• Keine Ergebnisse gefunden

4 Neue Anwendungsgebiete der Additiven Fertigung

5.3 Nachhaltigkeit der Technologie

5.3.1 Energie- und Materialbedarf der Produkte Additiver Fertigung über ihren gesamten Lebenszyklus 178179

Additiven Fertigungsverfahren wird ge-meinhin eine besonders gute Ökobilanz bescheinigt, da Bauteile mit ihrer Hilfe endkonturnah herzustellen sind. Das be-deutet, dass bei der Produktion kein oder nur wenig Abfall entsteht, wie dies etwa beim Drehen oder Fräsen in Form von Spänen der Fall wäre. Diese hervorragen-de Effizienz bei hervorragen-der Materialausnutzung ist ein Grund für das rege Interesse der Luft- und Raumfahrt an additiven Technolo-gien, weil dort vielfach teure Werkstoffe

178 Stettes, 2018.

179 So kommen additive Fertigungsverfahren in einer Prognose des IAB beispielsweise überhaupt nicht vor (Zika et al., 2019). Das Statistische Bundesamt hat dagegen 2018 begonnen, im Rahmen der jährlichen Erhebung von Informations- und Kommunikations-technologien in Unternehmen auch die Nutzung von 3D-Druck zu erfassen (Statistisches Bundesamt (2018) und berücksichtigt in der monatlichen Produktions-erhebung die Herstellung von 3D-Druckern.

zum Einsatz kommen, die in der Herstel-lung energie- und emissionsintensiv sind (z. B. Titanlegierungen). Bei der Herstel-lung leichter und filigraner Bauteile werden mittels subtraktiver Bearbeitungsverfahren in der Regel über 90 Prozent des Materials entfernt. Man spricht dann von einem un-günstigen Buy-to-fly-Verhältnis. Der Ein-satz additiver Fertigungsverfahren führt hingegen zu einer deutlichen Verbesserung dieses Verhältnisses. So wird zum einen nur dort Material eingesetzt, wo es im Bauteil auch tatsächlich benötigt wird. Zum ande-ren ist es möglich, überschüssiges Material, wie es u. a. beim SLM-Verfahren im Pulver-bett anfällt, relativ einfach aufzubereiten und wiederzuverwenden.180 In der Additi-ven Fertigung wird zudem anders als in der spanenden Bearbeitung kein Kühlschmier-mittel eingesetzt, das in der Gesamtökobi-lanz der subtraktiven Fertigungsverfahren hingegen eine große Rolle spielt.181

180 Ford & Despeisse, 2016.

181 Faludi et al., 2015; S. H. Huang et al., 2013.

Unternehmen Orientierung erhalten, sollten daher Maßnahmen getroffen werden, um über Bildungsangebote zur Additiven Fertigung an Hochschulen und Universitäten und die entsprechenden Qualifizierungserfordernisse zu informieren. Dies kann beispielsweise durch den Aufbau einer bundesweiten Datenbank mit den entsprechenden Informationen erfolgen. Es wäre außerdem eine wichtige Aufgabe für die Fachverbände, in Kooperation mit den Sozialpartnern, den Kammern (Deutscher Industrie- und Handelskammertag, DIHK, und Deutscher Handwerkskammertag, DHKT), der Kultusministerkonferenz und dem Bun-desinstitut für Berufsbildung (BIBB) verbindliche Standards für die Qualifizierung im Bereich der Additiven Fertigung zu entwickeln.

Additive Fertigungsverfahren in der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung berücksichtigen Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt für additive Fertigungstechnologien sind zurzeit sehr dynamisch.179 Allerdings wird diese Dynamik in den Modellen und Prognosen der Wirt-schafts- und Arbeitsmarktforschung nur unzureichend berücksichtigt, da in diesen Model-len die additive Fertigung zumeist noch nicht als eigene Kategorie erfasst und somit eine veraltete Branchen- und Berufsstruktur fortgeschrieben wird.180

Die beteiligten Institute und Behörden, beispielsweise das Bundesinstitut für Berufsbil-dung (BIBB), das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) oder das Statistische Bundesamt (Destatis), sind deshalb aufgefordert, ihre Analyseinstrumente und Modelle so zu erweitern, dass Entwicklungen im Bereich der Additiven Fertigung präzise und zeitnah erfasst werden können, um auf Grundlage entsprechender Ergebnisse dann im Anschluss möglichst treffsichere Prognosen erstellen zu können.

Zusammenhang auch kritische Aspekte zu berücksichtigen. So müssen Rohstof-fe für die Additive Fertigung zunächst in eine geeignete Form – also in Pulver- oder Drahtform – gebracht werden, was den zusätzlichen Einsatz von Energie und Ma-terial erfordert, beispielsweise von Edel-gas zur Verdüsung von Metallpulvern.

Zudem müssen die Rohstoffe von ihrer Gewinnung zur Aufbereitung für die Ad-ditive Fertigung bis zu ihrem Einsatz in der Fertigungsanlage ggf. mehrfach trans-portiert werden.186

Außerdem ist der Energiebedarf bei der Additiven Fertigung mit Polymeren höher als bei der Fertigung eines vergleichbaren Bauteils mit konventionellen Methoden, beispielsweise mittels Kunststoffspritz-guss. Da mithilfe additiver Fertigungs-verfahren allerdings filigranere oder hohle Bauteile hergestellt werden können, kann das Ergebnis am Ende dennoch zuguns-ten additiver Technologien ausfallen. Die Gesamtenergiebilanz hängt aber von vie-len weiteren Faktoren ab, etwa von der Beladung der Bauplattform im SLS-Pro-zess oder der Gesamtauslastung der Fer-tigungsmaschine.187 Wenn bei der Her-stellung zudem ein Material mit höherem Energiebedarf verwendet wird als bei kon-ventioneller Fertigung – beispielsweise Holz durch Kunststoff ersetzt wird –, kann das die Energiebilanz der additiven Tech-nologien wiederum verschlechtern.188 Schließlich ist festzustellen, dass der oben beschriebenen Wiederverwertung von Pulverwerkstoffen (Metalle und Kunst-stoffe) gegenwärtig noch enge Grenzen gesetzt sind, da sich das Material im Laufe mehrerer Prozesszyklen nach und nach mit Sauerstoff aus der Prozessatmosphäre anreichert und somit verunreinigt wird.

Eine solche Verunreinigung mit Sauer-stoff kann sich bei bestimmten

Werk-186 Kellens et al., 2017.

187 Faludi et al., 2015; Kreiger & Pearce, 2013.

188 Stahl, 2013.

Ein weiterer Vorteil der Additiven Ferti-gung besteht in dem – zumindest theo-retisch – geringeren Energieaufwand bei Transport und Logistik der fertigen Produkte. Da die Produktion mit ad-ditiven Fertigungsverfahren dezentral durchgeführt werden kann, lassen sich entsprechende Bauteile in unmittelba-rer Nähe ihres Einsatzortes herstellen.182 Gegenwärtig sind solche dezentralen Fer-tigungseinrichtungen allerdings noch die Ausnahme.

Darüber hinaus können sich Energieein-sparungen auch während der Verwen-dung additiv gefertigter Bauteile ergeben.

Die ausgeprägte geometrische Freiheit im Rahmen additiver Fertigungsprozesse er-möglicht es, Bauteile leichter zu konstruie-ren und damit beispielsweise die Effizienz der Flug- und Fahrzeuge, in denen sie ver-baut sind, zu steigern.183 In der Recycling-phase wirkt sich außerdem positiv aus, dass additiv gefertigte Bauteile bislang vorwiegend aus einem einzigen Mate-rial bestehen und sich aus diesem Grund vergleichsweise gut recyceln lassen. Au-ßerdem erleichtert die Tatsache, dass viele Einzelteile durch ein einziges ad-ditiv hergestelltes Bauteil ersetzt werden können, die Wiederverwertung am Ende der Lebensdauer. Schließlich werden ad-ditive Technologien auch zur Reparatur von Komponenten verwendet, womit sich ebenfalls Einsparungen erzielen lassen, da Bauteile nicht komplett ersetzt, son-dern lediglich erneuert werden müssen.184 Ob sich all die genannten Vorteile der Ad-ditiven Fertigung in einer ganzheitlichen Betrachtung des Energie- und Material-bedarfs über die gesamte Lebensdauer eines Bauteils hinweg tatsächlich positiv auswirken, ist allerdings nicht einfach zu beantworten,185 denn es sind in diesem

182 Khajavi, Partanen & Holmström, 2014.

183 R. Huang et al., 2016.

184 Ford & Despeisse, 2016; Khajavi, Partanen & Holm-ström, 2014.

185 S. H. Huang et al., 2013.

stoffen (z. B. Titanlegierungen) negativ auf die mechanischen Eigenschaften aus-wirken.190 Bei Polymerpulvern sind so bei-spielsweise Neupulverzugaben von bis zu 50 Prozent des ursprünglichen Pulvervo-lumens erforderlich. Die Optimierung von Maschinen oder Produktionsorganisation und die Entwicklung von Werkstoffen, die toleranter gegenüber Wärmelast und Sau-erstoffverunreinigung sind, können das Recycling im Bereich der Additiven Fer-tigung zukünftig effizienter machen. Falls künftig allerdings zunehmend Multima-terial-3D-Druck-Technologien eingesetzt werden sollten, wird das negative Auswir-kungen auf die Wiederverwertbarkeit ad-ditiv gefertigter Materialien haben.

Es besteht bislang kein Konsens darü-ber, ob additive Fertigungsverfahren hin-sichtlich ihres Energie- und Materialver-brauchs insgesamt besser oder schlechter abschneiden als konventionelle

Produktio-nsverfahren. Allerdings existieren bereits erste Modelle zur Vorhersage der Nach-haltigkeit bei der Fertigung bestimmter Komponenten.191 Dabei ist es auch mög-lich, dass Kombinationen von additiven und subtraktiven Fertigungsverfahren mit Blick auf die Energiebilanz zu optimalen Ergebnissen führen.192 Gegenwärtig ist der weltweite Markt für additiv hergestellte Produkte aber noch zu klein, um über ein-zelne Fallstudien hinaus allgemeingültige Aussagen zur Nachhaltigkeit der additiven Technologien treffen zu können.

Die in der Additiven Fertigung eingesetz-ten Werkstoffe entsprechen heute größ-tenteils denen der konventionellen Ferti-gungsverfahren (siehe Kap. 3.3). Deshalb ergeben sich mit Blick auf die Verfügbar-keit der benötigten Rohstoffe aktuell keine Bedenken, die über die bekannten (z. B.

Knappheit Seltener Erden als Legierungs-elemente) hinausgehen würden.

5.3.2 Handlungsempfehlungen zum nachhaltigen Einsatz additiver Fertigungstechnologien

Die Additive Fertigung hat das Potenzial, durch geringeren Energie- und Materialeinsatz sowie weniger Ausschuss in der Produktion die Umwelt zu entlasten. Wie groß dieser Effekt im Vergleich zu herkömmlichen Fertigungsverfahren insgesamt sein wird, ist gegenwärtig noch unklar. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass sich keine allgemeine Bilanz des Einspar-potenzials additiver Technologien ziehen lassen wird. Stattdessen müssen voraussichtlich für jeden Einsatzbereich und möglicherweise für jede Bauteilart gesonderte Betrachtungen angestellt werden. Dabei ist allerdings nicht nur der eigentliche additive Herstellungspro-zess zu berücksichtigen. Vielmehr müssen sämtliche vor- und nachgelagerten ProHerstellungspro-zess- und Transportschritte analysiert und mit konventionellen Prozessketten verglichen werden.

Es gibt innerhalb der Prozesskette der gegenwärtig bekannten additiven Fertigungsverfah-ren keine neuen, bislang unbekannten Gefahrstoffe für Umwelt, Personal oder Verbrauche-rinnen und Verbraucher. Selbstverständlich ist allerdings auf eine sorgfältige Einhaltung der bestehenden Umwelt- und Arbeitsschutzvorschriften zu achten, was beispielsweise die Ver-wendung von Materialien wie Metall- oder Kunststoffpulver sowie Kunstharze und Säuren zum Entbindern von gedruckten Kunststoff-Grünkörpern betrifft.193 Beachtenswert ist in die-sem Zusammenhang auch der populärer werdende Einsatz von potenziell umweltschädlichen Chemikalien im Heim-3D-Druck (z. B. lösliche Supportmaterialien, Rohstoffe für

Stereolitho-189190191192

189 Tang et al., 2015.

190 Beispielsweise Bourhis et al., 2013; Priarone & Ingarao, 2017.

191 Le, Paris & Mandil, 2017.

192 Faludi et al., 2015.

193194

193 Cole et al., 2011.

194 May, Stahl & Taisch, 2016.

grafie). Hier ist zunächst vor allem auf eine frühe und grundsätzliche Aufklärung von Ver-braucherinnen und Verbrauchern zu achten. Für die zukünftige Anwendungspraxis ist zu-dem ein unbedenklicher Ersatz zu entwickeln.

Mit Blick auf eine mögliche Umweltbelastung durch additive Fertigungsverfahren wird ge-genwärtig auch der schädliche Eintrag feiner Kunststoffpartikel in Meere, Fließ- und Still-gewässer diskutiert.194 Die gut dokumentierten Materialflüsse in der industriell betriebenen Additiven Fertigung bieten in diesem Zusammenhang allerdings keinen Grund für besonde-re Besorgnis.

Um die Einführung additiver Fertigungsverfahren nachhaltig gestalten und potenzielle Vor-teile für die Umwelt optimal nutzen zu können, empfehlen die Akademien die folgenden Maßnahmen:

Daten zu Energie- und Materialverbrauch additiver Verfahren erfassen

Der tatsächliche Energie- und Materialverbrauch, der mit der Herstellung und Verwendung eines additiv gefertigten Bauteils über dessen gesamten Lebenszyklus verbunden ist, soll-te weisoll-terhin erforscht werden. Wie oben bereits dargessoll-tellt, ist bislang nicht eindeutig zu bestimmen, ob die Additive Fertigung tatsächlich so ressourcenschonend arbeitet, wie oft behauptet wird. Daher ist eine ganzheitliche Analyse des Energieverbrauchs sorgfältig und für den gesamten Produktlebenszyklus durchzuführen, wobei individuelle Prozesse, Bau-teile und Anwendungen detailliert zu berücksichtigen sind. Zu diesem Zweck sollten Anreize dafür geschaffen werden, dass Forschung und Industrie die Daten zum Verbrauch additiver Verfahren in ihrem jeweiligen Kontext erfassen und zur weiteren Auswertung sowie für Vergleichsanalysen zur Verfügung stellen. Dabei sollte die ökologische Bilanz der Additi-ven Fertigung nicht nur mit der konAdditi-ventionellen Verarbeitung gleicher Materialien, sondern auch mit der Herstellung von Produkten aus natürlichen Rohstoffen (z. B. Holz, Bambus, Baumwolle oder Keramik) verglichen werden.195

Ressourcenschonung bei der Planung des additiven Fertigungsprozesses berücksichtigen Auf Grundlage der entsprechenden Lebenszyklusanalysen sollten die Konstruktionsricht-linien für die Additive Fertigung so angepasst werden, dass das Prinzip der Ressourcen-schonung hinreichend Berücksichtigung findet. Zudem sollten Kriterien für die Auswahl der nachhaltigsten Fertigungstechnologien für die verschiedenen Anwendungsfelder der Ad-ditiven Fertigung erarbeitet werden.

Bestehende Arbeits- und Umweltschutzmaßnahmen auf additive Fertigungsverfahren ausweiten

Über die Einhaltung bestehender Arbeits- und Umweltschutzmaßnahmen hinaus (siehe Kap. 5.2.7), sollten geschlossene Materialkreisläufe für alle im Kontext der Additiven Ferti-gung verwendeten Gefahrstoffe Standard werden. Auf die strikte Umsetzung der Vorgaben zum Umwelt- und Arbeitsschutz ist insbesondere in solchen Bereichen besonders zu ach-ten, in denen die additive Fertigung neu etabliert wird.

Regulatorische Aspekte

Additive Fertigungsverfahren werden in vielen Bereichen der Produktion, der Wartung und des Vertriebs zur Etablie-rung neuer Prozess- und Verfahrensket-ten führen. Dies hat zur Folge, dass auch juristische Fragen, die in diesen Bereichen auftreten, neu bewertet werden müssen.

Im Wesentlichen betrifft dies Fragestel-lungen im Hinblick auf das geistige Ei-gentum, haftungs- und kartellrechtliche Fragen. Um mit diesen neuen Konstella-tionen umzugehen, bedarf es keiner neu-en rechtlichneu-en Regelungneu-en, innerhalb der gegebenen rechtlichen Rahmenbedingun-gen finden sich alle hierfür notwendiRahmenbedingun-gen Instrumente. Allerdings ist noch nicht ganz klar abzusehen, wie diese in konkre-ten Fällen auszulegen sind. Hierfür bedarf es der Verhandlung von Präzedenzfällen, auf deren Grundlage sich eine gängige Rechtspraxis etablieren wird. Im Folgen-den wird eine rechtliche Einordnung im-materialgüterrechtlicher Fragen in Bezug auf additive Fertigungsverfahren aus zwei entgegengesetzten rechtlichen Perspekti-ven unternommen.

A Immaterialgüterrecht (R. M. Hilty)