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Die ideale Sprechsituation und deren Kritik

II. 2. Zur Kritik der idealen Sprechsituation

Was ist nun die Bedeutung dieser transzendentalen Interpretation der idealen Sprechsituation? Das Ziel der Anknüpfung an eine transzendentalphilosophische Problematik besteht offenbar darin, den kriterialen Stellenwert der idealen formalen Konsensbedingungen aufrechtzuerhalten und ihn gleichzeitig von dessen ursprünglicher apodiktischer Setzung zu befreien. Habermas hatte in Form einer idealen Sprechsituation das Bedürfnis gestützt, Freizügigkeit zwischen

den Diskursebenen zu gewährleisten. Diese war Habermas zufolge allein in der Lage, die prüfung von Begriffssystemen bzw. Begründungssprachen zu sichern. Erst wenn die Gewißheit besteht, daß alle relevanten Argumente ausgetauscht und die Diskussion - idealiter - von allen kommunikationsfähigen Subjekten unter Bezugnahme auf alle möglicherweise bedeutenden Gründe ausgetragen worden ist, kann man das herbeigeführte Einverständnis als ein endgültiges auszeichnen. Die derart eingeführte Bedingung der Freizügigkeit der Argumentation entspricht jedoch mehr einer apodiktischen Konstruktion, als daß sie einer zwingenden Argumentation entspringt. Habermas setzt die Freizügigkeit als eine Anforderung der Wahrheitssuche, ohne zunächst für sie eigentliche Gründe aufweisen zu können.

Die hervorgehobenen Symmetriebedingungen der Argumentation rührten indessen aus einer Analyse des verständigungsorientierten Handelns, welches jedoch ebenfalls - wie bereits gezeigt worden ist - nicht im eigentlichen Sinne begründet, sondern aus einer empirisch-rekonstruktiven Zersetzung der Sprachmodi herausgearbeitet worden war. Dies genügte nun nicht, um die moralisch-praktische Vorrangigkeit des kommunikativen Handelns gegenüber dem zweckrationalen zu untermauern. Diese gründete in der Tat in der gewählten, aber selbst begründungsbedürftigen Strategie, die Handlungstheorie mit kommunikationstheoretischen Mitteln aufzuschließen. Läßt sich nun aber zeigen, daß der idealen Sprechsituation (quasi-)transzendentale Bedeutung zukommt, dann ist die Begründungsfrage befriedigend gelöst. Damit wäre in der Tat gezeigt, daß die idealen Argumentationsbedingungen in dem impliziten Wissen eines jeglichen Kommunikationsteilnehmers als Bedingungen der Möglichkeit gegründet sind und insofern in jeder faktischen sprachlichen Interaktion notwendigerweise unterstellt werden müssen.

II. 2. 1. Kritik der idealen Sprechsituation als eines Kriteriums zur Auszeichnung vernünftiger Konsensfindungen

Bevor nun auf Habermasens Begründungsvorschlag eingegangen wird, soll eine Vorüberlegung über die praktische Bedeutung der idealen Sprechsituation angestellt werden, die sich um deren signalisierte Zwiespältigkeit zu drehen hat: Die Zwiespältigkeit besteht darin, daß die ideale Sprechsituation einerseits ein Konsenskriterium zur Beurteilung faktischer Konsense liefern soll, andererseits eben durch ihren idealen Charakter sich nicht dafür eignet, an wirkliche, empirische Diskurse als deren Prüfstein herangetragen zu werden. Es drängt sich diesbezüglich die Frage auf, inwiefern der transzendentale Charakter der idealen Sprechsituation, der hier vorläufig ohne weitere Prüfung akzeptiert werden soll, die Inkommensurabilität der idealen und der wirklichen Diskursbedingungen aufheben kann.

Der transzendentale Anspruch soll die Hineinversetzung der idealen Sprechsituation in die sprachpragmatische Grundkompetenz eines jeden Sprechers bewirken: Wird die ideale Sprechsituation als unabdingbare, in jeder wirklichen Sprechsituation zu unterstellende Voraussetzung kommunikativen Handelns ausgewiesen, so kann sich der rekonstruktiv verfahrende Moralphilosoph auf das intuitive Wissen der Kommunikationsbeteiligten berufen, um die aktuelle allgemeine Geltung der idealen Sprechsituation im Sinne eines Kriteriums der Gültigkeit von Konsensen als immer schon gegeben zu behaupten. Der kommunikativ Handelnde, so die These, soll sprachpragmatisch stets so handeln, als ob die Bedingungen einer idealen Sprechsituation tatsächlich erfüllt wären, denn die Abstreitung dieser Bedingungen müßte seine Rede zur Sinnlosigkeit verurteilen.

Demgemäß soll der kommunikativ Handelnde die ideale Sprechsituation als diejenige unterstellen, auf deren Grundlage allein ein Konsens als begründet gelten kann.

Es wird nun aber alsbald ersichtlich, daß dieser Begründungsgang lediglich dem Zweck dient, die Inkommensurabilität von idealen und wirklichen Diskursbedingungen in den Hintergrund zu stellen, anstatt sie aufzuheben. Denn der aufgestellte transzendentale Anspruch kann die ausbleibende Operationalisierbarkeit der idealen Sprechsituation keineswegs wettmachen. Es bleibt nach wie vor nicht möglich, Anwendungsbedingungen der idealen Sprechsituation, als Wahrheits- bzw. Richtigkeitskriterium aufgefaßt, zu identifizieren: Die Abstraktion von der empirischen Bedingtheit realer Sprechsituationen, woraus der Idealitätscharakter überhaupt geschöpft wird, vereitelt weiterhin jeglichen Versuch, ein solches Kriterium zum Tragen kommen zu lassen.

Die ideale Sprechsituation als bei kommunikativem Handeln notwendigerweise vorzunehmende Unterstellung behält auch insofern kontrafaktischen Charakter, als sie de facto keinen empirischen Niederschlag erfahren kann. Daraus muß der Schluß gezogen werden, daß die ideale Sprechsituation keineswegs als Wahrheitskriterium fungieren kann. Die Konsequenz für die Habermassche Konsenstheorie der Wahrheit und normativen Richtigkeit ist dabei verheerend: Die empirische Irrelevanz des Kriteriums, dem die Auszeichnung vernünftiger Konsense zufallen soll, höhlt die pragmatische Grundlage der Theorie aus. Dieser wird mithin der Weg zur praktischen Anwendung versperrt, denn der methodische Leitfaden, die Vernünftigkeit von Konsensen aufzuzeigen, erweist sich als nichtig.

Es bleibt mithin nichts anderes übrig, als die ideale Sprechsituation als eine normative Idee aufzufassen, welche, wenn sie gleich nicht geradewegs das gesuchte Vernünftigkeitskriterium abzugeben im Stande ist, über eine Gesamtheit von Eigenschaften Auskunft gibt, die, einzeln genommen, an wirkliche Diskurse als deren Ideal herangetragen werden können. Entfernt sich damit die Perspektive, diese objektiv einer Vernünftigkeitsprüfung zu unterziehen, so kommt das in der idealen Sprechsituation verkörperte Rationalitätspotential mindestens teilweise

und unter der von der Vermengung mit empirischen Diskursbedingungen dargestellten Einschränkung zur Geltung.

Habermas wird in der Tat diesen Weg einschlagen, indem er den im transzendentalen Anspruch impliziten Notwendigkeitscharakter zum Anlaß nimmt, um aus der idealen Sprechsituation ethische Prinzipien abzuleiten, deren Operationalisierbarkeit anderen Bedingungen untersteht als die ideale Sprechsituation selbst.

II. 2. 2. Welches Apriori? Die kontrafaktische Unterstellung einer idealen Sprechsituation in faktischen Diskursen

Eine weitere Zwiespältigkeit kann im transzendentalen Charakter der idealen Sprechsituation identifiziert werden, die in deren doppelter Funktion besteht, einerseits ein anzustrebendes, also de facto noch ausstehendes Ideal der Konsensstiftung darzustellen, andererseits eine apriorische Bedingung der Möglichkeit realer Diskurse zu bilden. Der derart aufgefaßten idealen Sprechsituation haftet die Zweideutigkeit an, ein Sollen und gleichzeitig die Ermöglichung des Seins faktischer Konsense beschreiben zu müssen. Der apriorische Charakter setzt sich dabei radikal von dem traditionell Kantischen Verständnis des Apriori ab. Dieses beanspruchte für sich insofern Ausschließlichkeit, wie es der Gegenstandskonstitution schlechthin zugrunde lag: Dem Kantischen Apriori ist die Unterscheidung zwischen ideellen, in der Synthesis der Apperzeption gegründeten, und faktischen Vorstellungen gänzlich unbekannt. Die Habermassche Unterscheidung zwischen faktischen und ideellen Konsensen beruht dagegen gerade auf der Erkenntnis einer Kluft zwischen den vermeintlich apriorischen und den faktischen Diskursbedingungen. Dies ist in der Tat die Pointe des moralphilosophischen Ansatzes Habermas’: Die faktisch feststellbare Kluft zwischen Sein und Sollen soll auf apriorischer Ebene dadurch geschlossen werden, daß die unhintergehbaren Bedingungen der Möglichkeit faktischer Diskurse (bzw. des - empirisch feststellbaren - kommunikativen Handelns) zugleich deren Überführung in sein sollende Diskursbedingungen implizieren. Habermasens Apriori ist demnach derart beschaffen, daß es einer angemessenen Würdigung in der Praxis harren muß. Daß eine solche Würdigung gefördert wird, ist eben Aufgabe einer Diskursethik, welche durch explizite Bezugnahme auf die unhintergehbaren Bedingungen der Möglichkeit kommunikativen Handelns die dazu erforderliche Ableitung apriorischer Moralprinzipien leistet. Dieser Abstand zwischen wirklicher kommunikativer Praxis und deren Ermöglichungsbedingungen genügt, um das kommunikative Apriori ins Zwielicht zu stellen. Die Frage, was ein derart aufgefaßtes Apriori eigentlich begründe, drängt sich mithin unmittelbar auf. Denn die Diskursethik legt das Paradoxon nahe, daß die Reflexion auf die diskursive Praxis (bzw. auf kommunikatives Handeln überhaupt) zum Ausggangspunkt genommen werden solle, um ebendiese Praxis durch

eine in ethischer Hinsicht ‘gebesserte’ zu ersetzen. Wie soll nun aber die Reflexion auf die Bedingungen der Möglichkeit aktueller und als unhintergehbar gedachter Praxis eine ethisch andere Praxis stiften helfen? Denn dies müßte in der Tat die Folge der Anerkennung einer aktuellen Kluft zwischen wirklicher und sein sollender ethischer Praxis sein. Gerade diese Kluft ist es aber, die die Transzendentalität der ethisch relevanten Diskursbedingungen in Zweifel ziehen muß, denn das vermeintliche Apriori leuchtet eine Spannung zwischen transzendental fundierbarer und tatsächlicher Praxis aus, wo in der Tat eben infolge des transzendentalen Anspruchs keine sein dürfte. Denn entweder ist die aktuell feststellbare Praxis tatsächlich transzendental fundiert und insofern unhintergehbar, dann sollte sie auch eine lückenlose Kohärenz mit den Implikationenn ihrer Ermöglichungsbedingungen aufweisen, oder sie ist es schließlich nicht, und müßte insofern eine Kontingenz erdulden, die gleichzeitig ihre historische Veränderbarkeit gestattet. Sowohl die von Habermas eingeräumte Möglichkeit zweckrationalen Handelns als auch die Möglichkeit, sich diskursiver Praxis zu verweigern, offenbaren letztlich die Verlegenheit, in die der transzendentale Anspruch gegenüber der Mannigfaltigkeit der denkbaren moralischen Haltungen gerät. Der zweckrational Handelnde entzieht sich genau denjenigen Bedingungen kommunikativen Handelns, die als unhintergehbar ausgewiesen werden sollten. Die Diskursethik verwickelt sich somit in einen methodischen Widerspruch, denn sie muß einerseits eine absolute Differenz zwischen Zweckrationalität und Verständigungshandeln (und den aus ihnen hervorgehenden ethischen Haltungen) anerkennen, ungeachtet derer sie des eigenen Gegenstands verlustig gehen müßte, andererseits muß sie sich dieser Differenz gegenüber reduktionistisch verhalten;

Zweckrationalität muß letztlich doch in kommunikatives Handeln zurückgenommen, sie muß zu einer sekundären Form des Handelns zurückversetzt werden, während kommunikatives Handeln die originäre und schließlich unhintergehbare Handlungsform darstellen soll. Der Diskursethiker verstrickt sich somit notwendigerweise in ein Mißverständnis über den Status der eigenen Gegenstände, welches ihre Begründungsstruktur unmittelbar beeinträchtigt und ihre Ansprüche ernsthaft kompromittiert.

Die Ambiguität des transzendentalen Anspruchs stellt das Begründungsverfahren selbst ins Zwielicht. Die Präsuppositionsanalyse, derer sich Habermas zur Erarbeitung der vermeintlich (quasi-)transzendentalen Diskursbedingungen bedient, schien in der Tat dafür geeignet, die Aufgaben einer (quasi-) transzendentalen Begründung zu bewältigen. Im folgenden sollen deren entscheidende Schritte hinsichtlich der Rekonstruktion der idealen Sprechsituation nachvollzogen und auf mögliche Fehlschlüsse überprüft werden.

II. 3. Die

transzendentalpragmatische Begründung der idealen