• Keine Ergebnisse gefunden

Christina von Haaren, Claudia Palmas, Almut Siewert und Thiemen Boll

Leibniz Universität Hannover, Institut für Umweltplanung, Herrenhäuser Strasse 2, D-30419 Hannover haaren@umwelt.uni-hannover.de

Deutschland blickt bereits auf mehr als ein Jahrzehnt Energiewende­Poli­

tik zurück und viele Erfahrungen konnten bezogen auf die Umweltfolgen eines räumlich weitgehend ungeplanten Ausbaus erneuerbarer Energieträger im Raum gemacht werden. Für die Zukunft und den weiterhin anstehenden erheblichen Ausbau müssen Konzepte gefunden werden, die einerseits das räumlich differen­

zierte Energiepotenzial effizient nutzen und andererseits die Umweltfolgen mini­

mieren. Mit pauschalen Abstandswerten arbeitende, vorsorgende Ansätze der Raumplanung reichen angesichts der resultierenden Knappheit geeigneter Flä­

chen nicht mehr aus, um einen Entscheidungsraum zu definieren, der einerseits eine effiziente Erzeugung erneuerbarer Energien erlaubt und andererseits auch noch Raum für Bürgerbeteiligung lässt. Deshalb müssen sowohl die räumliche Analyse durch Einsatz differenzierter Optimierungsmodelle verbessert als auch Umweltaspekte direkt in der Technik­Entwicklung berücksichtigt werden.

Die Energiewende ist mit Heraus-forderungen konfrontiert, die ganz wesentlich auf die scharfe Konkur-renz verschiedener Ansprüche um Flä-chen zurückzuführen sind. Diese Kon-kurrenz verschiedener Nutzungen und gesellschaftlicher Ansprüche um die Flächen hat sich in der jüngeren Ver-gangenheit weiter verschärft. Grün-de hierfür sind hohe Weltmarktprei-se für AgrarerzeugnisWeltmarktprei-se, die nach wie vor hohe Flächeninanspruchnahme durch Bauen und Verkehr, steigende Erholungsansprüche der Bevölkerung sowie einer weltweit die Grenzen der Tragfähigkeit übersteigenden Gefähr-dung der Biodiversität (Rockström et al. 2009). Die Energiewende tritt hier als zusätzlicher, neue Konflikte erzeu-gender Treiber auf. Deutschland hat die Energiewende frühzeitig eingelei-tet und mit dem Erneuerbare Energi-en Gesetz (EEG) starke Anreize für den Ausbau der erneuerbaren Energi-en (EE) gesetzt, ohne die sozialEnergi-en und ökologischen Auswirkungen ausrei-chend und vorausschauend zu berück-sichtigen. Probleme traten dabei erst nach dem jeweils bereits erfolgten Aus-bau zu Tage; sie wurden weder räumlich noch technisch im Vorfeld ausreichend gemindert bzw. gelöst. Die räumliche Allokation der EE, ihre Kombinati-on und IntegratiKombinati-on in gesellschaftliche

Zusammenhänge wurde nur im Fal-le der Windkraftanlagen nach einiger Zeit auch in der räumlichen Planung und in Rechtsvorgaben berücksichtigt.

Im Falle der Biomasse ist das bis heu-te nicht erfolgt. Zudem wurden heu- techni-sche Neuerungen bei der Energiepro-duktion ohne massgebliche Berück-sichtigung ökologischer und sozialer Erfordernisse entwickelt. Hohe, unnö-tige Kollateralschäden entstanden, die sich in Umweltproblemen wie der Zunahme der Beeinträchtigung von Arten und Biotopen, des Grundwas-sers, des Klimas durch negative Treib-hausgasbilanzen und des Landschafts-bildes äussern. Gewinne aufgrund der Nutzung der örtlichen Landschaft durch einige Akteure stehen Verluste für viele Bürger gegenüber, zum Bei-spiel Minderung der Erholungs- und Lebensqualität, Wertminderungen des Grundbesitzes, Anstieg der Pachtpreise für landwirtschaftliche Flächen. In der Folge entwickelten sich vielerorts mas-sive Bürgerproteste.

Mit der Novelle des EEG 2014 wur-den die Anreize für eine weitere Ent-wicklung des Energiepflanzenanbaus stark zurück gefahren. Die Errei-chung der Ausbauziele der Energie-wende (u.a. bis 2020 35 Prozent Anteil am Stromverbrauch, bis 2050 mindes-tens 80 %) hängen nun insbesondere

von der Windenergie ab. Im Entwurf des «Windenergieerlass» Niedersach-sen vom 21.7.2014 wird ein entspre-chendes Landesziel bis 2050 mit 20 GW aus Windkraft (Onshore) angege-ben, das etwa 4000 × 5-MW-Anlagen entspricht. Für die Region Hannover bedeutet dies, dass 1,26 GW erbracht werden sollen, wozu 260 Anlagen à 5 MW oder 425 Anlagen à 3 MW benö-tigt würden (MU et al. 2014). Derzeit stehen dort 250 Anlagen mit durch-schnittlich 1,3 MW; es wäre also nahe-zu eine Verdopplung der Anlagen bis 2050 notwendig. Unter der Annahme, dass 2050 ausschliesslich 5 MW-Anla-gen installiert sein werden, bedeu-tet dies nach in o.g. Windenergieer-lass aufgeführten Zahlen 1,89 Prozent der absoluten Fläche der Region Han-nover. Dabei bleiben nach Abzug der sogenannten «harten Tabuzonen» laut Windenergieerlass-Entwurf 2014 ledig-lich etwa 24 Prozent der Regionsfläche als «Potenzialflächen» für die Wind-kraftentwicklung (MU et al. 2014).

Wollte man dieses Ausbauziel auf nachhaltige Weise erreichen, müss-te man bei der räumlichen Allokation Umweltempfindlichkeiten und sozi-ale Aspekte differenzierter berück-sichtigen. Die Vorgaben aus gesetzli-chen Bestimmungen («harte Tabuzo-nen» und Abstandsvorgaben) sowie pauschale planerische Empfehlungen («weiche Tabuzonen») dienen die-sem Ziel. Die harten Tabuzonen rei-chen jedoch nicht aus, weil noch zu vie-le wertvolvie-le und empfindliche Gebie-te durch EE-Anlagen genutzt werden könnten. Die vorsorgend pauschal gesetzten weichen Tabuzonen sind hin-gegen zu ungenau. Sie schliessen eine Nutzung auch dort aus, wo bei genau-erer Betrachtung keine besonderen Werte und Empfindlichkeiten beste-hen. Wendet man die Planungsemp-fehlungen konsequent auf die Region Hannover als Fallbeispiel an, so wären

nach unseren Analysen nur etwa 2 Prozent der Regionsfläche (abzüglich Siedlungen und Gewässern) für einen Ausbau kombinierter EE-Produkti-on (verschiedene EE-Quellen) nutz-bar (Palmas et al. 2014; Stand: Winden-ergieerlasse nach NLT 2007 und NLT 2011; s. Abb. 1 und Tab. 1). Das wür-de bewür-deuten, dass für Optimierungen, zum Beispiel bezogen auf die Nutzung von Flächen mit dem höchsten Ener-giepotenzial oder für Bürgerpräferen-zen, kein Platz mehr wäre.

Für die Bestimmung geeigneter Flä-chen besteht ein Bedarf an wissen-schaftlicher Weiterentwicklung bis-heriger Praktiken. Eine differenzierte Analyse der Umweltwertigkeiten und Empfindlichkeiten kann die geeigne-ten Räume gegenüber eher pauscha-len planerischen Vorgaben erweitern und gleichzeitig effektiveren Natur-schutz gewährleisten. So weisen nach unseren vorläufigen Analysen (Stand der Daten: 2007) 65 Prozent aller Flä-chen (ohne Siedlungen und Gewässer) hohe Empfindlichkeiten gegenüber der Windkraftnutzung auf, wobei nur 59 Prozent derselben durch harte Tabuzo-nen effektiv vor der Nutzung als poten-zielle Windkraftstandorte geschützt sind (Abb. 2). Demgegenüber stehen aber 8 Prozent der lediglich mittelmäs-sig empfindlichen Flächen unter effek-tivem Schutz.

Dennoch ist die Ausweisung des Ent-scheidungsraumes aufgrund differen-zierter Umweltwerte und

Empfind-Abb. 1. Entwicklungspotenziale für die kombinierte Produktion von Windkraft und Photo-voltaik-Freiflächenanlagen beziehungsweise Windkraft und Biogas in der Region Hannover unter Berücksichtigung der obligatorisch, aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder plane-rischer Empfehlungen, auszuschliessenden Räume (Palmas et al. 2014).

Tab. 1. Anteile von harten und weichen Tabuzonen und verbleibenden, für die Produktion erneuerbarer Energien nutzbaren Flächen («Ent-scheidungsraum») in der Region Hannover für verschiedene Energiemix-Szenarien (Windenergie, Maisanbau, Solarenergie, kombinierte Windenergie- und Maisproduktion, kombinierte Wind- und Solarenergieproduktion; Palmas et al. 2014).

Sport & Niedersächsische Staatskanzlei [Hrsg.] (2014): Planung und Genehmi-gung von Windenergieanlagen an Land in Niedersachsen und Hinweise für die Ziel-setzung und Anwendung (Windenergie-erlass). Entwurfsstand 21.07.2014.

NLT Niedersächsischer Landkreistag (Hrsg.) 2007: Naturschutz und Windenergie.

Arbeitshilfe. Hinweise zur Berücksichti-gung des Naturschutzes und der Land-schaftspflege sowie zur Durchführung der Umweltprüfung und Umweltverträg-lichkeitsprüfung bei Standortplanung und Zulassung von Windenergieanlagen.

(Stand: 2007)

NLT Niedersächsischer Landkreistag (Hrsg.) 2011: Naturschutz und Windenergie.

bisher zu beginnen. Die Energiewen-de bietet somit ein Forschungsfeld, das nicht nur für diesen Themenbereich relevante Ergebnisse liefern wird, son-dern auch neue Lösungswege für ande-re Themen der Landschaftsentwick-lung aufzeigen wird.

Literatur

MU Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz; ML Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz; MS Ministerium für Sozia-les, Gesundheit und Gleichstellung; MW Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr; MI Ministerium für Inneres und lichkeiten keineswegs ausreichend, um

die Energieziele zu erreichen und vor allem, um Raum für eine optimale Allo-kation zu schaffen, die sowohl die örtli-chen landschaftliörtli-chen Gegebenheiten und das Energiepotenzial als auch Bür-gerpräferenzen mit einbezieht. Dazu ist es notwendig, in der Forschung auch die Auswirkungen unterschiedlicher technischer Varianten von EE-Anlagen auf Mensch und Natur in unterschiedli-chen Landschafts- und Vorbelastungs-kontexten zu untersuchen, Wege eines Vorteils- und Lastenausgleich zu eru-ieren und die Bürgerbeteiligung zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt in Planungs- und Zulassungsverfahren als

Abb. 2. Vorläufiger Abgleich zwischen empfindlichen Gebieten gegenüber der Windkraftnutzung und der derzeitigen planerischen Regula-tion (Stand: 2007/2011) mittels harter Tabuzonen.

Arbeitshilfe. Hinweise zur Berücksichti-gung des Naturschutzes und der Land-schaftspflege sowie zur Durchführung der Umweltprüfung und Umweltverträg-lichkeitsprüfung bei Standortplanung und Zulassung von Windenergieanlagen.

(Stand: Oktober 2011)

Palmas, C.; Siewert, A.; von Haaren, C., 2014: Exploring the Decision-Space for Renewable Energy Generation to enhance Spatial Efficiency. Environ.

Impact Assess. Rev. One published. DOI:

10.1016/j.eiar.2014.06.005.

Rockström, J.; Steffen, W.; Noone, K.;

Persson, A.; Chapin, F.S.; III; Lambin, E.F.; Lenton, T.M.; Scheffer, M.; Folke, C.; Schellnhuber, H. J.; Nykvist, B.; de Wit, C.A.; Hughes, T.; van der Leeuw, S.; Rodhe, H.; Sörlin, S.; Snyder, P.K.;

Costanza, R.; Svedin, U.; Falkenmark, M.; Karlberg, L.; Corell, R.W.; Fabry, V.J.; Hansen, J.; Walker, B.; Liverman, D.;

Richardson, K.; Crutzen, P.; Foley, J.A., 2009: A safe operating space for human-ity. Nature 461: 472–475 (24 September 2009). doi:10.1038/461472a.

Abstract

Social and scientific challenges of the energy transition

Germany’s energy transition and renewable energy policies have been in place for more than a decade. In this time the largely unplanned spatial expansion of renewable energies has greatly impacted the environment and society. German policies encourage further development of renewable energies. Therefore, concepts have to be developed that optimise the use of the spatially unevenly spread energy potential and at the same time minimise environmental and social impacts. Regional planning, which uses standardised distances between renewable energy plants like wind turbines or photovoltaic plants and impacted land uses like housing or nature conservation areas, reduces environmental impacts. However, a more differentiated spatial analysis demonstrates that some vulnerable areas are not protected by the “taboo zones for RE” defined on the basis of legal standards. Moreover, the precautionary “rule of thumb” method, which excludes much more area does not provide enough space for an expansion of RE, that also allows for optimizing the use of the natural energy potential as well as for decision space in public or stakeholder participation. Thus, the spatial analysis has to be optimised by differentiated models. Additionally, considering and minimalizing the environmental and social impacts in the early stages, i.e. technical product development of renewable energy plants will increase the space available for renewable energies.

Keywords: renewable energies, spatial energy potential, environmental impacts, technical product development, spatial analysis, public participation, regional planning