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Der deutsche Kohleausstieg wurde ordnungsrechtlich per Gesetz festgelegt.

Das Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze (Kohleausstiegsgesetz) und das damit verbundene Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen traten am 14. August 2020 in Kraft. Der Gesetzgebung vorausgegangen war der Bericht der soge-nannten Kohlekommission, in dem die Grundlinien des späteren Geset-zes ausgearbeitet wurden.10 Gemäß der Ankündigung im Koalitionsvertrag nahm die Kommission 2018 ihre Arbeit auf. Ihre Aufgabe bestand darin, einen Ausstiegspfad aus der Kohleverstromung sowie begleitende struk-tur- und wachstumspolitische Maßnahmen vorzuschlagen. Der Kommis-sion gehörten 28 stimmberechtigte Mitglieder an, die ein breites Spektrum gesellschaftlicher Interessen sowie die von einem Kohleausstieg beson-ders betroffenen Regionen (Lausitz, Rheinisches Braunkohlerevier, Mit-teldeutsches Braunkohlerevier) repräsentieren sollten.11 Nach kontroversen Diskussionen wurde am 26. Januar 2019 der Abschlussbericht vorgelegt, dem 27 der 28 Kommissionsmitglieder zugestimmt hatten. Die Vorschläge der Kommission wurden in der Gesetzgebung weitgehend, jedoch nicht

vollumfänglich umgesetzt. Insbesondere die Inbetriebsetzung des bereits genehmigten neuen Steinkohlekraftwerks Datteln 4 durch den Energie-konzern Uniper, gegen die sich die Kommission ausgesprochen hatte, ent-fachte eine Kontroverse.12 Eine weitere öffentliche Debatte betrifft den Ausstiegspfad. Während sich die Kommission für einen linearen Ausstiegs-pfad aussprach, der zu einem geringeren Brennstoffeinsatz geführt hätte, sieht das Gesetz für Braunkohlekraftwerke ein Stufenmodell mit endgül-tigen Abschaltzeitpunkten, an denen eine größere Zahl von Kraftwerken gleichzeitig außer Betrieb geht, vor.

Angeschoben wurde der Kohleausstieg durch eine sich seit 2010 inten-sivierende Debatte über die stockende Reduktion des CO2-Ausstoßes. In Stakeholder- und Medienanalysen wurde zum einen eine langsame dis-kursive Destabilisierung des fossilen Energieregimes festgestellt.13 Eine Analyse von Kohle-Narrativen in den Printmedien verweist zum anderen auf ein mehrheitlich negatives Framing von Kohle. Sie wird in den bei-den als dominant ibei-dentifizierten Narrativen »ökologische Nachhaltigkeit«

und »technischer Wandel« entweder als schmutzigste Form der Stromer-zeugung oder als Technologie der Vergangenheit gedeutet.14 Der zuneh-mend kritische Blick auf die Kohle kann sicherlich erklären, warum der Kohleausstieg in Deutschland trotz der hohen Bedeutung des Brennstoffes im Energiemix auf eine breite Akzeptanz stößt.

Das Kohleausstiegsgesetz regelt den Ausstieg aus der Braun- und Stein-kohle.15 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Steinkohleförderung in Deutschland bereits 2018 beendet wurde, weshalb die erwarteten Effekte des Braunkohleausstiegs auf Beschäftigungs- und Wirtschaftsstruktur der betroffenen Regionen stärker sind. Die Kohlekommission geht in ihrem Abschussbericht von etwa 20 000 unmittelbar in der Braunkohlewirt-schaft Beschäftigten aus, weitere 60 000 Arbeitsplätze seien zudem direkt von der Braunkohle abhängig.16 Die wichtigste gesetzliche Festlegung betrifft den Ausstiegspfad:

• Die im Jahr 2019 in Betrieb befindliche Kraftwerks-Nettonennleistung von 22,8 Gigawatt (GW) Steinkohle und 21,1 GW Braunkohle soll bis Ende 2022 auf jeweils 15 GW reduziert werden.

• Bis 2030 erfolgt eine Reduktion auf höchstens 8 GW Stein- und 9 GW Braunkohle.

• Spätestens 2038 soll der Ausstieg vollendet werden, wobei im Rahmen verbindlicher Überprüfungen in den Jahren 2026, 2029 und 2032 als früheres Enddatum 2035 festgelegt werden kann.

Weitere wichtige Aspekte des Kohleausstiegsgesetzes sind die Festlegung von Entschädigungszahlungen an Kraftwerksbetreiber und die

Möglich-keit, Zertifikate im Europäischen Emissionshandelssystem (ETS) durch die Bundesregierung zu löschen. Damit soll vermieden werden, dass die durch den Kohleausstieg freiwerdenden CO2-Zertifikate zu einem Ver-fall des Preises führen und einfach anderswo in Europa eingesetzt wer-den (»Wasserbetteffekt«). Damit reagierte die gesetzliche Implementierung des Kohleausstiegs auf einen der wichtigsten Kritikpunkte, nämlich dass die Klimawirkung des ordnungsrechtlichen Kohleausstiegs durch diesen Effekt neutralisiert würde.17 Entschädigungszahlungen werden unter-schiedlich gehandhabt. Für Steinkohlekraftwerke sowie Braunkohle-Kleinanlagen (unter 150 Megawatt Nennleistung) werden Stilllegungs-prämien ausgeschrieben und versteigert. Die erste Versteigerungsrunde erfolgte im Herbst 2020, für 4,8 GW stillgelegte Kraftwerkskapazität zahlt der Bund 317 Millionen Euro an Stilllegungsprämien.18 Die Betrei-ber von Braunkohlekraftwerken werden hingegen nach einem gesetzlich festgelegten Schlüssel entschädigt, wobei sich das Volumen auf 4,35 Mil-liarden Euro beläuft.

Strukturpolitische Konsequenzen des Kohleausstiegs werden im Struk-turstärkungsgesetz Kohleregionen adressiert, wobei das Maßnahmenpaket ein Volumen von 40  Milliarden Euro umfasst. Zur Unterstützung des Strukturwandels erhalten die vom Kohleausstieg aus der Kohleverstro-mung betroffenen Braunkohleregionen bis 2038 Finanzhilfen von bis zu 14 Milliarden Euro. Hinzu kommen Direktinvestitionen des Bundes in diesen Regionen von bis zu 26 Milliarden Euro, die vor allem in die For-schungsförderung, die Ansiedlung von Bundeseinrichtungen und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur fließen sollen.19

Der deutsche Kohleausstieg ist grundlegend ordnungsrechtlich konzi-piert und setzt feste Zeitpunkte, um die Kraftwerkskapazität zu reduzieren.

Auf die Wirkung von Anreizen, also ein Ansteigen der Zertifikatspreise im ETS oder, um der damit verbundenen Unsicherheit entgegenzutreten, die Einführung von Mindestpreisen, wurde nicht vertraut. Dass ein sol-ches Instrument durchaus erfolgreich angewendet werden kann, zeigt das Vereinigte Königreich. Auch wurde in Deutschland nicht versucht, den Ausstieg indirekt über verschärfte Grenzwerte für Schadstoffemissionen zu erreichen, ein Instrument, das zum Teil in Frankreich Anwendung findet.

Dass das mit hohen Kosten verbundene Ausstiegsmodell trotz der mögli-chen Inkonsistenzen mit dem ETS gewählt wurde, hat drei Gründe: erstens die vergleichsweise hohe Rechtssicherheit,20 zweitens die Möglichkeiten den Strukturwandel mit aktiver distributiver Politik zu begleiten und drit-tens die hohe Akzeptanz des ordnungsrechtlichen Modells bei den Betrof-fenen, die dadurch Planungssicherheit erhalten.