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Metaphern in der ägyptischen Literatur

DIE METAPHER

3.8 Metaphern in der ägyptischen Literatur

In den vorausgehenden Abschnitten wurde dargestellt, wie man "moderne" Metaphern über-setzen und mit welchen Problemen man dabei konfrontiert sein kann. Wenn entsprechende Überlegungen bei der Beschäftigung mit der ägyptischen Literatur gemacht werden sollen, tauchen mehrere Schwierigkeiten auf.

Natürlich könnte man versuchen, auch ägyptische Metaphern nach einer der zuvor in Kapitel 3.5 genannten Klassifikationen zu ordnen. Gemäß der erwähnten Klassifikation von

Kurz fände man beispielsweise attributive Metaphern wie "ein hitziges Herz" (W-15) bei Ptahhotep oder Kompositionsmetaphern wie "der Großherzige" (W-14). Eine mechanisch Aufteilung auf die für andere Sprachen nach grammatischen Kriterien vorgeschlagenen Typen erscheint allerdings nicht besonders fruchtbar (siehe dazu unten in diesem Unterkapitel sowie in Abschnitt 5.3).

Man kann nicht sicher entscheiden, ob es tatsächlich Metaphern mit einer rein dekorativen Funktion in ägyptischen Texten gibt. Manche Metaphern in ägyptischen Texten können nicht rein dekorative Elemente sein, weil ihnen eine erklärende Funktion beigefügt ist (z.B. W-81:

"Ein Mann, den kann man nicht verdrehen, solange das Herz sein Türwächter ist"; W-79:

"Dring in die Schriften ein und gib sie in dein Herz, damit sich alles, was du sagst, erfolgreich realisiert"), und in anderen Fällen sind unsere Kenntnisse nicht ausreichend, um zu entscheiden, ob wir es tatsächlich mit dem überflüssigen Gebrauch eines Wortes mit einer metaphorischen Absicht zu tun haben. Ebenso ist es sehr schwer abzugrenzen, ob es sich um eine Cliché-, Begriffs-, Neu- oder Gebrauchsmetapher handelt, da die überlieferten Texte nur einen verschwindend geringen Ausschnitt dessen, was die ägyptische Sprache war, darstellen und es kaum möglich ist zu sagen, wie stark ein bestimmter Metapherngebrauch in der lebendigen Sprache der jeweiligen Epoche verbreitet und konventionalisiert gewesen sein mag.

Es ist übrigens nicht so, daß – aus der heutigen Perspektive betrachtet – alle ägyptischen Metaphern tote Metaphern wären. Im Gegenteil, es ist nicht schwer, aktuelle Metaphern, die ähnliche Bedeutungen wie die ägyptischen Metaphern haben, zu finden. So existieren bei-spielsweise in der ägyptischen Literatur Metaphern mit dem Vehikel 'Schiff' (bzw. 'Teil eines Schiffs'), die nicht nur ohne weiteres von modernen Lesern verstanden werden, sondern fast in derselben Form auch in unserer Sprache auftreten könnten. Ein einschlägiges Beispiel ist die folgende Passage aus der Erzählung des Beredten Bauern (Parkinson 1991: B1 298):

ntk Hmw n- t# r-Dr=f sqdd t# Xft wD=k

Du bist das Steuerruder des ganzen Landes, das Land fährt gemäß deines Befehles.

In der Lehre des Amenenope steht (W-164): "Sei gewichtig durch deinen Charakter, mache dein Herz standfest und sei nicht der Steuermann deiner Zunge. Die Zunge eines Mannes ist das Steuerruder eines Schiffs, und derer Allherr ist sein Lotse".

Die Metapher für Krankheit, die sich auch auf die Politik oder den Feind bezieht, steht oft in den Texten, wie z.B. bei Ptahhotep (W-22):

oH#.t(w) Hr- zp n(j)- own-jb X#.t pw mr.t n.t- bTw

Hüte dich vor (jedem) Anflug von Habgier. Das ist etwas Krankhaftes und ein unheilbares Übel.62

Das Herz ist anscheinend ein besonders für die Bildung von Metaphern prädestiniertes Wort, weil es in vielen Sprachgemeinschaften eine besondere Rolle in metaphorischen Schöpfungen gespielt hat.

Zuvor wurde über die Übersetzungsprobleme einer Metapher gesprochen. Aber im Zusammenhang mit den ägyptischen Texten verschärft sich das Problem, da es oft nicht bloß um die Nuancen der genauen Auslegung eines metaphorischen Ausdruckes geht, sondern da-rum, überhaupt herauszubekommen, wie die entsprechende Stelle, handele es sich um eine Metapher oder auch nicht, zu interpretieren ist.

Abschließend kann man sagen, daß ägyptische Metaphern nur in eindeutigen Fällen ver-stehbar sind, und zwar in solchen, in denen sowohl die Grammatik als auch der Sinn und die Semantik nicht sehr problematisch sind, z.B. bei Ptahhotep (W-32) "Leben, Wohlbefinden und Gesundheit eines Menschen sind sein Herzenswunsch".63

Allerdings gib es mehrere Möglichkeiten, die Metapher kontextabhängig zu übersetzen, und deshalb hätte dieser Ausdruck aufgrund der kleinen Nuancen unterschiedliche Bedeutun-gen. Und genau das ist es, was man mit einem Vergleich des Textes in Verbindung mit dem Kontext neu erfinden kann. Allerdings werden im Verlauf dieser Arbeit in Bezugnahme auf das Thema nur solche Metaphern widergegeben, welche Gefühle ausdrücken.

Probleme bereiten hierbei Ausdrücke, die sehr schwierig zu übersetzen sind. Im diesem Falle sollte man entweder eine Vermutung über deren Bedeutung anstellen oder versuchen, sie zu paraphrasieren, z.B. mH-jb "das Herz füllen" wird als "vertrauen" übersetzt; es kann aber auch eine andere mögliche Bedeutung haben, wie "naiv" (siehe Kapitel 5.2.2), und diese Nu-ance findet man nur durch den Kontext heraus.

Gibt es eindeutige grammatische Kriterien, um eine Metapher in einem ägyptischen Text zu erkennen? Zuvor wurde gesagt, daß eine Vergleichs-Metapher eine Art von Metapher ist (Goatly 1998: 116-119). Vergleiche werden in den ägyptischen Texten durch die Präposition r gebildet, wie z.B. bei Merikare (Helck 1977: § IXP)

qn mdw.t r- oH# nb

"Die Rede ist effektiver als jeder Kampf."

Allerdings tritt dieselbe Konstruktion natürlich auch in Aussagen auf, die überhaupt nicht metaphorisch zu verstehen sind.

62 Junge (2003: 196) übersetzt: "Sie ist eine schmerzhafte Krankheit, der man aus dem Weg gehen sollte".

63 Zur Richtigkeit dieser Aussage siehe Kapitel 8.4.2 Die übersetzungssprachliche Wiedergabe der Lexeme für 'Herz'.

Äußerungen, die man mit Sicherheit als Fälle von Metapherngebrauch interpretieren wird, können im Ägyptischen beispielsweise die Gestalt eines Satzes mit Verbum haben, als Nomi-nalsatz mit oder ohne Demostrativpronomen pw, oder als Adverbialsatz mit der Präposition m- 'in (der Rolle von)' auftreten:

Urk III 20, Pianchi 54

Hmw pw jb

'Das Herz ist das Steuer'

Merikare (Helck 1977: § IX) jr XpS pw n nsw nDs=f

"Denn die Kraft eines Königs ist seine Zunge."

Merikare (Helck 1977: § XXXV)

o#m.w pw msH Hr mry.t=f

"Die Asiaten sind das Krokodil auf seinem Ufer."

W-130: 'Sorge dafür, daß dein Herz so wie ein mächtiger Damm wird, wenn die Flut an seiner Seite stark ist'.

Amenemope (Budge 1923: XXIV,8)

jr rmT omo dH#.t p# nTr p#y=f qdw

"Der Mensch ist Lehm und Stroh, sein Gott ist der Schöpfer."

Allerdings ist jede grammatikalische Form möglich, um eine Metapher zu bilden, immer wenn Topik und Vehikel im Satz stehen, d.h. ein Satz wie "ich bin dein Vater" kann als No-minalsatz konstruiert werden, und trotzdem keine Metapher sein; andererseits wenn "dein Vater" als ein Gott zu interpretieren ist, stellt der Satz eine Metapher dar. Es muß also festgehalten werden: ein eindeutiges grammatisches Indiz zur Identifizierung von Metaphern gibt es im Ägyptischen nicht.

Leider sind die Beispiele von Metaphern über Gefühle entgegen der zunächst von mir ge-hegten Erwartungen nicht zahlreich. Es gibt allerdings viele Ausdrücke, deren Sinn man meta-phorisch interpretieren kann. Wenn das Herz sich mit seinem Träger oder mit einer anderen Bedeutung (Wunsch, Gedanke, Erinnerung etc.) identifiziert, werden diese Begriffe hier auf-genommen, außerdem muß man einerseits unterscheiden, ob das Herz eine echte Metapher

oder einer metaphorischer Ausdruck ist, andererseits ob es einen metaphorischen Sinn hat.

Das ist machbar dank des Kontextes, jedoch nicht immer verständlich. Dieser Prozeß kann mit dem folgenden Schema skizziert werden:

KÖNIG tenor

LÖWE vehicle

OBJEKT

Signifikat Signifikant Signifikat Signifikant

kœniç belebt lœ:v?

human adult Königreich mächtig mutig

fürchtet Tier adult Tierreich mächtig mutig

Metapherbereich

Der König ist ein Löwe = Der König ist mutig Der König ist mächtig

Im Zusammenhang mit Metaphern soll auch die Frage nach metaphorischen Prozessen in der ägyptischen Schrift kurz angeschnitten werden, obwohl Schrift kein spezieller Gegenstand dieser Untersuchung ist. Der Unterschied zwischen unseren modernen Schriften und der ägyptischen ist, daß in den gängigen Buchstabenschriften normalerweise keine bildlichen Zeichen vorkommen. In den modernen Kulturen begegnen allerdings auf Schritt und Tritt konventionalisierte Systeme bildhafter Zeichen mit ganz speziellen Funktionen, z.B.: Die Fi-guren und Farben von Fußgängerampeln, Beschilderungen nach der Straßenverkehrsordnung, ikonische Zeichen im öffentlichen Raum (z.B. ein Finger auf dem Mund, der "Ruhe" bedeu-tet), zwei einander überschneidende Kreise im Fernsehen ("Dolby Sound"), welche alltäglich benutzt werden. Dieses System wurde aus dem sprachlichen System durch eine Abstraktion entwickelt, die wir entziffern können. In Ägypten geschah nach Ansicht einiger For-scher(innen) der umgekehrte Prozeß, indem die Ägypter den metaphorischen Inhalt eines Wortes hätten benutzen können, um bestimmte Zeichen ihres Schriftsystems zu kreieren. Aus-führlich mit dem Gegenstand der Metaphern in der ägyptischen Hieroglyphenschrift hat sich Goldwasser (1995 und 2002) auseinandergesetzt. Die wichtige Rolle, die sie metaphorischen Prozessen zuschreibt, wird aus dem folgenden Zitat deutlich;

"The newly invented tools of thought, which we have names icons, pictorial metaphors, and phonetic metaphors are clearly represented and exemplified. Metaphor reigns over reality: from the icons to phonetic metaphors via other forms of metaphor, the world is represented as a conceptual cosmos, and reality is subject to human cognitive faculties."

(Goldwasser 1995: 25)

Ihr Ansatz geht dahin, zu beweisen, daß die Hieroglyphen Gemeinsamkeiten mit dem Wort-konzept der modernen Semiotik haben, da die Hieroglyphen sowohl den Signifikanten als auch das Signifikat beinhalten und in komplexe Bezeichnungsrelationen der Art Signifi-kanten, Signifikat, Bild, Konzept und Kontext eintreten, die den entsprechenden Verhältnissen gesprochensprachlicher Zeichen entsprechen. Das wird von der Autorin anhand zahlreicher Beispiele illustriert. Sie meint (Goldwasser 1995: 52), die Hieroglyphenschrift sei ein schrift-liches System, welches die sechs von Jakobson (1987) vorgeschlagenen kommunikativen Funktionen antreibt, und zwar:

• Die refentielle Funktion betont das bildliche Wesen, wenn die ikonographische Information nicht abzulegen ist, d.h. die meisten der Determinative tragen zur refentiellen Information bei.

• Die emotive Funktion läßt nicht das Wort phonetischerweise objektiv ausdrücken, weil der Schreiber seine emotionale und persönliche Haltung im Wort beiträgt.

• In der conativen Funktion spielt eine wichtige Rolle der metaphorische Sinn der Schrift, weil der Leser lieber ein Dolmetscher als ein unberührter Leser ist.

• Die phatische Funktion drückt sich durch das einseitige Zeichen aus, welches vom Leser zur Entziffert der Schrift benutzt wird.

• In der metalinguistischen Funktion wurde das Determinativ sowohl als eine metalinguisti-sche Erklärung als auch als ein Hilfsmittel überschüssiger Information wahrgenommen.

• Die poetische Funktion ist die ästhetische Funktion der Sprache, wobei das bildliche ge-brauchte Mittel eine wichtige Rolle spielt (graphic rhetoric nach Derrida).

Zum Schluß dieses Blickes über die Hieroglyphen und ihr "metaphorisches" Entstehen soll Derrida (1976: 90) zitiert werden, der schreibt:

"As pictogram, a presentation of the thing may find itself endowed with a phonetic value.

This does not efface the "pictographic" reference which, moreover, has never been simply "realistic". The signifier is broken or constellated into a system: it refers at once, and at least, to a thing and a sound. The thing is itself a collection of things or a chain of differences "in spaces"; the sound, which is also inscribed within a chain, may be a word;

the inscription is then ideogrammaticals or synthetic, it cannot be decomposed; but the sound may also be an atomic element itself entering into the composition: we are dealing then with a script apparently pictographic and in fact phonetico-analytical in the same way as the alphabet."

Nach dieser kurzen Abschweifung zur Metaphorik der Hieroglyphenschrift wird im nächsten Kapitel das eigentliche Thema "Metaphern" wieder aufgenommen.

4. Kapitel