Georg Gramlow (geboren am 24.4.1894 in Kolberg, gestorben am 16.9.1973 in Berlin) war der letzte deutsche Superintendent für den Kirchenkreis Arnswalde. Während des Zweiten Weltkriegs wurden fast alle Pfarrer aus seinem Zuständigkeitsbereich eingezo-gen, sodass in den 46 Stadt- und Landgemeinden, die der Kirchenkreis Arnswalde um-fasste, lediglich fünf Pfarrer im Einsatz waren, die nicht wehrfähig waren. In „Wardin.
Eine Dokumentation“ berichtet Gramlow, wie er unter diesen schwierigen Umständen dennoch bis zuletzt seine Gemeinden betreute. Dabei war er auf die Hilfe seiner Gemein-demitglieder angewiesen, die ihm außergottesdienstliche Aktivitäten, Lese- und Kinder-gottesdienste abnahmen und ihn jeden Sonntag mit der Pferdekutsche von Arnswalde nach Radun, Wardin, Helpe und Schützendorf fuhren, damit er dort ebenfalls Gottes-dienste abhalten konnte. Trotz der allgemein schwierigen Stellung der Kirche zur Zeit des Nationalsozialismus wurde er als Theologe und Seelsorger von seinen Gemeindemit-gliedern o enbar so sehr geschätzt, dass sie ihn bei diesen Aufgaben freiwillig unterstütz-ten. Bei seinen Kollegen sah es jedoch anders aus.
Gramlow war nie Mitglied der Deutschen Christen. Ihm wird im Gegenteil sogar an-gerechnet, dass er deutsch-christliche Pfarrer aus dem Kirchenkreis Arnswalde fernhielt und beide Pfarrer, die aus seinem Kirchenkreis der NSDAP angehörten, zu einem Wechsel in einen anderen Kirchenkreis bewog. Allerdings war er auch nur zwei Jahre lang Mit-glied der Bekennenden Kirche, die die Opposition zu den Deutschen Christen bildete, bis er 1937 wieder austrat. Daher wurde ihm von manchen Kollegen vorgeworfen, sich nicht genug von den Deutschen Christen und ihrer nationalsozialistischen Gesinnung distan-ziert zu haben.
Ein Dorn im Auge war Gramlow den nationalsozialistischen Behörden o enbar den-noch. In einem Fragebogen, den er vor seiner Übernahme in den Dienst der Schleswig-schen Landeskirche im Herbst 1945 ausfüllte, schrieb er, dass er zur NS-Zeit elf Diszipli-narverfahren, mindestens zwanzig Vernehmungen bei der Geheimen Staatspolizei sowie zwei Gefängnisaufenthalte über sich habe ergehen lassen müssen. Das erste Mal wurde er zusammen mit den anderen 19 Pfarrern des Kreises Arnswalde am 16. März 1935 ver-haftet, da sie sich weigerten, eine Erklärung zu unterzeichnen, die sie verp ichtet hätte, nicht das Wort „An die Gemeinden“ zu verlesen, in dem sich die Bekennende Kirche deut-lich gegen die rassisch-völkische Weltanschauung der Deutschen Christen aussprach.
Eine ähnliche Verhaftungswelle erfolgte in der gesamten Provinz Brandenburg. Da kein Haftbefehl gegen sie vorlag, weigerte sich der zuständige Amtsrichter, die Arnswalder Pfarrer ins Gefängnis bringen zu lassen. Stattdessen wurden sie in der Jugendherberge
Thierfelder, 1975, S. 21.
Gramlow, 1968, S. 7 f.
Gramlow, 1955, S. 14–15.
Furian, 2005, S. 137–144.
Furian, 2005, S. 260 f.
am Klückensee eingeschlossen. O enbar hatten die zuständigen NS-Behörden nicht damit gerechnet, dass die gleichzeitige Verhaftung aller Pfarrer zu so großer Erregung inner-halb der Bevölkerung führen würde, sogar zu deren Drohung, die Pastoren notfalls mit Gewalt zu befreien. Nach zwei Tagen wurden sie daher wieder auf freien Fuß gesetzt.
Das zweite Mal wurde Gramlow im März 1942 von der Gestapo in seiner Wohnung verhaftet und ins Schneidemühler Gefängnis gebracht, wo er laut Feodora Drews meh-rere Wochen in einer dunklen Einzelzelle verbracht haben soll. Weil der Arnswalder Malermeister Fritz Weiß zusammen mit zwei weiteren Männern des Gemeindekirchen-rats versuchte, bei der Staatspolizeistelle Schneidemühl seine Freilassung zu erwirken, wurde gegen ihn ein Gerichtsverfahren eingeleitet. In dessen Erö nungsbeschluss heißt es, in Arnswalde sei allgemein bekannt, dass Gramlow DXVZHLVOLFKGHV$NWHQPDWHULDOV GHU6WDDWVSROL]HLVWHOOH6FKQHLGHPKOPHKUPDOVZHJHQ$XVGUXFNVYHUOHLKXQJVHLQHUQHJD WLYHQ(LQVWHOOXQJGHP1DWLRQDOVR]LDOLVPXVJHJHQEHUYHUZDUQWZRUGHQZDU
Im späteren Gerichtsurteil gegen Weiß heißt es: 'HU$QJHVFKXOGLJWH>«@HUIXKULP 0lU]GDGHU6XSHULQWHQGHQW*UDPORZLQ$UQVZDOGHDXI$QRUGQXQJGHU*HKHL PHQ6WDDWVSROL]HLZHJHQVWDDWVDEWUlJOLFKHUbXHUXQJHQIHVWJHQRPPHQZRUGHQVHL'DU DXIIXKUHUPLW%HNDQQWHQQDFK6FKQHLGHPKOXQGVXFKWHKLHUGHQ/HLWHUGHU6WDDWVSR OL]HLVWHOOHDXI'LHVHUKLHOWLKQHQYRUGDHLQHWHOHIRQLVFKH$QIUDJHRGHUGLH(QWVHQGXQJ HLQHV%HDXIWUDJWHQJHQJWKlWWH]XPDOGLH5HLVHJHUDGHLQGHU2VWHU]HLWXQWHUQRPPHQ ZRUGHQVHLLQGHUDOOHXQQ|WLJHQ5HLVHQXQWHUEOHLEHQVROOWHQ,KPZXUGHHUZLGHUWHV KDQGHOHVLFKXPHLQHVHKUEHGHXWVDPH$QJHOHJHQKHLWGHQQPDQNHQQHLQ$UQVZDOGHGLH
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Da Gramlows Personalakte aus der Zeit vor 1945 verschollen ist, gibt es aus die-ser Zeit nur wenige o zielle Dokumente, die über ihn Auskunft geben. Ein Bewerbungs-schreiben kurz nach seiner Flucht aus Arnswalde legt die Vermutung nahe, dass sein
Furian, 2005, S. 89–93.
Drews, 1973, S. 6 f.
Kreisgericht Arnswalde-Friedeberg, 1942, AX2014.
Gaugericht Pommern, 1943, AX2011.
NSDAP, 1943, AX2012 .
Eintritt in die Bekennende Kirche vor allem taktisch begründet war. Über seine Beweg-gründe für den Austritt schweigt er: 'XUFKPHLQHQ(LQWULWWLQGLH%HNHQQHQGH.LUFKHJH ODQJHVPLUPHLQHQ.LUFKHQNUHLVYRUGHQ6WUPHQGHV.LUFKHQNDPSIHV]XEHZDKUHQ,P -DKUHEHUWUXJPLUGHU.LUFKHQDXVVFKXGLH9HUZDOWXQJGHV*HQHUDOVXSHULQWHQGHQ WHQDPWHVGHU1HXPDUN>«@6HLWJHK|UHLFKNHLQHUNLUFKHQSROLWLVFKHQ5LFKWXQJDQ Seinem Austritt folgten drei weitere Pfarrer im Kirchenkreis Arnswalde, der ungleich grö-ßere Teil des Konvents blieb Mitglied der Bekennenden Kirche.
Pfarrer Hans-Otto Furian schreibt über Gramlow, er sei UKHWRULVFKEHJDEWHLQHUH SUlVHQWDWLYH3HUV|QOLFKNHLWLQ6WDGWXQG.UHLV$UQVZDOGH±JHUDGHDXFKYRQGHQDOWHQ )KUXQJVVFKLFKWHQ*XWVEHVLW]HUQ2൶]LHUHQGHU*DUQLVRQXQGGHPJHKREHQHQ%UJHU WXP±DQHUNDQQW. Er sei ebenfalls HLQH3HUV|QOLFKNHLWPLWJURHQ*DEHQ gewesen, HLQ IKUHQGHU9HUWUHWHUGHUÃDOWHQ¶9RONVNLUFKHGHUVLFKVHOEVWDOV7HLOGHUJHVHOOVFKDIWOLFKHQ )KUXQJVVFKLFKW±GDVKHLWQLFKWGHUQDWLRQDOVR]LDOLVWLVFKHQVRQGHUQGHUDOWHQNRQVHUYD WLYHQ)KUXQJVVFKLFKW±ZXVVWH>«@*UDPORZZDUGDVZDVPDQLP1HXGHXWVFKHQÃHLQH
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Ähnlich äußert sich der Reetzer Pfarrer Ernst Kreutz: Gramlow habe HLQ*UXQG GRJPDGDVLVWGDVhEHU]HXJWVHLQYRQVHLQHUHLJHQHQ6XSHULQWHQGHQWHQ*U|HXQG+HUU OLFKNHLWHVJHKWLKPMDJDUQLFKWXPGLH.LUFKHVRQGHUQJDQ]DOOHLQXPVHLQHHLJHQHQ (KUHXQGGHQHLJHQHQJURHQ1DPHQ«:LU%.%UGHULP$UQVZDOGHU.UHLVHKDEHQLP PHUPHKUGHQ(LQGUXFNJHZRQQHQGDVVQDFKVHLQHU$X൵DVVXQJGLH.LUFKHIHVWXQGVLFKHU QLFKWDXIGHP:RUWH*RWWHVVRQGHUQDXIVHLQHUVWDUNHQ3HUV|QOLFKNHLWVHLQHUWDNWLVFKHQ .OXJKHLWXQGVHLQHQDXVJH]HLFKQHWHQ%H]LHKXQJHQ]XGHQ5LWWHUJXWVEHVLW]HUQXQGVRQVWL JHQ*URHQGHV$UQVZDOGHU.LUFKHQNUHLVHVUXKHXQGGDVVZLU%UGHUHEHQQLFKWVZHLWHU ]XWXQKlWWHQDOVLKPEOLQG]XIROJHQ
Auch wenn dies Furians und Kreutz’ persönliche Au assungen sind, so ist es für das Verständnis des folgenden, rhetorisch eindrucksvollen Berichts dennoch wichtig zu wis-sen, dass viele seiner Gemeindemitglieder große Stücke auf Gramlow hielten, ihm aber einige Kollegen nachsagten, zu sehr von sich selbst überzeugt gewesen zu sein.
Als alle Wege aus Arnswalde heraus von sowjetischen Truppen abgeschnitten wurden, wurde Gramlow zusammen mit mehreren tausend anderen Einwohnern in der Stadt ein-geschlossen. Seine Erlebnisse während dieser Zeit hielt er noch während des Kampfge-schehens im Februar 1945 fest. Von diesem Zeitzeugenbericht hat es mindestens drei Versionen gegeben. Die erste bestand aus den Aufzeichnungen, die er noch in Arnswalde selbst niederschrieb. Was mit ihnen geschah, ist unklar. Im Besitz der Stiftung Branden-burg be ndet sich ein Bericht Gramlows, der mit Schreibmaschine auf die Rückseite eines
Furian, 2005, S. 137–144.
Furian, 2005, S. 49.
Furian, 2005, S. 77 f.
Furian, 2005, S. 77 f.
Formulars der „Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schleswig-Holsteins“ mit dem vorgedruckten Datum „Flensburg, ________ 194_“ getippt worden ist. Gramlow hatte sich nach der Flucht mit seiner Familie in Flensburg niedergelassen.
Es kann also davon ausgegangen werden, dass er diesen Bericht kurze Zeit nach seiner Ankunft in Schleswig-Holstein mit Hilfe seiner ursprünglichen Aufzeichnungen niederge-schrieben und um eine Einleitung und seine Erlebnisse auf der Flucht ergänzt hat.
1968 wurde eine abgeänderte Version unter dem Titel„Die letzten Tage in Arns-walde 1945“ in der Druckschrift „Als ArnsArns-walde brannte. Eine Dokumentation“ ver-ö entlicht.Die Änderungen sind größtenteils stilistischer Art, teilweise fügt Gramlow noch weitere Geschehnisse und Kommentare ein. Diese Unterschiede erklären sich dar-aus, dass ein unter so schwierigen Umständen niedergeschriebener Text in ein üssig zu lesendes Kapitel umformuliert wurde und außerdem einiger Erklärungen für Personen bedurfte, die selbst nicht bei den Geschehnissen dabei gewesen waren. Au ällig ist aller-dings, dass Gramlows Sekretärin, Frau Kremming, und der Bürgermeister Dr. Tuchow in der Druckschriftfassung komplett gestrichen und durch andere Personen ersetzt wurden.
Beispielsweise berichtet Gramlow in der im Folgenden abgedruckten, ursprünglicheren Version des Textes, dass Tuchow zu Generalmajor Voigt ging, um mit ihm die Räumung der Zivilisten zu vereinbaren. 1968 schreibt er stattdessen, er selbst habe diese Aufgabe übernommen. Änderungen wie diese gewinnen angesichts der Tatsache, dass Gramlow behauptete, Tuchow habe nur seine eigene Haut retten wollen und habe die Zivilisten im Stich gelassen, an Bedeutung. Warum Frau Kremming aus den Erzählungen gestrichen wurde, ist nicht ersichtlich. Familie Kremming lebte unmittelbar nach der Flucht ebenso wie Gramlow in Flensburg und traf sich dort regelmäßig mit ihm und anderen Arnswal-dern. Tuchows Streichung aus dem Text begründet Gramlow damit, dass er es nicht ver-dient habe, erwähnt zu werden, da er seiner Ansicht nach die Arnswalder Bevölkerung im Stich ließ.
Bei dem folgenden Bericht handelt es sich um das Dokument aus den Beständen der Stiftung Brandenburg. Es wurde ihr als Teil des Arnswalder Heimatkreisarchivs überge-ben. Wie es in dessen Besitz gelangte, ist unklar. Möglicherweise vervielfältigte Gramlow seine ursprünglichen Notizen und ließ diese anderen Arnswaldern zukommen, die selbst nicht eingeschlossen gewesen waren, um sie über die Geschehnisse zu informieren.
Für die Auswertung seines Textes ist zu berücksichtigen, dass Gramlow ausschließlich von seinen eigenen Tätigkeiten und Erlebnissen berichtet und die Beiträge anderer zum Geschehen nicht erwähnt. Aufgrund dessen gewinnt man in der Lektüre den Eindruck, er sei fast alleine für die geglückte Flucht der Zivilbevölkerung verantwortlich gewesen, da er weder die anderen Gruppen von Zivilisten und Verwundeten nennt, die noch nach ihm evakuiert wurden, noch wer ihm bei der Räumung half. Da Gramlows Darstellung bisher eine der wenigen verö entlichten Quellen zum Thema war und nicht kritisch betrachtet oder mit anderen Berichten verglichen wurde, gingen viele Leser – gerade auch viele
Signatur AX803.
herausgegeben von Anneliese Hohensee.
Riepe, 25.9.1945.
malige Arnswalder – davon aus, dass sein Beitrag zur gelungenen Flucht größer gewesen sei, als es tatsächlich der Fall war.
Seine Erzählung ist trotz aller Kritik von unschätzbarem Wert für die Nachwelt. Er kann aber nicht alleine zu Rate gezogen werden, um die Ereignisse während des Ein-schlusses nachvollziehen zu können. Die bei ihm auftretenden Lücken werden hier insbe-sondere durch die Berichte von Bürgermeister Dr. Tuchow und Generalmajor Voigt gefüllt.
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Tatsächlich traf am 3.2. noch Verstärkung für die deutschen Truppen in Arnswalde ein, und viele Zeitzeugen berichten, am 4.2. nach dem ersten Beschuss der Stadt ge ohen zu sein. Daher kann mit Sicherheit gesagt werden, dass Arnswalde nicht bereits am 3.2., sondern frühestens in der Nacht zum 5.2., wahrscheinlich sogar erst am 6.2. eingeschlossen wurde (Vgl. bspw. Voigt, Kapitel 4, Tu-chow, Kapitel 2, Claudé, 1982, S. 11, Sanft, BArch OSTDOK 1/177 fol. 35–39, Engel, BArch OST-DOK 1/177 fol. 25–31 und Mittelstädt, BArch OSTOST-DOK 1/177 fol. 51–52).
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Zum Teil hatte sich das Vieh selbst losgerissen, zum Teil hatten die Bauern in der Umgebung ihre Ställe geö net und das Vieh, welches sie nicht mitnehmen konnten, freigelassen, bevor sie ge ohen waren. Dieses Vieh musste jetzt wieder geborgen werden, um die Ernährung der in Arnswalde ein-geschlossenen Menschen sicherzustellen.
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Die meisten Augenzeugen erwähnen, dass Arnswalde ohne Gas, Strom oder ießendem Wasser auskommen musste, jedoch stimmen die genannten Zeiträume und die Begründungen hierfür nicht überein. Schmidt, Funker bei den Truppeneinheiten in Arnswalde, berichtet beispielsweise, dass die Stromversorgung seit dem 4.2. ausgefallen war, weil das Transformatorenhaus der Zuckerfabrik ge-tro en worden war, während Voigt den Sge-tromausfall ab dem 2.2. auf die Beschädigung des E-Werks in Kranzin zurückführt (Vgl. Voigt, Kapitel 4 und N. N. Schmidt, 1955, S. 24 f.).
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