zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteuren erprobten und etablierten neue Formate der partnerschaftlichen Zusammenarbeit.
Im Bundesprogramm hat das Bundesministerium den Anspruch, mit den geförderten Organisationen partnerschaftlich und auf Augenhöhe zusammen
zuarbeiten. Dazu etablierte es im Programmbereich neue Formate der Zusammenarbeit: die jährlich statt
findende Trägerkonferenz mit allen am Programm
bereich beteiligten Akteuren und das Instrument der Jahresplanungsgespräche, die das Bundesministerium mit jedem einzelnen Träger führt. Die Jahrespla
nungsgespräche dienten im Programm als neuer Ort,
47 Vgl. Bischoff et al. 2019.
48 Vgl. Heinze u. a. 2018, S. 71–72.
49 Vgl. Heinze u. a. 2018, S. 112–125.
50 Vgl. Heinze u. a. 2018, S. 107–112.
in dem staatliche und nichtstaatliche Akteurinnen und Akteure zusammenarbeiten. Sie sind potenziell geeignet, dem Anspruch an eine kooperative Hand
lungskoordination von Staat und Zivilgesellschaft in den Handlungsfeldern des Bundesprogramms gerecht zu werden. Zugleich sind sie ein Instrument des Programmgebers, Aktivitäten von bundeszent
ralen Trägern als Programmumsetzende zu steuern und zu kontrollieren.49 Da die Beziehungen einen zuwendungsrechtlichen Rahmen haben und daher hierarchisch sind, ist bisher noch weitgehend offen, wie sich in diesem Kontext der Anspruch von Part
nerschaftlichkeit einlösen lässt. Die jährliche Träger
konferenz stellte nach Einschätzung der Beteiligten ebenfalls ein geeignetes Format der Abstimmung, Aushandlung und Diskussion von Fach und Koope
rationsfragen zwischen staatlichen und nichtstaat
lichen Akteurinnen und Akteuren dar. Hier wurden Entwicklungsziele des Programmbereichs gemeinsam konkretisiert. Gleichzeitig war es dort Thema, wie man sich gegenseitig unterstützen kann oder mit öffentlichen Anfeindungen sowie mit demokratie
und menschenfeindlichen gesellschaftspolitischen Diskursen umgeht.
Die überwiegende Mehrheit der geförderten Träger misst der Zusammenarbeit mit dem Bundesminis
terium eine hohe Bedeutung bei und schätzt diese, bezogen auf ihre inhaltlichfachlichen und organisa
torischen Aspekte, positiv ein.50 Dahingehend leistet der Programmbereich auch einen Beitrag dazu, zu verdeutlichen, dass die Stärkung von Demokratie und die Prävention von Extremismus wirksam nur durch das partnerschaftlich abgestimmte, gemeinschaftliche Handeln von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren zu bewältigen ist.
Teilnehmerinnen des M
odellprojekts Romani Phen:
Archiv gegen das Vergessen.
5.1.4 Modellprojekte – Förderung von „neuen Wegen“ der Extremismusprävention und Demokratieförderung
Im folgenden Abschnitt werden exemplarisch ausgewählte Entwicklungs und Erprobungsergebnisse der Modellprojekte vorgestellt, die im Bundesprogramm
„Demokratie leben!“ gefördert wurden. Hauptaufgabe dieser Projekte war es, neue, praxistaugliche Ansätze zu entwickeln und zu erproben – sowohl in der Arbeit gegen politischen und weltanschaulichreligiös begründeten Extremismus sowie Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) als auch in der Demokratieförde
rung im ländlichen Raum. In diesem Sinne sollten die Modellprojekte gleichsam stellvertretend für die Alltagspraxis neue Konzepte und Strategien, Arbeitsformen und Zugänge zu Zielgruppen, Themen und Inhalten erproben sowie Erfahrungen sammeln, um diese anschließend der Fachpraxis im Sinne eines Konzept, Wis
sens und Erfahrungstransfers zur Verfügung stellen zu können. Sie sollten zudem nachvollziehbar machen, dass die entwickelten Ansätze dazu beitragen können, demokratisches Denken und Handeln zu fördern sowie politischweltanschau
licher Radikalisierung vorzubeugen bzw. diese zu bearbeiten. Dadurch sollten Akteurinnen und Akteure motiviert werden, sich in ihrer Arbeit den Themen des Programms zu widmen – ob in den Angeboten der Kinder und Jugendhilfe, im schulischen Kontext, im Strafvollzug oder in weiteren Einrichtungen, bspw. der Berufsausbildung. Der Bund nimmt auf die Weise zugleich seine Anregungsfunk
tion in der Kinder und Jugendhilfe nach § 83 I SGB VIII wahr.
Der Transfer von Ergebnissen der Modellprojekte und die Übertragung entwickel
ter und erprobter Modelle sowie der darauf bezogenen Erfahrungen war allerdings kein Selbstläufer. Eine wesentliche Voraussetzung für den erfolgreichen Transfer ist einerseits, dass Neuerungen und (Weiter)Entwicklungen etwa pädagogischer Methoden seitens der Projektumsetzenden so angelegt sind, dass sie den Rahmen
bedingungen und Bedarfen der (pädagogischen) Akteurinnen und Akteure in den genannten Regelangeboten entsprechen können. Andererseits müssen die in den Modellprojekten gewonnenen Ergebnisse auch vonseiten der Fachpraxis genutzt und verwendet werden. Die Erfahrung zeigt, dass dies häufig eher bruchstückhaft erfolgte, den jeweiligen Nutzungsinteressen und Rahmenbedingungen entsprach und dass es nicht selten einer systematischen Unterstützung bedurfte.
Nachfolgend werden ausgewählte Befunde der wissenschaftlichen Begleitungen der Modellprojekte in „Demokratie leben!“ vorgestellt. Sie sind für alle Programm
bereiche der Modellprojektförderung relevant. Das betrifft insbesondere Erkennt
nisse zu den Rahmenbedingungen der Arbeit der geförderten Projekte und zu deren zentralen Innovationsbereichen. Was die konkreten Ergebnisse der Modell
entwicklungen betrifft, muss sich die Darstellung aufgrund der großen Hetero
genität der Projekte und des begrenzten Umfangs dieses Berichts darauf beschrän
ken, für drei ausgewählte Innovationsfelder einige exemplarische Resultate zu präsentieren. Deren Auswahl stützt sich auf die Befunde der wissenschaftlichen Begleitungen der Programmbereiche. Die umfangreichen Erkenntnisse zu den Ergebnissen und Lernerfahrungen in der Modellprojektförderung werden aus
führlich in den zahlreichen jährlichen Berichten der wissenschaftlichen Beglei
tungen dargestellt. Diese sind u. a. auf der Homepage von „Demokratie leben!“
veröffentlicht.
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Thematische Innovationsfelder der Modellprojektarbeit Mit den thematischen Vorgaben wie „Hass im Netz – Engagement im Netz“, „Empowerment zur demo
kratischen Teilhabe“, „Antiziganismus“ sowie „Aktu
elle Formen von Islam/Muslimfeindlichkeit“ und anderen hat das BMFSFJ aktuelle gesellschaftliche Problemlagen aufgegriffen und gezielt die Entwick-lung neuer HandEntwick-lungsansätze in diesen Themen-bereichen gefördert. Neu waren hierbei nicht nur die behandelten Themen, sondern auch, dass der Bund Modellprojekte fördert, die sich nicht allein der Prävention von ausgrenzenden, abwertenden und diskriminierenden Orientierungen und Handlungen widmen, sondern die zugleich auch auf das Empower
ment der davon besonders betroffenen Personen
gruppen zielen.
Die zeitgleiche Bearbeitung mehrerer Phänomene des GMF-Syndroms im Bundesprogramm war eben
falls neu. Dies erweiterte die bereits seit langem im Kontext der einschlägigen Bundesprogramme statt
findende Arbeit gegen Antisemitismus entsprechend jüngeren sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen um weitere Phänomene von gruppenbezogener Abwer
tung und Diskriminierung. In diesem Zusammen
hang hat sich das wachsende Bewusstsein darüber, dass Diskriminierungsphänomene miteinander verschränkt sind (Intersektionalität), als produktiver Impulsgeber dafür erwiesen, neue pädagogische Arbeitsansätze zu entwickeln. Modellprojekte berück
sichtigen zunehmend die Verwobenheit zweier oder mehrerer Phänomene von GMF in ihrer Arbeit. So gibt es Verbindungen zwischen Antisemitismus und Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit und zwischen Homosexuellen und Islamfeindlich
keit. Zugleich zeigte sich, dass in der pädagogischen Praxis weiterhin ein hoher Entwicklungsbedarf besteht, Intersektionalität und Mehrfachdiskriminie
rung angemessen zu berücksichtigen.
Die pädagogische, präventionsorientierte Beschäfti-gung mit Menschenfeindlichkeit und Extremismus im Netz stellte ein eher unterentwickeltes Hand
lungsfeld insbesondere in Kontexten der Kinder und Jugendhilfe dar – trotz des verdienstvollen Engage
ments von Jugendschutz.net. Vor diesem Hintergrund war auch die Förderung von den Modellprojekten ein Novum, die konkrete Strategien zum Umgang mit
Menschenfeindlichkeit und Extremismus im Internet sowie Handlungsansätze zur Stärkung einer digitalen Zivilgesellschaft entwickeln. Angesichts der Digitali
sierung von Lebenswelten wurde es zunehmend zu einer Querschnittsaufgabe, für die pädagogische Praxis in fast allen modellhaft arbeitenden Bereichen des Bundesprogramms entsprechende Arbeitsansätze zu entwickeln.
Die Herausforderungen der Präventionsarbeit und Demokratiestärkung im Kontext der Berufsausbil-dung in Unternehmen und in der Arbeitswelt sind besondere. Darum hat der Programmgeber Modell
projekte gefördert, die Jugendliche in einem (Alltags) Kontext adressierten, der bisher vergleichsweise sel
ten im Mittelpunkt der politischen Bildung und der Radikalisierungsprävention stand. Damit wurde ein Entwicklungs und Erprobungsraum für Bildungs
formate geschaffen, die den Bedingungen der Unter
nehmenswelt und von Ausbildungssettings gerecht werden sollten.
Ebenfalls auf aktuelle gesellschaftspolitische Entwick
lungen reagierten Modellprojekte mit neuen oder weiterentwickelten Arbeitsansätzen, die sich insbe
sondere mit den demokratiegefährdenden und ras
sistischen Ausprägungen im Rechtspopulismus, der ReichsbürgerSzene, der Identitären Bewegung oder neueren islamistischen Phänomenen (FurkanBe
wegung, „Generation Islam“) auseinandersetzten. Die genannten Phänomene lieferten Anlässe insbesonde
re für die inhaltliche Erweiterung oder Fokussierung von Projektmaßnahmen.
Im Bereich der Modellprojekte, die sich mit islamis
tischen Orientierungen und Handlungen auseinan
dersetzten, haben insbesondere Träger, die bisher in vornehmlich säkularisierten Kontexten gearbeitet ha
ben, bestehende Arbeitsansätze teilweise durch neue ersetzt oder angemessen überarbeitet. So wurden sie der Bedeutung von Religion für einen Teil der mus
limisch orientierten Zielgruppe besser gerecht. Dabei erweiterten sie ihr Themenspektrum und räumten Fragen rund um religiös geprägte Lebenswelten, aber auch religiös motivierten bzw. begründeten Konflik
ten einen besonderen Stellenwert ein.