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Die „klassische“ HD Trias setzt sich aus Bewegungsstörungen, psychiatrischen Veränderungen und kognitiven Einbußen zusammen. In dieser Arbeit wurden insbesondere die ersten beiden Parameter betrachtet, da die Tests zur Erfassung der Motorfunktion (Accelerod) und der Ängst-lichkeit (Social Interaction Test of Anxiety) die MögÄngst-lichkeit der wiederholten Messung gewähr-leisten. Dies lässt sowohl die Beurteilung des Krankheitsbeginns als auch des Verlaufs zu.

Eine signifikant gestörte oder beeinträchtigte Motorfunktion konnte nur bei den männlichen tgHD Ratten festgestellt werden, wohingegen die weiblichen tgHD Ratten einen fast identischen Verlauf der Motorfunktion zu ihren Kontrollen zeigten. Die Motorfunktionsstörung bei den tgHD Männchen konnte bereits in früheren Studien gefunden werden (von Hörsten et al. 2003;

Nguyen et al. 2006). Überraschend war jedoch, dass die in dieser Arbeit untersuchten weibli-chen tgHD Tiere keine Einschränkung aufwiesen.

Motorfunktionsbeeinträchtigungen treten bei der Mehrzahl der HD Patienten auf und stellten vor dem Zeitalter der genetischen Testung das Hauptsymptom dar, welches zur Diagnose HD führte. Bereits George Huntington beschrieb 1872 in seiner Arbeit „On Chorea“ dieses Sym-ptom sehr detailliert. Noch heute wird das Erkrankungsstadium im UHDRS (Unified Hunting-ton’s Disease Rating Scale) auch anhand der Motorfunktion definiert (Unified HuntingHunting-ton’s Disease Rating Scale 1996; Siesling et al. 1998). Trotzdem mangelt es an Studien, die dieses Symptom geschlechtsspezifisch untersuchen. Bislang haben sich nur Roos et al. sowie Foroud et al. dieser Fragestellung gewidmet und festgestellt, dass der Krankheitsbeginn (definiert nach dem Auftreten der Bewegungsstörungen) bei Frauen später einsetzte und einen längeren, sprich milderen Verlauf nahm (Roos et al. 1991; Foroud et al. 1999). Zusätzlich konnten beide Studien zeigen, dass die paternale Vererbung zu einem früheren Auftreten der Erkrankung im Vergleich zur maternalen Vererbung führte.

In diversen HD Tiermodellen konnten Motorfunktionsstörungen gefunden werden. In der YAC128 Maus wurde ein schlechteres Abschneiden im Rotarod-Test festgestellt. Dabei ist aus der Arbeit leider nicht ersichtlich, ob hier nur ein Geschlecht getestet wurde oder beide Ge-schlechter zusammen dargestellt wurden (Slow et al. 2003). Ebenso zeigt die R6/2-HD Maus eine Einschränkung der Motorfunktion, die Carter et al. an verschiedenen Motorfunktionstests prüften (Carter et al. 1999). In dieser Studie wurden allerdings nur weibliche Tiere untersucht, so dass wiederum kein Geschlechtsvergleich möglich ist. Jedoch zeigten diese Weibchen eine eingeschränkte Motorfunktion, was im Gegensatz zu den Daten aus der vorliegenden Arbeit steht. Dies mag in erster Linie an der deutlich höheren CAG-Anzahl der R6/2-HD Maus liegen.

Des Weiteren kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Diabetes Mellitus, den die R6/2-HD Mäuse gehäuft entwickeln, Einfluss auf die Motorfunktion hat (Hurlbert et al. 1999).

Überraschenderweise fanden Dorner et al. in ihrer Geschlechtsstudie in der KI HD Maus keine Beeinträchtigung der Motorfunktion (Dorner et al. 2007), obwohl diese bereits zuvor an diesem Modell beschrieben worden war (Menalled et al. 2002).

Somit ist die vorliegende die erste Arbeit, die bei einer systematischen Untersuchung von mög-lichen Geschlechtsunterschieden in einem HD Tiermodell wiederholt Motorfunktionsein-schränkungen nur bei einem Geschlecht (Männchen) finden konnte. Dies unterstreicht die Nähe des tgHD Rattenmodells zu der humanen Form der HD, bei der es ebenfalls Hinweise darauf gibt, dass insbesondere die Motorfunktion bei Männern früher und stärker beeinträchtigt ist.

Häufig gehen den Bewegungsstörungen der HD Patienten Verhaltensveränderungen voraus.

Dabei können Symptome wie Depression, Aggressivität, Sucht oder Psychosen auftreten. Alle zwei Monate wurde deshalb das Verhalten der Tiere im Social Interaction Test of Anxiety unter-sucht. Dabei zeigten beide tgHD Geschlechter deutlich erhöhte Interaktionszeiten, was als redu-zierte Ängstlichkeit interpretiert werden kann (File and Hyde 1978). Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit Daten, die an der R6/2-HD Maus erhoben wurden, und ebenfalls erhöhte Interak-tionszeiten aufwiesen (File et al. 1998). Anzumerken ist jedoch, dass die reduzierte Ängstlich-keit der Tiere im Widerspruch zu einer erhöhten ÄngstlichÄngstlich-keit bei Patienten steht (File et al.

1998; Bates et al. 2002). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass HD Patienten sich ihrer letal ver-laufenden Krankheit bewusst sind, insofern stellt sich die Frage, ob Ängstlichkeit und Depressi-on, die nach der Diagnose der HD auftreten, nicht als sekundäre Reaktion auf die Erkrankung zu interpretieren sind. Die reduzierte Ängstlichkeit, die mit dem validierten Social Interaction Test of Anxiety in den Tieren bereits sehr früh und deutlich vor den ersten nachweisbaren motori-schen Defiziten erfasst wurde (von Hörsten et al. 2003), sollte deshalb eher als ein Marker gene-reller Verhaltensauffälligkeiten in den Tiermodellen betrachtet werden. Die Ergebnisse des Rat-tenmodells könnten somit die bei jungen HD Patienten häufig beobachtete Enthemmung und Affektdysregulation widerspiegeln.

Des Weiteren wurde im Alter von acht Monaten bei den Tieren vor einer Blutabnahme rektal die Temperatur gemessen. Die Messung wurde unter Inhalationsanästhesie durchgeführt, somit ist davon auszugehen, dass die Temperaturen nicht unter stressfreien Bedingungen erhoben wurden, sondern per se stress-induziert erhöht waren. Interessant ist nun die Beobachtung, dass sowohl die männlichen als auch die weiblichen tgHD Ratten signifikant niedrigere Temperatu-ren als deTemperatu-ren Kontrolltiere aufwiesen. Dies könnte zum einen auf eine gestörte Reaktion unter Stress zurückzuführen sein, da eine stress-induzierte Temperaturerhöhung fehlt, bzw. signifi-kant geringer ausfällt (Adriaan Bouwknecht et al. 2007). Zum anderen könnte es auf eine Stö-rung im Hypothalamus als Zentrum der Thermoregulation hinweisen (Boulant 1981). Die Mit-beteiligung des Hypothalamus, wie schon im Kontext der Appetitregulation andiskutiert, ist in den letzten Jahren bei der HD immer mehr in den Fokus geraten. In den tgHD Ratten konnte mittels Rezeptorautoradiographie ein Verlust diverser Rezeptoren im Hypothalamus festgestellt

werden (Bauer et al. 2005). Ebenso konnten sowohl in der R6/2-HD Maus Beeinträchtigungen gefunden werden (Bjorkqvist et al. 2006), als auch ein hypothalamischer Zellverlust in humanen Gehirnen gezeigt werden (Petersen et al. 2005). Somit ist neben der klassischen Störung im Striatum und im Cortex auch eine hypothalamische Beeinträchtigung sehr wahrscheinlich und möglicherweise auch für die metabolischen Probleme von Relevanz, die die HD Patienten zei-gen (Aziz et al. 2007; van der Burg et al. 2008).

Eine weitere, einmalig im Alter von 13 Monaten durchgeführte Messung zur Schreckreaktion (Startle Response und Prepulse Inhibition) zeigte in beiden tgHD Geschlechtern einen Trend zu einer geringeren Inhibition durch einen vorweggeschalteten Prepulse. Die Tiere reagieren auf einen lauten akustischen Reiz mit einer reflexartigen Kontraktion der gesamten Körpermuskula-tur (Startle Response); diese Reaktion kann durch einen leisen, vor dem Startle-Stimulus prä-sentierten Ton (Prepulse) abgeschwächt werden. Diese Inhibition des Startle Response wird als Prepulse Inhibition (PPI) bezeichnet und stellt ein Maß für die sensomotorische Kopplung dar (Swerdlow et al. 1993). Der akustische Startle-Neuronenkreis wurde erstmals von Davis et al.

beschrieben und beinhaltet drei Synapsen, die den Hörnerv via Pons mit dem spinalen Motor-neuron verschalten (Davis et al. 1982). Die Verschaltung der Prepulse Inhibition ist dagegen deutlich komplexer und beinhaltet unter anderem den Nucleus Accumbens, Teile des Hippo-campus sowie der Formatio reticularis (Koch 1999).

Für eine Reihe von Erkrankungen, insbesondere die Schizophrenie, aber auch für viele syste-misch applizierte Pharmaka, konnte eine Beeinträchtigung der sensomotorischen Kopplung gezeigt werden. Swerdlow et al. konnten in einer Studie an HD Patienten eine signifikant er-niedrigte Prepulse Inhibition feststellen, wohingegen der Startle Response selbst nicht beein-trächtigt war (Swerdlow et al. 1995). Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den Ergebnissen an den tgHD Tieren, die ebenfalls keine Störung bei der eigentlich Startle-Reaktion zeigten, jedoch war für beide tgHD Geschlechter ein deutlicher Trend zu einer geringeren Prepulse Inhibition zu sehen. Koch et al. konnten zeigen, dass die PPI dosisabhängig ist, also mit stärkerem Prepul-se auch die Inhibition stärker ausfällt (Koch 1999).

Des Weiteren wurde für die R6/2-HD Maus eine Störung der Prepulse Inhibition gezeigt (Carter et al. 1999). Ein Geschlechtsunterschied ist im Hinblick auf Startle Response und Prepulse In-hibition bislang nicht beschrieben worden. In einem neurotoxisch induzierten Modell mit 3-Nitropropionsäure, welche für HD charakteristische striatale Läsionen verursacht, konnte eben-falls eine Störung der Prepulse Inhibition festgestellt werden (Kodsi and Swerdlow 1997). Zu-sammen mit der unterschiedlichen Verschaltung von Startle Response und Prepulse Inhibition legt dies die Vermutung nahe, dass das Striatum (Nucleus Accumbens) für den Prepulse Inhibi-tion-Neuronenkreis eine wesentliche Rolle spielt, aber wohl geschlechtsunabhängig bei der HD gestört ist.