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8.3. Nachbefragung zum FAST

Im Zusammenhang mit den FAST-Darstellungen wurde mit allen befragten Familienmitgliedern auch noch die dazugehörende Nachbefragung duchgeführt. Wie sich herausstellte, fiel es vielen Personen, insbesondere den Kindern, schwer die Fragen zu beantworten, was auch eine systematische inhaltliche Auswertung der Fragen verunmöglichte. Andererseits bildeten die Nachbefragungen auch die Basis zu persönlicheren Gesprächen, im Laufe derer sich viele interessante Hinweise auf die Interpretation der FAST-Darstellungen sowie auch allgemeine Informationen über die Familie und ihren Umgang mit der psychischen Erkrankung der Mutter

ergaben. Im folgenden sollen die Befunde der Nachbefragung zusammengefasst und zwecks besserem Verständnis mit einzelnen Aussagen exemplarisch ergänzt werden.

8.3.1. Typische Repräsentationen

Die erste Frage zur typischen Repräsentation – ob die Darstellung eine konkrete Situation zeige – wurde von praktisch allen befragten Personen verneint und erklärt, dass es sich mehr um eine allgemeine Einschätzung der momentan typischen Familiensituation handle. Die zweite Frage – zur Stabilität der dargestellten Situation – war v.a. für die Kinder schwer zu beantworten;

diejenigen, welche antworteten, meinten es sei „schon immer“ oder „lange“ so. Auch die meisten Väter beurteilten die Stabilität der dargestellten Situation als hoch, einige gabe präzisere Angaben wie „seit einem halben Jahr“, „seit drei Monaten“ oder „seit zwei Jahren“. Ähnliche Aussagen machten auch ein paar Mütter; von ihnen wurde die Stabiliät ebenfalls als hoch eingeschätzt, zwei gaben an, die Situation sei sei der Geburt der Kinder so oder seit der Schwangerschaft. Bei der dritten Frage – welches die Unterschiede zu den früheren Familienbeziehungen wären – bezogen sich einige Kinder direkt auf die dargestellten Dimensionen der Kohäsion und Hierarchie, etwa dass die „Nähe anders“ sei, dass sich die Eltern früher näher gewesen wären, zwischen den Eltern mehr Gleichheit gewesen sei oder die Mutter „früher mehr zu sagen“ gehabt hätte. Ein Kind sagte, heute „gebe es mehr Streit“. Die Antworten der Väter und Müttern weisen in die gleiche Richtung, es habe „früher mehr Nähe“ – v.a. zwischen den Eltern – gegeben und die Hierarchie sei ausgeglichener gewesen, wobei sich die Väter teilweise direkt auf die Zeit vor der psychischen Erkrankung bezogen. Des weiteren wurden von Kindern, Müttern und Vätern auch noch Änderungen der Familiensituation im Zusammenhang mit der Entwicklung und dem Älterwerden der Kinder – Entfernung von den Eltern in der Pubertät, Änderung der Geschwisterbeziehung u.ä. – genannt. Die Frage nach der Ursache der Veränderung wurde von den meisten Kindern nicht beantwortet, zwei nannten als Grund die Erkrankung der Mutter. Von den Müttern nannte nur eine die Erkrankung als Ursache für die Veränderung, die anderen bezogen sich eher auf die Geburt und spätere Entwicklung der Kinder, eine Frau nannte eine aussereheliche Beziehung ihres Mannes als Grund. Im Gegensatz zu den Müttern erwähnten einige Väter die psychische Erkrankung als Ursache der familiären Veränderungen, andere nannten ebenfalls die Entwicklung der Kinder als Grund.

Die Fragen 5-7 (Blickrichtung, Farbwahl) wurden bei der Nachbefragung weggelassen.

8.3.2. Ideale Repräsentationen

Die Fragen zur idealen Repräsentation waren für die meisten Personen einfacher zu beantworten.

Die erste Frage, ob die dargestellte Situation eine konkrete sei und ob diese sich schon einmal ereignet habe, nannten fast alle Personen – v .a. aber die Kinder – Ereignisse oder Unternehmungen, an welchen die ganze Familie beteiligt ist: Spielen, Wandern, Musikmachen, zusammen essen, Filme schauen, Ferien, Feste. Die Mehrheit der Kinder meinte zur zweiten Frage, diese Situation komme häufig oder manchmal („ab und zu“) vor, dieselbe Ansicht hat auch die Mehrheit der Mütter und Väter. Allerdings gaben nicht wenige Personen an, diese Situation gäbe es in ihrer Familien „selten“ oder „nie“. Auf die dritte Frage, wann diese Situation zum letzten Mal vorgekommen sei, soll hier nicht eingegangen werden, da die Antworten inhaltlich nicht viel hergeben. Die Antworten auf die vierte Frage, was geschehen müsste, damit die typischen Beziehungen dem Idealbild entsprechen, fielen sehr individuell aus: nur gerade zwei Kinder, eine Mutter und drei Väter meinten, ohne die psychische Erkrankung der Mutter wäre die Familiensituation näher beim Idealbild. Einige Kinder gaben an, dass die gewünschten Veränderungen auch von den Kindern abhängen könnten, z.B. wenn sie mehr „folgen“ würden, wenn es weniger Streit gäbe zwischen den Geschwistern oder die Geschwister älter würden oder wenn die Kinder „mehr Einfluss“ hätten. Die Mütter gaben sehr verschiedene Änderungsmöglichkeiten an, sie glaubten, dass die Familiensituation sich verbessern würde, wenn z.B. alle „mehr Zeit füreinander hätten“, wenn eine finanzielle Entlastung da wäre, wenn mehr miteinander geredet und zugehört würde und „alle eine Stimme hätten“, wenn die Partnerschaft besser wäre oder der „Mann mehr an sich arbeiten würde“. Auch ein paar Väter fanden, es wäre einfacher, wenn die Familie mehr Zeit miteinander verbringen würde, eine weitere Idee war, dass es wichtig wäre „die Frau würde ihren eigenen Weg“ gehen oder „sich ihre Rechte nehmen“. Diejenigen Personen, welche die Frage nach der Wichtigkeit der Veränderungen beantworten konnten, sagten fast ausschliesslich, es wäre „wichtig für die ganze Familie“.

Zu den idealen Repräsentationen fielen häufig die Stichworte „Harmonie“, „Ausgeglichenheit“

und v.a. „Gleichberechtigung“. In diesem Sinne wurden häufig keine Hierarchieunterschiede zwischen den Familienmitgliedern aufgestellt, eine Tatsache, die den Anteil unbalancierter Strukturen auf der Familienebene sicher z.T. erklärt.

8.3.3. Individuelle Gespräche

Obwohl sich aus den persönlichen Gesprächen mit den Familienmitgliedern anschliessend an die – einzeln durchgeführten – FAST-Aufstellungen v.a. aufschlussreiche Informationen über die individuelle Situation der einzelnen Familien ergaben, welche sich beträchtlich unterscheiden und aus denen keine für die ganze Stichprobe gültigen Aussagen abgeleitet werden können, sollen hier einige Bereiche anhand von Aussagen noch genauer beleuchtet werden.

Bedenken, dass die psychische Erkrankung der Mutter negative Folgen für die Kinder haben könnte, wurden kaum direkt angesprochen. Eine Mutter fragte, ob ihre Kinder etwas Negatives über sie gesagt hätten und eine Mutter berichtete, sie hätte früher Angst gehabt, ihre Tochter seelisch zu „zerstören“. Ein Mädchen berichtete, sie habe manchmal Angst (sie hatte ihre Mutter schon zweimal nach einem Suizidversuchen gefunden) und frage sich, was das für eine Krankheit sei. Allerdings könne sie auch mit der Grossmutter darüber reden. Ein anderes Kind sagte, es sei

„schwierig zu verstehen, was mit der Mutter los sei“, wenn sie krank sei, wäre sie „wie weit weg“. Zwei Kinder meinten, wenn es der Mutter schlecht gehe, gebe es viel weniger Streit zwischen den Geschwistern. Eine Frau erzählte, dass in den Phasen der Depression die Anforderungen an sie als Hausfrau und Mutter von vier Kindern zwischen vier und zehn Jahren ihr auch Halt und Ablenkung böten, während für andere Frauen gerade diese Aufgaben zur Überforderung und einem schlechten Selbstwertgefühl beitrugen. Ein Vater, welcher in der typischen FAST-Darstellung eine deutliche doppelte Hierachieumkehrung gezeigt hatte, meinte, der Sohn habe am meisten Einfluss in der Familie, weil er der Grund sei, dass sich die Eltern entschlossen hatten „etwas für die Partnerschaft zu tun“. Eine weitere Aussage einer Mutter war, dass es für die Kinder sehr wichtig sei, dass in Notfällen oder Krisen alles geregelt ist, dass eine Kontinuität existiere trotz der Erkrankung und Klinikaufenthalten, dass das Kind die Gewissheit habe, dass „es weitergeht“.

Einige Väter wiesen auf ihre potentielle Überforderung und Überlastung als „Familienmanager“

in akuten Erkrankungsphasen hin und dass sie sich v.a. in Phasen vor einer Klinikeinweisung sehr auf sich allein gestellt fühlten; ebenfalls sprachen sie von ihrer Distanzierung von der Partnerin in solchen Zeiten, einerseits eben aus Überforderung, andererseits aber auch willentlich

„um einen klaren Kopf zu behalten“ oder „einander nicht auf die Zehen zu treten“. Eine Frau beschrieb die Paarbeziehung und die damit verbundene Ambivalenz während einer Episode psychischer Erkrankung folgendermassen (aus einem Brief an die Verfasserin):

...ebenfalls verschliesse ich mich sehr auch visàvis meines Mannes, was oft nicht einfach für unsere Beziehung ist, denn eigentlich brauche ich seine Liebe und Zärtlichkeiten sehr, kann es aber schlecht zulassen bis gar nicht!

Die Väter wiesen auch auf die organisatorischen Probleme hin, welche sich aus einer Klinikeinweisung ergeben, einer meinte, der „Umgang mit der Psychiatrie müsse erst gelernt werden“, ein anderer sagte, es sei sehr wichtig, dass „Feuerwehrübungspläne“ für Notfälle vorher gemacht werden, z.B. Absprachen mit Nachbarn, Grosseltern und Bekannten wegen der Kinderbetreuung und die Information der Arbeitskollegen und Vorgesetzten darüber, dass solche Notfälle eintreffen können und dann der nötige Spielraum vorhanden ist. Ein Vater betonte, wie wichtig das Wissen über die Krankheit und die adäquate Information durch die behandelnden Psychiater sei, ein anderer wünschte sich einen „Vermittler“ zwischen Klinik und Familie, der dazu beiträgt, dass die Familie genügend informiert wird und das Vorgehen in Krisensituationen gemeinsam geplant werden kann. Ein Vater erwähnte, dass, obwohl er sich z.T. sehr hilflos fühle, der Situation auch Positives abgewinnen könne, z.B. habe er gelernt, Hilfe anzunehmen und den Wert von Freundschaften schätzen gelernt.