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3.2 Engpassmanagement

3.2.1 Netzengpässe und Netzführung

Zunächst wird eine Einordnung des Engpassmanagements in die Netzführung vorgenommen. Dazu wird auf die Ursachen und die Definition von Netzengpässen eingegangen sowie das Engpassmanagement im Kontext der Netzführung skizziert.

Abschließend werden die Besonderheiten in Verteilnetzen hervorgehoben.

Vom Marktergebnis zur Netzführung

Das Energieversorgungssystem soll laut EnWG § 1a, Abs. 3 (2005) zuverlässig, bezahlbar sowie umweltverträglich sein, und dabei zugleich die Versorgungssicherheit gewährleisten. Der Mechanismus der Preisbildung an der Strombörse wird mit dem Merit Order-Prinzip beschrieben und soll einen kosteneffizienten Kraftwerkseinsatz gewährleisten. Am Day-Ahead-Markt für Deutschland und Österreich wird bspw. für jede Stunde eines Folgetages mittels Auktion ein Preis be-stimmt. In der Merit Order sind die Gebote aller Kraftwerke bzw. Anlagenportfolios aufsteigend nach ihren Grenzkosten sortiert. Die Nachfrage bestimmt das letzte Gebot, welches einen Zuschlag erhält, und somit das Grenzkraftwerk, welches den Marktpreis setzt. Auch alle Gebote mit geringeren Grenzkosten erhalten einen Zuschlag. Es resultiert ein Kraft-werkseinsatz, welcher keine Netzrestriktionen berücksichtigt, sodass oftmals nachträgliche Anpassungen der Fahrpläne einzelner Kraftwerke erforderlich sind. (Schwab 2020; Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt 2020)

Mit zunehmender Anzahl dezentraler EE-Anlagen steigen sowohl die Volatilität als auch die Leistungsgradienten der Stromeinspeisung (vgl. Abschnitt 2.1). Da die ÜNB den Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch jederzeit sicherstellen müssen, kommt zunächst die Bilanzierung in Bilanzkreisen zum Einsatz. Bilanzkreise sind dezentrale, abrechnungstechni-sche Konten, welche der Bilanzierung 15-minütiger Zeitreihen von Stromerzeugung und -entnahme dienen. Diese Bilanz-kreise müssen jeweils für den Folgetag ausgeglichen, d.h. etwaige Abweichungen zwischen Erzeugung und Verbrauch müssen durch Importe und Exporte zu anderen Bilanzkreisen (Stromhandelsgeschäfte) glattgestellt sein. Jeder Bilanzkreis-verantwortliche (BKV) muss seine resultierenden Fahrpläne an den ÜNB melden. Dieser prüft die Fahrpläne aller BKV und beschafft ggf. Ausgleichsenergie, welche den BKV in Rechnung gestellt wird. Falls die Prüfung der technischen Durchführbarkeit (Day-Ahead-Congestions Forecast) zu dem Ergebnis kommt, dass die geplanten Stromtransporte nicht machbar sind, greifen Maßnahmen des Redispatch (vgl. Abschnitt 3.2.3). (Schwab 2020)

Definition Netzengpässe

Trotz glattgestellter Fahrpläne kann es z. B. infolge von Fehlern der Last- und Erzeugungsprognosen zu kurzfristigen Schwankungen des Leistungsausgleichs kommen. Die Netzengpässe manifestieren sich auf einer physischen Ebene in be-reits eingetretenen Überschreitungen der Leitungskapazitäten, in Knotenspannungen außerhalb zulässiger Toleranzbänder, in der Aktivierung von Leistungsschaltern aufgrund von Leistungsüberschreitungen, trotz Netzdimensionierung nach dem sogenannten (n-1)-Prinzips. (Schwab 2020) Je nach Dimensionierung des Stromnetzes entsteht eine Notwendigkeit für Engpassmanagement im Sinne eines Instruments der Netzbetriebsführung (Bundesnetzagentur 2017). Auch können lokale Netzengpässe in den Zeiten entstehen, wenn die Menge der Stromerzeugung aus EE nicht in das Elektrizitätssystem inte-griert werden kann. (Wietschel et al. 2018; Ecofys und Fraunhofer IWES 2017; Schwab 2020; Bundesnetzagentur 2017) Es wird erwartet, dass der angestrebte Netzausbau lokale Netzengpässe reduzieren wird (Ecofys und Fraunhofer IWES 2017).

Einordnung des Engpassmanagements in die Netzführung

Prinzipiell kann ein weitreichender Netzausbau ermöglichen, dass v. a. die Verteilnetze die regenerativ erzeugte Energie vollumfänglich aufnehmen könnten und Maßnahmen wie Einspeisemanagement überflüssig werden. Dies entspricht je-doch nicht der Gesamtkostenoptimierung (Ecofys und Fraunhofer IWES 2017). Daher sieht das Energiewirtschaftsgesetz mit der Spitzenlastkappung vor, dass Netzbetreiber bis zu 3 % der prognostizierten Jahresstromerzeugung aus Windkraft-anlagen an Land und PV-Anlagen reduzieren dürfen (§ 11 Abs. 2 EnWG (2005)). Die Bundesnetzagentur (2017) plädiert darüber hinaus von einer Abkehr des bisherigen lastdienlichen Netzausbaus. Sie stellt die Frage, ob in Netzsegmenten, in welchen die Last maßgeblich für die Auslegung ist, ein Ansatz ähnlich der Spitzenlastkappung eingeführt werden solle.

Dadurch könnten Netzausbaukosten weiter reduziert werden. Zuletzt wird auch der weitere Zubau von EE-Anlagen zu Engpässen führen, selbst unter der Annahme einer rechtzeitigen Fertigstellung des im Netzentwicklungsplan festgelegten Netzausbaus (Consentec und Fraunhofer ISI 2018). Es wird also auch in Zukunft noch mit Netzengpässen und somit Eng-passmanagementmaßnahmen zu rechnen sein.

Gemäß Schwab (2020) kann die Aufgabe des Netzbetriebs in Netzbereitstellung bzw. Asset Management (z. B. Netzaus-bau, Wartung und Instandsetzung) sowie Netzführung untergliedert werden. Engpassmanagement kann dabei als Aufgabe der Netzführung mit dem Zweck der Sicherstellung oder Wiederherstellung des Normalbetriebs verstanden werden. Die Netzführung in Übertragungsnetzen ist Bestandteil für eine durchgehend unterbrechungsfreie Stromversorgung. Mögliche Betriebszustände sind:

 Normalbetrieb: Wirk- und Blindleistungsflüsse entsprechen hier den Planwerten, die Werte für Frequenz und Spannung liegen im Toleranzbereich, das (n-1)-Prinzip ist erfüllt.

 Gefährdeter Betrieb: Das n-1 Prinzip ist verletzt, es werden korrektive Schalthandlungen bspw. von schaltbaren Transformatoren vorgenommen.

 Gestörter Betrieb: Es kommt zu Überlastungen oder Ausfällen der Stromversorgung. Zunächst wird der gefähr-dete Betrieb, anschließend der Normalbetrieb wiederhergestellt.

 Netzaufspaltung: Das Netz zerfällt in separate Inseln und es kann zu überregionalen Netzzusammenbrüchen kommen. In diesem Fall werden Netzrekonstitution und Versorgungswiederaufbau erforderlich.

Maßnahmen des Engpassmanagements

Laut EnWG sind ÜNB und VNB (sofern diese für die Versorgungssicherheit und Zuverlässigkeit ihres Netzes verantwort-lich sind, § 14 Abs. 1 EnWG (2005)) für das Engpassmanagement verantwortverantwort-lich. Um ihrer Aufgabe eines funktionsfähi-gen und sicheren Elektrizitätsversorgungssystems nachzukommen, überwachen die ÜNB in Deutschland das Netz und ergreifen Maßnahmen der Frequenz- und Spannungshaltung, sowie des Versorgungswiederaufbaus im Fall von Störungen (Haucap et al. 2019). Die verschiedenen Verfahren des Engpassmanagements können in langfristiges Engpassmanagement (hierzu zählt bspw. der Netzausbau) und kurzfristiges Engpassmanagement unterteilt werden. Letztere kommen zum Ein-satz, wenn kurzfristig zeitlich begrenzte Netzengpässe auftreten, die eine Gefährdung für die Netz- und Systemsicherheit

darstellen. Die Maßnahmen des kurzfristigen Engpassmanagements dienen der Vermeidung bzw. Behebung der Engpässe und können gemäß Haucap et al. (2019) wie folgt kategorisiert werden4:

1. Netzbezogene Maßnahmen (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 EnWG)

 Änderungen der Netztopologie (z. B. Zuschalten einer Leitung)

 Ausnutzung zulässiger Toleranzbänder

2. Marktbezogene Maßnahmen (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 EnWG)

 Einsatz von Regelenergie

 Abruf zu- und abschaltbarer Lasten

 Redispatch

 Countertrading

 Abruf zusätzlicher Reserve (sog. Netz- und Kapazitätsreserve) 3. Notfallmaßnahmen (§ 13 Abs. 2 EnWG)

 Anpassung von Stromeinspeisungen

 Anpassung von Stromtransport

 Anpassung von Stromentnahmen

Mit dem Ziel, die Auswirkungen des Engpassmanagements auf die Netzkosten zu begrenzen, werden die Netz- und Sys-temsicherheitsmaßnahmen zur Beseitigung kurzfristiger Netzengpässe wie folgt priorisiert: Netzbezogene Maßnahmen ha-ben Vorrang vor marktbezogenen Maßnahmen. Der Einsatz zusätzlicher Reserve ist dabei nachrangig anzuwenden. Erst wenn alle vorherigen Maßnahmen ausgeschöpft sind, greifen Notfallmaßnahme, um z. B. örtliche Netzausfälle oder kurz-fristige Engpässe zu beheben. Da der Einspeisevorrang nach EEG einzuhalten ist, kommen Einspeisemanagementmaßnah-men zuletzt zum Einsatz. (Haucap et al. 2019; EEG 2014; EnWG 2005)

Um die Frequenzhaltung im Fall kurzfristiger Schwankungen des Leistungsausgleichs sicherzustellen, ruft der verantwort-liche ÜNB nach der oben beschriebenen Glattstellung der Fahrpläne der Bilanzkreise die Erbringung von zuvor auktio-nierter positiver oder negativer Regelenergie5 ab. Somit wird sichergestellt, dass das an der Strombörse erzielte Markter-gebnis realisiert und gleichzeitig die Netzstabilität gewährleistet wird6. (Schwab 2020) Weitere Maßnahmen mit derselben Priorisierung sind die Aktivierung zu- und abschaltbarer Lasten, der Redispatch, sowie das Countertrading. Der Begriff Redispatch bezeichnet die Anpassungen der Fahrpläne der Kraftwerke, d. h. die Erhöhung oder Reduktion der Leistungs-abgabe konventioneller Kraftwerke durch den ÜNB (Abschnitt 3.2.3). Das Countertrading bezieht sich auf den Kauf oder Verkauf von Elektrizität bspw. am kurzfristigen, kontinuierlichen Intradaymarkt. Sollte die Redispatch-Leistung nicht aus-reichen, erfolgt der Leistungsabruf von andernfalls stillgelegten Kraftwerken, mit denen Verträge zur Vorhaltung und zur Bereitstellung einer sogenannten Netzreserve vereinbart wurden. Falls erwartet wird, dass die elektrische Nachfrage am Strommarkt nicht durch das Angebot gedeckt werden kann, wird die Kapazitätsreserve aktiviert. Im Notfall können u. a.

Stromentnahmen angepasst werden, bei einer Netzfrequenz unterhalb der 49,0 Hz erfolgt der Lastabwurf. Das Einspeise-management, d. h. die Abregelung von EE-Anlagen, greift als letzte Maßnahme. Zukünftig soll auch die Aktivierung netz-dienlicher Flexibilität eingesetzt werden, wofür u. a. ein Verfahren im Vorfeld der Leistungserbringung implementiert

4 Laut dena 2014 werden vier Kategorien von Systemdienstleistungen, die zur Erfüllung der Systemstabilität herangezogen werden, aufgeführt: Fre-quenzhaltung, Spannungshaltung, Versorgungswiederaufbau, sowie Betriebsführung. Nach dieser Kategorisierung sind das Engpassmanagement sowie das Einspeisemanagement der Kategorie „Betriebsführung“ zugeordnet, Maßnahmen wie zu- und abschaltbare Lasten, Lastabwurf und Regel-leistung sind der Kategorie Frequenzhaltung zugeordnet. Der spannungsbedingte Redispatch im Übertragungsnetz wird explizit aufgeführt.

5 Positive Regelleistung kann durch Erhöhung der Einspeiseleistung oder Verringerung der Stromentnahme erzielt werden und erhöht die Netzfre-quenz. Negative Regelleistung kann durch Verringerung der Einspeiseleistung oder Erhöhung der Stromentnahme erzielt werden.

6 Wenn das Ergebnis einer Markttransaktion vom Netz nicht umgesetzt werden kann, droht ein Engpass (Bundesnetzagentur 2017).

werden muss. (Bundesnetzagentur 2017; Ecofys und Fraunhofer IWES 2017; EnWG 2005; Haucap et al. 2019; Schwab 2020)

Laut Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt (2020) gehören die von den ÜNB gemeldeten Maßnahmen des Einspeise-managements und Redispatchs zu den Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen bzw. Systemdienstleistungen mit dem höchsten Umfang sowie den höchsten Kosten. Im Jahr 2018 wurden Redispatch-Maßnahmen im Umfang von 15.529 GWh vorgenommen, die Einspeisemanagementmaßnahmen beliefen sich auf 5.403 GWh, und die weiteren Anpassungsmaßnah-men auf 8,3 GWh (Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt 2020). Auf EinspeisemanageAnpassungsmaßnah-ment und Redispatch wird den Abschnitten 3.2.2 und 3.2.3 gesondert eingegangen.

Besonderheiten in Verteilnetzen

Aufgrund der Dezentralisierung der Stromerzeugung sowie neuer Verbraucher kann es in Verteilnetzen vermehrt zu bidi-rektionalen Stromflüssen und Netzengpässen im Sinne von Leitungsüberlastungen sowie Spannungsabweichungen kom-men. Aufgrund der Vielzahl an Netzknoten ist eine Überwachung aller Leistungsflüsse und Knotenspannungen bislang nicht üblich. Darüber hinaus ist eine Vielzahl an Messstellen mit hohen Kosten verbunden. Daher kommen aktuell Metho-den der Schätzung des Netzzustands zum Einsatz. Darüber hinaus werMetho-den im Betrieb des Verteilnetzes Wirk- und Blind-leistung überwacht, vorbeugende EE-Anlagen und Verbraucher (bspw. Elektrospeicherheizungen) können je nach vertrag-licher Grundlage zu- oder abgeschaltet, sowie regelbare Ortsnetztransformatoren gesteuert werden. (Schwab 2020) Die Anzahl der VNB, die Maßnahmen aus dem Engpassmanagement einsetzen, ist zuletzt gestiegen. Im Jahr 2019 setzten 8 % aller befragten VNB Spitzenkappung7 ein. (Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt 2020)

Aufgrund der Zunahme der Dezentralisierung und des EE-Ausbaus überschneiden sich die Aufgabenbereiche von ÜNB und VNB immer mehr. Wenngleich der ÜNB gemäß EnWG weiterhin in seiner Regelzone gesamtsystemverantwortlich für die Frequenz- und Spannungshaltung bzw. das Gleichgewicht von Stromerzeugung und -verbrauch ist, sind VNB zur Unterstützung verpflichtet. Die Kooperation zwischen den Netzbetreibern ist in der Anwendungsregel VDE AR-N4141 definiert. (Schwab 2020)