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Ernährungsmuster sind nicht direkt messbar, sondern müssen anhand spezieller statisti-scher Methoden aus den vorliegenden Ernährungsdaten einer Studienpopulation hergeleitet werden. Die bisher in der Ernährungsepidemiologie dazu herangezogenen Methoden lassen sich generell in hypothesenorientierte und exploratorische Ansätze unterteilen [8, 187, 188]. Die erst kürzlich in die Ernährungsepidemiologie eingeführte Methode RRR verbindet dagegen beide Ansätze [15, 189, 190]. Im Folgenden sollen die einzelnen Ansätze näher erläutert werden.

1.4.1 Hypothesenorientierter Ansatz

Der hypothesenorientierte Ansatz, oft auch a priori-Ansatz genannt, basiert zur Bildung von Mustervariablen auf existierenden Ernährungsempfehlungen bzw. vorhandener ernährungs-physiologischer Evidenz. Die Evidenz wird dabei aus Untersuchungen abgeleitet, in denen einzelne Ernährungskomponenten in Beziehung zu bestimmten Erkrankungen betrachtet wurden (buttom-up Prozeduren) oder in denen unterschiedliche kulturelle Ernährungsge-wohnheiten im Hinblick auf ihre nachteilige oder protektive Wirkung für Erkrankungen ver-glichen wurden (top-down Prozeduren) [191, 192].

Anhand der vorliegenden Informationen kann unter Einbeziehung der Ernährungsdaten der spezifischen Studienpopulation eine als Qualitätsscore oder Index bezeichnete Mustervari-able kalkuliert werden. Dabei reflektiert der maximale Indexwert möglichst die günstigste und der minimale Indexwert dagegen die ungünstigste Ernährung (bzw. umgekehrt) hin-sichtlich der berücksichtigten Ernährungsempfehlungen oder Evidenz. Zur Bildung der Indi-zes werden in der Regel Trennwerte oder relative Verteilungen der Aufnahmemenge bzw.

Aufnahmehäufigkeit hinsichtlich der einzelnen im Index integrierten Ernährungsfaktoren herangezogen. Beispiele für die auf Trennwerten basierende Indexbildung sind der „Re-commended Food Score“ als Summe der Anzahl von den 23 empfohlenen Lebensmitteln, die vom Probanden mindestens einmal pro Woche konsumiert werden [193] sowie der

„Healthy Food Index“ als Summe der erfüllten Kriterien (von insgesamt vier Kriterien), die u.a. den Verzehr bestimmter Lebensmittel von mindestens einmal täglich einschlossen [194]. Die relative Verteilung von Aufnahmedaten wurde u.a. zur Herleitung eines Quali-tätsscores von Hu et al. [68] und des „Mediterranean-diet scores“ [195] verwandt. Während die Bildung des Qualitätsscores auf der Quintilzugehörigkeit der Aufnahmemengen von vier berücksichtigten Ernährungskomponenten der Studienteilnehmer beruhte (vgl. Kapitel 1.3.3), basierte die Bildung des „Mediterranean-diet scores“ auf den geschlechtsspezifischen Medianen der Aufnahmemengen von neun einbezogenen Ernährungselementen in der Stu-dienpopulation.

Durch die Berücksichtigung ausgewählter nutritiver Faktoren zur Bildung der Mustervariab-len fokussieren die hypothesenorientiert hergeleiteten Indizes und Scores auf spezielle As-pekte der Ernährung. Die gebildeten Indizes und Scores wurden in zahlreichen Studien hin-sichtlich ihres Zusammenhangs mit verschiedenen Erkrankungen wie Diabetes [15, 68], Hypertonie [196], kardiovaskulären Erkrankungen [197-200] und Krebs [197-199] sowie mit der Gesamtmortalität [193-195, 201] untersucht.

1.4.2 Exploratorischer Ansatz

Der exploratorische Ansatz bezieht im Gegensatz zum hypothesenorientierten Ansatz keine vorliegende wissenschaftliche Evidenz ein, sondern basiert auf statistischen Methoden, mit denen aufgrund der erhobenen Ernährungsdaten einer Studienpopulation Mustervariablen extrahiert werden können. Dieser Ansatz wird oft auch als a posteriori-Ansatz bezeichnet.

Zu den in der Ernährungsepidemiologie verwandten exploratorischen Methoden gehören die Clusteranalyse sowie die Hauptkomponenten- und Faktorenanalyse. Diesen multivariaten Methoden ist gemeinsam, dass sie auf Techniken zur Datenreduktion basieren. Dennoch gibt es wesentliche Unterschiede zwischen den Methoden:

Anhand der Clusteranalyse werden die Probanden einer Studienpopulation Subgruppen (Cluster) zugeordnet, so dass die Ähnlichkeit in der Ernährung der Probanden innerhalb der jeweiligen Cluster größer ist als zwischen den Clustern. Jeder Proband gehört dabei nur ei-nem der verschiedenen Cluster an. Zur Clusterbildung wird entweder ein hierarchisches Verfahren (z.B. Ward´s-Methode, minimiert die Varianz innerhalb der Cluster) oder ein nicht-hierarchisches Verfahren (z.B. K-Means-Methode, bildet den größten Abstand zwi-schen den Clustern) angewandt [9]. Für die Identifizierung charakteristischer Ernährungs-variablen und die Interpretierbarkeit der gebildeten Cluster sind anschließende Analysen notwendig [8, 189].

Mit der Hauptkomponenten- und der Faktorenanalyse werden basierend auf der Stärke der Korrelation zwischen den einbezogenen Ernährungsvariablen, d.h. basierend auf der Kova-rianzstruktur, eine geringere Zahl von Mustervariablen (Hauptkomponenten bzw. Faktoren) ermittelt. Im Gegensatz zur Clusteranalyse kann jedem Probanden ein bestimmter Score-wert für jeden Faktor zugeordnet werden. Dieser ScoreScore-wert charakterisiert wie stark die Ernährung eines Probanden mit dem jeweiligen Faktor assoziiert ist. Die Hauptkomponen-ten- und Faktorenanalyse basieren zwar auf vergleichbaren mathematischen Grundlagen, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Interpretation der hergeleiteten Mustervariablen.

So kann die Hauptkomponentenanalyse als ein rein numerisches Verfahren und die herge-leiteten Hauptkomponenten als lineare Funktionen der Ausgangsvariablen, deren Variation maximiert wird, angesehen werden. Die in der Faktorenanalyse extrahierten Faktoren stel-len ebenfalls lineare Kombinationen der Ausgangsvariabstel-len dar, können jedoch als den Ausgangsvariablen zugrundeliegende, latente Mustervariablen interpretiert werden [189, 190]. Zur verbesserten Interpretierbarkeit der Hauptkomponenten bzw. Faktoren können unter Annahme statistischer Modellvoraussetzungen zusätzlich verschiedene Rotationsver-fahren eingesetzt werden (wobei meist das orthogonale RotationsverRotationsver-fahren Varimax heran-gezogen wird) [9]. Generell ist die exploratorische, d.h. strukturentdeckende, Faktorenana-lyse von der konfirmatorischen, d.h. strukturprüfenden, FaktorenanaFaktorenana-lyse abzugrenzen [202].

Die mittels Cluster-, Hauptkomponenten- und Faktorenanalyse hergeleiteten Mustervariab-len spiegeln in der Regel vorherrschende Ernährungsweisen innerhalb einer Studienpopula-tion wider [187] und wurden in einer Reihe von Studien in Zusammenhang mit verschiede-nen krankheitsrelevanten Endpunkten betrachtet. Die Tabellen 3 und 4 des Kapitels 1.3.3 geben einen Überblick über die bisher hergeleiteten Cluster bzw. Faktoren, die hinsichtlich

ihrer Beziehung zu Typ-2-Diabetes und einigen diabetesassoziierten Parametern untersucht wurden [10-14, 164-168, 171-178, 182].

1.4.3 Kombination beider Ansätze

Der exploratorische Ansatz kann mittels RRR mit dem hypothesenorientierten Ansatz kom-biniert werden. Die RRR, auch (Maximum-) Redundanzanalyse genannt, wurde schon im Jahre 1977 auf dem Gebiet der Psychometrie angewandt [203], wurde jedoch erst kürzlich als Methode zur Herleitung von Ernährungsmustern postuliert und angewandt [15].

Wie die beschriebenen exploratorischen Verfahren stellt auch die RRR eine multivariate Me-thode zur Dimensionsreduktion dar. Ähnlich zur Faktorenanalyse spielt für die Ernährungs-musterherleitung mittels RRR die Kovarianzstruktur der Variablen eine entscheidende Rolle.

Während diese Variablen in der Faktorenanalyse durch das Set der Ausgangsvariablen (z.B.

Lebensmittelgruppen) repräsentiert werden, sind sie in der RRR die sogenannten Response-variablen. Die Responsevariablen stellen in der RRR neben den Ausgangsvariablen ein zu-sätzliches Variablenset dar, durch das a priori-Kenntnisse in die Analyse einbezogen werden können (z.B. sowohl mit der Ernährung als auch mit einer Erkrankung assoziierte Biomarker oder mit einer Erkrankung assoziierte Nährstoffe). Während das Ergebnis der Faktorenana-lyse lineare Kombinationen der Ausgangsvariablen sind, welche die erklärte Variation in den Ausgangsvariablen maximieren, resultiert die RRR dagegen in linearen Kombinationen der Ausgangsvariablen, welche die Variation in den Responsevariablen maximieren. Würden in der RRR identische Ausgangsvariablen und Responsevariablen gewählt werden, entspräche das Ergebnis dem der Faktorenanalyse. Somit kann die Faktorenanalyse als spezieller Fall der RRR angesehen werden [204]. Wie in der Faktorenanalyse kann jedem Probanden ein bestimmter Scorewert für jeden Faktor aus der RRR-Analyse zugeordnet werden.

Durch die RRR kann die exploratorische Herleitung von Mustervariablen anhand des Da-tenmaterials der speziellen Studienpopulation mit a priori vorhandenen ernährungsphysiolo-gischen Kenntnissen verbunden werden. Daher ist die RRR möglicherweise besser zur Un-tersuchung der Assoziation zwischen der Ernährung und Erkrankungen geeignet als die bis-herigen Ansätze. So konnte in der Studie, die erstmals die RRR zur Mustergenerierung ver-wandte, mittels diabetesassoziierter Nährstoffe als Responsevariablen ein Ernährungsmus-ter identifiziert werden, das eng mit dem Risiko für Typ-2-Diabetes verbunden war [15].

Seitdem wurden in jüngster Zeit einige weitere Analysen durchgeführt, in denen mittels bestimmter Nährstoffe oder Biomarker als Responsevariablen Ernährungsmuster extrahiert wurden, die eine Assoziation mit dem Diabetesrisiko [158], dem Myokardinfarktrisiko [184, 205], dem Mortalitätsrisiko [206] bzw. der Gewichtsveränderung [207] aufwiesen.

1.4.4 Simplifizierung von Ernährungsmustern

Die mittels Hauptkomponenten- bzw. Faktorenanalyse und RRR hergeleiteten Ernährungs-muster stellen lineare Kombinationen dar, die sämtliche Ausgangsvariablen mit deren jewei-ligen Gewichten umfassen und anhand des vorliegenden Datenmaterials einer Studienpopu-lation extrahiert wurden. Daher sind die identifizierten Ernährungsmuster sehr komplex und populationsspezifisch und folglich in anderen Studien schwer reproduzierbar.

Zur Vereinfachung der mittels Faktorenanalyse hergeleiteten Mustervariablen postulierten Schulze et al. die Bildung linearer Kombinationen ungewichteter Ausgangsvariablen, wobei nur Ausgangsvariablen mit einer hohen Faktorladung, d.h. mit einer starken Korrelation zum Ernährungsmuster, berücksichtigt werden [202]. Obwohl gezeigt werden konnte, dass die so vereinfachte Mustervariable eine der originalen Mustervariable stark ähnelnde Aussa-gekraft besitzt [202], konnte keine weitere Studie gefunden werden, in welcher der Ansatz zur Simplifizierung von mittels Faktorenanalyse hergeleiteter Ernährungsmuster angewandt wurde. Lediglich zur Charakterisierung der Ernährungsmuster werden oft nur solche Le-bensmittelgruppen aufgeführt, die eine hohe Faktorladung besitzen. Dabei kann der subjek-tiv festgelegte Grenzwert für eine hohe Faktorladung in den verschiedenen Studien stark variieren.

Dagegen wurden die meisten der bisher mittels RRR extrahierten Ernährungsmuster nicht nur anhand bedeutender Lebensmittelgruppen charakterisiert, sondern auch simplifiziert.

Die für das Ernährungsmuster bedeutendsten Lebensmittelgruppen wurden dabei in der Regel anhand einer subjektiven Festlegung von Grenzwerten für die Faktorladung [206]

oder für die aufgeklärte Scorevariation einer Lebensmittelgruppe [184, 205, 207] identifi-ziert. Zur Simplifizierung der Ernährungsmuster wurden lediglich die ungewichteten charak-teristischen Lebensmittelgruppen berücksichtigt. Das ermöglicht, nicht nur leichter erfassba-re, sondern auch in eine andere Studienpopulation übertragbare Mustervariablen [205, 207]

zu bilden.

1.5 Zusammenhang zwischen nicht-nutritiven Faktoren und