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Methodische Überlegungen

Im Dokument DIPLOMARBEIT / DIPLOMA THESIS (Seite 17-21)

2. GESCHICHTSBEWUSSTSEIN(E)

2.2. Methodische Überlegungen

Das oben erläuterte Verständnis von Geschichtsbewusstsein liegt den analytischen Auseinandersetzungen dieser Arbeit zugrunde. Wie bereits erwähnt, ist es ein Prozess, von dem ausgegangen werden muss, der nicht singulär zu begreifen ist, sondern pluralistisch.

Diesen Gedanken spiegelt auch das Dimensionen-Modell von Hans-Jürgen Pandel (neben anderen Autor_innen, z.B. Bodo von Borries) wider, der stark den individuellen Charakter dieses Prozesses betont. Bei ihm vollzieht sich die geschichtliche Wahrnehmungsentwicklung über das Sprachlernen und äußert sich in einer individuellen mentalen Struktur19. Diese individuelle Entwicklung des Geschichtsbewusstseins sei laut ihm kulturell und nicht

‚natürlich‘20, und stark vom Vorhandensein von Geschichtsbewusstsein in der Alltagswelt abhängig. Pandels Dimensionen von Geschichtsbewusstsein können demnach nur in dem kulturellen Umfeld verstanden werden, indem sie auch gelebt werden21. Folgende Kategorisierungen muss also im Sinne Seixas‘ und eines pluralistischen Verständnisses von Geschichtsbewusstsein nur als ein möglicher Zugang von vielen gesehen werden. Auch Pandel weist von vornherein darauf hin, dass Kategorien, die das Geschichtsbewusstsein bestimmen, durch den Wandel der Zeit und Generationen einem Veränderungsprozess unterlegen sind.

19 Vgl. Hans-Jürgen Pandel, „Geschichtlichkeit und Gesellschaftlichkeit im Geschichtsbewusstsein.

Zusammenfassendes Resümee empirischer Untersuchungen“, in Geschichtsbewusstsein empirisch (Pfaffenweiler:

Centaurus-Verlag-Ges., 1991), 1–19. 3.

20 Ebd. 2.

21 Vgl. ebd.

Dieser drückt sich ebenfalls im historischen Denken als „Zeitgeschichte von Mentalitäten“

aus22.

Pandels Modell23 ist für diese Arbeit relevant, da sie nicht nur Grundlage zahlreicher empirischer Studien zu Geschichtsbewusstsein ist24, sondern auch didaktische Aufgaben mit den einzelnen Kategorien verbindet, was eine konkrete/ praktische Auseinandersetzung als notwendig markiert.

Das Temporalbewusstsein (früher – heute/morgen), Wirklichkeitsbewusstsein (real/historisch – imaginär), Historizitätsbewusstsein (statisch – veränderlich) werden von Pandel als die drei Basiskategorien genannt, die die Geschichtlichkeit zum Ausdruck bringen25. Diese müssen entwickelt sein, damit soziale Dimensionen entstehen können. Auf den Geschichtlichkeits-Dimensionen26 bauen Identitätsbewusstsein (wir – ihr/sie), politisches Bewusstsein (oben – unten), ökonomisch-soziales Bewusstsein (arm – reich) und moralisches Bewusstsein (richtig – falsch) auf, und werden von Pandel als die vier gesellschaftlichen Dimensionen27, die die Komplexität der Gesellschaft strukturieren, bezeichnet28.

22 Vgl. ebd. 1.

23 Anm.: An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass auch dieses stark von einem deutschsprachigen Diskurs geprägt ist. Der Verweis auf diese Perspektive erscheint mir wichtig, werden im Folgenden auch Konzepte im deutschsprachigen Raum (Österreich) analysiert.

24 Vgl. u.a. Bodo von Borries, Hans-Jürgen Pandel, und Jörn Rüsen, Hrsg., Geschichtsbewußtsein empirisch, Geschichtsdidaktik Studien, Materialien, N.F., 7 (Pfaffenweiler: Centaurus-Verlag-Ges., 1991).

25 Vgl. Pandel, „Geschichtsbewusstsein“. 4

26 Anm.: Das Temporalbewusstsein setzt sich wiederum aus dem Bewusstsein für Zeitausdehnung, Dichtigkeit der Ereignisse in der Zeit, Akzentuierung der Zeitdimensionen, Zäsurbedürfnis und Narrativierung der Zeit zusammen. Das Wirklichkeitsbewusstsein drückt sich im Unterscheiden von Realität und Fiktion aus, dem Wahrnehmen und Auflösen von Imaginiertem. Beim Historizitätsbewusstsein steht das Wissen um Veränderungsprozesse und die Erkenntnis von Geschichtlichkeit von Personen, Ereignissen, sich selbst im Vordergrund. Vgl. ebd. 5-13.

27Anm.: Das Identitätsbewusstsein meint die Auseinandersetzung mit der „Wir-Ihr-Differenzierung“ und der Identität als Strukturmoment. Das politische Bewusstsein nimmt die gesellschaftlichen Verhältnisse als von Machtstrukturen durchzogen wahr und lokalisiert diese, während beim ökonomisch-sozialen Bewusstsein die sozialen Strukturen und Handlungen wahrgenommen und bewertet werden. All diese Dimensionen kürt das moralische Bewusstsein, das als moralisch-normative Dimension Motivation und Begründungsformen historischen Handelns klassifiziert und beurteilt. Vgl. ebd. 13-20.

28 Vgl. ebd. 4.

Abb. 1: Hans-Jürgen Pandels Dimensionen-Modell mit den damit verbundenen didaktischen Aufgaben29.

Diese sieben Doppelkategorien dienten immer wieder als Vorlage empirischer Studien und wurden auch durch weitere Bereiche ergänzt (u.a. die Geschlechterdimension), da für manche Kritiker_innen dieses Modell der Komplexität der Thematik nicht entsprach. An dieser Stelle verweise ich auch wieder auf Seixas, der in einem Dimensionen-Modell zum historischen Denken30 auch die Kategorie der Perspektive festhält, die eine historische Empathie (also die Fähigkeit, sich in historische Vorgänge hineinzudenken) ermöglicht. Im Sinne eines pluralistischen Geschichtsbewusstseins soll diese Perspektivität bei einer Betrachtung des Identitätsbewusstseins berücksichtigt werden.

Zunächst sollen aber Pandels Dimensionen, verstanden als individuelles kognitives Bezugssystem, für eine Analyse musealer Auseinandersetzungen mit Spielfilm herangezogen werden.

Angesichts der medialen Einflüsse auf das Geschichtsbewusstsein ist es daher nicht abwegig, eine neue Dimension des Geschichtsbewusstseins, die Bezug auf filmische Einflüsse nimmt, zu denken. Filme inszenieren Geschichte, sie bieten Zuschauer_innen audiovisuelle Narrative und sind auch laut Pandel direkter Ausdruck von Geschichtskultur. Um Geschichtsbewusstsein über Filme vermitteln zu können, braucht es zielgerichtete Angebote, die historische Kompetenzen

29 Pandel, Geschichtsunterricht nach PISA. 8.

30 Vgl. „HISTORICAL THINKING CONCEPTS | Historical Thinking Project“, zugegriffen 7. Januar 2019, http://historicalthinking.ca/historical-thinking-concepts.

fördern. Unter Kompetenzen versteht Andreas Körber die Fähigkeiten und Fertigkeiten, wie auch die Bereitschaft, diese in neuen Situationen einzusetzen und sie damit zu bewältigen31. De- und Rekonstruktion stellen in dem Strukturmodell von der Forschungsgruppe „FUER Geschichtsbewusstsein“, rund um Körber und Waltraud Scheiber32, entwickelt, die Basisoperatoren des historischen Denkens dar. Auf diese greifen die Kernkompetenzen, die historische Frage-, Methoden-, Sach- und Orientierungskompetenz, zurück, die es möglich machen sollen, auch Spielfilme als Einflussfaktoren auf Geschichtsbewusstsein zu begreifen und ihr Wesen und Wirken bewusst wahrzunehmen, zu entschlüsseln und zu dekonstruieren.

Auch Ausstellungskonzeptionen müssen sich mit Fragen nach den historischen Kompetenzen auseinandersetzen, wenn Spielfilme als Geschichtskulturen verstanden werden und ihre Vermittlung ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein ermöglichen soll. Welche Dimensionen diese Vermittlung erreichen kann, wird in dieser Arbeit thematisiert.

31 Vgl. Andreas Körber, „Grundbegriffe und Konzepte: Bildungsstandards, Kompetenzen und Kompetenzmodelle“, in Kompetenzen historischen Denkens: ein Strukturmodell als Beitrag zur Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik (Neuried: Ars Una, 2007), 54–86. 30.

32 Vgl. Andreas Körber, Waltraud Schreiber, und Alexander Schöner, Hrsg., Kompetenzen historischen Denkens:

ein Strukturmodell als Beitrag zur Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik, Kompetenzen, Bd. 2 (Neuried: Ars Una, 2007).

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