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Das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ – eine Zwischenbilanz nach der ersten Förderperiode

Im Dokument Demokratie leben! (Seite 100-103)

Beinahe alle im Programm geförderten Akteurinnen und Akteure kommen zu

5.3 Das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ – eine Zwischenbilanz nach der ersten Förderperiode

(2015 bis 2019)

69 Vgl. BMFSFJ/BMI 2016, S. 7.

70 Vgl. verschiedene Beiträge in Bundesverband Mobile Beratung e. V. 2019.

„Demokratie leben!“ ist eingebettet in die „Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention und Demokratieförderung“. Die Strategie unter­

scheidet zwischen sicherheitspolitischen Aufgaben einerseits und solchen der Demokratiestärkung und (pädagogischen) Prävention andererseits.69 In diesem Kontext leistete das Bundesprogramm mit seiner so­

wohl demokratiestärkenden als auch präventiv­päda­

gogischen Ausrichtung einen wichtigen Beitrag dazu, entsprechende Arbeitsstrukturen auf der Bundes­

ebene sowie den Landes­ und kommunalen Ebenen zu entwickeln und zu etablieren. „Demokratie leben!“

konnte dabei auch die Fähigkeit der Akteurinnen und Akteure vor Ort verbessern, Probleme zu bearbeiten, indem neue Wege der Prävention und Demokratie­

stärkung gefördert wurden.

Die Aufgabe der Projektumsetzenden dabei ist es, die beiden Ziele Extremismusprävention und Demokra­

tieförderung in ihrer praktischen Arbeit immer wie­

der neu in Einklang zu bringen. Das gilt insbesondere in denjenigen Bereichen, die sich ausdrücklich der Radikalisierungsprävention sowie der Arbeit gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit widmen.

Dabei sind Widersprüche zu bewältigen. Denn einer­

seits besteht ein pädagogisch­bildender Anspruch, demokratische Teilhabe und Eigenverantwortlichkeit zu fördern. Andererseits orientieren sich die Umset­

zenden der Projekte gleichzeitig daran, Diskriminie­

rungs­ und Extremismusphänomenen vorzubeugen oder sie zu verhindern.

Zwar ist dieses Spannungsverhältnis zwischen Prä­

vention und Pädagogik in einem Programm, das sich beiden Aufgaben widmet, nie ganz aufzulösen. Wie die

Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitungen zur pädagogischen Arbeit im Programm aber zeigten, ist seitens der Praktikerinnen und Praktiker konsequent im Blick zu behalten, dass ein wesentliches Ziel von

„Demokratie leben!“ darin besteht, die demokratische Teilhabe bzw. Mitbestimmung insbesondere junger Menschen zu fördern. Somit sollte auch zivilgesell­

schaftlich bzw. nichtstaatlich getragene Präventions­

arbeit stets das Ziel mitführen, die Mündigkeit und die demokratische Mitbestimmung ihrer heranwachsen­

den Adressatinnen und Adressaten zu stärken.

Obwohl in der Praxislandschaft Anstrengungen er­

kennbar sind, präventive und demokratiefördernde Arbeitsweisen zu integrieren, ohne dabei ihre jewei­

ligen Eigenlogiken aufzugeben, schreiben Praktike­

rinnen und Praktiker „Demokratie leben!“ kritisch zu, dass diese Aufgaben so weit verschmolzen seien, dass das Bundesprogramm ausschließlich eine „extre­

mismuspräventive Demokratieförderung“ verfolge.

Diese Gleichsetzung von Extremismusprävention und Demokratieförderung70 geht allerdings an der Realität insoweit vorbei, als beide Ansätze als gleich­

gewichtig, eigenständig und komplementär zueinan­

der betrachtet werden müssen. Dass Maßnahmen zur Demokratiestärkung im Bundesprogramm allein oder vordringlich für präventive Zwecke in Dienst genom­

men werden, kann aus der Praxis der Programmum­

setzung nicht abgeleitet werden.

Die zentralen Strukturelemente des Bundespro­

gramms „Demokratie leben!“ (Partnerschaften für Demokratie, Landes­Demokratiezentren sowie Bundes­Modellprojekte) haben sich nach Einschät­

zung der wissenschaftlichen Begleitungen und der

Programmevaluation weitgehend bewährt. Erstmals wurden sämtliche Phänomene der Demokratiefeind­

lichkeit in einem übergreifenden Bundesprogramm bearbeitet und zugleich die Breite der bearbeiteten Facetten Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ausgeweitet. Der im Bundesprogramm erprobte Be­

reich, nichtstaatliche Organisationen in der Struktur­

entwicklung zum bundeszentralen Träger zu fördern, hat im Laufe der Programmumsetzung zunehmend an Kontur gewonnen.

Als Herausforderung in der Programmumsetzung hat es sich erwiesen, die mehrmalige Vergrößerung der Förderkulisse zu bewältigen. Der Programmgeber hat damit auf gesellschaftliche Problemlagen reagiert, die sich akut verändern. Hervorzuheben sind hierbei die Auseinandersetzung mit islamistischem Extre­

mismus sowie die Bewältigung rechtsextremer und rassistischer Aktivitäten im Kontext der Aufnahme von Geflüchteten und Asylsuchenden, insbesondere in den Jahren 2015 bis 2017. Ebenso wichtig war auch die Suche nach angemessenen demokratischen Ant­

worten auf Polarisierungsprozesse in der Gesellschaft und demokratiegefährdende und menschenfeindliche Akteursgruppen im Rechtspopulismus, die sich ver­

stärkt artikulieren.

Die Erweiterungen des Programms haben es einer­

seits ermöglicht, dass zivilgesellschaftliche und staatliche Akteurinnen und Akteure flexibel auf die genannten Problemlagen eingehen konnten. Anderer­

seits konnte sich die Basis des bundesgeförderten En­

gagements in den Handlungsfeldern von „Demokratie leben!“ und dem hier bearbeiteten Themenspektrum deutlich verbreitern. In den Programmbereichen der

Modellprojektförderung haben diese Erweiterungen ab Ende 2016 z. B. dazu beigetragen, die Innovations­

leistung von „Demokratie leben!“ zusätzlich zu den Neuerungen zu steigern, die bereits seit dem Pro­

grammstart im Jahr 2015 entwickelt und erprobt wurden. So wurden bis dahin im Programm eher unbearbeitete Themen wie Engagement im Netz, neue Handlungsbereiche wie Arbeitswelt oder neue Organisationsformen zur Umsetzung von Modellpro­

jekten wie in der Demokratieförderung im Bildungs­

bereich als Erprobungsfelder in „Demokratie leben!“

aufgenommen. Die Partnerschaften für Demokratie konnten als Struktur durch die Programmerweite­

rungen beinahe flächendeckend im Bundesgebiet etabliert werden. Und auch in der Beratungsarbeit ist es gelungen, darauf zu reagieren, dass sich Bedarfe und Rahmenbedingungen durch die Aufstockung von Beratungsstellen und den weiteren Ausbau von Ange­

boten stetig verändert haben. Im Bereich der Struk­

turentwicklung bundeszentraler Träger verstärkte das Programmwachstum die ohnehin bestehende vielschichtige Heterogenität in der Akteurslandschaft.

Dies zeigte sich am Ende der Förderperiode sowohl am Stand ihrer organisationsinternen Entwicklung als auch in der Fähigkeit, bundeszentrale Aufgaben in den verschiedenen Themen­ und Strukturfeldern zu erfüllen.

Andererseits ist das Programm für die an der Umset­

zung Beteiligten unübersichtlicher geworden – auf­

grund seiner gewachsenen thematischen Heterogeni­

tät und der Geschwindigkeit seines Wachstums. Die Vielzahl von Akteurinnen und Akteuren, die in unter­

schiedlichen Programmbereichen mit ähnlichen The­

men und Problemlagen beschäftigt waren, erschwerte

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es teilweise, geeignete Kooperationspartner und

­möglichkeiten zu identifizieren oder zu nutzen. Das schlug sich u. a. in den Befunden zur Zusammenarbeit der Programmakteurinnen und Programmakteure nieder.

Darüber hinaus hatten die Programmerweiterungen unmittelbare Konsequenzen hinsichtlich der zeit­

lichen Dimension, in der die Einzelprojekte in der ersten Förderperiode von „Demokratie leben!“ um­

gesetzt werden konnten. Einem Teil der Projekte und Vorhaben stand mit einer fünfjährigen Förderung ein vergleichsweise langer Erprobungszeitraum zur Verfügung. Zugleich wurden zahlreiche Organisatio­

nen und Kommunen erst ab dem Jahr 2017 oder 2018 gefördert und hatten damit eine sehr kurze Laufzeit.

Diesen Akteurinnen und Akteuren war es in der Regel kaum möglich, über erste Implementations­ oder Er­

probungsschritte hinauszukommen. Ein Transfer von (Modell­)Projektergebnissen oder die Verstetigung von Strukturen war unter diesen Bedingungen nur schwer zu realisieren.

Eine weitere Herausforderung bestand darin, dass sich die Programmerweiterungen für die in der Praxis tätigen Akteurinnen und Akteure in der Regel sehr kurzfristig ankündigten. Dies beeinträchtigte u. a., konzeptionelle oder Ko­Finanzierungs­Fragen in der Beantragung von Mitteln zu klären. Zudem wirkte sich die Geschwindigkeit der Ausweitung von

„Demokratie leben!“ darauf aus, fachlich gut quali­

fiziertes Personal für die anspruchsvolle Arbeit im Programmkontext rekrutieren zu können. So waren beispielsweise neue Arbeitsfelder wie die Islamismus­

prävention, aber auch etablierte Angebote wie die Beratungsarbeit mit einer Situation des Fachkräfte­

mangels konfrontiert. Für die davon betroffenen Träger bedeutete das, dafür Sorge zu tragen, dass sich neu eingestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeitnah qualifizierten. Hierbei leistete auch der Bund mit besonderen Weiterbildungs­ und Beratungsange­

boten Unterstützung. Insofern hat sich „Demokratie leben!“ nicht nur als Modell­, sondern auch als Quali­

fizierungsprogramm zur Demokratieförderung und Radikalisierungsprävention erwiesen.

Unbeschadet solcher teilweise unbeabsichtigten Effekte der Programmerweiterungen mahnten vor allem Akteurinnen und Akteure, die mit der Koor­

dinierung von Antrags­ und Umsetzungsverfahren beschäftigt waren (seitens der Träger), für die Zukunft an, eine größere Verlässlichkeit und Planungssicher­

heit in der Programmgestaltung herzustellen. Insge­

samt werteten jedoch die meisten Akteurinnen und Akteure die Aufstockungen des Programmetats als einen positiven Beitrag bzw. eine förderliche Rah­

menbedingung für ihre Arbeit.

„Demokratie leben!“ konzentrierte sich aufgrund sei­

ner Schwerpunktsetzung und den bisherigen förder­

rechtlichen Grundlagen in der Mehrzahl seiner Pro­

grammbereiche auf die Arbeit mit Heranwachsenden und Personen, die für die Sozialisation wichtig sind.

Dazu gehören etwa Eltern, Peers sowie hauptberuflich und ehrenamtlich tätige Fachkräfte in Erziehung, Bil­

dung und Beratung. Damit entsprach das Programm im Wesentlichen seiner Verortung im Politikfeld der Kinder­ und Jugendpolitik des Bundes. Ergänzend dazu wurden im Bundesprogramm weitere Zielgrup­

pen angesprochen, etwa Bedienstete in Justizvollzugs­

anstalten, in der öffentlichen Verwaltung der Länder und Kommunen sowie die lokale Öffentlichkeit bzw.

Stadtgesellschaft.

Ein großer Teil dieser Zielgruppen konnte auch er­

reicht werden. Allerdings bestanden nach Erkennt­

nissen der wissenschaftlichen Begleitungen für einen Teil der Angebote und Maßnahmen, die im Bundes­

programm realisiert wurden, Probleme dabei, einige Zielgruppen in dem Umfang anzusprechen, wie das mit Blick auf eine wirksame Präventionsarbeit an­

gezeigt gewesen wäre. Das betraf zum einen junge Menschen mit ausgeprägten, aus Programmsicht als problematisch erachteten politischen bzw. weltan­

schaulich­religiösen Orientierungen oder Haltungen.

Zum anderen betraf es junge Menschen in struk­

turschwachen oder anderweitig marginalisierten (Sozial­)Räumen.

Auch haben sich bisher der Bund und die Bundesländer noch nicht auf eine ge­

meinsame Rechtsgrundlage geeinigt, damit es eine nachhaltige Finanzierung für die Arbeit in der Demokratieförderung und Extremismusprävention gibt, die der Kompetenzverteilung zwischen beiden staatlichen Ebenen gerecht wird. Ein ver­

bindlicher Förderrahmen – beispielsweise auf der Basis einer (vertraglich) geregel­

ten Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Fragen der Demokratieförderung und Radikalisierungsprävention – könnte nicht nur dabei helfen, die bestehenden Transfer­ und Verstetigungsherausforderungen zu meistern. Er könnte möglicher­

weise auch zu einer verbesserten Abstimmung von Landes­ und Bundesstrategien in den genannten Feldern beitragen.

Erstmals in der Geschichte der Bundesprogramme zur Demokratieförderung und Extremismusprävention ist „Demokratie leben!“ nicht zum Ende des Jahres 2019 ausgelaufen, sondern wird mit einer zweiten Förderperiode fortgeführt. Die wissenschaftliche Programmbegleitung der ersten Förderperiode hat als Ergeb­

nis ihrer Evaluation des Bundesprogramms einige Aufgaben für die kommenden Jahre formuliert. Zu den Herausforderungen, die in der zweiten Förderperiode zu bewältigen sind, gehören u. a., dass

wertvolle Ergebnisse der Modell-projektförderung zeitnah ihren Weg in die breite Regelpraxis finden, vor allem in die Kinder- und Jugendhilfe, Schule oder Berufsbildung sowie u. a. in die jeweiligen Aus-, Fort- und Weiterbildungen,

insbesondere junge Menschen für

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