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4 Neue Anwendungsgebiete der Additiven Fertigung

4.2 Additive Fertigung in der Architektur und im Bauwesen

4.2.2 Bauwesen / Hochbau und Brückenbau

Fertigungsverfah-ren sind der geometrischen Formgestal-tung von Bauteilen nur wenige Grenzen gesetzt, sodass auch räumlich gekrümm-te, also schalenartige Tragkonstruktionen hergestellt werden können. Durch die ad-ditiv ablaufende Formbildung lassen sich bereits im Verlauf der Fertigung bauphysi-kalisch sinnvolle bzw. technisch erforder-liche Hohlräume oder Aussparungen im Bauteil realisieren, wodurch aufwendige und zum Teil unfallträchtige Stemm- und Bohrarbeiten überflüssig werden. Zudem lassen sich mithilfe additiver Technolo-gien beträchtliche Gewichtseinsparungen bei der Bauteilproduktion erzielen, weil Material exakt nur dort eingebracht wird, wo es auch tatsächlich benötigt wird. Ins-gesamt ist beim Einsatz solcher Verfahren außerdem mit erheblichen Energie- und CO2-Einsparungen zu rechnen, was zu einer kostengünstigeren und nachhalti-geren Bauweise beitragen kann. Darüber hinaus reduziert sich durch Additive Fer-tigung der bei traditioneller Bauweise üb-liche Schalungs- und Rüstungsaufwand oder entfällt gänzlich. Aus wirtschaftli-cher Sicht verspricht die vereinfachte

La-gerung von Bau- und Werkstoffen auf der Baustelle schließlich auch verschiedene Vorteile für die Logistik.

Derzeit werden für Anwendungsbereiche im Bauwesen verschiedene Verfahren der Verarbeitung höchst unterschiedlicher Materialien entwickelt, erforscht und im praktischen Einsatz erprobt. Ein we-sentlicher Faktor bei der Additiven Fer-tigung mit zementgebundenem Material im Massivbau ist die Zusammensetzung des Betons. Dieser muss als Frischbeton zunächst eine gute Fließ- und Verarbei-tungsfähigkeit aufweisen und anschlie-ßend, nach dem Erhärten, bestimmten mechanischen Anforderungen wie Festig-keit, Dauerhaftigkeit und Gebrauchstaug-lichkeit genügen. Insbesondere das stark zeitabhängige Materialverhalten von fri-schem Beton hat Wechselwirkungen wäh-rend des Druckprozesses zur Folge, die die Verbundfestigkeit zwischen den ein-zelnen Schichtintervallen und damit auch das Verformungsverhalten des entspre-chenden Bauteils beeinflussen.91 Neben unterschiedlichen Betonmixturen werden gegenwärtig zementgebundene Gemische (z. B. Mischungen aus Zement, Holz und Wasser im additiv gefertigten Holzbau) oder andere Materialkombinationen er-probt oder bereits industriell genutzt.92 4.2.2.1 Additive Verfahren im Bauwesen In der Additiven Fertigung werden bereits seit Längerem Extrusionsverfahren einge-setzt, mit denen auch Werkstoffgemische additiv verarbeitet werden können. In den USA wird am Daniel J. Epstein Depart-ment of Industrial and Systems Enginee-ring der University of Southern California seit mehr als zehn Jahren intensiv an einer Überführung additiver Fertigungstechno-logien in das Bauwesen, dem sogenannten Contour Crafting geforscht.93 Unter Ver-wendung eines auf Schienen geführten

91 Ingenieurfakultät Bau Geo Umwelt, o. J.

92 Kohl, Kaufhold & Burkhardt, 2018.

93 Khoshnevis, 2004; Molitch-Hou, 2013.

Makrofertigungsroboters lassen sich im Zuge dieses Verfahrens schichtweise gan-ze Gebäude, größere Bauwerksabschnitte oder großskalige Tragwerksteile erstellen.

Dabei werden auf Grundlage eines nativen 3D-CAD-Modells und mithilfe eines Portal-krans computergesteuert Spritzbetondüsen bewegt, die durch seitliche Führungsbleche (Kellen) begrenzt sein können. Der Por-talkran ist zudem in der Lage, mittels ent-sprechender Greifarme gezielt Einzelteile (Träger, Stürze etc.), verschraubte Stahl-bewehrungen, aber auch Installationsmo-dule oder Elektroleitungen zu verbauen.

Die Verwendung von frei fahrenden Portal-robotern ermöglicht schließlich, besonders große bzw. hohe Bauräume zu erschließen (Abb. 7). Insbesondere in China wurde die-se Methode bereits von mehreren Unter-nehmen für die druckbasierte Fertigung von Wohnhäusern eingesetzt.

Ein weiteres Verfahren, das gegenwärtig erforscht wird, ist das „Robot-guided Shot-crete 3D Printing“ (SC3DP).94 Dabei han-delt es sich um ein robotergestütztes Spritz-betonverfahren, mit dem sich gekrümmte Bauelemente aus Beton herstellen lassen, wobei auf Schalung und Rüstung verzich-tet werden kann. Die individuellen Bautei-le werden bei diesem Verfahren von einem Roboterarm mit Spritzdüsen additiv gefer-tigt, während ein zweiter Roboterarm mit CNC-Fräse eine subtraktive Nachbearbei-tung der Bauteile ermöglicht,

beispielswei-94 TU Braunschweig, 2019.

se durch Sägen oder Fräsen millimeterge-nauer Fugenverläufe.

Erforscht und erprobt werden aktuell zu-dem additive Fertigungsverfahren, die auf dem Prinzip des selektiven Bindens („Selective Binding“)95 basieren. Bei ent-sprechenden Verfahren wird zunächst schichtweise schüttbares Material (z. B.

Sand oder Gesteinskörnungen) ausge-bracht, das anschließend an jenen Stellen, die sich zu gebrauchsfertigen Bauteilen verfestigen sollen, mit einem bindungs-fähigen Fluid (z. B. Wasser-ZemGe-misch) benetzt wird. Auf diese Weise ent-steht Schicht für Schicht ein zuvor mittels Software modellierter Festkörper. Vorteil eines solchen Verfahrens ist, dass Bau-teile mit komplizierter Geometrie ohne Stützkonstruktionen gefertigt werden können. Erprobt werden in diesem Zu-sammenhang gegenwärtig zwei Verfah-rensvarianten, die sogenannte selektive Zementaktivierung und der selektive Ze-mentleimeintrag.

Bei der Verarbeitung metallischer Werk-stoffe, insbesondere von Stahl bzw. Beweh-rungsstahl, erfolgt die additive Herstellung zumeist mittels speziell ausgelegter Robo-ter – entweder durch SchweißroboRobo-ter in Kombination mit Strangpress-Verfahren oder aber durch Roboter, die vorgefertigte Bewehrungen prozessgesteuert in additiv gefertigte Betonstrukturen einbringen.

Al-95 Ingenieurfakultät Bau Geo Umwelt, o. J.

a) b)

Abbildung 7: Visionen des zukünftigen Hausbaus. a) Computersimulation eines Portalkranroboters beim Druck von Spezialbeton, b) Simulation mehrstöckiger Portalkranroboter beim Verlegen von Trägern auf die additiv gefertigten Strukturen (Bildquelle: Contour Crafting Corporation, Los Angeles).

lerdings werden auch Lösungsansätze er-probt, bei denen das Einfädeln der Beweh-rung bereits im Druckkopf erfolgt. Speziell im Stahlbau kommt seit Kurzem zudem er-folgreich ein Kombinationsverfahren zum Einsatz, das formgebendes Schweißen mit flexibler Robotertechnik verbindet („Wire Arc Additive Manufacturing“, WAAM).96 4.2.2.2 Anwendungsbeispiele der Additiven Fertigung im Bauwesen

Weltweit existieren inzwischen verschie-dene Beispiele für die Erzeugung von Bau-werken mittels additiver Fertigungstech-nologien (Abb. 8), wobei der Bauraum für den Druck im Bauwesen deutlich größere Dimensionen aufweist als der in anderen Fertigungssparten. Das erste funktionsfä-hige Haus aus Additiver Fertigung wurde 2016 durch die Dubai Future Foundation im Zentrum der arabischen Metropole er-richtet. Das sogenannte Office of the Future umfasst ca. 250 Quadratmeter. Seine ein-zelnen Bestandteile wurden innerhalb von 17 Tagen mittels einer speziell verstärk-ten Betonmischung, glasfaserverstärktem Gips sowie faserverstärktem Kunststoff gedruckt und anschließend zusammenge-fügt. Nach Angaben des Bauherrn konnten die Baukosten durch den geringen Perso-nalaufwand in der Fertigung erheblich re-duziert werden.97

Neben dem Einsatz additiver Fertigungs-verfahren im Hochbau gibt es

mittler-96 Feldmann et al., 2019.

97 Dubai Future Foundation, 2016.

weile auch zunehmend Forschungs- und Bauprojekte, die das Ziel haben, entspre-chende Technologien für den Brückenbau nutzbar zu machen. Im Oktober 2017 wur-de im Rahmen eines Forschungsprojekts der Technischen Universität Eindhoven so bereits die weltweit erste additiv ge-fertigte Brücke in Gemert (Niederlande) eröffnet.98 Es handelt sich dabei um eine Fahrradbrücke mit einer Länge von 8 Me-tern und einer Breite von 3,5 MeMe-tern, die aus speziell angemischtem Beton in Wa-benstruktur gefertigt wurde. Der Vorteil des Verfahrens liegt darin, dass zum einen auf die traditionelle, teure Schalung und Rüstung verzichtet werden kann, zum an-deren erhebliche Mengen an Beton ein-gespart werden, ohne dass Stabilität und Tragfähigkeit der jeweiligen Konstruktion darunter zu leiden hätten. Zudem tra-gen entsprechende Technologien zu einer nachhaltigeren Bauweise bei, da sich die emittierte CO2-Menge gegenüber traditio-nellen Bauverfahren erheblich verringert.

Die weltweit bislang längste additiv gefer-tigte Betonbrücke wurde 2019 in Shanghai (China) errichtet. Es handelt sich um eine geschwungene Fußgängerbrücke (Länge:

27 m, Breite: 3,6 m), die einen kleinen Ka-nal überspannt. Im Verlauf der Fertigung wurde außerdem ein Monitoringsystem verbaut, das die Verformungen der Brücke kontinuierlich überwachen soll.

Darüber hinaus wird aktuell auch an Ver-fahren zum Design und zur Herstellung

98 TU Eindhoven, 2017.

a) b)

Abbildung 8: a) Produktionsprozess eines additiv gefertigten Gebäude eines Anbieter für Hausbau auf Nachfrage („Building on Demand“), b) Haus, dessen Fundament und Wände additiv gefertigt wurden (Bildquelle:COMOD).

extrudierte Metallstränge verschweißen, eine voll belastbare Tragstruktur (Abb.

9).99

Additive Fertigungsverfahren lassen sich außerdem für die Herstellung einfacher Schutzbauten (z.B. aus Polyurethan-schaum) verwenden.100 Entsprechende Technologien haben den Vorteil, dass sie auch in solchen Regionen eingesetzt werden können, die für Menschen unzu-gänglich sind, beispielsweise in chemisch oder radioaktiv hoch belasteten Arealen, aber auch im Bereich der Weltraumfor-schung.

additiv gefertigter Brücken aus Stahl ge-forscht. So hat ein Konsortium der Tech-nischen Universität Delft und des Amster-dam Institute for Advanced Metropolitan Solutions in den Niederlanden eine Me-thode zur additiven Herstellung stähler-ner Brückenkonstruktionen entwickelt und im Rahmen eines dreijährigen Bau-projekts zur Fertigung einer Fußgänger-brücke in Amsterdam bereits eingesetzt.

Gestützt auf das Prinzip der Topologieop-timierung wurde dabei zunächst ein CAD-Modell der geplanten Brücke erstellt. An-schließend erzeugten Schweißroboter, die computergesteuert und interaktiv additiv

a) b)

Abbildung 9: a) Produktionsprozess einer additiv gefertigten Fußgängerbrücke aus Stahl mit einem Schweißroboter (Bildquelle: Oliver de Gruijter, MX3D), b) Fertiggestellte Brücke bei einem Test in Amsterdam

(Bildquelle: Tim Geurtjens, MX3D).

99100

99 Für weitere Informationen siehe MX3D, o. J.

100 Keating et al., 2017.

4.2.3. Empfehlungen zur Förderung der Additiven Fertigung im Bauwesen