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Modellierung von Organisationen und Softwaresystemen

Requirements- Requirements-Engineering

2.3 Modellierung von Organisationen und Softwaresystemen

Sowohl die Modellierung von Organisationen als auch die Modellierung von Softwaresystemen beschäftigt sich mit der Gestaltung komplexer Systeme. Wie auch die groben Phasenmodel-le in Abbildung 2.1 und 2.2 zeigen, werden zur Organisationsgestaltung und zur Softwareent-wicklung ähnlich strukturierte Vorgehensmodelle eingesetzt, die gemeinsame Beschreibungs-mittel zur Darstellung statischer und dynamischer Systemzusammenhänge im Requirements-Engineering verwenden.

Die Ursprünge der Techniken zur Beschreibung statischer Aspekte der Aufgabenanalyse und zur Aufbauorganisation können eher in der Organisationslehre (insbesondere bei [Nordsieck, 1962]

und [Kosiol, 1976]) gefunden werden. Die Entwicklung der Beschreibungsmittel zur Darstellung ablauforganisatorischer Zusammenhänge ist aber auch eng mit der Entwicklung in der Informa-tik verbunden. Zur Beschreibung von Ablaufstrukturen in Software wurden hier z. B. Programm-ablaufpläne [DIN 66001, 1983], Struktogramme [Nassi / Shneiderman, 1973] oder Datenflußdia-gramme [Ross, 1977], [DeMarco, 1978] entwickelt, die in gleicher Form auch zur Beschreibung organisatorischer Ablaufstrukturen eingesetzt werden. Eine Vorreiterfunktion der prozeßorien-tierten Organisationsgestaltung weisen [Gaitanides et al., 1994a] sowohl der Fertigungstechnik als auch der Informatik zu. Die Beschreibung von Daten- bzw. Objektstrukturen durch Objekt-Beziehungsdiagramme durch [Chen, 1976] oder Klassendiagramme z. B. durch [Rumbaugh et al., 1991], [Booch, 1994] und [Booch et al., 1999] wurde ebenfalls eher durch die Informatik ge-prägt. Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die heute im Requirements-Engineering verwendeten visuellen Modellierungssprachen ihren Ursprung sowohl in der Organisationslehre als auch in der Informatik finden (vgl. auch [Keller et al., 1992]).

Darüber hinaus bedingen sich Organisationsgestaltung und Softwareentwicklung gegenseitig in der Form, daß weder die Organisationsgestaltung ohne Bezug zur Softwareentwicklung noch die Softwareentwicklung ohne Bezug zur Organisationsgestaltung gesehen werden kann.

Aus Sicht der Organisationstechnik kommen Organisationen heute kaum noch ohne soft-waretechnische Hilfsmittel aus. Die Umsetzung und Koordination von Geschäftsprozessen erfordert die Bereitstellung entsprechender softwaretechnischer Unterstützung, die wie-derum ihre Anforderung an Organisationsstrukturen und -abläufe stellt. Diese Hilfsmittel unterstützen sowohl die Erhebung, Berechnung, Weitergabe und Bereitstellung von Daten als auch die Steuerung konkreter Abläufe. Um diese Aufgaben angemessen zu unterstüt-zen, muß in dieser Software Wissen über die Organisationsstruktur, über die Abläufe zur Aufgabenerledigung und über die einzusetzenden Hilfsmittel abgebildet sein.

Aus Sicht der Softwaretechnik bezieht sich die Entwicklung von Problemlösungen nicht ausschließlich auf die Programmierung von performanten Softwaresystemen. Die Pro-blemlösungen müssen auch die Einbettung der Softwaresysteme in die ihre

Anwendungs-umgebung berücksichtigen. Da Informationssysteme mit dem Ziel erstellt werden (soll-ten), Hilfsmittel zur Unterstützung und Vereinfachung von Arbeitsabläufen zu sein, ist auch eine umfangreiche Erhebung der Anforderungen der Anwendungsbereiche erforder-lich. Hierbei sind ebenso strukturelle Organisationszusammenhänge wie z. B. Aufgaben-zerlegungen und Aufgabenverteilungen als auch dynamische Organisationsaspekte wie z. B. die zu unterstützenden Geschäftsprozesse zu beachten.

Stärkere Querbezüge zwischen Informatik und Organisationstechnik wurden bereits in den 70er Jahren gefordert. Ausgehend von der Feststellung, daß Informatiker bei der Lösung von An-wendungsproblemen auch für die Einbindung der Softwarelösung in die Betriebsorganisation zuständig sind, forderte [Zemanek, 1971] eine organisationstheoretische Fundierung der Infor-matik.

Eine stärkere Berücksichtigung sozialer und organisatorischer Zusammenhänge in der Informa-tik fordert auch [Coy, 1989]. Die Analyse von Arbeitsprozessen und ihre maschinelle Unterstüt-zung, bei der nicht die Maschine, sondern die Organisation und Gestaltung der Arbeitsplätze im Vordergrund steht, sieht er als wesentliche Aufgabe der Informatik. Aus der Auffassung der In-formatik als Disziplin, die sich mit der Organisation und Steuerung formal beschreibbarer und durch Prozessoren ausführbarer Prozesse beschäftigt, leitet [Kornwachs, 1997] die „Theorie der Organisation als Mutterwissenschaft“ der Theorie der Informatik ab.

Kling geht noch einen Schritt weiter und führt „Organizational Informatics“ als eigenstän-dige Disziplin ein, die sich mit der Entwicklung und Verwendung von computerbasierten Informations- und Kommunikationssystemen in Organisationen befaßt [Kling, 1993]. Gegen-über der technisch ausgerichteten „Computer Science“ soll die „Organizational Informatics“ vor allem die Bedingungen untersuchen, unter denen der Einsatz von Computersystemen die Aufga-benunterstützung der Organisationen verbessert.

Die Verbindungen zwischen Softwaretechnik und Organisationstechnik stellt auch [Rolf, 1998a, 7ff], [Rolf, 1998b] in seinen Betrachtungen zur „Organisations-Informatik“ heraus. Er leitet aus diesen Querbezügen die Entwicklung von Methoden, Modellen und Werkzeugen, die sowohl organisatorische als auch softwaretechnische Perspektiven berücksichtigen, als eine Herausfor-derung für die (Wirtschafts-) Informatik ab.

Auch bewegen sich akutelle Ansätze zur Modellierung von Organisationen und Softwaresyste-men deutlich aufeinander zu. [Flatscher, 1998, S. 13] faßt beispielsweise Softwarewerkzeuge zur Aufbau- und Ablaufmodellierung unter den Begriff der CASE-Werkzeuge. Auch durch die Standardisierung der Modellierungssprachen in der Unified Modeling Language [Booch et al., 1999] wird ein Satz an Bescheibungsmitteln vorgeschlagen, der sowohl zur Organisations- als auch zur Softwaremodellierung eingesetzt werden kann. Beispielsweise beschäftigen sich [Ja-cobson et al., 1994], [Balzert, 1998a, s. 721ff], [Oestereich, 1998], [Versteegen, 1998] und [Rum-baugh et al., 1999] mit der Anwendung objektorientierter Techniken zur Organisationsmodellie-rung. Organisationsmodelle werden durch ihre Einbettung in die sie umgebende Systemumwelt und durch Geschäftsprozesse aus externer und aus interner Sicht einschließlich der benötigten Objekte dargestellt [Balzert, 1998a, S. 722]. Diese in erster Linie prozeßorientierte Organisati-onsmodellierung erfolgt durch Beschreibungsmittel (u. a. Anwendungsfalldiagramme und Akti-vitätendiagramme), die aus objektorientierten Methoden der Softwareentwicklung entnommen wurden. Daher wird hierfür auch häufig der Begriff „objektorientierte

Unternehmensmodellie-rung“ verwendet. Auf rein notationeller Ebene ermöglichen diese Ansätze die Integration von Organisations- und Softwaremodellierungen.

Eine gemeinsame Betrachtung organisatorischer und softwaretechnischer Zusammenhänge ist heute in nahezu allen Gestaltungsbereichen der Organisations- und Softwaretechnik anzutreffen.

Beispiele für die gemeinsame Betrachtung organisatorischer und softwaretechnischer Aspekte finden sich u. a. bei der Gestaltung von Informationssystemen, der Auswahl und Einführung von Standardsoftware, dem Business Reengineering und der Modellierung von Workflows.

Informationssysteme

Informationssysteme werden als sozio-(informations)-technische Teilsysteme von Unter-nehmen aufgefaßt. Diese Teilsysteme umfassen die informationsverarbeitenden Aktivitä-ten, die hieran beteiligten Mitarbeiter in ihrer informationsverarbeitenden Rolle und die hierzu eingesetzten Hilfsmittel [Haux et al., 1998]. Informationssysteme dienen der Be-schaffung, Herstellung, Bevorratung und Verwendung von Informationen [Heinrich, 1997]

und beschreiben somit einen Ausschnitt der Unternehmensmodellierung [Hoppen, 1992, S. 61], [Lehner et al., 1995, S. 104]. Neben der Betrachtung des Informationssystems, sind zur Unternehmensmodellierung auch die Unternehmensstrategie und die Organisati-onsstrukturen, die sowohl die Aufbau- wie die Ablauforganisation umfassen, zu beachten [Frank, 1994] [Frank, 1997a].

Die Modellierung von Informationssystemen erfordert sowohl die Beschreibung der infor-mationsverarbeitenden Aktivitäten als auch die organisatorische Einbettung dieser Syste-me. Ansätze zur Modellierung von Informationssystemen (vgl. z. B. [Olle et al., 1991], [Scheer, 1992], [Frank, 1994]) fordern daher auch die Modellierung von Aufgaben und Prozessen, die durch das Informationssystem ausgeführt werden, von Objektstrukturen bzw. Daten, die durch das Informationssystem bearbeitet werden und von Organisations-strukturen, die die Aufgabenerledigung des Informationssystems steuern.

Auswahl und Einführung von Standardsoftware

Das Angebot von Standardsoftware geht von der Annahme aus, daß die verschiedenen Anforderungen unterschiedlicher Organisationen noch so viele Gemeinsamkeiten aufwei-sen, daß es möglich ist, ein standardisiertes Softwaresystem zu erstellen, daß in vielen Organisationen eingesetzt werden kann. Im Gegensatz zu allgemeiner Standardsoftwa-re, wie beispielsweise (weit verbreitete) Textverabeitungen, Tabellenkalkulationen, Daten-bankmanagementsysteme oder Modellierungswerkzeuge, durch die in der Regel einzelne Funktion unterstützt werden, ist betriebswirtschaftliche Standardsoftware dadurch charak-terisiert, daß sie die wesentlichen Geschäftsprozesse vieler Organisationen unterstützt. Die Anpassbarkeit an die individuellen Anforderung konkreter Organisationen wird dadurch erreicht, daß diese Produkte auf einem spezialisierbaren Geschäftsprozeßmodell aufsetzen (vgl. auch [Staud, 1999, S. 21ff]).

Die Auswahl und Einführung von (betriebswirtschaftlicher) Standardsoftware erfordert den Vergleich der durch die Organisation geforderte und der durch die Standardsoftwa-re angebotene Unterstützung der Geschäftsprozesse. StandardsoftwaStandardsoftwa-re wird hierzu häufig durch Software-Referenzmodelle beschrieben, die funktionale Eigenschaften, die verwen-deten Objekt- und Datenstrukturen sowie die organisatorischen Voraussetzungen zur

Ver-wendung dieser Software abbilden. Wie auch für die Entwicklung von Informationssyste-men sind bei der Auswahl und Einführung von Standardsoftware unterstützte Aufgaben, Geschäftsprozesse, benötigte Daten und Organisationsstrukturen zu modellieren und mit den Software-Referenzmodellen abzugleichen [Dumslaff et al., 1994], [Franzke / Winter, 1996].

Business Reengineering

Im Gegensatz zum Business Improvement, durch das die Pflege und Weiterentwicklung bestehender Unternehmen beschrieben wird, wird das Business Reengineering (alias Busi-ness Process Reengineering [Johansson et al., 1993], Process Innovation [Davenport, 1993]) als „fundamentales Überdenken und radikales Redesign von Unternehmen oder wesentlichen Unternehmensprozessen“ [Hammer / Champy, 1996, S. 48] eingeführt. Ziel des Business Reengineerings4sind deutliche und meßbare Verbesserungen der Unterneh-mensparameter Kosten, Qualität, Service und Aufwand.

Ergebnisse solcher Business-Reengineering-Vorhaben sind zu realisierende Organisations-modelle sowie hiermit verträgliche Informationssysteme zur informationstechnischen Un-terstützung der Unternehmensprozesse [Jacobson et al., 1993, S. 21]. Wie auch zur Mo-dellierung von Informationssystemen (s.o.) werden im Business Reengineering Organisa-tionen durch Aufgaben (FunkOrganisa-tionen), durch Organisationsstrukturen, durch Daten- bzw.

Objektstrukturen und im besonderen durch Unternehmensprozesse beschrieben.

Workflows

Workflow-Management-Systeme zielen auf eine möglichst vollständige computerbasierte Koordination der Vorgangsbearbeitung innerhalb einer Organisation. Ausgangspunkt der Betrachtungen sind hierbei die Vorgänge, die das Geschehen innerhalb der Organisati-on abbilden. Vorgänge, deren Ablauf beschrieben ist und dessen Bearbeitung durch ein Workflow-Management-System koordiniert wird, werden Workflow genannt [Jablonski / Bussler, 1996], [Jablonski et al., 1997, S. 23ff].

Die Vorgangsunterstützung durch Workflow-Management-Systeme setzt eine schemati-sche Beschreibung der Vorgänge (Workflow-Schema) voraus, die geeignet ist, die Bear-beitung konkreter Vorgänge zu steuern. Zentraler Beschreibungsgegenstand ist hierbei die Abarbeitung dieser Workflows. Neben diesen Ablaufaspekten sind ferner auch die zur Ab-arbeitung benötigten bzw. erzeugten Daten sowie die Akteure, durch die Vorgänge umge-setzt werden, zu berücksichtigen [Jablonski et al., 1997, S. 98ff].

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß in der Organisations- und der Softwaregestal-tung in vielen Anwendungbereichen organisatorische und softwaretechnische Zusammenhänge gemeinsam zu modellieren sind. Die Darstellungen aus eher organisatorischer und eher softwa-retechnischer Sicht bedingen sich hierbei gegenseitig.

4 Der Begriff des Business Reengineering wird deutlich radikaler aufgefaßt als der Reengineering-Begriff der Softwaretechnik. Während Software Reengineering sowohl das Verstehen (understanding) als auch das Verändern und das eher evolutionäre Weiterenwickeln (renovation) bestehender Softwaresysteme umfaßt (vgl. z. B. [Arnold, 1993a], [Kullbach / Winter, 1999]) bezieht sich das Business Reengineering eher auf die grundlegende, revolutionäre Überarbeitung und Änderung von Organisationen.

Die Beschreibung von Organisationen und Softwaresystemen umfaßt Aufgabenstrukturen, Auf-baustrukturen, Daten- bzw. Objektstrukturen und Ablaufstrukturen. Dieses ist auch von der je-weils gewählten Modellierungsmethode unabhängig. Die Methoden der funktionsorientierten oder prozeßorientierten Organisationsgestaltung bzw. der strukturierten oder der objektorientier-ten Softwareentwicklung unterscheiden sich nur in der unterschiedlichen Betonung der einzelnen Strukturen. Es ist daher notwendig und sinnvoll, diese Beschreibungsmittel auch zueinander in Beziehung zu setzen, um eine durchgängige Verwendung der Ergebnisse einzelner Modellie-rungssichten zu gewährleisten.