumpirten, sittlich krankhaften Menschennatur

a s s c h u l d bedingende Böse erkannten ( § . 9 ff.), so muss das netlich Gute jedenfalls so geartet sein, dass es gegenüber

0 rn heillosen Krankheitszustandc wahrhaft heilend, gegenüber

m lähmenden Schuldbewusstsein schuldtilgend erscheine.

^ur wenn auf dem Wege des Heils und der Gnade, d. h. durch ewissheit der Sündenvergebung ein neues Grundverhältniss

e s Menschen zu Gott ermöglicht wird und zwar auf Grund einer sittlich neuschöpferischen, tief motivirten, göttlichen

Initia-^V e, welche zugleich Anfang und Impuls menschlicher Freihcits-ewegung würde, könnte auch der creatürliche Wille zu einer

I l 0rnialen und sieghaften Lebensbewegung gegenüber der

eigen-j8.U^tigen, dämonischen Macht des Bösen gelangen. Und „christ­

kann solche Erneuerung auf dem Wege der

Hcils-des^0 - ^а П П £onannt w° r d e n , wenn sie in der Erscheinung

historischen Christus ihre centrale Lebenspotenz, ihre

trieb-en · e. ^u r z° l bat. Kurz darum handelt es sich bei dem

r i st'ich Guten", wie eine Rcchtbeschaffenheit in dem sündigen

enschen durch Christum hergestellt werden könne, eine Ge-8ei{ k e i t' d i° VOr Got t g i l t' d" h" d i° D i c h t Schein" ' noch

^ istgerechtigkeit sei, sondern ein dem heiligen Gotteswillen sprechendes Gesammtvcrhalten, das auf einem neuen

Kindcs-e rbältniss in Christo ruht.

blo 8 1 S* a^s o schlechterdings unmöglich durch irgend ein

Pflicht der Vergeistigung des Menschen und der Ueberwindung alles sinnlichen Wesens bestehen. Dann wäre und bliebe das Christenthum, wie S c h o p e n h a u e r richtig bemerkt, aber mit Unrecht der kirchlich-theologischen Weltanschauung vorwirft, eine blosse Sclavenmoral. Denn das Befehlen und abermals das Befehlen, das Einschärfen der herrlichsten Sittengebote ist nicht im Stande, auch nur Eine menschliche Seele zu befreien aus

den schuldvollen Banden des Egoismus und der herrschenden habituellen Sünde. Der kategorische Imperativ ist so wenig ein Erlöser, dass er vielmehr das innere Elend des in Sünden olm­

mächtigen Menschen nur in erhöhtem Maasse zum Bewusstsein bringt, einfach deshalb, weil die Forderung des Guten als solche nicht im Stande ist ein neues Motiv, d. h. sittlich reine und zu­

gleich ausreichend starke Beweggründe in die Menschenbrust und in den Menschenwillen zu senken. Das christlich Gute als blosses Gesetz in Geboten, als blosse „Moral des Christenthums," ohne seinen speeifischon Erlösungs- und Befreiungsgehalt gedacht, wäre kein Gesetz des Lebens, sondern ein Gesetz des Todes. Es brächte den scheinleb endigen, über seinen innern sittlichen Tod sich selbst täuschenden Menschen nur zur Resipiscenz, zum schmerzlichen Erwachen. Es risse ihn nur aus den Täuschereien seiner Selbstbeurtheilung heraus und stellte ihn unbarmherzig in seiner Blosse, Armuth und Verdammlichkeit dar. Denn nie ist noch ein an sich armer oder verkrüppelter Bettler durch erhöhte Forderungen oder Gesundheitsidoale, die man ihm vorgehalten, zu Reichthum und Kraft gelangt!

Freilich ist das ungeschwächte und unverwischbare Gottes­

gesetz , wie wir bereits sahen, eine conditio sine qua non, eine Grundbedingung für den Eintritt neuer lebenskräftiger Gesinnung im Menschen. Denn ohne Selbstgerecht keine Erneuerung.

„Wenn du willst gut sein, must du glauben, dass du böse bist,"

— so bekannte selbst ein tief blickender Heide ( E p i c t e t ) , ohne zur Lösung des Problems gelangen zu können. Denn das Böse­

sein war ihm mit der irdischen Beschränktheit identisch, ermangelte also des tieferen Schuldbewusstseins. Nur im Lichte des gött­

lichen Gesetzes kommt das vollkommne, wenn auch tragische

„Erkenne dich selbst", jenes von S o c r a t e s vergeblich gepredigte yvaiei aavtov zu Stande.

Aber in dieser negativen Bedingung des „christlich Guten"

kann unmöglich sein speeifisches Wesen gesucht und daher auch nimmermehr, wie noch S a r t o r i u s gewollt hat, der Inhalt christ­

licher Sittenlehre an den zehn Geboten sachgemäss dargelegt

§. 13. Christus als Urbild der Sittlichkeit. 161 werden. Wäre das Christenthum bloss eine nova lex, so wäre os nichteine regenerirende, erneuernde Lebenswahrheit, sondern eine niederschlagende, vernichtende Todesmacht. Ев brächte uns nicht Heil, sondern Verderben, wenn auch ein verdientes und insofern heilsames, als es dem Menschen und seinem Ge­

wissen Klarheit und Wahrheit in Betreff seiner selbst, seiner Stellung zu Gott und zu den Menschen, zu seiner Gegenwart und Zukunft brächte. Es wäre das immerhin ein nicht zu verachtender Gewinn, aber ein verhängnissvollcr, weil auf diesem Wege schliess­

lich der aufrichtige Mensch zur Verzweiflung getrieben würde.

Geholfen wird uns aus dieser Verlegenheit nicht durch die Berufung auf die Person Christi, als auf das geschichtlich ge­

wordene Urbild aller wahren Sittlichkeit. Allerdings wäre unter der Voraussetzung, dass die Person Christi die heilige Liebe in menschlicher Realität verkörperte, der abstracto Idealismus sittlicher Forderung überwunden. Man könnte sagen, wie von vulgär ratio­

nalistischer Seite betont wurde, er als Lehrer der Weisheit und Liehe, stelle zugleich das Muster aller Tugend. dar und rege eben damit zur Nachahmung an. Oder man könnte, wie der Suprana-turalismus dahin neigte, Christum als eine durch Wunder und

Weissagung bestätigte menschliche Offenbarung göttlicher Liebe bezeichnen, die uns die Gewissheit göttlicher Gnade verbürge und die Freudigkeit unserer Nachfolge ermögliche. Oder man könnte, wie seit K a n t die gesammte an S c h l e i e r m a c h e r anknü­

pfende Vermittelungstheologie es versucht hat, in ihm das ge­

schichtlich gegebene Ideal der gott wohlgefälligen Menschheit finden, das wahrhafte Urbild sündloser Vollkommenheit, welches alle, die in Gesinnungsgemeinschaft mit ihm treten, innerlich zu beseelen,

zu gleicher Kräftigkeit des Gottesbewusstseins anzuregen, gleich­

sam religiös-sittlich zu begeistern im Stande sei.

In allen diesen bald mehr verständig oder rationell, bald mehr ästhetisch oder gefühlsmässig vermittelten Ansichten von der ethischen Lebensmacht Christi erscheint die geschichtliche Person Jesu als das menschlich verkörperte moralische Ideal oder

religiös-sittliche Genie, welches als solches der historische Brenn­

punkt oder die geistige Anregungsquelle für christlich-sittliche Gesinnungsgemeinschaft sein soll. Die also Angeregten sollen dann durch ihre Christo nachfolgende Lebens- oder Liebes-bethätigung das christlich Gute wenigstens approximativ zu verwirklichen in den Stand gesetzt sein.

Allein abgesehen davon, ob das urkundliche, evangelische

" " и Jesu dieser Voraussetzung einer in sittlicher Hinsicht

voll-τ· O e t t in g e n , Socialethik. ТЫ. It. 11

kommenen und prototypischen Menschennatur entspricht, müssen wir es bezweifeln, dass ein Beispiel, ja selbst ein geschichtlich verkörpertes Ideal oder Urbild menschlicher Vollkommenheit je w e s e n t l i c h anders zu wirken im Stande ist, als ein

detaillirtes Sittengesetz, das „in Geboten gestellt" ist und mein Gewissen zur Nachfolge und Erfüllung adstringirt. Allerdings hätte das geschichtliche Urbild den Vorzug persönlich concreter und charactervoller Lebendigkeit. Es würde das allgemeine sittliche Postulat so zu sagen durch eine historische Persönlich­

keit illustrirt, uns menschlich näher gebracht, wie etwa dem Kinde eine allgemeine "Wahrheit durch Bilder und anschauliche Beispiele fassbar gemacht wird. Aber daraus folgt weder die leichtere Erfüllung des Geforderten, noch eine erfolgreiche Ueber-windung jener inneren Hemmnisse, die in Betreff der Verwirk­

lichung des sittlichen Ideals aus der empirischen und habituel­

len Corruption sich uns bereits ergeben haben (§. 9 ff). Auch wäre das Haupthinderniss unserer sittlichen Freudigkeit und Thatkraft: das lähmende Schuldbewusstsein, durch die Vorstel­

lung eines geschichtlichen Sittenexempels nicht um ein Haar breit vermindert. Im Gegentheil, — die deprimirende Erfahrung unsrer sittlichen Ohnmacht oder Unlust würde durch den A b ­ stand von dem geschichtlichen Urbilde nur bedeutend vermehrt, und das letzere würde uns im besten Falle nur den Dienst einer vertieften Selbsterkenntniss leisten, d. h. wie das Sittengesetz selbst dahin wirken, dass wir unsere Abnormität und moralische Unvollkommenheit mit doppelter Kraft als schuldbedingend em­

pfänden. Denn was jener gekonnt, sollten wir doch auch ver­

mögen! Und statt dessen legt sich dem Aufrichtigen das Ge­

fühl des Unvermögens gegenüber jenem herrlichen Lichtbilde der Sittlichkeit als doppelt schwer drückender Alp auf die Seele.

Es lässt sich gewiss nicht leugnen, dass viele Menschen er-fahrungsmässig auf diesem W e g e erst zu christlicher Anregung, d. h. zu tieferer Erkenntniss ihres eigenen Elends und ihrer schreienden Sünde gelangen, indem sie, dem unmittelbaren Ein­

druck folgend, an der selbstverleugnenden Liebe und dem hin­

gebenden Mitleide Jesu ihre eigene Herzenskälte und egoistische Abgeschlossenheit gleichsam mit Händen greifen lernen. Auch kann wohl bei idealistischer Auffassung seiner „göttlichen Per­

sönlichkeit" eine subjectiv aufrichtige Bewunderung und Ver­

ehrung derselben sich im Innern des Menschen Bahn brechen.

Selbst dem Christenthum und seinem Versöhnungsgedanken sehr fern stehende Menschen haben sich diesem Eindrucke nicht

ent-§. 13. Christus in seiner „göttlichen" Urbildliehkeit. 163

ziehen können. Wenn ein Mann wie G ö t h e bekannte: „Ich beuge mich vor Ihm als der göttlichen Offenbarung des höchsten P r i n c i p e d e r S i t t l i c h k e i t " , so ruht solch ein Bekenntniss auf der vorhergehenden Anerkennung, dass „in den Evangelien der Abglanz einer Hoheit wirksam sei, die von der Person Jesu ausging und die so göttlicher Art, wie nur je auf Erden das Göttliche erschienen ist." In diesem Zusammenhange er­

klärte sich jener Heros der Dichtung bereit dem Heros der sitt­

lichen Wahrheit „anbetende Verehrung" zu erweisen: „Fragt man mich ob es in meiner Natur sei ihm anbetende Verehrung zu erweisen, so sage ich: d u r c h a u s . " — Allein aus solcher doch nur dichterisch gezollten Verehrung müsste bei jedem ehr­

lich sich selbst prüfenden und in den heissen, sittlichen Kampf der Selbstüberwindung sich hineinbegebenden Menschen eine schmerzliche Selbsterkenntniss hervorgehen. Dass der Abstand der eignen Person auf jener Folie doppelt stark hervortritt, dass gegenüber dem „Ideal" das eigne Ich als nichtig, schuldvoll und erbärmlich erscheint, dürfte für nicht wenige die Brücke zu ge­

sunder christlicher Selbsterkenntniss, zu aufrichtigem Selbst­

gericht sein.

Ist doch auch ein Petrus erst der überwältigenden Macht seines Herrn gegenüber zu jener heilsamen Selbstverzweifelung gekommen, die sich in dem Klageruf Luft schafft: gehe von mir hinaus, denn i c h bin ein sündiger Mensch! Ein sündloser, sitt­

lich vollkommener Menschensohn kann uns als vorgestelltes Bei­

spiel und Urbild wohl demüthigen, aber durchaus nicht durch die Kraft überragender Motive lebensvoll kräftigen und zu sitt­

licher Thatkraft erneuern. Es würde bei ernster Selbstprüfung der Refrain unserer Selbstanklage nur lauten können: So war Er, der „göttliche Stifter des Christenthums", und — wie bist du? Was für ein kläglicher, nichtsnutziger und erbärmlicher

»Nachahmer Jesu"!

Aber das schlimmste ist, dass der historische Jesus, wie und soweit wir von ihm wissen und das wirkliche Christenthum von ihm seinen Ausgangspunkt genommen und seine Anregung em­

pfangen, gar nicht so geartet oder dazu geeignet war, als ein sittliches Urbild ohne Weiteres der Menschheit zum Muster und

zur Nachahmung hingestellt zu werden. Das hat ζ. B. ein so rücksichtsloser Denker wie F r . D . S t r a u s s selbst anerkennen müssen, nachdem er lange vergeblich darnach gerungen, einen Ausdruck für die „sittlich urbildliche" Bedeutung Jesu, als eines Prototyps für die geistig mit Gott sich eins wissende

11 *

Menschheit, zu finden. Gegenüber den bekannten, in dem

„Leben Jesu" noch vorkommenden panegyrischen Aeuseerungen über die „Unentbehrlichkeit und Unverlierbarkeit" der in Jesu verkörperten „geistigen und sittlichen Macht" hat ein Mann wie G e i g e r die vollkommen schlagenden Gegenargumente hervor­

gehoben. Er trifft die Achillesferse in dem S t r a u s s ' s c h e n Buche, wenn er die ganze Apotheose, mit welcher S t r a u s s da­

mals den „Stifter des Christenthums" noch feierte, als hinfällig bezeichnet, sobald man Christum nach Abstreifung seiner Selbst­

zeugnisse im besten Falle als ein „Problem", hinstellt, factisch aber zu einem „Schwärmer" degradirt. Caiphas dachte in dieser Hinsicht viel consequenter, als unsere modern liberalen und ethnisirenden Pilatusfreunde, die obwohl keine Schuld an Jesu findend, ihn doch dem rohen Urtheil der Menge zur Kreuzigung Preis geben und dabei meinen, ihre Hände in Unschuld waschen zu können.

Zu diesem Standpunkte scheint sich S t r a u s s auch in sei­

nem neuesten Buche, in welchem er dem alten Glauben den

„neuen" gegenüberstellen will, bekehrt zu haben. Wir können es nur zur Klärung der Frage und zur Klarstellung der Feinde Jesu'für dankenswerth halten, dass hier jede Hülle scheinhei­

liger Pietät gefallen und das „Kreuzige ihn" und „Er ist des Todes schuldig" als consequentes Resultat aus den S t r a u s s ' ­ schen Prämissen herausklingt. Nach den Selbstzeugnissen Jesu hat er, im besten Falle ein armer Schwärmer, sein Recht ver­

scherzt „unser Lebensführer zu sein". Seinen schwärmerischen Erwartungen geschah nur ihr Recht, wenn sie durch „Fehl­

schlagen am Kreuze" zu Schanden wurden!

Und in der That, wer den geschichtlichen Christus mit ehr­

lichem, unbefangenem Blicke betrachtet und sittlich zu würdigen versucht, darf nicht das entscheidende Gewicht und die cigenthüm-liche Art seines Selbstzeugnisses ausser Acht lassen, eines Selbst­

zeugnisses, das, mögen wir es nun nach Johannes oder den Synop­

tikern, nach Paulus oder Petrus formuliren, jedenfalls bei allen Aposteln und der gesummten christlichen Urkirchc der Anhalts­

punkt ihres Glaubens an ihren H e i l a n d war, der ihnen eben um jenes Zeugnisses willen, das er mit seinem Leben und Ster­

ben besiegelte, als der „Herr der Herrlichkeit", als „der Sohn des Vaters" und als „der Richter der Welt" galt. W i e aber kann, wenn wir uns in ebjonitische oder doketische Einseitigkeit verirren, wenn Jesus uns ein purer Mensch (ψιλός άνθρωπος) oder ein verschwimmendes sittliches Ideal (φάντασμα) wird,

§ . 13. Jesus als blosser Mensch kein sittliches Vorbild. t ( i 5

jenes gewaltige Selbstzeugniss damit sich vereinigen, auf welches der urchristlichc Glaube sich stützt und welches Jesum als den Christ, den Gesalbten Gottes darstellt, durch welchen Gott im Fleisch geoffenbart erscheint? Wie lässt sich die Anbetung Jesu, die wiederholte Selbstzeichnung Christi als des Lichtes der W e l t , als d e s Lebens und d e r Wahrheit, wie die Anfor­

derung gottgleicher Ehre, wie die behauptete Einzigartigkeit seiner Gotteserkenntniss und Gottesgemeinschaft mit der An­

nahme eines sittlichen Urbildes vereinigen, wenn man die Prä­

misse festhält, dass er in seiner historischen Erscheinung blosser Mensch war? Gestaltet sich nicht sein Selbstzeugniss zur furcht­

barsten Selbstanklage und müssen wir nicht in den jüdischen Vorwurf der Gotteslästerung einstimmen, wenn der Menschen­

sohn sich zum Gottessohne erhöhend alle Schranken durchbricht und sich „Gott gleich macht" oder, wie das selbst nach S t r a u s s bereits aus der synoptischen Selbstaussage sich ergiebt, wenn er sich zum Richter der Welt aufwirft und von dem persön­

lichen Verhältniss zu ihm, zu seiner Person alle Gottesgemein­

schaft und Seligkeit der Menschen abhängig sein lässt? Unter solcher Voraussetzung muss nicht bloss die S c h l e i e r m a c h e r -sche „unsündliche Vollkommenheit" Jesu aufgegeben werden, sondern die seit U l i man η zum Schibboleth der modernen Theologie gewordene „Sündlosigkeit" Jesu fällt schlechterdings zu Boden. Die an die Stelle tretenden überschraubten Phrasen eines R e n a n , K e i m , S c h e n k e l , H o l t z m a n n , L a n g etc.

lassen uns „Jesum von Nazara" nicht mehr als einen mit seiner sittlichen Schwäche und Unvollkommenheit bloss ringenden, all-mälig aber verherrlichten Menschen erscheinen; vielmehr tritt durch das leichtfertige und widerwärtige Flitterwerk apologe­

tischer Exaltation und Verherrlichung Jesu das abschreckende Truggebilde eines Menschen uns entgegen, der neben so und so viel grossen, sittlich gewaltigen Zügen hingebender Macht und Liebe eine an stete Gotteslästerung streifende Selbstver­

herrlichung sich zu Schulden kommen lässt und daher den A b ­

herrlichung sich zu Schulden kommen lässt und daher den A b ­

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