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7. JÜDISCHES LEBEN IN DER CHRISTLICHEN GESELLSCHAFT

7.2 Leben in der Gesellschaft

Durch die demographischen Zahlen und die Schilderung der Berufe lässt sich bereits ableiten, dass Juden sowohl unter sich als auch in Kontakt mit der christlichen Gesellschaft gelebt haben, stets in der Spanne zwischen Koexistenz und Konflikt und daraus folgend zwischen Assimilation und Konfrontation, wobei erstere ihre Religion gefährdete, die Konfrontation jedoch oft das Leben. Die bereits biblisch tradierte, in späteren Texten des Talmud weiter interpretierte Rolle als auserwähltes Volk führte im Alltag auf jüdischer Seite zu einer gewissen gelebten Exklusivität, die auf christlicher Seite zunächst als „Anders-Sein“, später oft auch als

256 Vgl. Toch, Michael: Die Juden im mittelalterlichen Reich. Enzyklopädie Deutscher Geschichte, München:

Oldenburg 2013, 5-12.

257 Vgl. Toch, Juden im mittelalterlichen Reich, 11.

258 Wadl, Wilhelm: Geschichte der Juden in Kärnten im Mittelalter. Mit einem Ausblick bis zum Jahre 1867, Klagenfurt: Verlag des Kärntner Landesarchivs 19922, 28.

259 Brugger, Eveline: Von der Ansiedelung bis zur Vertreibung. Juden in Österreich im Mittelalter, in: Wolfram, Herwig: Geschichte der Juden in Österreich, Wien: Verlag Carl Ueberreuter 2006, 224.

260 Vgl. Wadl, Geschichte der Juden in Kärnten, 169.

Bedrohung wahrgenommen wurde. Andererseits entwickelte sich, bedingt durch die Interpretation des theologisch verkündeten Überganges der Auserwähltheit auf die Christen, oft die zunächst wahrgenommene Andersartigkeit in ein Gefühl der Erhabenheit und Ablehnung.

(Hiervor warnt bereits Paulus in Röm 11). Das Zusammenleben in Städten und die wirtschaftlichen Kontakte erforderten von jüdischer Seite allerdings eine gewisse Öffnung und Anpassung an die christliche Lebensweise. Im 11./12. Jahrhundert wurde dies durch moderatere Interpretation der religiösen Vorschriften erleichtert.261 Als die Ausschreitungen gegen Juden im Spätmittelalter jedoch zunahmen, schottete man sich zur Wahrung der Identität, aber auch zum Schutz wieder mehr ab.

7.2.1 Wohnort

Die Unterscheidung zwischen Juden und Christen ließ sich anhand vieler Faktoren beobachten.

Einer war die Ansiedlung innerhalb einer Stadt. Dass sich dort Judenviertel bildeten, liegt auch an den religiösen Bräuchen: Für jeden Juden muss die Synagoge in einer am Sabbat zulässigen Distanz erreichbar sein. Ebenso benötigt man in erreichbarer Nähe auch Geschäfte mit koscheren Lebensmitteln, ein rituelles Tauchbad, die Mique, und die oft in der Synagoge untergebrachte Schule. Diese Viertel, in denen durchaus auch vereinzelt Christen wohnen konnten, lagen oft im Zentrum der alten Stadt wie beispielsweise in Köln oder Wien, oder aber sie „rutschten“ mit dem Anwachsen der Stadt mehr ins Zentrum. Gelegentlich wurden Juden auch in Randbezirken angesiedelt oder in Weilern außerhalb der Stadt. (Der heute noch

„Judendorf“ genannte Ort bei Villach, der bereits 1331 urkundlich erwähnt wird, war allerdings möglicherweise nie Wohnort, sondern nur Judenfriedhof der Villacher Juden.262) Zunächst waren diese Wohnbereiche nicht abgeriegelt, auch wenn es gelegentlich Mauern wie in Speyer bereits 1084 zum Schutz der Juden gab. Aus diesen separaten Wohngebieten entwickelte sich mit zunehmenden Ressentiments das Ghetto, ein Begriff aus dem Italienischen, der zunächst das Viertel der Metallarbeiter (getto heißt Guss) meinte und diese in Venedig separiert wohnten, worauf der ursprüngliche Begriff für den Handwerksbereich verallgemeinernd für abgegrenzte Wohnbereiche verwendet wurde. Ghetto war dann aber nicht mehr nur ein freiwillig gewählter Wohnbereich, sondern bedeutete Absperrung und Ausschluss aus der übrigen Stadt. 1462 wurde in Frankfurt am Main erstmals von Ghetto gesprochen.263

7.2.2 Habitus und Kleidung

Dass ein Jude in der mittelalterlichen Gesellschaft jederzeit als solcher erkannt wurde, lag hauptsächlich an seiner Kleidung, vielleicht auch an seiner Physiognomie. Diese wurde bis ins 12./13. Jahrhundert in Bildern nicht von Christen unterschieden. Je mehr die Ablehnung zunahm, forciert auch durch Passionsspiele und bildliche Darstellungen, wo die zumindest

261 Vgl. Toch, Juden im mittelalterlichen Reich, 41.

262 Vgl. Wadl, Geschichte der Juden in Kärnten, 163.

263 Vgl. Toch, Juden im mittelalterlichen Reich, 35.

fremde, meist sogar hässliche Darstellung einer raschen Erkennbarkeit der Rollen geschuldet war, desto überzeichneter wurden Juden dargestellt, mit Merkmalen wie dunkler Haut und Hakennase, ein Stereotyp, das sich bis in die heutige Zeit erhalten hat. „Der ,hässliche Jude‘ hat sich offensichtlich am Ende des Mittelalters als volkstümliches Stereotyp in der christlichen Vorstellung festgesetzt.“264 Ob eine tatsächliche Unterscheidung anhand charakteristischer physischer Merkmale möglich gewesen wäre, lässt sich heute nicht mehr feststellen, Fremdartigkeit wurde mit Sicherheit auch bei Nichtjuden bemerkt. Thomas von Villach bedient sich dieser Darstellungsweise nicht; seine Juden, die unter Eva zu erkennen sind, kann man gerade noch an den Bärten und teils der Kleidung als solche identifizieren, mehr aber aus dem Bildaufbau.

Die Kleidung war ein Unterscheidungsmerkmal, das zunächst auf beiden Seiten gewünscht war.

So hat die Rheinische Rabbinerversammlung zu Beginn des 13. Jahrhunderts darauf bestanden:

„Kein Jude darf nichtjüdische Tracht anlegen und keine durchlöcherten Schnürärmel tragen.“265 Dies zeigt einerseits, dass man auf Abgrenzung gegenüber der christlichen Gesellschaft bemüht war, andererseits, dass mit angepasster Kleidung eine Assimilierung versucht wurde, sonst hätte es diese Vorschrift nicht geben müssen. Etwa zur gleichen Zeit besteht das IV. Laterankonzil im Kanon 68 zunächst allgemein auf dem „habitus diversitas“266, den seit langem gebräuchlichen und auch in der Kunst immer wieder dargestellten Judenhut, einer oben spitz zulaufenden, der phrygischen Kappe ähnlichen Kopfbedeckung. Dann ist aber die Rede von einem „signum“, einem deutlichen Zeichen. In England war um 1217 eine an die Gesetzestafeln erinnernde weiße Doppeltafel in Gebrauch, in Mitteleuropa ab dem 13. Jahrhundert die „rota“, ein vier Finger breiter, gelber Filz- oder Leinenring,267 später im 15. Jahrhundert der gelbe Schandfleck. Während letztere eine sichtbare Stigmatisation bedeuteten, war der Judenhut ein traditionell getragenes Kleidungsstück, ebenso wie der lange Mantel, der wohl unterschied, aber nicht diskriminierte. Kleiderordnungen variierten von Region zu Region und wurden mehr oder weniger eingefordert, konnten aber sogar Extreme wie die Pflicht zum Tragen von Glöckchen annehmen, wie es in Salzburg 1418 von der Provinzialsynode gefordert wurde.268

7.2.3 Soziale Kontakte und Rangordnung

Die Unterscheidbarkeit aufgrund der Kleidung war auch deshalb wichtig, weil es zu einem Verbot sozialerer Kontakte kam. Diese betrafen „Glücksspiel; gemeinsames Baden; sexuelle Beziehungen; und die Teilnahme an den Festlichkeiten der anderen Seite.“269 Eine Teilnahme an kirchlichen Festen hätte nicht verboten werden müssen, feierten Juden doch ihre eigenen Feste und hatten eine Aversion gegen christliche Symbolik. Offensichtlich muss es aber ein

264 Weber, Annette: Antijüdische Mariendarstellungen in der Kunst des 13.-15. Jahrhunderts, In: Heil, Johannes, Kampling, Rainer (Hg.): Maria Tochter Sion? Mariologie, Marienfrömmigkeit und Judenfeindschaft, Paderborn:

Ferdinand Schöningh, 2001, 90.

265 Schreckenberg II, Adversus-Judaeos, 63.

266 Ebd., 66.

267 Vgl. Ebd., 119.

268 Vgl. Toch, Juden im mittelalterlichen Reich, 37.

269 Ebd., 41.

Mitfeiern, vielleicht von Kirchweihfesten o.ä. gegeben haben, sonst wäre dieses Verbot nicht explizit ausformuliert worden. Auch das Betreten von Kirchen, in denen sie scheinbar Pfandgegenstände aufzubewahren pflegten, wurde streng untersagt.270 Bei weltlichen Festen wie Herrschereinzügen waren Juden bis ins Hochmittelalter gleichberechtigt. Nach dem Konstanzer Konzil jedoch wurde diese Gelegenheit auch zu Unterwerfungs- und Diskriminierungsgesten genutzt, wie beim Einzug des Papstes Martin V., bei dem die Juden ihm in Sterbekleidern entgegengehen mussten.271

Sexuelle Kontakte waren zwar im gesamten Mittelalter Alltag, strebten aber keine Eheschließung an. Bei den Verboten ging es um den Schutz der (eigenen) Frauen und Erhaltung der eigenen „Gruppe“. Fehltritte wurden bei Frauen wesentlich strenger geahndet, beispielsweise mit dem Pranger und dem Tragen eines Judenhutes während eines Strafzuges durch die Stadt. Jüdische Männer zahlten meist offiziell eine horrende Geldsumme, privat wurden sie von christlichen Männern verfolgt, die die christlichen Frauen als ihr Eigentum betrachteten und sich nicht „beschmutzen“ wollten.

Weniger intim waren die Verhältnisse zwischen Dienstherr und Bediensteten. Bis ins 12.

Jahrhundert gab es diese kaum, da jüdische Familien unter sich blieben. Mit dem Ansteigen der Bevölkerung und der im Stadtleben üblich gewordenen Arbeitsteilung änderte sich dies.

Aufgrund der Dezimierung der jüdischen Bevölkerung nach der Pestepidemie war man auf christliche Angestellte in großen jüdischen Haushalten angewiesen. Diese reichen Juden bevorzugten zunächst aber wie bereits erwähnt jüdisches Personal zur Gewährleistung der Einhaltung aller Reinheitsgebote. Bei christlichem Personal hatte man auch Angst, dass jüdische Bräuche falsch interpretiert und kolportiert werden könnten. Von christlicher Seite hatte man besonders in den ersten Jahrhunderten, aber auch später noch, Angst, dass die jüdische Lehre negativ beeinflussen könnte. Über das Verbot, christliche Sklaven in jüdischen Haushalten zu beschäftigen schreibt ja bereits Papst Gregor I. Da Christen im Mittelalter in erster Linie Kontakt mit reichen jüdischen Familien hatten, konnte sich das Vorurteil vom

„reichen Juden“ etablieren. Die christlichen Kreditnehmer standen ebenfalls in einer dem jüdischen Kreditgeber untergeordneten Position. Die Aversion dagegen und der hohe Zins, bald als „Wucherzins“ bezeichnet, führte zum bis heute aktuellen Stereotyp des jüdischen Wucherers. Von christlicher Seite aus wurde bereits im IV. Laterankonzil verboten, dass ein Jude im Rang über einem Christen stehen dürfe, weder im öffentlichen Bereich, noch im privaten. Theologisch war dies mit der „perpetua servitus“ begründet, in die die Juden sich durch die Kreuzigung Jesu begeben hatten. In der Praxis wurden aber weder Kleidervorschriften, noch das Verbot sozialer Kontakte oder Ämterverbote eingehalten, denn es gab immer wieder Schreiben, die eine Beachtung dieser Vorschriften einforderten oder die Nichteinhaltung beklagten wie beispielsweise die Briefe Gregors IX. belegen.272

270 Vgl. Schreckenberg II, Adversus-Judaeos, 55.

271 Vgl. Toch, Juden im mittelalterlichen Reich, 44.

272 Vgl. Schreckenberg II, Adversus-Judaeos, 109-133.