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5. THEOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER BILDIDEE DES

5.5 Antijudaismus in der volkstümlichen Passionsfrömmigkeit

Angesichts der unsicheren und lebensbedrohlichen Zeiten durch Pest, Hungersnot und Kriege und des dadurch erfahrenden Leides wird im späten Mittelalter die Passion, in der man Identifikationsfiguren fand, immer wichtiger. Eine solche ist Maria, die besonders in den Predigten der Fastenzeit, den sogenannten Quadragesimalpredigten, zur „compassio“, dem Mitleiden anregt. Angeregt auch durch die Liturgie der Kartage, auf die noch gesondert eingegangen wird, aber auch durch die seit dem 13. Jahrhundert nachgewiesenen Planctus, die

223 Weber, Antijüdische Mariendarstellungen, 73.

224 Vgl. ebd., 74.

225 Vgl. ebd. , 77.

226 Vgl. Glüber, Wolfgang: Synagogenzerstörung und Marienkirchenbau, in: Heil, Johannes; Kampling, Rainer (Hg.): Maria Tochter Sion? Mariologie, Marienfrömmigkeit und Judenfeindschaft, Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2001, 163.

Marienklage, entwickeln sich dramatisierende Passionsspiele.227 Dort leidet Maria wie ihr Sohn und ist dem Spott der Synagoge ausgesetzt. Durch ihr Mitleiden erhält sie Anteil am Erlösungswerk Christi, wie es bereits im sogenannten „Heilsspiegel“ aus dem 14. Jahrhundert, der nicht nur die Passion, sondern die gesamte Heilsgeschichte darstellt, entfaltet wird.228 Maria hat in den Passionsspielen eine mehrfache Funktion: Durch die Identifikation mit ihr, der Augenzeugin, die die Schmerzen ihres Sohnes am eigenen Leib erfährt, wie ja bereits die Weissagung des Simeon (vgl. 5.2) angedeutet hat, soll zur „compassio“ mit dem Sohn geführt werden. Dies wird, da es durch das Leiden Marias gespiegelt ist, verdoppelt, wie es ein franziskanisches Schriftstück, schon früh in die Landessprache übersetzt und dadurch umso wirkungsvoller, aussagt.229 Doppeltes Leid auf der einen Seite führt dann zur doppelten Schuld auf der anderen, der jüdischen, die Jesus ans Kreuz gebracht hat. Und diese Schuld trifft nicht nur die Zeitzeugen Jesu, sondern wird in die Gegenwart geholt und den jeweils jetzt lebenden Juden angelastet, weil die „compassio“ das Kreuzesgeschehen ja auch für die Betrachter jetzt stattfinden und mitleiden lässt.

An drei Beispielen sollen gegen Juden gerichtete Motive der Passionsspiele dargelegt werden:

5.5.1 Mittelrheinisches Passionsspiel

In einem mittelrheinischen Passionsspiel aus den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts tritt ein gewisser Rufus, den das Neue Testament nicht kennt, als Repräsentant der Juden auf. Er steigert deren Angriffe auf Jesus noch, indem er für kräftiges Schlagen des Verurteilten Geld verspricht, oder ihm Galle gegen den Durst reicht. Bereits in hochmittelalterlichen Passionsdarstellungen werden die Akteure mit jüdischen Attributen in Aussehen und Kleidung dargestellt, vor allem der Schwammhalter Stephaton, der wie Synagoga auf der linken Seite des Kreuzes steht. Dieses Spiel beeinflusst mit seinen antijüdischen Stereotypen spätere Passionsspiele.

5.5.2 Die Frankfurter Dirigierrolle

Ein rund zwanzig Jahre jüngeres Beispiel finden wir in der sogenannten Frankfurter Dirigierrolle. Diese Regieanweisung in deutscher Sprache mit z.T. lateinischen Versen bildete die Vorlage für ein erst zu Ende des 15. Jahrhunderts entstandenes Passionsspiel.230 Dies zeigt, dass zur Entstehungszeit des Thörler Freskos derartige Schauspiele als Ausdruck der Volksfrömmigkeit mit endsprechend antijudaistischen Motiven immer noch aktuell waren. Das

227 Vgl. Kirn, Hans-Martin: Marianisch-Mariologischer Antijudaismus, in: Heil, Johannes; Kampling, Rainer (Hg.):

Maria Tochter Sion? Mariologie, Marienfrömmigkeit und Judenfeindschaft, Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2001, 125.

228 Vgl. ebd., 126.

229 Vgl. ebd., 126.

230 Vgl. Schreckenberg, Heinz: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (13.-20.Jh.), Frankfurt am Main; Berlin; Bern; New York; Paris; Wien: Peter Lang GmbH 1994, 387.

Künftig zitiert als Schreckenberg II, Adversus-Judaeos.

Schauspiel zeigt nicht nur die Passion, sondern das gesamte irdische Leben Jesu von der Taufe bis zur Himmelfahrt. Auftakt bildet ein Prophetenspiel, in dem die alttestamentlichen Weissagungen des Messias vorgetragen und von den Juden abgelehnt und verspottet werden.

Dass die Namen der auftretenden Personen aktuelle Namen der im 14. Jahrhundert lebenden jüdischen Familien tragen, zeigt einmal mehr, dass diese Spiele nicht (nur) von der Zeit Jesu, sondern von der (damaligen) Gegenwart sprechen und entsprechend antisemitisch zu verstehen sind. Nach der quasi als Beweis für die Prophezeiungen folgenden Passion wird ein Streitgespräch zwischen Ecclesia und Synagoge dargestellt. Letztere bestreitet unter anderem, dass Jesus Gottes Sohn ist, worauf sie ihre Herrschaftsinsignien, Krone und Mantel verliert.

Hier ist also eine der literarischen Vorlagen für das Bild der besiegten Synagoga im „Lebenden Kreuz“ zu finden.231

Das aus der Dirigierrolle 140 Jahre später entwickelte Passionsspiel kennt den Disput der beiden Kontrahenten nicht mehr. Die Juden werden hier noch negativer und sadistischer gezeichnet. Auch Stereotypen der Zeit um 1490, der Jude als Pfandleiher und Wucherer, fehlen nicht. Maria tritt direkt erst nach der Kreuzigung auf, obwohl sie durch Textpassagen, die von der Mutter Jesu oder seiner angekündigten Geburt sprechen, auch vorher schon immer mitgedacht wird.232 Nachdem sie vom Tod Jesu erfahren hat, fordert sie die Mitspieler und alle Anwesenden zur „compassio“ auf und gibt ausdrücklich den Juden Schuld am Tod ihres Sohnes, deren Rat ihren Schmerz verursacht hat.233

5.5.3 Das Donaueschinger Passionsspiel

Das Donaueschinger Passionsspiel, aufgezeichnet gegen Ende des 15. Jahrhunderts, geht ebenfalls auf eine ältere Vorlage, das nicht erhaltene Luzerner Spiel, zurück.234 Auch hier werden die Juden durchwegs negativ gezeichnet. Die Handlung wird sogar gelegentlich so verändert, dass dies noch deutlicher zum Ausdruck kommt: Die Juden veranlassen Judas, ihnen Jesus zu verraten. Auch Regieanweisungen an die Darsteller der Juden wie das Wegziehen eines Stuhles, auf den Jesus sich setzen will, unterstreichen das Rollenbild der bösartigen, verstockten Juden. Sie treten sinnlose Worte brabbelnd auf – eine Verballhornung der nicht verstandenen hebräischen Sprache darstellend.235 Dies kann als Hinweis gewertet werden, dass die bei jüdischen Festen und Gebeten gesprochene, von Christen nicht verstandene Sprache als unheimlich und bedrohlich empfunden wurde.

Wie bei der Frankfurter Dirigierrolle gibt es auch hier ein Streitgespräch zwischen Ecclesia, hier als Königin Christiana bezeichnet, und Königin Judaea, die Synagoga repräsentiert. Als Verknüpfung von Passions- und Osterspiel verlangt Christiana Rache für die Tötung Jesu. Das

231 Vgl. Schreckenberg II, Adversus Judaeos, 387.

232 Vgl. Frey, Winfried: Die Mutter Jesu in deutschsprachigen Passionsspielen, in: Heil, Johannes; Kampling, Rainer (Hg.): Maria Tochter Sion? Mariologie, Marienfrömmigkeit und Judenfeindschaft, Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2001, 146.

233 Vgl. ebd., 150.

234 Vgl. Schreckenberg II, Adversus-Judaeos, 567.

235 Vgl. ebd., 567.

Motiv der „Vindicta Salvatoris“236, der Rache an den am Tode Jesu schuldigen Juden, hat sich seit Flavius Josephus in vielen Legenden weiterentwickelt. Im Donaueschinger Spiel bleibt Judaea uneinsichtig. Um dies zu versinnbildlichen verbindet ihr Christiana die Augen und zerbricht deren Fahne. Die Attribute der zerbrochenen Fahne – als Pendant trägt Christiana eine intakte – und der Augenbinde sind bereits seit dem Hochmittelalter verwendet, so auch bei Thomas von Villach. Dass die Fahne Judaeas in der Schandfarbe Gelb und ihre Kleidung typisch jüdisch zu sein hat, belegt die Regieanweisung.237 Alle das Bild der Juden negativ zeichnenden Elemente sowie die Hauptpunkte der Disputation, nämlich die Göttlichkeit Jesu, die Jungfrauengeburt und die Inkarnation, sollen nicht der Bekehrung der Juden (diese werden derartigen Passionsspielen kaum zugesehen haben), sondern der geistlichen Stärkung der christlichen Zuschauer dienen. Die Kehrseite der „christlichen Erbauung“ war damit aber auch eine antijüdische Prägung.238

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich das Motiv des „Lebenden Kreuzes“ und seiner kämpferischen Gegenüberstellung von Synagoge und Ecclesia bereits seit den ersten christlichen Jahrhunderten im Zusammenhang mit der Identitätsfindung und damit einhergehenden Abgrenzung der jungen Kirche vom Judentum entwickelt hat. Es kann, wie es hier geschehen ist, ebenso mit der Entfaltung des Marienbildes gesehen werden. Maria, die Jüdin der Abstammung nach und Vorbild der Glaubenden, ist der Punkt, an dem sich Alter und Neuer Bund begegnen. Sie ist die irdische Figur, an der sich die paulinische Gerechtigkeit aus Glauben (Röm 9,30) zeigt. Sie ist Zeichen für die Heilskontinuität, ablesbar wie an vielen Stellen so auch im Magnificat, wenn sie in Lk 1,46-47.54-55 betet: „Meine Seele preist die Größe des Herrn,/ und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.[…] Er nimmt sich seines Knechtes Israel an/ und denkt an sein Erbarmen, das er unseren Vätern verheißen hat,/

Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“ Sie repräsentiert das Judentum, die Synagoge, als Jüdin. Zugleich entwickelt sie sich als „neue Synagoge“, die über ihr eigenes „carnalis“

hinauswächst zum „spiritualis“, als Ecclesia. Als diese steht sie schließlich der im buchstabengetreuen Gesetz verhafteten alten Synagoge gegenüber. In der Weiterentwicklung der Mariologie, bedingt durch die zunächst christologisch getroffene Aussage über Maria als theotokos, werden ihr immer positivere und dem Irdischen entrückte Attribute zugeschrieben, die daraus folgend, ihrem Gegenüber als negative Eigenschaften unterstellt werden. So entwickelt sich ein theologischer Antijudaismus, der in seiner gesellschaftlichen und sozialen Ausprägung den Antisemitismus mitbedingt, wenn auch nicht ausschließlich. Ein prägender Zwischenschritt ist die Umsetzung der Aussagen über Maria/Ecclesia und Synagoga in die Kunst, sei es in Gemälden oder aber in szenischen Darstellungen, wo im Laufe der Zeit immer mehr überzeichnete äußere Merkmale im Bemühen theologische Aussagen ins Bild zu bringen zu Stereotypen führen, die einerseits Juden als dunkel, hässlich und ungläubig, andererseits Maria/Ecclesia als das Gegenteil, also strahlend, schön und gläubig präsentieren. Dies klingt in vielen liturgischen Texten wie beispielsweise im „Tota pulchra es“ an und transportiert so immer wieder implizit antijudaistische Gedanken. Auch in der Liturgie, besonders der

236 Vgl. Schreckenberg II, Adversus- Judaeos, 415.

237 Vgl. Schreckenberg II, Adversus-Judaeos, 568.

238 Vgl. ebd., 568.

Karwoche, fand der christliche Antijudaismus seinen Niederschlag. Dies soll im Folgenden dargestellt werden.