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Medienmacher kontern Hate Speech

Im Dokument Demokratie leben! (Seite 73-76)

Vor dem Start des Modellprojekts „Neue deutsche Medienmacher“ gab es keine Organisation im deutschsprachigen Raum, die sich mit Hate Speech gegenüber Medienschaffenden auseinandergesetzt hat. Zudem gab es kaum Expertinnen und Experten, die sich sowohl mit Hass im Netz als auch mit dem journalistischen Berufsalltag auskannten und be­

fassten. Die wenigsten Medienhäuser hatten hierzu Richtlinien erarbeitet. Und das, obwohl sich Journalis­

tinnen und Journalisten immer stärker mit Hassrede konfrontiert sahen und sehen, wie Umfragen zeigen.

In diese Lücke stieß der Neue Deutsche Medien­

macher e. V.

Ziel des Modellprojekts im Rahmen der ersten För-derperiode (Förderzeitraum: 01.01.2018–31.12.2019) von „Demokratie leben!“ war es, Medienschaffende im Umgang mit Hassrede im Netz zu stärken und darin zu bestärken, nicht vor der Berichterstattung und Kommentierung sensibler Hot Topics zurückzu-schrecken. Bis zum Ende der Projektlaufzeit sollten Medi en schaffende konkrete Leitfäden für ihre Re­

daktionen entwickeln, mit denen sie gegen Hassrede gegen sich selbst und ihre Publikationen vorgehen können. So sollten die Redaktionen zu einem produk­

tiven und selbstbewussten Umgang mit Hasspostings

auf den Websites der Verlage befähigt werden, um in ihren sozialen Kanälen mit Gegenrede kontern zu können. Dieser Ansatz kann auch beispielhaft für einen zivilgesellschaftlichen Umgang mit dem Prob­

lem stehen.

Ein Online-Helpdesk gegen Hate Speech

Basierend auf den Projekterfahrungen und den Er-kenntnissen aus verschiedenen Expertinnen- und Experten-Interviews wurde am 10. Dezember 2018 ein Online-Helpdesk zum richtigen Umgang mit Hate Speech entwickelt, an den sich Medienschaffeni-de und anMedienschaffeni-dere seitMedienschaffeni-dem bei Fragen wenMedienschaffeni-den können.

Dazu wurden häufige Hass­Strategien und wirksame Gegenrede­Strategien systematisiert, organisiert und aufbereitet. Der Helpdesk soll im Nachfolgeprojekt

„Die Würde des Menschen ist unhassbar. NO HATE SPEECH 2020–2022“ – das in der zweiten Fördert­

periode des Bundesprogramms „Demokratie leben!“

gefördert wird – fortgeführt und stetig weiterent­

wickelt werden. Er soll in Zukunft einen größeren Adressatenkreis ansprechen und all denjenigen zur Verfügung stehen, die sich gegen Hate Speech online stark machen wollen.

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Rahmenbedingungen der Entwicklung von Innovationen In allen Programmbereichen der Modellprojektför­

derung zeigte sich, dass Art und Umfang der von den Projekten entwickelten und erprobten Neuerungen von einer Reihe von Faktoren beeinflusst werden.

Dazu gehörten insbesondere die (Ziel­)Vorgaben der Programmgeber, die gesellschaftspolitischen Ent­

wicklungen sowie die Bedarfe, die von den verschie­

denen Akteurinnen und Akteuren in den Erprobungs­

kontexten wie Schule oder Jugendarbeit artikuliert wurden. Die Rahmenbedingungen für die Schaffung von Neuerungen durch die Modellprojekte unter­

schieden sich zwischen den Programmbereichen und Themenfeldern teilweise stark.

Das ist erstens darauf zurückzuführen, dass sich die Praktikerinnen und Praktiker in den Programmbe­

reichen jeweils in pädagogischen Handlungsfeldern mit unterschiedlich stark ausgeprägten Erfahrungen und entsprechend unterschiedlich stark ausge-reiften und etablierten Arbeitsansätzen betätigten.

Deutlich wurde dies beispielsweise in der Arbeit gegen Antisemitismus oder Rechtsextremismus. Die lang­

jährige Präventionspraxis und die bereits vorhandene (pädagogische) Expertise in diesen Feldern brachte es mit sich, dass hier bereits ein Korridor für Neue­

rungen vorgegeben ist. Innovationen entstehen hier im Wesentlichen aus Lernerfahrungen mit bereits erprobten Ansätzen und als Reaktionen auf Verände­

rungen in den problematisierten Phänomenen. Im Unterschied dazu bot sich Projekten in Programm­

bereichen und Handlungsfeldern mit noch kaum etablierter Praxis ein breiterer Spielraum zur Entwick­

lung und Erprobung neuer Ansätze. Das betraf z. B. die Bearbeitung von Hass im Netz und die Förderung von Engagement im Netz, die Präventions­ und Deradi­

kalisierungsarbeit im Kontext von islamistischem Extremismus oder auch die Arbeit in Themenfeldern wie Islam­ und Muslimfeindlichkeit, Antiziganismus sowie Homosexuellen­ und Transfeindlichkeit.

Zweitens hatten die vom Programmgeber vorgege-benen Leitlinien zu den einzelnen Programmbe-reichen Einfluss auf die Ausgestaltung von Innova-tionen, indem sie die möglichen Entwicklungs­ und Erprobungswege bzw. ­räume absteckten. Hierunter fielen u. a. Vorgaben, die die Umsetzung der Projekt­

maßnahmen an konkrete institutionelle Kontexte banden (z. B. Schule, Unternehmen, Einrichtungen

der offenen Jugendarbeit oder JVA). Die jeweiligen Handlungslogiken dieser Institutionen beeinflussten mehr oder weniger stark das pädagogische Han­

deln der Fachkräfte und deren Entwicklungs­ und Erprobungsarbeit. Modellprojekte im Bereich der offenen Jugendarbeit etwa waren in einem Hand­

lungsfeld aktiv, in dem es eine große Rolle spielt, dass die Zielgruppen ihre Wünsche und Bedürfnisse in pädagogische Maßnahmen einbringen. Maßnahmen im Kontext von Schule oder in JVA hatten dies­

bezüglich eingeschränkte zeitliche oder inhaltliche Gestaltungsspielräume.

Die Erprobungsspielräume wurden drittens durch gesellschaftliche und phänomenbezogene Ent-wicklungen mitbestimmt. So hatte die starke Fokussierung des Bundesprogramms auf die Arbeit gegen islamistischen Extremismus und die damit verbundene kontinuierliche Aufstockung der Modell­

projekte bewirkt, dass sich vor allem in den ersten Programmjahren in diesem Handlungsfeld eine große Ansatzvielfalt herausbilden konnte. Für Projekte, die im Bereich der Rechtsextremismusprävention tätig waren, haben bestimmte Entwicklungen neue Impulse gegeben für inhaltliche und pädagogische Neuerungen in der Arbeit mit Heranwachsenden: die wachsende Präsenz und Attraktivität von demokratie­

gefährdenden Ausprägungen im menschenverach­

tenden und gewaltbereiten Rechtspopulismus ebenso wie Phänomene im Kontext der „Neuen Rechten“. An anderer Stelle schlugen sich in Modellprojekten die verstärkte Zuwanderung von Geflüchteten und die Positionierung der Bundesrepublik als Einwande­

rungsland als bedeutende Kontexte für Innovationen nieder. So war es etwa in der Erprobung rassismus­

kritischer Sensibilisierungsmaßnahmen oder in der Unterstützung unterschiedlicher Ansätze von Em­

powerment für soziale Gruppen, die insbesondere we­

gen ihrer ethnischen Herkunft von Diskriminierung betroffen sind. Es war ein besonderes Potenzial der Modellprojekte, im Zuge ihrer auf Innovation und Er­

probung gerichteten Arbeitsweise schnell auf jeweils aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen bzw.

akute Handlungsbedarfe reagieren zu können.

So wie die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen die Arbeit der Modellprojekte rahmten, wurde die Projektarbeit – viertens – auch von ihren konkreten

Umsetzungskontexten beeinflusst. Insoweit standen die Modellprojekte in mehreren Programmbereichen vor der Herausforderung, dass sie auch vonseiten der (Regel­)Praxis und von programmexternen Mittel­

gebern mit Anforderungen und (Unterstützungs-) Bedarfen konfrontiert wurden. Dies wirkte sich auf die Erfüllung ihres Entwicklungs- und Erprobungs-auftrages aus. So beeinflussten beispielsweise in der Arbeit im Strafvollzug die Erwartungen der Ko­Fi­

nanziers auf der Landesebene die Weiterentwick­

lung bestehender Ansätze, weil sie daran interessiert waren, bereits erprobte Modellprojektmaßnahmen als Regelangebot schnell in das Gesamtsystem des Straf­

vollzugs zu übertragen – und weniger daran, weitere

Neuerungen zu erarbeiten. Im Bereich der Arbeitswelt waren es wirtschaftliche Erwägungen bzw. Ziele der (Ausbildungs­)Betriebe, wie Fachkräftegewinnung/­

­sicherung, oder die Orientierung an betriebswirt­

schaftlichen Kennzahlen, wie Rentabilität, die ggf.

länger dauernden Entwicklungs­ und Erprobungs­

prozessen entgegenstanden. In der Arbeit an Schulen oder in Einrichtungen der Kinder­ und Jugendhilfe war es die Funktion, dort bestehende Angebotslücken zu füllen, die Modellprojekte im Interesse der Umset­

zung ihres Projektauftrages teilweise mit übernahmen und die den Grad der Erfüllung ihrer Innovations­

funktion beeinflussten.

Rahmenbedingungen der Nutzung und des Transfers von Innovationen Die Rahmenbedingungen hatten auch einen

star-ken Einfluss auf die Nutzung und den Transfer von erprobten Ansätzen und Methoden. Ob Neuerungen und (Weiter­)Entwicklungen übernommen werden, hängt nicht zuletzt von den verfügbaren Ressourcen ab sowie von der Frage, ob die modellhaft entwickel­

ten Ansätze zu den Bedarfen und Arbeitsbedingungen der Regel­ bzw. Alltagspraxis passen. Um die Über­

tragungswahrscheinlichkeit zu erhöhen, können entsprechende unterstützende Maßnahmen auch von der Bundesebene aus hilfreich sein. Beispielsweise können Vernetzungs­ und Austauschangebote, wie sie u. a. durch die Träger in der Strukturentwicklung oder das Fachforum im Bundesprogramm unterbreitet wurden, den Transfer unterstützen.

Hürden für die Übertragung von Modell­ in die Regel­ und Alltagspraxis hinsichtlich der unterschied­

lichen Bedarfe und Gegebenheiten konnten etwa aus inhaltlichen Aspekten erwachsen. Aus der Perspektive der Modellprojekte bestand beispielsweise bisweilen die Notwendigkeit, die Akteurinnen und Akteure der Regelangebote dazu zu befähigen, Ergebnisse aus Mo­

dellprojekten überhaupt aufgreifen zu können. Das betraf vor allem noch eher junge Themenfelder, wie etwa Antiziganismus. Auch mussten Fachstandards, nach denen in den Modellprojekten einerseits und in Regelangeboten andererseits gearbeitet wird, gege­

benenfalls entsprechend einander angeglichen und weiterentwickelt werden.

Unter Ressourcengesichtspunkten waren Transfer­

prozesse auch darauf angewiesen, dass die Fachkräfte in den Regelangeboten die Möglichkeit hatten, sich umfangreiches (Spezial­)Wissen und Handlungskom­

petenzen anzueignen. Dabei hat es sich z. B. als hilf­

reich erwiesen, Personal mithilfe dauerhaft zur Ver­

fügung stehender Materialien, wie Handreichungen, und in Kombination mit entsprechenden Schulungen anzuleiten. Eine solche „begleitete Einführung“ baut allerdings darauf auf, dass die (zeitlichen und ggf.

finanziellen) Ressourcen zur Verfügung stehen, sich zusätzlich zum „Tagesgeschäft“ bzw. zu den Regel­

aufgaben mit neuen Inhalten und Methoden bzw.

Ansätzen zu beschäftigen.

Nicht zuletzt deshalb ist auch der ressourcenaufwän­

dige Aufbau von (Fach­)Netzwerken zum Zweck des Transfers von Innovationen und Lernerfahrungen ein Bestandteil der Modellprojektarbeit gewesen.

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