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Die Kamera bietet, wie oben erläutert, eine hervorragende Möglichkeit, wildlebende See-hunde störungsfrei zu beobachten. Im Untersuchungszeitraum, den Jahren von 2003 bis 2008, sind einmalige Einblicke in die Lebens- und Verhaltensweise der Meeressäuger im nicht-aquatischen Bereich möglich geworden. Die ursprüngliche Intention, Störfaktoren, die auf ein Seehundrudel wirken, zu untersuchen, ist größtenteils sehr gut gelungen.

Abbildung 4.4-1:

Satellitenbild der Seehundbank Norderney Ostspitze (Quelle: Google Earth)

In der Abbildung 4.4-2 ist die Ausrichtung der Kamera schematisch dargestellt. Die Entfer-nungen zu signifikanten Punkten, wie dem Zaun, der die Ruhezone abgrenzt (schwarze Linie am linken Bildrand), zur Fahrwasserbetonnung "D44" und zum äußersten Bereich potentieller Seehundliegefläche sind graphisch dargestellt.

Abbildung 4.4-2:

Schematische Darstellung der Positionierung und des Bildwinkels der Kamera auf der Seehund-bank Norderney Ostspitze bei Hochwasser

Abbildung 4.4-3:

Standbild des Bildwinkels der Kamera Norderney Ostspitze bei Hochwasser aus Abbildung 4.4-2 Wie auf Abbildung 4.4-3 zu sehen, erstreckt sich das Rudel z.T. so weit nordwärts, dass einzelne Individuen des Verbandes nicht mehr erfasst werden können.

Abbildung 4.4-4:

Schematische Darstellung der Positionierung und des Bildwinkels der Kamera auf der Seehund-bank Norderney Ostspitze 3 Stunden nach Hochwasser

Abbildung 4.4-5:

Basiseinstellung des Bildwinkels der Kamera Norderney Ostspitze 3 Stunden nach Hochwasser

Diskussion Methodenkritik Kamera

Abbildung 4.4-6:

Schematische Darstellung der Positionierung und des Bildwinkels der Kamera auf der Seehund-bank Norderney Ostspitze 3 Stunden nach Hochwasser

Abbildung 4.4-7:

Basiseinstellung des Bildwinkels der Kamera Norderney Ostspitze 6 Stunden nach Hochwasser (fast Niedrigwasser)

Die Sandbank der Ostspitze Norderneys wird in den Sommermonaten nur bei Springtiden und/oder langanhaltenden Winden aus vornehmlich westlichen bis nördlichen Richtungen komplett überflutet. Die starke Hydrodynamik des Wattenmeeres ist jedoch täglich zu be-obachten. Somit wird der zweite schwerwiegende Faktor offenbar. Bei ablaufendem Was-ser vergrößert sich die Sandbank gen Osten, das Rückseitenwatt im Süden Norderneys fällt trocken. Die auf der Sandbank befindlichen Seehunde rücken sukzessive der sich verändernden Wasserlinie gen Osten nach. Die im nördlichen Teil (linke Seite) des Über-wachungsbereiches befindlichen Tiere entfernen sich somit aus dem Blickfeld der Kamera.

Der westliche Bereich der Sandbank ist bei ablaufendem Wasser zu vernachlässigen, da die Seehunde diesen Bereich nur schwimmend nutzen, was ausschließlich bei Hochwas-ser möglich ist.

Abbildung 4.4-8:

Schematische Darstellung der Veränderung der Sandbankgröße pro Tidehub. Die gelb umrahmte Fläche bezeichnet den Bereich des Blickfeldes der Kamera, aus dem die Tiere sich bei ablaufen-dem Wasser, bei Nachrücken an die Wasserlinie, entfernen.

In Abbildung 4.4-8 sind die drei Hauptphasen eines Tidehubs zusammengefasst graphisch dargestellt. Diese Bewegung ist bei Flut diametral zu beobachten. Je nach Windrichtung und Tideverlauf differieren die maximalen Tidehochwasser. Im Gegensatz zur Sandbank der Ostspitze Norderneys werden die Seehundbänke im Wattenmeer bei jeder Tide mehr oder minder intensiv überflutet (MÜLLER 2007).

Abbildung 4.4-9:

Schematische Darstellung der Veränderung der Sandbankgröße pro Tidehub im Querschnitt, An-sicht aus südlicher Richtung

In den ersten Jahren nach der PDV- Epidemie 2002, also zu Zeiten eines geringeren Ge-samtbestands und daraus resultierend auch geringerer Gruppengröße auf der Sandbank Norderney, erwies sich die Basiseinstellung der Kamera als effiziente Beobachtungsmög-lichkeit. Bei sukzessive steigendem Bestand, stieg auch die Anzahl der Individuen im Ru-del. Jeder Seehund, außer Mutter-Jungtier-Verbänden und z.T. Kegelrobben, beansprucht einen minimalen Individualabstand (WIPPER 1974, JOHN 1984), von ca. 1 bis 2 Meter. Dies entspricht ca. 1,5 "Seehundlängen". Entsprechend verteilen sich die Gruppenmitglieder auf einen größeren Bereich der Sandbank. Infolgedessen ist es bei größerer Rudelstärke

Diskussion Methodenkritik Kamera

notwendig, den Blickwinkel der Kamera kontinuierlich zu justieren, bzw. einen "Schwenk"

durchzuführen, um die Gesamtzahl der Individuen einer Gruppe zu erfassen.

Abbildung 4.4-10:

Kamera-Korrektur Richtung Osten/Westen bei ablaufendem/auflaufendem Wasser

Bei extremen Niedrigwasserständen ist ein weiterer Negativfaktor kenntlich geworden. Das Seegat zwischen Norderney und Baltrum erreicht direkt vor der Ostspitze Norderneys sei-ne tiefsten Tiefen. Nach anfänglich "sanftem Gefälle" von ca. 5°, fällt die Sandbank mit einem Gefälle von ca. 45° bis zu einer Tiefe von ca. 9 bis 10 Meter unter MThw23 ab. Bei Minimalwasserständen fällt der Übergang des geringen Gefälles zum starken Gefälle tro-cken. Es erscheint eine Abrisskante, die von der Kamera, trotz ihrer Höhe, nicht mehr er-fasst werden kann, da die Fläche zwischen Kamera und Abrisskante überriegelt. Tiere in diesem toten Winkel (s. Abbildung 4.4-11) sind nicht zu erfassen.

Abbildung 4.4-11:

Scharfe Abrisskante - Gefälleübergang

Eine weitere Form des Überriegelns zeigt sich insbesondere bei größeren Rudel-Teilen, die sich bei Niedrigwasser (weite Distanz = flacherer Winkel) kumuliert auf der Südspitze der Sandbank aufhalten (s. Abbildung 4.4-12). Der Winkel vom Objektiv zum Objekt ist zu flach, um Individuen, die hinter anderen Rudel-Mitgliedern ruhen, detailliert zu erfassen.

Nur bei Bewegung, Nachrücken zu Wasserlinie oder langsamer Flucht, kann einge-schränkt die Gruppengröße erfasst werden.

23 MThw: Mittleres Tidehochwasser - bezeichnet den durchschnittlichen Hochwasserstand an einem

gegebenen Tiden-Ort.

Abbildung 4.4-12:

Überriegeln der Individuen einer Gruppe

Abbildung 4.4-13:

Überriegeln - nur dauerhafte Beobachtung ermöglicht Erfassung der Gesamtzahl der Gruppe: erst bei Auflösung der Gruppe, bzw. Nachrücken zur Wasserlinie ist eine Zählung möglich

Die Überflutung der Ostspitze Norderneys ist bei nahezu jeder Springtide in jeder Jahres-zeit zu beobachten. Bei hoch auflaufendem mittleren Tidehochwasser ist es möglich, dass selbst die relativ hoch gelegene, exponierte Ostspitze Norderneys bis zu 5 Stunden über-flutet wird. Deutlich ist in der Abbildung 4.4-14 zu erkennen, dass sich ein Teil der Tiere während des Hochwassers in der Nähe bzw. "über" der Sandbank aufhält, um sich frü-hestmöglich wieder trocken fallen zu lassen. Diese Beobachtung ist bereits in verschiede-nen Untersuchungen im Wattenmeer gemacht worden (WIPPER, 1974, JOHN 1984).

Abbildung 4.4-14:

Springtide und nordwestliche Winde sorgen für die Überflutung der gesamten Ostspitze Norderneys

Diskussion Methodenkritik Kamera

Im Verlauf der Untersuchung sind weitere Schwachstellen des Kamerasystems festgestellt worden. Der Verfasser hat zur Verifizierung der Negativfaktoren, bzw. zur "Qualitätsprü-fung" der Kamera, eine Semesterarbeit einer Teilnehmerin im Freiwilligen ökologischen Jahr, BROCKE, die in der Umweltbildung der Seehundstation Nationalpark-Haus tätig war, initiiert. Der Titel der Arbeit lautet: "Methodenuntersuchung zur Standkamera am Ostende Norderney 2005", gefertigt an der Universität Rostock im Fach Meeresbiologie. BROCKE

hat über einen Zeitraum von sieben Tagen persönlich die Seehundbank Norderney aufge-sucht, aus genügender Entfernung mit einem Spektiv (Optolyth TBS 80, 20-80fache Ver-größerung) und einem Fernglas das Seehundrudel beobachtet und ihre Ergebnisse mit den Aufzeichnungen der Kamera verglichen. Bei dieser Untersuchung sind verschiedene Fehlerquellen verifiziert worden24. Die maßgebliche Kritik an der Kamera ist, dass das Ru-del z.T. nicht in Gänze aufgezeichnet werden kann. Reaktionen von nicht erfassten Tieren bzw. Teilen des Rudels können nicht berücksichtigt werden. Der statische Blickwinkel (oh-ne Berücksichtigung des aktiven Nachjustierens bzw. ei(oh-nes Gesamtschwenks) ersetzt nicht einen aktiven Beobachter vor Ort. Bei Regen oder starkem Nebel behindert die Trop-fenbildung die Fokussierung des Objektivs (z.T. wird automatisch auf die Tropfen auf der Kuppel vor dem Objektiv fokussiert, s. Abbildung 4.4-15).

Abbildung 4.4-15:

Problem Regen, das Kamera-System fokussiert auf die Regentropfen

Insbesondere die einseitige Ausrichtung gen Süden wurde kritisiert. Störungen von Land-seite wurden nur teilweise durch sichtbare Reaktionen der im südlichen Teil der Sandbank befindlichen Tiere registriert. Dass Rudelteile im nördlichen Teil der Sandbank flüchteten, wurde nicht dokumentiert (s. Abbildung 4.4-16). In der Totalaufnahme sind zwar z.T. Stö-rungen, nicht aber geringe sichtbare Reaktionen erkennbar. Desweiteren wurden Abwei-chungen von Zeiten im Kamerabild und der Datenbank festgestellt.

Um objektive Informationen über das Kamera-System zu erhalten, hat der Verfasser für diese Semesterarbeit Daten, Kamera-Aufzeichnungen und Legenden zur Auswertung kommentarlos überreicht. Im Untersuchungszeitraum wurde die Basiseinstellung der Ka-mera nicht verändert.

Einige Kritikpunkte konnten allein durch Nutzung der Betriebsmöglichkeiten des Kamera-Systems ausgeräumt werden: Bei Regen kann der Zoomfaktor der Kamera verändert wer-den, so dass sich das System automatisch auf die Seehundbank fokussiert. Um weiterhin eine Gesamtaufnahme zu generieren, ist es möglich, den Autofokus des Systems

24 Anm.: Im Zeitraum der Untersuchung herrschten sehr schlechte Witterungsbedingungen

schalten und manuell auf die Seehundbank zu fokussieren. Durch aktive Schwenks ist es möglich, die Gesamtzahl des Rudels zu erfassen. Stromausfälle durch Blitzschlag und nach langanhaltenden Regen- bzw. Wolkenphasen, die die Stromversorgung zusammen-brechen ließen, waren Ursache für differente Zeitangaben. Hier liegt ein methodischer Fehler in BROCKES Auswertung vor, der ihr nicht bewusst war.

Abbildung 4.4-16:

Der Blickwinkel nach Norden offenbart Störpotential von der Landseite. Nur bei Gesamtschwenks wurde dieser Blickwinkel eingestellt

BROCKE fasst zusammen, dass die Kamera hervorragende störungsfreie Beobachtungs-möglichkeiten von Seehunden ermöglicht. Ihre Kritikpunkte sind nachvollziehbar und ge-rechtfertigt. Teilweise wurden ihre Vorschläge bereits 2008 umgesetzt:

Eine neue Kamera mit zwei Objektiven ermöglicht dauerhaft die Aufzeichnung einer "Tota-len" parallel zur Großaufnahme von Teilen des Rudels. Das dazugehörige Kamerasteue-rungsprogramm ermöglicht die Voreinstellung von sechs frei zu wählenden Fixpunkten, die schnelle Schwenks zu neuralgischen Punkten, wie dem Zaun im Norden der Kamera, er-möglichen.

Diese Kamera hat keine Kuppel. Salzablagerungen auf dem Objektiv werden bei Regen abgespült. Eine zusätzliche Vergütung der Optik mit einem Spezial-Mittel mit "Lotus-Effekt"

erwies sich für ca. zwei Monate als brauchbar. Es gab zu keinem Zeitpunkt Sichtein-schränkungen durch Regentropfen.

Eine weitere Applikation des Kamera-Systems ist ein eingebautes Richtmikrofon. Die Nut-zung diese Mikrofons ist jedoch nur an Tagen mit geringer Windgeschwindigkeit möglich.

An Tagen mit höheren Windgeschwindigkeiten überzeichnet das Windrauschen jedes an-dere Geräusch. Bei Windstille sind jedoch Aufnahmen von Lautäußerungen der Seehunde und Kegelrobben, wie auch Motorengeräusche, deutlich hörbar.

Noch nicht umgesetzt wurden zwei aus BROCKES Arbeit resultierende Ideen: eine zusätzli-che Kamera, die ausschließlich den Bereich der Grenze der Ruhezone dokumentiert und zusätzliche Solarpanels, um auch bei geringer Sonneinstrahlung oder längeren Schlecht-wetterphasen die durchgängige Stromversorgung garantiert. Letzteres ist der Kernpunkt aller Aufzeichnungen mit der Kamera: Häufiges Zoomen und Schwenken des Kamera-Systems verbraucht viel Strom, der im jetzigen Status quo nur bei ausreichender Sonnen-einstrahlung zur Verfügung steht.

Diskussion Methodenkritik Kamera

Eine effiziente Beobachtung des Rudels ist ausschließlich möglich, wenn eine Person aktiv und nachhaltig die Fernsteuerungsmöglichkeiten bedient.

Abbildung 4.4-17:

Das neue Kamera-System (ab 2008) ermöglicht durch zwei Objektive parallel Total- und Großauf-nahmen und Ton-Übertragung