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Um 1958 erreichten Fördermengen und Beschäftigtenzahlen im europäi-schen Bergbau einen neuen Höhepunkt, »König Kohle« regierte. Doch bei der Steinkohle stand der Thron auf wackligen Füßen. Öl und Gas erwie-sen sich als starke Konkurrenz. Die Förderung ging stetig zurück und fin-det in Europa derzeit nur noch in Polen, der Ukraine und Russland statt.2 Dieser Rückgang verlief nicht gradlinig, sondern stockte, wenn Öl knapp und teuer wurde, Kohlekraftwerke eine gesicherte Versorgung boten oder Regierungswechsel Erwartungen weckten. Auch kam es zu zahlreichen Protesten und Demonstrationen, die den Rückgang jedoch bloß verzöger-ten und nur noch wenig mit den erbitterverzöger-ten Auseinandersetzungen gemein hatten, die diese Industrie so lange kennzeichneten.

Die neuen Proteste richteten sich nicht gegen kapitalistische Unterneh-mer, sondern appellierten an Behörden und Regierungen, die inzwischen den Steinkohlenbergbau kontrollierten und mit Subventionen förderten.

In der Bundesrepublik fielen diese besonders groß aus und betrugen seit 1945 insgesamt mehr als 200 Milliarden Euro. In anderen Ländern blieben sie deutlich darunter, doch überall waren Regierungen und Parlamente bereit, Bergleute und ihre Regionen mit erheblichen Mitteln zu unterstüt-zen. Die Streiks und Demonstrationen richteten sich deshalb an Politiker, und an ihnen nahmen nicht nur Bergleute, sondern auch Zechenleitungen und die örtliche Bevölkerung teil. Zusammen setzten sie sich für den Erhalt der Zechen oder zumindest deren sozialverträgliche Schließung ein. Klas-senkämpfe, die grundlegende politische Ziele anstrebten, schimmerten nur gelegentlich durch, so 1984 in Großbritannien unter Margaret Thatcher, oder in Polen und in der Ukraine, wo es jedoch nicht um Schließungen ging, sondern darum, endlich die demokratischen Rechte durchzusetzen, die im Westen seit Langem bestanden.

Eine deutlich andere Entwicklung erlebte nach 1945 die Braunkohle, die keine Subventionen benötigte, sondern bis heute profitabel ist und in beiden Teilen Deutschlands neue Förderrekorde erreichte. In der DDR trug dazu wesentlich der Anstieg des Ölpreises ab den 1970er Jahren bei.

Importe dieses Rohstoffes kamen zu teuer, und Braunkohle war die ein-zige nennenswerte einheimische Energiequelle, die zugleich aber sowohl beim Abbau wie der Verbrennung Bewohner und Umwelt massiv belas-tete. Dabei hatten Belastungen den Einsatz von Kohle von Beginn an begleitet und ihn bis zur Industrialisierung erheblich eingeschränkt. Dann jedoch setzte sie sich durch und verursachte sowohl bei der Gewinnung wie Nutzung massive Probleme. Grubenwasser verschmutzte Flüsse, zahl-lose Schadstoffe gelangten in die Luft und den Boden, und Gebäude, Vege-tation und nicht zuletzt Menschen litten darunter.

Dagegen gab es immer wieder Proteste, die jedoch bis in die 1960er Jahre wenig bewirkten. Erst dann entstand die moderne Umweltpolitik, die auf ein gestiegenes Bewusstsein reagierte und durch wirksame Gesetze, technische Neuerungen und verstärkte Kontrollen die Belastungen erheb-lich reduzieren konnte, wobei Emissionen von Schwermetallen, Stick- und Schwefeloxiden oder Feinstäuben weiterhin Sorge bereiten. Das gilt auch für Bergschäden, Halden, Braunkohlegruben und andere Eingriffe in Landschaft und Natur, die mit dem Bergbau verbunden waren und noch sind. Hier sind Korrekturen möglich, doch diese Eingriffe werden noch lange nachwirken, ebenso wie die Folgen auf Siedlungsstruktur und Arbeitsplätze. Viele Reviere waren durch eine Vormacht des Bergbaus, oft eine wirtschaftliche Monokultur geprägt, die in guten Zeiten nicht wei-ter auffiel, bei Stilllegungen jedoch erhebliche Probleme schuf und zu den erwähnten Protesten führten – die jetzt die Braunkohle betreffen.

Diese Herausforderungen sind örtlich begrenzt, und Lösungsmög-lichkeiten stehen zur Verfügung. Die wohl größte Hinterlassenschaft der Kohle hingegen ist globaler Natur, und überzeugende Lösungen werden noch gesucht: die Freisetzung von CO2 und der damit verbundene Anstieg der Temperaturen. Die Nutzung von Kohle ist dafür, zusammen mit ande-ren fossilen Energien, die wohl wichtigste Ursache, und wirksame Ver-fahren, den Anstieg von CO2 zu begrenzen, stehen noch aus. Das ist umso wichtiger, als in Europa Kohle kaum noch gefördert wird und die Nut-zung 2050, vielleicht sogar bereits 2030 eingestellt werden soll. Weltweit hingegen wird Kohle, ebenso wie fossile Energien generell, ihre große Bedeutung vermutlich deutlich länger behalten.

Das hängt eng mit einem anderen Erbe des Zeitalters der Kohle zusam-men: die Abhängigkeit von einem konstanten Angebot an Energie. Die Energiewende versucht, diese erneuerbar herzustellen, geht aber zugleich davon aus, weiterhin die enormen Energiemengen zu liefern, auf die wir angewiesen sind. Es bedeutet eine enorme Herausforderung, die dafür erfor-derlichen Anlagen zu errichten, Speichermöglichkeiten zu entwickeln und Leitungsnetze auszubauen. Das muss gelingen, zumal die meisten Progno-sen davon ausgehen, dass der Energiebedarf weiter ansteigen wird, sowohl in den industrialisierten Ländern als auch und vor allem global.

Ein anderes Erbe bedeuten die beschriebenen Durchbrüche in der Che-mie und den Lebenswissenschaften generell, die heute eine vielfach grö-ßere Bedeutung besitzen und aktuell wesentlich zur Suche nach einem Impfstoff gegen Covid-19 beigetragen haben, während zugleich die syn-thetische Biologie nicht nur einzelne Verbindungen, sondern ganze bio-logische Systeme erzeugen möchte, die in der Natur nicht vorkommen.

Schließlich ist zu fragen, ob mit dem Ausklingen des Steinkohlenbergbaus in Europa auch eine besondere Phase innerhalb des Kapitalismus endet – eine Phase, die neben heftigen Konflikten auch gekennzeichnet war durch die massenhafte Integration von Geringqualifizierten und Zuwanderern.

Diese Integration verlief nicht ohne Probleme. Doch heute fällt es beiden Gruppen deutlich schwerer, ihren Platz zu finden und sich zu behaupten.

Es gibt deshalb viele Gründe, sich mit dem Zeitalter der Kohle zu befassen, seine Vorzüge und Nachteile zu untersuchen, nach seinem Erbe zu fragen und zu überlegen, ob es tatsächlich beendet ist.

Anmerkungen

1 Der Beitrag beruht auf Franz-Josef Brüggemeier, Grubengold. Das Zeitalter der Kohle von 1750 bis heute, München 2018. Alle Nachweise dort.

2 Global hingegen verdoppelte sie sich innerhalb der vergangenen 20 Jahre, mit besonders raschem Anstieg in China, Indonesien, Indien, Australien und Russland. Ein schneller Rückgang ist nicht zu erwarten.