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Methoden der Datenerhebung

Im Dokument Philopatrie versus Emigration (Seite 35-41)

2 TIERE, MATERIAL UND METHODEN

2.2 Methoden der Datenerhebung

2.2.1 Beobachtungsmethoden

Zur quantitativen Datenerhebung wurden interaktive und nicht-interaktiven Verhaltens-einheiten von jedem Tier der Fokusfamilie mit instantaneous sampling aufgenommen (focal animal sampling nach Martin und Bateson 1986). Dazu wurden zum Zeitpunkt des instants die Verhaltenseinheit, gegebenenfalls Rezipienten des Verhaltens und der Aufenthaltsort des Fokustiers festgehalten. Ein Protokoll wurde beendet, wenn alle Familienmitglieder einmal beobachtet worden waren, wobei sich die gesamte Beobachtung eines Fokustieres aus zehn Intervallen von jeweils 60 Sekunden Länge zusammen setzte. Die Reihenfolge der Fokustiere wurde vor der ersten Beobachtung festgelegt, wobei jedes Protokoll mit einem anderen Fokustier startete. Damit wurde verhindert, dass ein und dasselbe Tier zur gleichen Zeit beobachtet wurde. Instantaneous sampling erfasst Wahrscheinlichkeiten, keine realen Häufigkeiten (Martin und Bateson 1986).

Die Eintragung der Daten erfolgte in ein transportables elektronisches Datenaufnahmegerät (Newton Message Pad 120, Apple; siehe Westermann und Rothe 1996). Parallel dazu wurden ad libitum auffällige Aktivitäten (z.B. Keckern) und besonderen Ereignisse (z.B.

Kopulationen) notiert, die mit instantaneous sampling nicht erhoben werden konnten, weil sie zu selten auftraten (Altmann 1974). Mit instantaneous sampling war es z.B. möglich zu beschreiben, wie häufig oder wie lange zwei Individuen sich im Nahbereich zueinander

jedoch nur selten oder gar nicht ermittelt. Zur qualitativen Feinanalyse einer Beziehung zweier Individuen war deshalb das ad libitum – Protokoll eine wichtige Ergänzung.

2.2.2 Definitionen

Für eine unmissverständliche Einordnung wurden die Verhaltensweisen vor der Daten-aufnahme definiert. Falls nicht anders erwähnt, wurden die Begriffe und Definitionen von Rothe (1979) übernommen. Die Liste der beobachteten Verhaltenseinheiten und ihrer zugehörigen Kürzel befindet sich im Anhang auf Seite 238ff. Einige wichtige Begriffe wurden unter folgender Bedeutung verwendet:

affiliatives Verhalten: unter affiliativem Verhalten wurden alle Verhaltenseinheiten (VE) zusammengefasst, bei denen ein Tier in soziopositive Interaktionen mit einem Familien-mitglied eingebunden war (z.B.: Grooming, Handauflegen, Kuscheln, Sozialspiel).

dissoziatives Verhalten: unter dissoziativem Verhalten finden sich all jene Verhaltens-einheiten, bei denen ein Tier in sozionegative Interaktionen mit einem Familienmitglied eingebunden war (z.B. Ausweichen, Abwenden, Fellsträuben, Genitalpräsentieren, Katz-buckellaufen, Keckern).

Emigration: irreversible Abwanderung eines Familienmitgliedes aus seiner Sozietät.

Familie und Gruppe: die Beobachtungen dieser Arbeit beschränken sich auf eine Callithrix jacchus – Familie, in der alle Tiere (mit Ausnahme der Eltern) miteinander verwandt sind.

Nach rein soziographischen Gesichtspunkten handelt es sich daher um keine Gruppe (Rothe und Darms 1993). Da die Verwandtschaftsverhältnisse der Mitglieder freilebender Sozietäten oft unbekannt sind, wird in diesen Fällen der Begriff Gruppe (sensu McGrew 1986) verwendet.

Auch im Zusammenhang mit der Fokusfamilie dieser Studie werden im Sinne einer Sozietät die Begriffe Gruppengröße, Gruppendynamik etc. verwendet.

gruppendienliches Verhalten: Verhalten, von dem Gruppenmitglieder profitieren, wie z.B.

Jungtierfürsorge, Scanning und Territorialverteidigung (Patrouillieren an Streifgebiets-grenzen, Bißmarken anlegen, Markieren).

Initiierung affiliativer Kontakte: Verhalten, bei dem ein Tier aktiv die freundliche Interaktion mit einem Familienmitglied beginnt (z.B. Aufforderung zum Grooming, freundliches Annähern, Kontaktaufnahme).

Nahbereich: Der Nahbereich eines Tieres wurde mit einem Radius von ca. 50cm (doppelte Armlänge) um das Tier herum definiert, so dass alle Familienmitglieder, die sich innerhalb dieses Radius aufhielten, im Nahbereich des betreffenden Tieres waren.

Peripheralisation: Verminderte räumliche Assoziation zu den übrigen Familienmitgliedern.

Ein verringerter Anteil an affiliativen Interaktionen mit Familienmitgliedern als auch der Nahbereichshäufigkeiten kann damit einhergehen.

Rauswurf: Unfreiwilliger Ausschluss eines Familienmitgliedes aus der Familie, der durch aggressives Verhalten von Familienmitgliedern hervorgerufen wird. Damit einhergehend wird das Tier von der Nutzung jeglicher Ressourcen der Sozietät ausgeschlossen.

2.2.3 Statistische Tage

Zur statistischen Analyse der gesamten Tagesaktivität wurden statistische Tage eingeführt. An vier aufeinander folgenden Beobachtungstagen wurden dafür die Tiere jeweils zu einem Viertel ihrer täglichen Aktivitätsperiode beobachtet, so dass nach vier Tagen die gesamte Aktivitätsperiode abgedeckt und ein statistischer Tag beendet werden konnte. Die Anzahl der Stunden, die diesem Viertel entsprachen, hing von der Sonnenscheindauer entsprechend der Jahreszeit ab. Suchi (1996) berechnete die Länge eines Tagesviertels in Stunden und fand, dass im Sommer (Ende Juli) täglich vier Stunden und im Herbst (November) zwei Stunden dem Viertel der Tagesaktivität der Affen in Sennickerode entsprachen. Die tägliche Beobachtungszeit wurde der jeweiligen Aktivtätsdauer angepasst.

2.2.4 Beobachtungszeiten

Vom 22.-24.05.2000 wurden Voruntersuchungen zur tageszeitlichen Aktivität der Tiere durchgeführt, um abschätzen zu können, in welchem Zeitraum des Tages Beobachtungen aussagekräftig waren, da Ruhe- und Schlafphasen für die Analyse der Gruppendynamik von geringerer Bedeutung sind. Suchi (1996) beobachtete Schlaf- oder Ruhephasen vorwiegend im Zeitraum zwischen 9:00 und 11:00 Uhr. Die Voruntersuchungen zeigten aber, dass die genauen Zeiträume der Schlafphasen nicht vorhergesehen werden konnten, so dass gemäß der Lichtperiode zunächst von einem 16h Tag ausgegangen werden musste. Die Vorunter-suchungen ergaben eine kürzere Aktivitätszeit der Affen, die zwischen zehn und dreizehn Stunden täglich lag, was sich mit Beobachtungen von Ahlborn (1996), Suchi (1996) und Maier et al. (1982) weitestgehend deckt. Daher wurde zunächst in einem Zeitraum zwischen

6:00 und 19:20 Uhr beobachtet. Nach Rothe (pers. Mtlg) hielten sich die Affen in Sennickerode seit 1995 auch während der Sommermonate mit längerer Tageslänge nur noch selten nach 19:00 Uhr außerhalb ihrer Schutzhütten auf, was in den ersten drei statistischen Tagen der ersten Kontrollphase der vorliegenden Studie bestätigt werden konnte. Demnach wurden die Beobachtungszeiten um jeweils 20 Minuten vorgezogen und in der zweiten Kontrollphase entgültig auf einen Zeitraum von 6:00 bis 18:00 Uhr festgelegt.

2.2.5 Beobachtungsperiode im ersten Beobachtungsjahr (2000)

Die Beobachtungsperiode dauerte vom 25.05.2000 bis zum 07.10.2000. Die Anzahl der Beobachtungstage, die Beobachtungsdauer pro Tier und für die gesamte Familie, als auch die Anzahl der beobachteten Tiere sind in Tabelle 2.3 für jedes Experiment aufgeführt.

Im Sommer 2000 wurde die Familie J18 insgesamt 286,66 Stunden beobachtet. Davon entfallen auf jedes Familienmitglied 30,66 Stunden Beobachtungszeit. Die angeführten Beobachtungsstunden beziehen sich ausschließlich auf die Datenaufnahme mit instantaneous sampling.

Tabelle 2.3 Beobachtungsstunden im ersten Beobachtungsjahr 2000

Phase Datum Anzahl der

Tage

Beobachtungsdauer pro Tier (in Min.)

Anzahl der Tiere

Beobachtungsdauer insgesamt (in Min.) Hüttenphase 1(A1) 25.05.00 -05.06.00 12 240 10 2400

Kontrollphase 1(B1) 12.06.00 -01.07.00 20 400 10 4000

Kontrollphase 2 (B2) 10.07.00 –29.07.00 20 400 9 3600 Experiment 1 (C1) 11.08.00 –01.09.00 20 400 9 3600 Experiment 2 (C2) 16.09.00 – 07.10.00 20 400 9 3600

insgesamt 92 1840 17200

2.2.6 Beobachtungsperiode im zweiten Beobachtungsjahr (2001)

Die zweite Beobachtungsperiode dauerte vom 30.04.2001 bis zum 26.09.2001. Details werden in Tabelle 2.4 dargestellt. Im Sommer 2001 wurde die Familie J18 insgesamt 225,5 Stunden beobachtet. Davon entfallen auf jedes Familienmitglied 26,17 Stunden Beobachtungszeit. Die angeführten Beobachtungsstunden beziehen sich ebenfalls ausschließlich auf die Datenaufnahme instantaneous sampling.

Tabelle 2.4 Beobachtungsstunden im zweiten Beobachtungsjahr 2001

Phase Datum Anzahl der

Tage Beobachtungsdauer

pro Tier (in Min.) Anzahl der

Tiere Beobachtungsdauer insgesamt (in Min.) Hüttenphase 2 (D1) 30.04.01 – 19.05.01 20 200 10 2000

Experiment 1 (E1) 28.05.01 – 18.06.01 20 400 9 3600 Experiment 2 (E2) 21.06.01 – 29.06.01 9 170 9 1530 Experiment 3 (E3) 30.06.01 – 21.07.01 20 400 8 3200 Experiment 4 (E4) 05.09.01 – 26.09.01 20 400 8 3200

insgesamt 89 1570 13530

2.2.7 Experimente

Während der Sommermonate 2000 und 2001 wurden mit der Fokusfamilie unterschiedliche Experimente durchgeführt. Die Umweltbedingungen der Gruppe wurden derart manipuliert, dass potentiellen Emigranten verschiedene dispersal sinks (Streifgebiete zum Immigrieren) angeboten wurden. In das Experimentalareal, welches räumlich durch einen mindestens 30m breiten Grasgürtel von dem Areal der Fokusfamilie entfernt lag und mit einer Schutzhütte, Futterbrettern, einigen Bäumen und Laufleisten ausgestattet war, wurden für die Familie unbekannte Artgenossen in unterschiedlichen Konstellationen gebracht, womit getestet werden sollte, welcher Anreiz die Nachkommen der Fokusfamilie zu welcher Entscheidung über Philopatrie und Emigration provoziert. Es wurde erwartet, dass männliche Nachkommen durch weibliche Locktiere und weibliche Nachkommen durch männliche Locktiere dazu verleitet werden, aus der Natalfamilie zu emigrieren.

2.2.7.1 Voruntersuchungen zu den Experimenten

Bevor die Affen aus den Blockhütten, die ihnen als Winterquartier dienten, in das Semifrei-gelände entlassen wurden, wurden im ersten Jahr zweimal täglich in einer zwölftägigen Beobachtungsperiode (Hüttenphase 1) und im folgenden Jahr einmal täglich in einer zwanzigtägigen Beobachtungsperiode (Hüttephase 2) Daten mit instantaneous sampling erhoben, um die Auswirkungen der Haltungsänderung von einem vergleichsweise räumlich beengten Hütten-Käfig-Komplex zu einer weitläufigen Freilandanlage auf die Fokustiere zu protokollieren. Mit dem Tag der Freilassung begannen die Kontrollphasen bzw. die Experimente. Nach einer ersten Kontrollphase (B1), in der nur die Fokusfamilie J18 zur Semifreianlage Zugang hatte, wurde in einer zweiten Kontrollphase (B2) eine Familie mit

jeweils 20 Tage und sollten Aufschluss über die Nutzung des Streifgebietes und die Beziehungen innerhalb der Studienfamilie geben.

2.2.7.2 Experimente im Sommer 2000

In der ersten Kontrollphase (B1) gab es freie Streifgebiete, in der zweiten Kontrollphase (B2) eine Nachbarfamilie, und ein freies Streifgebiet. Für das darauf folgende erste Experiment wurde ein Lockweibchen in das Experimentalareal gebracht, so dass eine Reproduktions-position für ein Männchen frei war und männlichen Nachkommen der Fokusfamilie ein Anreiz zur Emigration gegeben wurde. Die Affen der Familie J18 konnten sowohl Sicht-, als auch akustischen Kontakt zum Lockweibchen aufnehmen. Am Ende des Experiments (nach 20 Tagen) wurde das Lockweibchen aus dem Areal heraus genommen. Das zweite Experiment wurde nach einer Pause von 14 Tagen mit einem anderen Lockweibchen unter gleichen Bedingungen durchgeführt. Das Lockweibchen des zweiten Experiments (C2) gab weniger Kontaktlaute (Distanz-Phi und Twitter) als das erste Lockweibchen von sich und zeigte sich der Fokusfamilie seltener.

2.2.7.3 Experimente im Sommer 2001

Im Sommer 2001 wurden Bedingungen getestet, welche vor allem den Töchtern der Fokusfamilie einen Emigrationsanreiz geben sollten. Die Familie im Nachbarareal wurde aus tierpflegerischen Gründen durch eine andere ersetzt (J29).

Im ersten Experiment des zweiten Beobachtungsjahres sollte getestet werden, ob eine Kleinfamilie (bestehend aus den Eltern und einem männlichen und einem weiblichen subadulten Nachkommen), deren Alpha-Weibchen einen verletzten Fuß hatte und sich in schlechter Kondition befand, für die Töchter der Fokusfamilie einen Emigrationsanreiz darstellt. Aus Freilandstudien ist bekannt, dass die reproduktive Position des Alpha-Weibchens von anderen, meist jüngeren Weibchen übernommen werden kann (Ferrari und Lopes Ferrari 1989, Rylands 1982 für C. humeralifer) und Rothe und König (1987) beobachteten, dass Töchter mit ihrem Vater sexuell interagierten, wenn ihre Mutter aus Krankheitsgründen geschwächt war. Anzenberger (1983) und Radespiel (1990) berichten außerdem, dass reproduktive Männchen in Laborhaltung bei der Konfrontation mit fremden Weibchen Sexualverhalten zeigten bzw. mit den Weibchen sexuell interagierten (siehe auch Hubrecht 1985 und Digby 1999). Aufgrund dieser Beobachtungen wurde hypothetisiert, dass eine Tochter der Fokusfamilie entweder emigriert und die reproduktive Position des kranken

Alpha-Weibchens übernimmt oder aber zumindest mit dem fremden Alpha-Männchen kopuliert. Für das fremde Alpha-Männchen wäre dies eine Option gewesen, sich mit einer Tochter der Fokusfamilie zu reproduzieren, anstatt bei einer temporär nicht-reproduktiven Partnerin zu bleiben.

Für das zweite Experiment wurden die beiden weiblichen Tiere aus der Kleinfamilie entfernt, so dass nur noch zwei Männchen (Vater und Sohn) der Fokusfamilie präsentiert wurden. Mit der Anwesenheit zweier Männchen wurde den Töchtern die Möglichkeit zur polyandrischen Reproduktion und den männlichen Nachkommen der Fokusfamilie eine peer-group („Junggesellengruppe“/Freundes-Gruppe) geboten. Am neunten Tag des zweiten Experiments wurde ein männlicher Nachkomme aus der Fokusfamilie ausgestoßen, so dass damit das zweite Experiment beendet war. Am darauffolgenden Tag begann ein weiteres Experiment mit denselben Locktieren (Experiment 3), welches wieder regulär 20 Tage lang andauern sollte. Am Ende wurden die beiden Männchen aus dem Experimentalareal entfernt. Nach einer längeren Pause von 45 Tagen begann das vierte und letzte zwanzigtägige Experiment, in dem ein einzelnes, adultes Männchen in das Experimentalareal gebracht wurde.

Im Dokument Philopatrie versus Emigration (Seite 35-41)