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Die Klärung der Diskursbedingungen ist Aufgabe einer Logik des Diskurses, die Habermas folgendermaßen von anderen logischen Ansätzen abhebt:

Die Logik des Diskurses unterscheidet sich sowohl von der Aussagenlogik, die die Regeln des Aufbaus und der Transformation von Aussagen bei konstanten Wahrheitswerten angibt, wie auch von einer transzendentalen Logik, die die für die Konstituierung von Gegenständen möglicher Erfahrung relevanten Grundbegriffe (Kategorien) untersucht (VE, 161).

Die formalen Eigenschaften von Diskursen betreffen weder die Konstruktion von Aussagen, noch sind sie als apriorische Kategorien für die Konstitution möglicher sprachlicher Gegenstände zu verstehen. Der Vorstellung, “daß die Triftigkeit eines Arguments in logischer

37 Habermas nimmt somit einen Beitrag von Kuno Lorenz auf. Siehe Lorenz, Kuno.: Der dialogische Wahrheitsbegriff. In: «Neue Hefte für Philosophie», 1972, 2/3, S.111-123, hier S. 115. Siehe VE, 161.

Notwendigkeit und/oder Erfahrungsevidenz gründen müsse”, entgegnet Habermas durch die These, daß eine Argumentation nicht - wie diese Ansichten unterstellen - aus einer Kette von Sätzen besteht. In diesem Fall müßte die Stringenz einer Argumentation tatsächlich in Termini eines logischen oder aber eines durch Verknüpfung an die Erfahrungsbasis gerechtfertigten Übergangs von einem Satz zum anderen beschrieben werden (s. VE, 162). Indessen vertritt Habermas die These, daß eine Argumentation unter einem pragmatischen Gesichtspunkt als eine Kette von Sprechakten, und nicht von Sätzen, zu betrachten sei. Die Analyse von Sprechaktzusammenhängen, sofern es sich nicht schlichtweg um den Austausch von Aussagen, sondern von pragmatischen Äußerungen handelt, muß über die Analyse logischer Verknüpfung hinausgehen.

Auch kann sie nicht auf empirische Begründung von Sätzen zurückgeführt werden,

denn die pragmatischen Einheiten der Rede haben ihren jeweils spezifischen Bezug zur Wirklichkeit bereits interpretiert, während Sätze erst noch zur Realität in Beziehung gesetzt werden müssen (ebenda).38

Lehrreich ist zu sehen, wie die Rekonstruktion einer Argumentationslogik auf der Grundlage des formalen Verhältnisses zwischen Prämissen, Schlußfolgerungen, Schlußregeln und deren Rechtfertigungsgründen nicht umhin kann, anzuerkennen, daß die Interpretation von Beobachtungsdaten, Bedürfnisinterpretationen, die Plausibilität von Annahmen, Bewertungs- und Begründungsnormen durch die historische Sprache vorgängig sind. Die formalen Bestimmungen von Argumentationsstrukturen helfen über die Einbettung eines jeglichen tatsächlichen Austauschs von Argumenten in eine bestimmte, historisch und lebensweltlich verankerte Sprache nicht hinweg. Die hermeneutische Auseinandersetzung mit der Geschichtlichkeit der Sprache kann nicht durch formale Beschreibung vermeintlich universeller Argumentationsstrukturen umgangen werden.

Habermas stellt sich dieser Schwierigkeit, indem er an Toulmins Beschreibung einer formalen Argumentationslogik anschließt. Mit dem Ziel, kognitive Grundlagen der Ausbildung der Erfassung von Gegenstandsbereichen, interaktionsrelevanten Deutungsschemata und theoretischen Deutungsmustern innerhalb der historischen Sprache zu untersuchen, lehnt er sich zugleich an Erkenntnisse der kognitiven Entwicklungspsychologie an. Er verschärft die formalpragmatische Rekonstruktion der allgemeinen Voraussetzungen der Sprachlichkeit, indem er die Aufmerksamkeit aif diejenigen Bedingungen für die Erhebung von Geltungsansprüchen richtet, welche eine Art Apriori der Kommunikation bilden können. Dies gipfelt in der Rekonstruktion einer idealen Sprechsituation. Im Anschluß an Toulmin beschreibt

38 Der unterschiedlich bestimmte Realitätsbezug von Sätzen einerseits, Äußerungen andererseits, wird weiter unten näher erläutert.

Habermas die allgemeine formale Struktur eines Arguments anhand folgenden Schemas39 (VE, 163):

Dieses Schema einer allgemeinen Argumentationsstruktur hält Habermas für sowohl auf theoretische als auch auf praktische Diskurse anwendbar. Es ermögicht sicherlich eine analytische Aufschlüsselung von theoretischen und praktischen Argumentationen, anhand derer näher bestimmt werden kann, in welchen Fällen Stimmigkeit oder Unstimmigkeit, Triftigkeit oder Untriftigkeit vorliegen.40

39 Zur Erläuterung führt er ferner folgendes Beispiel an:

Die Behauptung ‘Harry is a british subject’ (C= conclusion) wird durch die Angabe einer Ursache: ‘was born in Bermuda’ (D= data) erklärt. Diese Erklärung wird durch die Einführung einer Schlußregel: ‘A man born in Bermuda will generally be a British subject’ (W= warrant) als zulässige Deduktion ausgewiesen. Die Plausibilität dieser allgemeinen Prämisse (oder Schlußregel) wird durch den Hinweis ‘on account of the following statuses and other legal provisions’ (B= backing) gerechtfertigt (VE, 163).

40 Toulmin/ Habermas unterscheiden drei Modalitäten, unter welche Argumente subsumiert werden können. Ein Argument kann unstimmig (unmöglich), zwingend (notwendig) oder triftig (möglich) sein (s. VE, 162).

Die Unstimmigkeit eines Arguments ist an die Voraussetzung gebunden, daß W keine Schlußregel darstellt, die den Übergang von D zu C gestattet.

Zwingend ist dagegen ein Argument, “wenn D aus B gefolgert werden kann” (S.164). (In diesem Fall läge ein analytisches Argument vor). Die Triftigkeit eines Arguments offenbart sich darin, daß B “eine hinreichende Motivation dafür ist, W für plausibel zu halten” (ebenda), selbst wenn zwischen B und W keine deduktive Beziehung besteht.

Im Falle theoretischer Diskurse bestehen W, D und B jeweils aus einer Gesetzeshypothese, einer Ursache (bei physischen Ereignissen) bzw. einem Motiv (bei Handlungen), und einer Reihe von empirischen Beobachtungen. Im Falle praktischer Diskurse bestehen hingegen W, D und B jeweils aus einer Handlungs- bzw.

Bewertungsnorm, einem darauf fußenden Grund für eine bestimmte Handlung, und der “Angabe von gedeuteten Bedürfnissen (Werten), Folgen, Nebenfolgen” der Normanwendung im Hinblick auf allgemein akzeptierte Bedürfnisse.

Es handelt sich nun darum, einerseits die Bedingungen eines einleuchtenden Übergangs von B zu W, andererseits die Bedingungen für die Ableitbarkeit von C aus D und W herauszufinden, denn es erscheint klar, daß die konsenserzielende Kraft eines Arguments eben davon abhängig sein wird. Habermas meint die Konsistenz und die Kohärenz der verschiedenen Schritte, in welche ein Argument sich gliedert, in Termini der Gemeinsamkeit der Sprache, die zur zu ihrer Beschreibung verwendet wird, erläutern zu können:

Ein befriedingendes Argument liegt nur dann vor, wenn alle Teile des Arguments derselben Sprache angehören. Denn das Sprachsystem legt die Grundbegriffe fest, mit denen das erklärungs- bzw. rechtfertigungsbedürftige Phänomen (C) so beschrieben wird, daß einerseits die in dieser Beschreibung auftretende singuläre Existenzaussagen aus den in D und W auftretenden Aussagen abgeleitet werden kann und daß andererseits B für jedermann, der an einem Diskurs teilnehmen kann, ein hinreichendes Motiv ist, W zu akzeptieren. Die Rolle der gewählten Begründungssprache läßt sich unter den beiden Aspekten der Phänomenbeschreibung und der Datenauswahl erläutern (VE, 165-66).

Die Beschreibbarkeit von C, dessen Ableitbarkeit aus D, die Begründung von D aus W und schließlich die Annahme von W aufgrund von B können nur insofern gewährleistet werden, wie sie alle als Elemente eines einzigen Sprachsystems verstanden werden können.

Die Zuordnung von C zu einem bestimmten Gegenstandsbereich, die Entfaltung der Implikationskette, die zu C hinführt, sowie das

Habermas führt folgende Beispiele an, um die Bedingungen darzulegen, unter denen der Übergang von B zu W uns berechtigt erscheint:

1. Erklärungsbedürftige Behauptung (C):

Das\Wasser in diesem Topf dehnt sich aus.

Erklärung (D):

Dieses Wasser wird erhitzt.

Begründung durch eine Gesetzeshypothese (W):

(Ein entsprechendes Gesetz der Thermodynamik).

Kasuistische Evidenz zur Stützung der Hypothese (B):

(Eine Anzahl von Feststellungen über die wiederholt beobachtete Kovarianz von Größen wie Volumen, Gewicht, Temperatur von Körpern).

Zusammenstimmen von Phänomenbeschreibung, Gesetzesannahmen bzw. Normen, Ursachen bzw. Gründen miteinander, all das ist nur aufgrund der gemeinsamen Einbettung in eine Begründungssprache möglich. Die Relevanz der Begründungssprache geht in Habermasens Augen in erster Linie daraus hervor, daß jene über die zugelassene Art von Backing entscheidet, d.h. darüber,

welche Klassen von Erfahrungen in einen gegebenen Argumentationszusammenhang als Evidenz eingehen dürfen (VE, 166).

Die Analytik des Diskurses, schien sie zunächst auf eine Relativierung der Sprachsysteme zugunsten einer allgemeinen und allumfassenden Logik der Argumentation zuzuführen, verweist nun wiederum auf Begründungssprachen als eine Art Apriori der konkreten Argumentation, als ob die allgemeine Struktur von Argumentationen der Verknüpfung mit konkreten Sprachpraktiken bedürfe, um sich mit Substanz zu füllen. Beobachtungsdaten (im theoretischen Diskurs) sowie Bedürfnisinterpretationen (im praktischen Diskurs) sind nämlich das Erzeugnis einer vorgängigen Interpretation, sie sind

natürlich interpretierte Erfahrungen und deshalb vom kategorialen Rahmen des gewählten Sprachsystems abhängig (ebenda).

Dies scheint freilich die ganze Logik des Diskurses, welche sich ja von der Erwartung speiste, die Einlösung von Geltungsansprüchen in allgemeingültiger Weise bestimmen zu können, auf eine nicht weiter hinterfragbare Grundlage von Interpretationen zurückzuwerfen, ohne die jegliche Phänomenbeschreibung unmöglich wäre. Diese vorgängige Wirklichkeitsinterpretation, indem sie alle einzelnen Teile der Argumentation durchdringt, scheint den Versuch, allgemeingültige Bedingungen für die Einlösung von Geltungsansprüchen anzugeben, endgültig zu vereiteln. Stellt sie nämlich eine unhintergehabre Bedingung für die Ausdrückbarkeit der zu problematisierenden Geltungsansprüche dar, so können diese nur innerhalb eines vorgeformten Sprachsystems zum Thema gemacht werden.

Diese hermeneutische Schwierigkeit will Habermas dadurch beheben, daß er auf Brückenprinzipien verweist, welche die Angemessenheit einer Begründungssprache zu befragen vermögen.

Brückenprinzipien sind Habermas zufolge deshalb erforderlich, weil zwischen Warrant und Backing keine deduktive Beziehung besteht.

Gleichwohl muß der Übergang vom ersteren zum letzteren berechtigt sein. Das Induktionsprinzip für theoretische und das Universalisierungsprinzip für praktische Diskurse erfüllen die Funktion, diese Berechtigung zu liefern:

Induktion dient als Brückenprinzip, um den logisch diskontinuierlichen Übergang von einer endlichen Anzahl singulärer Aussagen (Daten) zu einer universellen Aussage (Hypothese) zu rechtfertigen; Universalisierung dient als Brückenprinzip, um den Übergang von deskriptiven Hinweisen (auf Folgen und Nebenfolgen der Normanwendung für die

Erfüllung allgemein akzeptierter Bedürfnisse) zur Norm zu rechtfertigen (VE, 167).

Die beiden Brückenprinzipien müssen demzufolge als die logischen Bausteine von Erfahrung schlechthin verstanden werden können: Sie müssen die Grundlage darstellen, auf welche alle Begründungssprachen bauen. Sie stellten demnach eine universelle, jeder Begründungssprache vorausliegende Bedingung für Erfahrung schlechthin dar.

Der Rekurs auf Brückenprinzipien allein hilft dennoch nicht, die oben angedeutete hermeneutische Schwierigkeit zu lösen. Denn die Anwendung der Brückenprinzipien, ungeachtet ihrer universellen Gültigkeit, setzt die Verfügung über Data, also über im Rahmen einer Begründungssprache interpretierte Erfahrungen, voraus. Die Unmöglichkeit, auf Evidenzen schlechthin, die jeglicher Interpretationsleistung vorgängig wären, zurückzugreifen, neutralisiert die allgemeine Gültigkeit der Brückenprinzipien insofern, wie ihre Rolle, wie Habermas selbst anmerkt, mit der Rolle der Begründungssprachen eng verknüpft ist (s. VE, 167): Ihre Anwendung ist nur innerhalb einer bestimmten Begründungssprache, und nicht unabhängig von ihr, denkbar.

Einen Ausweg aus dieser scheinbaren Sackgasse versucht sich Habermas dadurch zu verschaffen, daß er die Konstitution der Begründungssprachen - sowie des konkreten Funktionierens von Induktion und Universalisierung - als Ergebnis von erfahrungsabhängigen Bildungsprozessen auffaßt. Habermas meint hierbei an kognitive Schemata zu rühren, die sich in den Grundprädikaten der Begründungssprachen ausdrücken. Die kognitiven Schemata müssen apriorische Bedingungen von Erfahrung sein, sie entfalten sich aber im Laufe von Erfahrung:

Kognitive Schemata sind Ergebnis einer aktiven Auseinandersetzung des Persönlichkeit- und Gesellschaftssystems mit der Natur: sie bilden sich in Assimilations- und gleichzeitigen Akkomodationsprozessen aus. Die fundamentale Schicht dieser Schemata geht in die Persönlichkeitstruktur ein und formt den kognitiven Apparat (VE, 167).

Aus dem kognitiven Apparat wachsen “weniger fundamentale und veränderliche Schemata”, welche die Grundbegriffe von Theorien und Deutungssystemen ausmachen und eine konstitutive Rolle in der Konstitution von Gegenstandsbereichen und Interaktionsstrukturen spielen. Solchen Schemata kommt nun die zweideutige Eigenschaft zu, einerseits Ergebnis von Erfahrungsprozessen zu sein, andererseits gegenüber konkreten Erfahrungen apriorische Geltung zu besitzen, denn sie stellen einerseits die Struktur dar, durch welche sozusagen Erfahrung ‘gefiltert’ wird, andererseits bilden sie sich infolge der Auseinandersetzung des Subjektes mit der äußeren bzw. der inneren Natur oder auch der sozialen Welt aus.

I. 11. Begründungssprachen als