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In einer globalen Wissensgesellschaft hängt die Wettbewerbsfähigkeit eines Wirtschaftsstandortes wesentlich von verschiedenen Standortfaktoren ab.

Standortfaktoren sind im Allgemeinen Eigenschaften, die die Attraktivität eines Ortes beziehungsweise einer Region für ein Unternehmen bestim-men. Über die Qualität der Standortfaktoren in einer Stadt oder Region konstituiert sich die Standortattraktivität. Grob kann zwischen weichen und harten, sowie gestaltbaren und unveränderlichen Standortfakto-ren unterschieden werden. Harte StandortfaktoStandortfakto-ren sind quantifizierbare Strukturdaten über einen Ort und dessen Umgebung wie beispielsweise die Verkehrsanbindung (Straße, Schiene, Wasser, Luft), der Arbeitsmarkt (qualitativ und quantitativ), das Flächenangebot (Größe, Zuschnitt des Grundstücks, Grundstückspreise und Altlasten), die Lage zu den Bezugs- und Absatzmärkten, die Energie- und Umweltkosten, lokale Steuern und

Abgaben sowie Förderangebote (Subventionen, Befreiung von lokalen Steuern und Abgaben, Investitionszulagen).

Weiche Standortfaktoren sind nur schwer messbar. Es kann zwischen weichen, unternehmensbezogenen Faktoren, wie das Wirtschaftsklima einer Stadt beziehungsweise einer Region, das Stadt- und Regionsimage, die Branchenkontakte, die Hochschul- und Forschungseinrichtungen, das innovative Milieu und weichen personenbezogenen Faktoren, wie die Qualität des Wohnens und Wohnumfeldes, die Qualität von Schulen und anderen Ausbildungseinrichtungen, die Qualität der sozialen und kulturel-len Infrastruktur, die Umweltqualität und dem Freizeitwert unterschieden werden. Aus der Sicht der Regionalforschung gewinnen weiche Stand-ortfaktoren an Bedeutung, ohne dass die Rolle der harten Standortfak-toren negiert wird.9 Insbesondere der Ausbau der Lebensqualität bündelt wesentliche Elemente weicher Standortfaktoren. Hier geht es um die Fort-entwicklung der räumlichen Bedingungen vieler Stadtteile – durch Ver-besserung des Wohnungsbestands, den Neubau von Wohnungen unter-schiedlicher Ansprüche, durch Regeneration abgewerteter Quartiere, durch nachhaltige Verbesserung der Mobilitätsverhältnisse und durch attraktivere Freizeit- und Freiraummöglichkeiten.

Bezieht man die erwähnten Standortfaktoren nun auf das Ruhrgebiet, erkennt man Schwächen und Stärken. Nach Ansicht einer neuen Studie für den Regionalverband Ruhr gibt es »attraktive kulturelle Angebote, kul-turelle Offenheit, günstige Mieten, ein dichter ÖPNV, wenngleich auch oft überlastet, und die Nähe zu Flughäfen, aber auch eine kritische Masse an unternehmerischen Kooperationspartnern und Kunden sowie poten-ziellen Gründern, spezialisierte Fachkräftepools und leistungsfähige For-schung in Zukunftsfeldern. Im heutigen Standortwettbewerb sind das ent-scheidende Stärken«.10 Auch wenn dieses Zitat recht optimistisch klingt, können die Verkehrsanbindungen, das kulturelle Umfeld und das allge-meine Preis niveau im Ruhrgebiet zweifelslos als gut angesehen werden. Im Gegensatz zu manchen Regionen in Ostwestfalen-Lippe, dem südlichen Münsterland oder Südwestfalen ist auch die Verfügbarkeit von Fachkräf-ten im Ruhrgebiet durchaus zufriedenstellend. Bezüglich des Standortfak-tors Gewerbeflächen besteht allerdings auch durch die positiven Ansied-lungsentwicklungen der vergangenen Jahre Handlungsbedarf. Analysen im Rahmen des gewerblichen Flächenmanagement Ruhr haben gezeigt, dass rund die Hälfte aller gewerblich-industriellen Flächenpotenziale mit Nutzungsrestriktionen belastet sind und damit dem Markt nicht zur Ver-fügung stehen. Auch bezüglich der Attraktivität als Wohnstandort gibt es noch Luft nach oben.11 Die Ansiedlung neuer Unternehmen (etwa von

Start-Ups) oder die Expansion bestehender Unternehmer kann beispiel-weise an der fehlenden Bereitschaft von Mitarbeitern, »mitzuziehen«, scheitern. Lebensqualität ist so gesehen mehr als ein weicher und auf den sozialen Zusammenhalt in einer Region und die Daseinsvorsorge (etwa mit Blick auf Gesundheit und Pf lege, Mobilität) ausgerichteter Indikator, der im Ruhrgebiet insbesondere in den Stadtteilen (Quartieren) anschau-lich wird, sondern auch ein wichtiger wirtschaftanschau-licher Standortfaktor.

Und da das Ruhrgebiet im Vergleich zu anderen Metropolen einen nied-rigeren Anteil an Hochqualifizierten hat, muss man sich um diese Grup-pen und die von ihnen nachgefragte öffentliche Infrastruktur kümmern.

Ein Problem in diesem Zusammenhang ist die mangelnde finanzielle Handlungsfähigkeit mancher Städte und Gemeinden (Abbildung 3). Von 2000 bis 2017 ist für die Ruhrgebietskommunen ein ungebremstes Wachs-tum der Liquiditätskredite (vormals Kassenkredite) zu konstatieren (ähnlich in Kommunen mit strukturellen Altlasten vor allem in Nordrhein-West-falen, Saarland, Hessen und Rheinland-Pfalz). Liquiditätskredite sind im Grunde genommen nichts anderes als ein überzogenes Girokonto oder ein Dispokredit, dem keine Werte gegenüberstehen. Sie sind daher ein guter Indikator für die strukturelle Verschuldung im Ruhrgebiet. Dieses Schul-denwachstum hat sich entkoppelt von der Wirtschaftskonjunktur und der Lage in den übrigen nordrhein-westfälischen Kommunen (mit Ausnahme des ebenfalls hoch verschuldeten bergischen Städtedreiecks und einiger weiterer kreisfreier Städte). Mit 3049 Euro je Einwohner entsprachen die Liquiditätskredite 2017 im Ruhrgebiet ihren Höhepunkt. 2018 und 2019 gelang es auch im Ruhrgebiet durch Haushaltsüberschüsse die Liquiditäts-kredite auf nunmehr 2701 Euro/Einwohner zu reduzieren. Der Abstand zu den anderen Kommunen wurde aber nicht verringert. Die Liquiditäts-kredite im Ruhrgebiet entsprechen dem 5-fachen des Durchschnittes der westdeutschen Flächenländer und dem 14-fachen des Durchschnittes der ostdeutschen Flächenländer. Insgesamt machen die Liquiditätskredite im Ruhrgebiet 37,4 Prozent der gesamtdeutschen Liquiditätskredite der kom-munalen Kernhaushalte aus.

Seit 2002 erfolgte ein fast linearer Anstieg bis 2012. Ein wesentlicher Auslöser war der massive Einbruch der Steuereinnahmen 2001 bis 2003 bei gleichzeitig stark steigenden Sozialausgaben, die von den ausgezehr-ten Haushalausgezehr-ten der Ruhrgebietskommunen kurzfristig nicht aufgefangen werden konnten. Der steile Schuldenanstieg rief Folgekosten in Form von Zinsen hervor. Seit 2012 flacht der Anstieg immer stärker ab vor dem Hin-tergrund des von der letzten Landesregierung aufgelegten Stärkungspak-tes Stadtfinanzen, aber auch der guten Einnahmenentwicklung aus

Steu-ern und Schlüsselzuweisungen sowie erhöhten Kostenbeteiligungen des Bundes bei den Sozialausgaben. Hätte man 2017 mit der Tilgung dieser Kredite begonnen und dafür 10 Euro je Einwohner eingesetzt würde es dennoch bis zum Jahr 2321 dauern, die Überziehungskredite abzulösen. 12 Hieran erkennt man die Notwendigkeit einer Altschuldenentlastung, die für die Ruhrgebietskommunen die wichtigste Strukturförderungsmaß-nahme wäre. Hier muss die jetzige Landesregierung aktiv werden, ähn-lich wie dies auch schon in Hessen, dem Saarland und in Rheinland-Pfalz praktiziert wird, insbesondere nachdem der Bund 2020 dauerhaft einen 25 Prozent höheren jährlichen Anteil an den kommunal zu tragenden Kos-ten der Unterkunft und Heizung (KdU) im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) übernommen hat.

Abb. 3: Liquiditätskredite im Kernhaushalt am 31.12.2016 in Euro je Einwohner

Quelle: Martin Junkernheinrich/Gerhard Micosatt, Kommunalfinanzbericht Metropole Ruhr 2020. Erfolgreiche Konsolidierung in 2019 … und dann kam die nächste Krise, Essen 2020.

Ein weiteres, schon bekanntes, aber immer noch virulentes Problem sind die nach wie vor vorhandenen Segregationseffekte im Ruhrgebiet. 13 Viele Stadtteile, die ursprünglich gemischt belegt waren, entmischen sich über die

Zeit, was objektive Gründe (den Wohnungsmarkt) und subjektive Gründe (symbolische Identifikation) hat. Diese Entwicklungen sind in allen Groß-städten zu beobachten. Es gibt Viertel, in denen junge Menschen und Fami-lien die Mehrheit, und andere, in denen sie die Minderheit der Haushalte darstellen. Einwanderer ziehen in der Regel dorthin, wo schon andere Ein-wanderer gleicher Herkunft leben. Im Vergleich zu anderen Großstädten in Nordrhein-Westfalen leben aber im Ruhrgebiet überdurchschnittlich viele Menschen in Stadtteilen, in der ethnische, demografische und soziale Segre-gation kumuliert auftreten. Ohne zusätzliche Förderung wird die steigende Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften im Ruhrgebiet und den dort expandierenden Wirtschaftsbranchen nicht zu gewährleisten sein. Lokale Anstrengungen müssen demnach auf eine Verringerung der Bildungsbe-nachteiligungen von Kindern hinwirken, die in finanziell und sozial pre-kären Verhältnissen aufwachsen. Soziale Fragmentierung führt zu sozia-ler Exklusion und Rückzugsverhalten. Diese Probleme sind mittsozia-lerweile erkannt, aber nicht immer leicht abzustellen. Der wichtigste Einflussfaktor sind Investitionen in Bildung, Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe-chancen. Benachteiligte Sozialräume müssen und werden bereits zum Teil besonders gefördert nach dem Motto »Ungleiches muss ungleich behandelt werden«, allerdings gibt es hier noch einiges zu tun.