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Für die Arbeit wurde ein Methodenmix angewendet. Als erstes wurde die Situation anhand einer Literaturrecherche im Bereich der Archive und verwandter Institutionen wie Bibliotheken oder Museen ermittelt. Diese Recherche wurde ergänzt durch schriftliche Anfragen bei Archiven in verschiedenen Ländern. Mit diesen sollte exemplarisch aufgezeigt werden, ob ausserhalb der Schweiz das Thema der Zugänglichkeit für sehbehinderte oder blinde Menschen bereits angegangen wurde oder sogar erprobte Verbesserungen existieren.

Als nächster Schritt wurden anhand von Testbesuchen mit sehbehinderten und blinden Personen in Archiven mögliche Handlungsfelder evaluiert. Dazu eignete sich die qualitative Forschungsmethode der teilnehmenden Beobachtung gut. Schliesslich wurde mittels Recherchen bei Fachstellen und mit Expertengesprächen eine Zusammenstellung von konkreten Optimierungsmassnahmen erarbeitet. Da die Erkenntnisse aus den Testbesuchen für die Bestimmung der Handlungsfelder zentral waren, wird im Folgenden näher auf die dazu verwendete Erhebung eingegangen.

Die Methode der teilnehmenden Beobachtung wurde anfänglich vor allem in der Ethnologie angewendet. Heute gehört sie zu den üblichen Methoden in verschiedenen Disziplinen wie der Soziologie, der Psychologie oder der Pädagogik. Sie scheint auch für diese Arbeit bzw. dieses Thema erkenntnisfördernd, weil es bislang keine Erfahrungsberichte gibt.

Beim wissenschaftlichen Beobachten geht es darum, zuerst zu bestimmen, was beobachtet werden soll, dann muss ein Beobachtungsleitfaden erstellt werden, der Zugang zum Beobachtungsfeld muss hergestellt werden und schliesslich müssen die Beobachtungen ausgewertet werden (Schöne, 2003, S. 11).

Bei der vorliegenden Untersuchung wurden insgesamt drei Aspekte beobachtet:

erstens das Verhalten der sehbehinderten Testpersonen. Finden sie sich im Archiv zurecht? Wo gibt es Schwierigkeiten? Wie lösen sie diese? Zweitens wird erfasst, wie sich die Mitarbeiter im Archiv den Aufgaben stellen. Wie kommunizieren sie mit der Testperson? Wie unterstützen sie diese, wenn ein Problem auftritt? Welche Lösungen schlagen sie vor? Drittens werden die räumlichen Bedingungen des Archivs angeschaut. Wie orientiert man sich im Gebäude? Wie sind die Lichtverhältnisse? Wie ist die Möblierung, d.h. gibt es durch die Möblierung bedingte Hindernisse?

Für den Beobachtungsleitfaden wurde ein klassischer, erstmaliger Archivbesuch als Grundlage genommen. Dieser wurde kleinteilig in die einzelnen Ablaufschritte aufgeschlüsselt von der Bestellung der Dokumente, über den Eintritt ins Archiv und die Anmeldung, bis hin zur Konsultation der Dokumente. Bei jedem einzelnen Schritt wurde beschrieben, wie sich die beteiligten Personen verhielten (siehe Kapitel 4).

Der Zugang zum Beobachtungsfeld lief über die Direktion des Archives. Diese wurde vorgängig angefragt, ob ein Testbesuch durchgeführt werden kann. Dieses Einverständnis wurde nicht von allen angefragten Archiven gegeben, weshalb andere Archive gesucht werden mussten. Die Entscheidung, ob die Mitarbeiter, die beim Testbesuch involviert sein werden, durch die Direktion vorher darüber informiert werden sollen, wurde gemeinsam besprochen.

Anhand der Aufzeichnungen der Beobachtungen wurden schliesslich die Handlungsfelder definiert. Die Auswertung floss in einen weiteren Teil der Arbeit ein (Kapitel 5) und diente bei den Expertengesprächen als Grundlage für die Erarbeitung von Optimierungsmassnahmen.

Bei der teilnehmenden Beobachtung werden grundsätzlich fünf Aspekte unterschieden, die sich in zwei unterschiedlichen – teilweise auch gegensätzlichen – Dimensionen definieren: verdeckt – offen; nicht teilnehmend – teilnehmend; systematisch – unsystematisch; natürlich – künstlich; selbst – fremd (Schöne, 2003, S. 4). Es muss vor der Untersuchung festgelegt werden, welche Dimension gewählt wird, da diese das Ergebnis entscheidend beeinflussen können. Die Wahl hängt vom Ziel der Untersuchung ab. Hier wurden folgende Dimensionen festgelegt:

Die offene Beobachtung wurde der verdeckten vorgezogen. Die verdeckte Beobachtung käme einem Mystery Shopping ziemlich nahe.1 Dieses Verfahren schien für die Untersuchung hier aus zwei Gründen nicht sinnvoll. Zum einen wäre eine vorgängige Schulung der Testpersonen zu aufwändig gewesen. Zum anderen macht eine skalierende Bewertung der Ergebnisse keinen Sinn, da es kein Ziel der Besuche ist, die Archive bzw. deren Dienstleistungen miteinander zu vergleichen. Allerdings wurden bei einem Testbesuch (siehe Fallbeispiel 1) nicht alle Mitarbeiter vorgängig informiert. Deshalb war es für sie als Einzige eine verdeckte Beobachtung.

Beim Aspekt nichtteilnehmende versus teilnehmende Beobachtung geht es darum zu bestimmen, wie stark der Beobachter ins Geschehen eingreift. Dabei geht es also um die Rolle des Beobachters. Man unterscheidet grundsätzlich vier Rollen: der vollständige Teilnehmer, der Teilnehmer als Beobachter, der Beobachter als Teilnehmer, der vollständige Beobachter. Typischerweise kommt es immer wieder zu Rollenwechseln innerhalb einer Untersuchung (Schöne, 2003, S. 19).

Hier wurde in erster Linie die Rolle des Beobachters als Teilnehmer gewählt. Die Beobachtende liess die Testperson selbständig agieren. Sie griff aber dann ein, wenn der Besuch ohne Eingreifen hätte abgebrochen werden müssen oder wenn sie als Begleitperson für das Zurechtfinden der Testperson nötig war. Die Rolle der Beobachtenden wurde vor dem Besuch mit der Testperson besprochen. Da es sich um eine offene Beobachtung handelte, beeinflusste das Eingreifen das Verhalten der Mit-arbeiter nicht so stark, als dass keine objektive Aussage mehr über deren Verhalten hätte gemacht werden können.

Bei den drei anderen Aspekten des Beobachtungsverfahrens ergab sich die Wahl der Dimension aus der Anlage der Testbesuche: systematisch, da der Beobachtung mit dem Ablauf des Besuchs ein vorbestimmtes Schema zugrunde lag; natürlich, da der Archivbesuch einer realtypischen Situation entsprach; fremd, da die Beobachtende selber nicht Gegenstand der Beobachtung war.

Die Problematik der teilnehmenden Beobachtung zeigt sich in der Frage, wie der Beobachter mit der Fülle der Eindrücke umgehen und sie dokumentieren soll. Zuerst war geplant, die Besuche zu filmen und dazu kurze Notizen zu machen. Damit hätte der gesamte Besuch später noch einmal angeschaut werden können. Mit der wiederholten

1 Beim Mystery Shopping wird in der Regel die Dienstleistungsqualität anhand einer realen Kundensituation getestet. Dabei kommen darin geschulte Beobachter zum Einsatz, die das Angebot aus Sicht des Kunden prüfen und bewerten. Mystery Shopping wurde weltweit bei Bibliotheken bereits eingesetzt (Weng, 2011, S. 327–330). 2008 gab es auch eine solche Untersuchung an sechs Schweizer Universitätsbibliotheken von Garbely und Kieser (2009).

Sichtung des Geschehens wären vielleicht Beobachtungen möglich gewesen, die einem während des Besuches nicht aufgefallen waren. Es zeigte sich jedoch bereits beim ersten Testbesuch, dass sich das nicht umsetzen liess: weil die Beobachtende nicht die Rolle eines vollständigen Beobachters eingenommen hatte, sondern teilweise ins Geschehen eingriff. Deshalb wurde auf die Filmaufnahmen im weiteren Verlauf verzichtet. Stattdessen wurden die Gespräche und Beobachtungen stichwortartig notiert. Die räumlichen Gegebenheiten wurden fotografiert. Schöne (2003) empfiehlt dieses Vorgehen explizit, da man sich sonst die Chance vergibt, „detaillierte und durch Erinnerungslücken unverfälschte Beobachtungsdaten zu sammeln“ (S. 21). Ausserdem meint er, dass Mehrpersonen- bzw. Doppelbeobachtungen bessere Ergebnisse erzielen (S. 22). Da dies im Rahmen der Untersuchung nicht umsetzbar war, wurde am Schluss des Testbesuches noch eine mündliche Rückmeldung der Testperson wie auch der Mitarbeiter über das Erlebte erbeten.

Für die Expertengespräche schliesslich wurden nichtstandardisierte Leitfadeninterviews durchgeführt, da sich die Gespräche jeweils in sehr unterschiedlichen Themenbereichen bewegten. Sie wurden jeweils akustisch aufgezeichnet, um sie anschliessend besser transkribieren zu können. Allen gemeinsam war, dass vor den Interviews den Gesprächspartnern die gleichen Vorinformationen gegeben wurden: Der Rahmen des Gesprächs, das Ziel der Arbeit sowie die Rolle des Gesprächs innerhalb der Arbeit wurden erklärt. Ausserdem wurde die Einwilligung für die Tonaufnahme erbeten. Zuletzt wurde noch angeboten, die Resultate nach Abschluss der Arbeit zur Verfügung zu stellen. Die Expertengespräche wurden ergänzt durch Informationen aus Dokumentationen, Merkblättern und Websites verschiedener Fachstellen, die sich für die Belange sehbehinderter und blinder Menschen einsetzen.