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Mittel und Wege zur Akzeptanzbildung für Wildnis in der Stadt

Im Dokument Wildnis in Städten (Seite 9-12)

Menschen müssen die Natur kennen, um dazu bereit zu sein, sie zu schützen. Genauso müssen Menschen Stadtwildnis kennen, um sie zu akzeptieren und wertzuschätzen. Dies gilt nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern genauso für die Stadtverwaltung, die örtliche Politik und all diejenigen, die Projekte umsetzen und für die Erhaltung der Flächen zuständig sind: Planer, Landschaftsarchitekten, Gärtner, usw. Um eine umfassende Akzeptanz für urbane Wildnis zu erreichen, muss die Akzeptanz bei all diesen Akteuren und Interessenvertretern geschaffen werden.

Eine wiederkehrende Erfahrung aus den untersuchten Naturschutzprojekten ist es, dass die Bewusstseinsänderung für urbane Wildnis ihre Zeit braucht, und zwar sowohl in der Verwaltung als auch in der Öffentlichkeit. Oft ist eine langfristige und konsequente Kommunikation über Jahre hinweg notwendig.

Eine erfolgreiche Kommunikation zu urbaner Wildnis muss immer die Sprache der Menschen sprechen. Dabei ist es wichtiger, die zugrundeliegende Idee zu vermitteln, als immer die wissenschaftlich korrekten Begriffe anzuwenden oder großen Wert auf Artenzahlen und ökologische Zusammenhänge zu legen. Verschiedene Zielgruppen brauchen verschiedene Kommunikationsmethoden. Marketingagenturen können bei der Entwicklung einer angemessenen Kommunikationsstrategie sehr hilfreich sein.

Jede Interaktion mit Akteuren geht mit einer Form von Kommunikation einher. Im Folgenden wird zwischen „Kommunikation“ und „Umweltbildung“ folgendermaßen unterschieden:

Umweltbildung hat das Ziel, Menschen über Natur und ihren Wert zu informieren und richtet sich daher an die breite Öffentlichkeit. „Kommunikation“ richtet sich dagegen vor allem an Politik und Verwaltung, also an die konkreten Entscheidungsträger. Dies ist äußerst wichtig, vielleicht sogar noch wichtiger als Umweltbildung, da es eben die Entscheidungsträger sind – noch unmittelbarer sogar die Planer – die bestimmen, wie mit der Natur in der Stadt umgegangen wird. Gleichzeitig wird eine gute Akzeptanz eines Wildnisprojektes in der Öffentlichkeit natürlich auch die politische Akzeptanz steigern.

4.1 Kommunikation mit Entscheidungsträgern und Akteuren

Die Kommunikation mit Politikern vor Ort spricht ähnliche Themen an wie jede Umweltbildung für Laien. Sie sollte dabei immer die positiven Effekte für das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger hervorheben sowie die ökonomischen und sonstigen positiven Effekte auf die Stadt.

Positive Auswirkungen auf die unmittelbare Zukunft, aber auch Langzeitfolgen sollten betont werden. Auch müssen die Entscheidungsträger kennen, worüber sie entscheiden: Exkursionen und Ortsbesuche haben sich hierbei sehr bewährt, um sicherzustellen, dass die Stadträte das Projektgebiet persönlich kennen.

Planer, Bauhofmitarbeiter und Gärtner müssen oft erst noch überzeugt werden, wenn es darum geht, ein Wildnisprojekt einzurichten. Ihre Arbeit ist normalerweise darauf ausgelegt, die vorhandene Natur zu gestalten und nicht der Natur das Gestalten zu überlassen – zwei zunächst gegensätzliche Ansätze, deren Koexistenz nicht selbstverständlich ist. Dies muss in der Kommunikation stets berücksichtigt werden.

Eine gute Möglichkeit, Politik, Verwaltung, relevante Institutionen und die Öffentlichkeit an einen Tisch zu bekommen ist es, gemeinsam ein Grünflächenkonzept zu entwickeln, das offen mit allen Akteuren diskutiert wird. Kooperationen zwischen öffentlichen und privaten Organisationen – sog. private-public partnerships – können auch ein gutes Werkzeug sein, da auf diese Weise Synergien aus beiden Bereichen genutzt werden können, die sich gut ergänzen: die Verwaltung und Naturschutzorganisationen haben ganz unterschiedliche Voraussetzungen und Möglichkeiten hinsichtlich Grundbesitz, Naturschutzexpertise, Akzeptanz in der Öffentlichkeit und Zugang zu Fördermitteln.

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4.2 Umweltbildung: Kommunikation mit der Bevölkerung

Stadtwildnis im direkten Wohnumfeld wird nicht automatisch positiv bewertet. Auch verstehen Anwohner nicht immer den Wert solcher Wildnis über die eigene Erholung hinaus. Deshalb sollten Wildnisprojekte in der Stadt möglichst oft Hand in Hand mit Umweltbildungsmaßnahmen gehen. Menschen müssen besser informiert werden über die positiven Aspekte und den Wert von Natur und Wildnis. Die Gründe für Naturschutzmaßnahmen müssen kommuniziert werden, z.B. der Naturschutzwert verschiedener Tier- und Pflanzenarten. Gloor et al. (2010) fanden heraus, dass Informationen über den ökologischen Wert einer Stadtlandschaft die Präferenz für diese Landschaft erhöhen. Dies deutet darauf hin, dass Informationen über den ökologischen Wert einer Wildnisfläche auch die Akzeptanz dieser Fläche und der dazugehörigen Maßnahmen, bzw. das Unterlassen entgegenstehender gestalterischer Eingriffe, steigern. Was kommuniziert werden muss ist das ausgewogene Verhältnis von positiven Effekten wilder Natur für Mensch und Natur: Wildnis in der Stadt lebt von der Existenz natürlicher, dynamischer Prozesse, während der Mensch von der Möglichkeit zur Naturerfahrung profitiert. Gerade Wildnisflächen bieten hierfür einen Schatz an Möglichkeiten für Erholung und Naturerleben. Je intensiver Menschen Natur am eigenen Leib erlebt haben, desto weniger werden sie ökonomischen Überlegungen Bedeutung beimessen.

Sich langfristig entwickelnde Vorteile von urbaner Wildnis sind immer schwerer vermittelbar als kurzfristig sichtbare attraktive Entwicklungen. Doch gerade in Wildnisflächen gibt es zu jeder Zeit im Jahr viele Möglichkeiten, den Wert und bestimmte Charakteristiken oder jahreszeitliche Ausprägungen von Stadtwildnis zu demonstrieren: vielfältige Arten sind hier zu finden, deren Zusammenstellung, Aussehen und Attraktivität sich ständig verändern. Auffällige Phänomene können genauso gezeigt werden, wie unauffällige Erscheinungen. Das praktische und persönliche Erfahren spricht alle Sinne an und bringt auch naturfern lebende Stadtmenschen in Kontakt mit der Natur.

Kinder sind eine sehr wichtige und zugleich dankbare Zielgruppe für Umweltbildungsmaßnahmen. Kinder sind nicht nur einfach zu erreichen, weil sie über Schule und Kinderbetreuung bereits gut vernetzt sind. Sie sind auch gute Multiplikatoren, denn wenn sie in die Natur hinaus wollen, dann können sie zum „Pull-Faktor“ für die ganze Familie werden.

Schulungen für LehrerInnen und ErzieherInnen können ein sehr gutes Instrument sein.

Computer und Soziale Medien sind heute weitverbreitet. Kommunikationsfirmen können rund um das Thema Stadtwildnis Internetseiten oder Apps für Smartphones entwickeln. Es gibt bereits Smartphone-Apps, die bei der Bestimmung von Pflanzenarten oder Tieren unterstützen, weitere werden derzeit entwickelt (z.B. http://naturemobile.org, http://leafsnap.com/). Die Stadt Leipzig etwa bietet mp3-gestützte Stadtführungen an, was sich mit Sicherheit gut auf Wildnisaspekte und Naturangebote übertragen ließe (www.atelier-latent.de/talk-walks).

Mottos können dabei helfen, mehr Menschen ins Boot zu holen, indem sie Aufmerksamkeit erregen und eine positive Stimmung der Natur gegenüber forcieren können. Auch können sie eine ganze Reihe von unterschiedlichen Ansätzen, Maßnahmen und Akteursgruppen miteinander vernetzen bzw. unter einem Dach vereinen. Dies kann den Lernprozess von- und miteinander voranbringen. Ein Motto muss griffig und klar sein, positive Assoziationen hervorrufen und die Sprache der Menschen sprechen. Im besten Falle sollte ein Motto gemeinsam mit der Bevölkerung entwickelt werden und nicht nur von der Politik entschieden und dann den Menschen aufgedrängt werden. Beispiele für Mottos, wie sie auf dem internationalen Workshop im Rahmen dieses Projektes vorgestellt wurden, waren z.B. „Exeter Wild City“ (www.devonwildlifetrust.org/exeter-wild-city/, siehe auch Kapitel 5) und „Eine Stunde Kanada in Arnsberg“ (inoffizielles Motto für eine weitreichende Renaturierung der Ruhr in Arnsberg, siehe Kapitel 5).

Es gibt viele natur-unabhängige Methoden, die Menschen in Parks und Naturflächen locken, wo sie dann mit Angeboten der Umweltbildung angesprochen werden können. Kulturelle Angebote wie Open-Air Konzerte ziehen z.B. regelmäßig viele Menschen an. Historische Ereignisse oder Jubiläen und natürlich internationale Tage (z.B. Weltwassertag oder der internationale Tag der

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biologischen Vielfalt) können gute Gelegenheiten sein. Der „Lange Tag der Stadtnatur“ in Berlin bietet z.B. 24 Stunden lang unzählige große und kleine Veranstaltungen in Grünflächen im ganzen Stadtgebiet (www.langertagderstadtnatur.de) und findet vergleichbar inzwischen u.a.

auch in Bochum, Dessau-Roßlau, Hamburg und Kiel statt.

Immer gilt jedoch, dass auch die beste Umweltbildung nur dann einen bleibenden Effekt haben kann, wenn sie durch das Vorhandensein von Natur im Lebensumfeld gestützt wird. Die nachhaltigste Umweltbildung ist es daher, Flächen zur Verfügung zu stellen, auf denen Natur erfahren werden kann. Dies ist besonders wichtig in den Stadtteilen, in denen nur wenige, oder unattraktive Grünflächen vorhanden sind.

Das Themenfeld „Wildnis“ bietet zahlreiche Möglichkeiten für spannende und vernetzte Fragestellungen für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung, u. a.:

 Was ist Wildnis – und was bedeutet sie für mich?

 Welchen Reiz übt Wildnis auf Menschen aus und warum?

 Wie viel Wildnis verlangen wir von Städten bzw. Staaten anderer Länder und Kontinente?

 Und wie viel Wildnis sind wir bereit in unserer Region zuzulassen?

(siehe "Biologische Vielfalt und Bildung für nachhaltige Entwicklung" der AG Biologische Vielfalt beim Runden Tisch „Bildung für nachhaltige Entwicklung“)

4.3 Beteiligung der Bevölkerung

Die Beteiligung der Bevölkerung an der Planung und Umsetzung sowie ggf. an der Betreuung von städtischen Naturflächen ist als sehr wichtig einzuschätzen. Denn eine aktive Beteiligung fördert die Sensibilisierung und das Bewusstsein für den Bedarf und zugleich für den Schutzwert und die Schönheit von Natur. So ist auch zu erwarten, dass die beteiligten Stadtbewohner auf dieser Basis viel bewusster mit Naturbereichen, also z.B. Wildnisflächen, in ihrer Stadt umgehen und sie anders nutzen.

Die Beteiligung bei der Planung urbaner Wildnisbereiche sollte Motive und Wünsche der beteiligten Stadtbewohner aufgreifen und ggf. ihre Besorgnisse und Befürchtungen, etwa vor Verwahrlosung, erörtern. Inwieweit können sie wilde Bereiche in ihrem Wohnumfeld akzeptieren, inwieweit wären sie auch mit eingeschränkter Begehbarkeit einverstanden, in welcher Form wären wilde Natur und Kultur aus ihrer Sicht im Einklang?

Im Weiteren kann sich, wenn auch ggf. nur begrenzt möglich, die Beteiligung an der Umsetzung bzw. am Erhalt von Wildnisbereichen in der Stadt positiv auswirken. Dies kann beispielsweise in der Form geschehen, dass lokal ansässige Gruppen und Vereine sich des Wildnisgedankens annehmen und selbst Projekte entwickeln und durchführen oder in anderer Form für bestimmte Flächen Verantwortung übernehmen. Viele Städte verfügen über Freiwilligenprogramme, die die Bevölkerung zum Aktivwerden animieren (z.B. die Initiative der Freiburger Stadtverwaltung

„Freiburg packt an“: www.freiburg.de/pb/,Lde/233288.html; international z.B.:

www.chicagowilderness.org/what-you-can-do/volunteer/, www.devonwildlifetrust.org/get-involved). Dazu gehören auch die vielen Möglichkeiten der Patenschaften für Bäume, Baumscheiben oder Bachabschnitte, wie sie in vielen deutschen Städten angeboten werden.

Dazu gibt es weltweit unzählige Gemeinschaftsgärten oder andere Gartenprojekte, die Menschen dazu aufrufen, Verantwortung zu übernehmen und die Stadtmenschen mit der Natur in Kontakt bringen.

Beteiligung in dieser Form kann überdies dazu beitragen, soziale bzw. interkulturelle Grenzen zu überwinden: Auf Grünflächen können sich Menschen unterschiedlicher Herkunft und Bevölkerungsschichten begegnen. Vielfältige Natur und eine kulturelle Vielfalt der Nutzer können sich gegenseitig stärken.

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