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M ETHODISCHE A NSÄTZE IN DER K UNSTGESCHICHTE

3 DIE WISSENSCHAFTLICHE DISZIPLIN KUNSTGESCHICHTE

3.3 M ETHODISCHE A NSÄTZE IN DER K UNSTGESCHICHTE

Die Methoden in der Kunstgeschichte sind vielfältig und es gibt nicht die eine Methode. Das Fach ist weit davon entfernt, über einen Kanon an verbindlichen Methoden zu verfügen. Wel-chen konkreten Ansatz bzw. welche Methode die ForsWel-chenden jedoch wählen, hängt unmit-telbar damit zusammen, welche Fragestellung formuliert und welche Betrachtungsform ge-wählt wird und auch, zu welcher Evidenz geführt werden soll. Evidenz meint in diesem Zu-sammenhang den als unzweifelhaft angesehenen Sachverhalt, bzw. das einen solchen Sach-verhalt ausdrückende Urteil. Die zu erlangende Evidenz wird als relativer Begriff aufgefasst und konstituiert sich aus der Betrachtungsform, dem Zugang und der Fragestellung und ist nur für diese konkreten Bedingungen mit dem Anspruch der evidentia = Offensichtlichkeit ver-bunden. Allgemeingültige Wahrheit in Form von Gesetzen wird in der Kunstgeschichte nicht angestrebt. Insofern ist sie eine typische Geisteswissenschaft.

In „Kunstgeschichte Eine Einführung― werden die kunstgeschichtlich relevanten Methoden in einem groben heuristischen Zugriff in die drei Kategorien Gegenstandsbestimmung, Gegens-tandssicherung und Gegenstandsdeutung eingeteilt. Die Gegenstandsbestimmung ist die Beur-teilung eines Artefakts hinsichtlich seines Kunstseins oder Nichtkunstseins, also die Definiti-on der wissenschaftsrelevanten Gegenstände. „Es bedarf der Bestimmung einer Reihe vDefiniti-on befugten Individuen, Gruppen, Interessenten [...], die oft erst nach kontroverser Auseinander-setzung darin übereinkommen, dem angebotenen Artefakt das Prädikat ‚Kunst‗ zu verleihen.

Mit dieser Qualifikation tritt jedes Artefakt in einen Sonderstatus ein [...] und [wird] schließ-lich auch wissenschaftsfähig ein Gegenstand der Kunstgeschichte.― (Warnke 2008, S. 23)

Bei der Gegenstandssicherung handelt es sich um eine Betrachtungsform deren Ziel die Ana-lyse des materiellen Phänomens ist. Die Gegenstandssicherung „[…] nimmt in der Kunstge-schichte eine der philologischen Arbeit in den Literaturwissenschaften vergleichbare Stellung ein, denn es handelt sich dabei um eine Form der Grundlagenforschung des Faches, die die materiellen und technischen Eigenschaften kultureller Artefakte beschreibt und katalogisiert.―

(Klemm 2010, S. 128) Die Gegenstandssicherung ist Voraussetzung für die Gegenstandsdeu-tung.

Der Bereich der Gegenstandsdeutung nimmt den am weitesten aufgefächerten Bereich der Kunstgeschichte ein. Dieser Gegenstandsbereich ist es auch, der als hermeneutisch geprägt, im ersten Kapitel eingeführt wurde.

Ziel der Gegenstandsdeutung ist die Auseinandersetzung mit den einzelnen Teilen des zu deu-tenden Ganzen im Verhältnis zu diesem Ganzen. Wie bereits in Kapitel zwei dargestellt, ist das Verstehen bzw. Deuten nur möglich, wenn das Ganze verstanden wird. Das Ganze aber kann nur verstanden werden, wenn die Teile verstanden werden. Damit ist wieder der herme-neutische Zirkel benannt. Kunstgeschichte ist dazu da „[…] Kunstwerke zu interpretieren und kunstgeschichtliche Prozesse zu rekonstruieren.― (Beke 2008, S. 387) Ziel der Hermeneutik ist es, den Prozess des Verstehens zu verstehen. Um kunstgeschichtlich relevante Gegenstän-de zu verstehen bzw. Gegenstän-deuten zu können, wird über sie gesprochen und geschrieben. Das Vi-suelle wird in Sprache und Text übersetzt. Sprache und auch Bilder werden folglich in der Hermeneutik als Medien zur Übertragung von Sinn behandelt (Boehm und Gadamer 1978, S.

444). Die Übersetzung von Bild in Sprache ist nach Boehm ein „hermeneutisches Basisprob-lem―. (Boehm und Gadamer 1978, S. 447) Überall dort, wo kunstgeschichtlichen Artefakten eine Bedeutung abgerungen werden soll, immer wenn gefragt wird, was will uns das Bild, die Skulptur etc. sagen, dann handelt es sich um die Frage nach der Übersetzung von Bild in Sprache, mithin um ein hermeneutisches Problem. Ziel des Fachs, oder wenigstens eines gro-ßen Teils der Kunstgeschichte ist es, dem bildlichen Denken oder Formempfinden der Kunst-schaffenden in hermeneutischen Kreisbewegungen nahe zu kommen. Die kunsthistorischen Methoden und auch Forschungsgegenstände belegen dies deutlich. Auch wenn neuere Ansät-ze, wie der neuronale Ansatz oder die moderne Kunst, von der nicht immer gesagt werden kann, dass sie mit einer konkreten Intention oder für ein bestimmtes Publikum geschaffen wurde, eine größere Distanz zur Hermeneutik aufweisen, so ist diese Methode dennoch prä-gend für das Fach. Denn eine kunstgeschichtliche Publikation ist immer auch, um mit Stefan

Gradmann zu sprechen, „[…] ein Blick in das Reflexionslabor des Verfassers, durchsetzt mit selbstreflexiven Brechungen und – so zumindest im Falle der komplexeren, monografienähn-lichen Publikationsformen – mit einem hoch differenzierten Arsenal von Strukturelementen, die zugleich darstellungs- und erkenntnisrelevant sind.― (Gradmann 2004, S. 59).

Ein wesentlicher Kernpunkt kunstwissenschaftlicher Arbeit ist das Vergleichen. Das Gegenü-berstellen, in Beziehung setzen und Differenzieren führt zu Gruppenbildungen. Losgelöst und ohne jeglichen Kontext, ohne Vergleichsmasse ist kunstgeschichtliche Arbeit nicht möglich.

Denn nur der Vergleich, ob sichtbar durch die Projektion von kunstgeschichtlich relevanten Objekten im Rahmen einer Lehrveranstaltung, in den Abbildungsteilen kunsthistorischer Mo-nografien, der Inszenierung von Artefakten in Museen oder unsichtbar in Form des Bildge-dächtnisses eines Forschenden, immer ist der Vergleich zur Gewinnung von Erkenntnissen nötig.

John Unsworth differenziert in seinem Aufsatz mit dem Titel „Scholarly Primitives: What methods do humanities researchers have in common and how might our tools reflect this?―

sieben grundlegende Arbeitsweisen in der Wissenschaft. Bei diesen sog. „Scholarly Primiti-ves― handelt es sich um: „Discovering, Annotating, Comparing, Referring, Sampling, Illustra-ting, Representing―. (Unsworth 2000) Als besonders charakteristisch für die geisteswissen-schaftliche Arbeit hebt er das Vergleichen hervor. „It is the operative assumption […] that comparison is one of the most basic scholarly operations - a functional primitive of humani-ties research, as it were. Scholars in many different disciplines, working with many different kinds of materials, want to compare several (sometimes many) objects of analysis, whether those objects are texts, images, films, or any other species of human production.― (Unsworth 2000)

Das Wahrgenommene vergleichen und in Beziehung setzen um es interpretieren zu können und daraus neues Wissen zu generieren entspricht dem Grundvorgehen in der Kunstgeschich-te. Daher ist es so essentiell, dass kunsthistorisch Forschende den Kontext ihrer Überlegungen genau präzisieren und darlegen vor welchem Hintergrund sie zur jeweiligen Erkenntnis ge-langt sind. Referenzen, Schülerschaft und Denkschulen sind folglich genauso wichtig, wie das höchst präzise, differenzierte und feinteilige Artikulieren des Wahrgenommenen. Die umfäng-liche Beschreibung des Wahrgenommenen, bildumfäng-liche Darstellungen, Darlegungen des Kon-texts, all dies spiegelt sich im Publikationsverhalten der wissenschaftlich Arbeitenden wider.

Innerhalb der Gegenstandsdeutung können verschiedene Zugänge differenziert werden. Eine mögliche Unterteilung ergibt sich durch die Kategorisierung in die Abschnitte Form- und Stilanalyse, ikonografisch-ikonologische Methode, kunstgeschichtliche Hermeneutik, rezepti-onsästhetischer, sozialgeschichtlicher und feministischer Ansatz. Neuronale Bildwissenschaf-ten, Bildmedien und New Art History vervollständigen das Bild und beziehen auch aktuelle Entwicklungen mit ein. Im „Methoden-Reader Kunstgeschichte― ist eine ähnliche Aufteilung zu finden, die um die semiotische Kunstwissenschaft und die Bild-Anthropologie ergänzt wird (Brassat und Kohle 2009). Da es sich bei beiden Publikationen um Einführungen in das Fach handelt, wird angenommen, dass es sich bei den benannten Methoden und Ansätzen um die kanonisierten gegenwärtigen Methoden und Diskussionen handelt.

Es ist nicht Ziel dieser Arbeit die einzelnen Methoden umfassend zu diskutieren. Auch hier gilt das bereits angeführte Zitat von Hans Belting: „Wer sich heute zu Kunst und Kunstge-schichte äußert, sieht jede These die er dem Leser [...] mitteilen möchte, von vornherein durch beliebig viele andere Thesen entwertet.― (Belting 1995, S. 17) Dies berücksichtigend, wird darauf verzichtet, die in der Kunstgeschichte verwendeten Methoden und Ansätze in ihrer vollen Funktion und Vielfältigkeit darstellen zu wollen. Weil Kunstgeschichte in der vorlie-genden Arbeit als Geisteswissenschaft, mithin also als Wissenschaft vom Verstehen aufge-fasst wird, in der Kontextualisierung besonders wichtig ist, wird zur Illustration allein die iko-nographisch-ikonologische Methode kurz eingeführt.

Die ikonografisch-ikonologische Methode der Interpretation „[…] ist die Suche nach dem einstigen Sinn eines Kunstwerks mit Hilfe aller erreichbaren bildlichen oder schriftlichen Quelle, die sich zu ihm in eine erhellenden Beziehung setzen lassen.― (Eberlein 2008, S. 179) Geprägt wurde der Begriff Ende des 19. Jahrhunderts von dem deutschen Kunsthistoriker Abraham Moritz Warburg. Erwin Panofsky definierte Ikonographie Anfang des 20. Jahrhun-derts folgendermaßen: „Die Ikonographie ist der Zweig der Kunstgeschichte, der sich mit dem Sujet (Bildgegenstand) oder der Bedeutung von Kunstwerken im Gegensatz zu ihrer Form beschäftigt.― (Panofsky 2009, S. 65) 1939 abstrahierte er die Methode zu einem dreistufigen Modell der Interpretation, bestehend aus der prä-ikonographischen, der ikonographischen und der ikonologischen Analyse. Hierbei unterschied er die drei Ebenen Phänomensinn, Bedeu-tungssinn und Dokumentsinn (Kemp et al. 2008, S. 179).

Die prä-ikonographische Beschreibung ist eine Aufzählung all dessen, was auf einer Darstel-lung visuell wahrgenommen werden kann, ohne aber Sinnzusammenhänge herzustellen oder zu deuten. Der korrektive Bezugspunkt der prä-ikonografischen Beschreibung ist die Stilge-schichte.

Bei der ikonographischen Analyse, deren korrektives Bezugsystem die Typengeschichte ist, werden Motive bestimmten Themen oder Konzepten zugeordnet. Voraussetzungen dafür sind eine korrekte prä-ikonographische Beschreibung und das Wissen um die relevanten literari-schen Quellen. Das griechische Wort γράφειν/ graphein in Ikonographie steht für schreiben oder beschreiben und deutet so die beschreibende Funktion an. Es handelt sich mithin um das Beschreiben und Klassifizieren von Bildern. Die Ikonographie ist damit eine sehr begrenzte und „[…] gewissermaßen dienende Disziplin, die uns darüber informiert, wann und wo be-stimmte Themen durch bebe-stimmte Motive sichtbar gemacht wurden.― (Bätschmann 1992, S.

59) „Sie [die Ikonographie] versucht jedoch nicht, diese Interpretation von sich aus zu erar-beiten. Sie sammelt und klassifiziert das Material, hält sich aber nicht für verpflichtet oder berechtigt, die Entstehung und die Beurteilung dieses Materials zu erforschen [...].― (Panofsky 2009, S. 69)

Der eigentliche Akt der Interpretation ist die Ikonologie. Die Ikonologie leitet sich im zweiten Wortteil vom griechischen Wort λόγος/ logos ab, das so viel wie Denken, Vernunft, geistiges Vermögen bedeutet. Ikonologie impliziert daher eine interpretatorische Leistung, die in der Synthese von Ikonographie und historischen, literarischen und psychologischen Methoden besteht. Der Gehalt, der in der ikonologischen Interpretation gefunden werden soll, ist nicht offensichtlich. Die Interpretation ist in einem gewissen Maß ein subjektiver Prozess. Folglich ergibt sich das Problem der Objektivierbarkeit der gewonnen Interpretation. Die Aneignung von Artefakten findet nach Panofsky immer durch die im Geiste stattfindende Nachahmung der Handlung des Künstlers im Sinne eines Nachschaffens statt. Die Art und Weise wie dieses Nachschaffen stattfindet, hängt von dem jeweiligen Kontext ab, den der Nachzuschaffende mitbringt. Einen kontextfreien Menschen, bei Panofsky naiver Betrachter genannt, gibt es nicht. Mit Hilfe der ihm zur Verfügung stehenden historischen Quellen wird der Betrachter versuchen, seine Vorstellung des Gehalts, also der eigentlichen Bedeutung, des zu interpretie-renden Artefakts zu korrigieren. Durch dieses Tun wird sich „[…] die ästhetische Wahrneh-mung als solche entsprechend wandeln und sie wird sich mehr und mehr an die ursprüngliche Intention der Werke anpassen.― (Panofsky 1978, S. 22) Bei seinen Überlegungen zur

Interpre-tation von Kunstwerken ordnet Erwin Panofsky folglich die Kunstgeschichte in ein über-geordnetes Bezugssystem der Geisteswissenschaften ein. Er fasst das Fach und mit ihr die ikonologisch-ikonographische Methode als prototypische Geisteswissenschaft auf. Er argu-mentiert, dass Menschen die einzigen Lebewesen sind, die Zeugnisse hinterlassen, insofern ihre Erzeugnisse „[…] eine von ihrem materiellen Dasein auch unterschiedene Ideen ‚in Erin-nerung rufen‗.― (Panofsky 1978, S. 10) Menschen können die Idee des Auszudrückenden von den Ausdrucksmitteln und auch die Idee der zu vollziehenden Funktionen von den Mitteln des Vollzugs differenzieren. Solche menschlichen Zeugnisse, besitzen „[…] die Eigenschaft aus dem Strom der Zeit aufzutauchen, und in eben dieser Hinsicht werden sie vom Geisteswissen-schaftler studiert.― (Panofsky 1978, S. 11)