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Mikrokosmos, in dem gesellschaftliche Veränderungsprozesse früh erkennbar

Im Dokument Demokratie leben! (Seite 69-72)

sind. Hierzu gehörten auch die Vielfalt an Religionen und die damit einhergehen-den unterschiedlichen Wertvorstellungen sowie kulturellen Prägungen.

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Methodische Innovationsfelder der Modellprojektarbeit

„Demokratie leben!“ hat nicht nur hinsichtlich seiner inhaltlichen Schwerpunkte die Entwicklung neuer Arbeitsansätze in der (Radikalisierungs­)Prävention, der Demokratieförderung und der Vielfaltgestaltung angeregt. Das Bundesprogramm hat auch dazu bei­

getragen, methodische Neuerungen hervorzubringen.

Diese lassen sich zwar nicht in allen Einzelprojekten, zumindest jedoch in allen Programmbereichen der Modellprojektförderung finden.

So ist im Vergleich zu früheren Bundesprogrammen, wie „Vielfalt tut gut“ oder TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN, für die pädagogischen Konzepte der Modellprojekte in „Demokratie leben!“

und deren Umsetzungen inzwischen ein gestiegenes Bewusstsein dafür zu konstatieren, dass pädagogi-sche Präventionsarbeit sich nicht allein auf indivi-duelle problematische Orientierungen und Hal-tungen junger Menschen beschränken kann. Daher wird nun auch deren Umfeld bzw. deren Lebenswelt systematischer als bisher in die pädagogische Arbeit einbezogen. Insoweit nahmen die Modellprojekte in wachsendem Umfang Strukturen bzw. soziale Syste­

me mit in den Blick, die (mindestens) ihre Zielgrup­

pen umgeben – wie das Schulsystem, den Arbeits­

markt oder den Strafvollzug.

Auch im Kontext der Vorbeugung struktureller Dis­

kriminierung werden systemische, über das Indivi­

du um hinausgehende Arbeitsweisen wichtiger.

Handlungsansätze zur Arbeit gegen Phänomene struktureller Diskriminierung waren häufig von macht- und herrschaftskritischen, diversitätssen-siblen und intersektionalen Perspektiven geprägt.

Aus diesen resultiert wiederum eine Vervielfachung möglicher Handlungsstrategien, Methoden, Ziel­

gruppen sowie adressierter Strukturen, die dann als Neuerung Eingang in die Präventionsarbeit oder in die Demokratieförderung finden können.

Darüber hinaus berücksichtigten die Modellprojekte insbesondere in Maßnahmen zur politischen Bildung verstärkt den Einfluss von Emotionen auf politische Sozialisationsprozesse in der pädagogischen Praxis.

Neuere Ansätze weisen hier über eine primär kog­

nitiv, rein wissensvermittelnd ausgerichtete Arbeit hinaus. Nach Einschätzung der wissenschaftlichen

Begleitungen birgt die Berücksichtigung von Emo­

tionen in der Arbeit mit den Zielgruppen einerseits große Innovationspotenziale, andererseits allerdings auch einige Herausforderungen – insbesondere im Umgang mit negativen Emotionen, wie Furcht, Ver­

achtung oder Hass.

Diese Entwicklungen in der pädagogischen Arbeit der Modellprojekte sind Teil eines konzeptionellen und methodischen Wandels von pädagogischer Praxis in den Regelangeboten der Kinder­ und Jugendhilfe.

Damit steigt die Chance, dass entsprechende Neue­

rungen der Modellprojekte in die Regel­ bzw. Alltags­

praxis Eingang finden können.

Eine zentrale Form von Anregung in der pädagogi-schen Praxis ist es, Arbeitsansätze neu zu entwickeln und bereits erprobte Methoden an neue Kontexte anzupassen. In fast allen Programmbereichen hat eine Reihe von Modellprojekten daran gearbeitet, in anderen Kontexten erprobte Arbeitsansätze in jeweils (neue) programmbereichs­ bzw. zielgruppenspezifi­

sche Bezugsrahmen zu überführen und sie konzeptio­

nell sowie in der praktischen Umsetzung daran anzu­

passen. Das kann bedeuten, Ansätze bzw. Methoden, die ihren Ursprung z. B. in der Arbeit gegen Rechts­

extremismus oder in der Erwachsenenbildung haben, an die Arbeit gegen islamistischen Extremismus oder an die Bedingungen von Jugendbildung anzupassen.

Es kann ebenso bedeuten, Methoden der pädagogi­

schen Arbeit in Schule und Jugendhilfe in das Sys­

tem der Arbeitswelt bzw. der beruflichen Bildung zu übertragen. Wieder andere Projekte versuchten, eher konve ntionelle Ansätze der Demokratiepädagogik und politischen Bildung oder der interkulturellen und antirassistischen (Bildungs­)Arbeit mit medienpädago­

gischen Formaten und Konzepten zu verzahnen und dadurch weiterzuentwickeln. Außerdem passten Träger Ansätze der Demokratiepädagogik sowie der Ausstiegs­

und Distanzierungsarbeit an die besonderen Rahmen­

bedingungen der Arbeit im Strafvollzug an.

Ausgewählte Innovationsfelder der verschiedenen Programmbereiche

Das Internet, soziale Medien und digitale Arbeitsmittel fanden vermehrt Eingang in die pädagogische Arbeit der Modellprojekte der meisten Programmbereiche. So-wohl im Zugang zu Zielgruppen als auch in der pädagogischen Arbeit mit ihnen gewannen vor allem soziale Medien an Bedeutung. Darauf reagierten Modell­

projekte, indem sie neue Ansprache­ und Arbeitsformen entwickelten. Zu gleich entsprachen sie damit einem dringenden Bedarf in der pädagogischen Arbeit all­

gemein, der sich aus den laufenden Veränderungen der jugendlichen Lebenswel­

ten ergibt. Eine besondere Rolle hat das Thema der Digitalisierung im Programm­

bereich „Stärkung des Engagements im Netz – gegen Hass im Netz“ gespielt. Im Kern waren die Aktivitäten der Modellprojekte in diesem Zusammenhang darauf gerichtet, in die Arbeit mit Zielgruppen internetbasierte Formate und Trends ein­

zubinden und – wie bereits erwähnt – bewährte pädagogische Konzepte an die Anforderungen von digitalem und vernetztem Lernen anzupassen. Dazu gehörte auch, digitale Arbeitsmittel wie Spielkonsolen und Virtual­Reality­ Techniken einzubinden.

Onlinemedien wurden dabei in der Modellprojektpraxis sehr unterschiedlich ein­

gesetzt. Sie dienten als • Zugangsweg zu Zielgruppen,

• Meldeplattform für rechtsextreme, rassistische und antisemitische Vorfälle, • Anlauf- und (Erst-)Beratungsstellen für Betroffene von solchen Vorfällen,

• Angebot einer (Erst-)Hilfestruktur für Personen, die mit „Hate Speech “ (Hassrede) konfrontiert waren.

Nicht zuletzt kamen sie als eigenständiger Aktionsraum zum Einsatz – für Gegen­

maßnahmen beispielsweise zu „Hate Speech“ sowie zur Verbreitung von alter ­ nativen oder Gegennarrativen, um Radikalisierung im Internet vorzubeugen und gezielte Botschaften zu verbreiten, die das Engagement für Demokratie und Menschenrechte unterstützen sollten.

Einzelnen Modellprojekten gelang es in diesem Zusammenhang, Kontakte zu relevanten Social­Media­Unternehmen aufzubauen, ohne deren Mitwirkung die Öffnung des digitalen Raumes für zivilgesellschaftliche Belange hürdenreich ge­

wesen wäre. All dies förderte die Auseinandersetzung mit demokratie­ und men­

schenfeindlichen Inhalten im Internet, stärkte dort Gegenkulturen und konnte im Einzelfall auch Impulse setzen, eigene Positionen kritisch zu hinterfragen. Von Bedeutung war hinsichtlich der Arbeit im Netz zudem die Erkenntnis, dass auch im virtuellen Raum stabile Arbeitsbeziehungen zwischen pädagogischen Fachkräf­

ten und den Adressatinnen und Adressaten ihrer Arbeit hergestellt und aufrecht­

erhalten werden müssen und können.

Ein besonderes Innovationsfeld wurde mit dem Programmbereich „Modellpro­

jekte zur Prävention und Deradikalisierung in Strafvollzug und Bewährungshilfe“

geschaffen. Besonders war dies angesichts der bisherigen Erfahrungen mit schwer erreichbaren Zielgruppen für die Radikalisierungsprävention und die Deradika­

lisierungsarbeit. Mit dem Programmbereich wurde ein Erprobungsraum eröff­

net, der es erlaubte, Zugänge zu den genannten Zielgruppen auch in einem für partizipativ und emanzipatorisch angelegte pädagogische Interventionen eher untypischen institutionellen Umfeld zu erschließen.

Die Modellprojekte im genannten Programmbereich wollten insbesondere in Jugendstrafanstalten mit pädagogischer Präventionsarbeit junge Menschen erreichen, deren Orientierungen als extremistisch eingestuft werden und sich

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möglicherweise festigen. Dazu haben die Modellprojekte ihre Konzepte, Arbeitsan­

sätze und die Durchführung konkreter Maßnahmen an die Bedingungen der stark hierarchisch strukturierten Institution des Justizvollzugs angepasst. Die Leistung der Modellprojekte bestand hierbei darin, dass sie präventiv­pädagogische Arbeits­

weisen in einem institutionellen Gefüge erproben und etablieren konnten, das stark durch Sicherheits­ und Strafverbüßungsaspekte sowie entsprechende Hand­

lungseinschränkungen geprägt ist. Dies geschah in der Zusammenarbeit mit den staatlichen Akteuren in den Justizministerien und Justizvollzugsanstalten (JVA).

Auch in anderen Modellprojektbereichen erschlossen sich verschiedene Träger Zu­

gänge zu Jugendlichen mit problematischen islamistischen Orientierungen. Indem sie u. a. mit konservativen muslimischen und für die freie Kinder­ und Jugend­

arbeit eher untypischen Strukturen und Personen zusammenarbeiteten, konnten sie Distanzierungsprozesse milieunah in Gang setzen.

Mit dem Bereich „Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft“ griff das Bundesprogramm den Bedarf auf, Gestaltungsräume für ein von vielfältigen Lebensentwürfen, kulturellen Einflüssen und Religionszugehörigkeiten gepräg-tes gesellschaftliches Zusammenleben zu fördern. Allerdings leisteten auch zahlreiche Modellprojekte anderer Programmbereiche eine darauf ausgerichtete Sensibilisierungs- und Empowerment-Arbeit. Dank der Modellprojekte fanden die Auseinandersetzung mit Diskriminierung und die Gestaltung von Vielfalt auch in solchen gesellschaftlichen Bereichen und Strukturen statt, in denen ent-sprechende Themen und Reflexionsprozesse bisher kaum verankert waren.

So setzten die Modellprojekte beispielsweise Maßnahmen zur interkulturellen Öffnung in Strukturen um, die bisher nur wenige oder keine Berührungspunkte zu migrantisch und/oder religiös geprägten Communitys bzw. Einrichtungen hatten.

Im Dokument Demokratie leben! (Seite 69-72)