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5. DIE BÜRGERLICHE FRAU AM KLAVIER ZWISCHEN TUGEND UND

5.1. TUGEND, SITTSAMKEIT UND ANSTAND

5.1.2. Die bürgerliche Klavierspielerin und das Gesellschaftsporträt

5.1.2.1. Der Kunstverstand des Bürgertums und die Funktion von Hausmusik

Budde proklamierte als die zwei Grundpfeiler der Gesellschaft den „Glaube an Leistung als Impuls für die Selbstbestimmung des individuellen Lebensweges“ sowie die Wertschätzung von Bildung, darunter auch Kunstverstand. Die Zuordnung zum Bürgertum war allemal die Partizipation an Kultur mitbestimmt. Die Errichtung einer persönlichen Bibliothek, die Sammeltätigkeit von Kunst und deren Darbietung im Wohnraum, die Reise zu Kulturstätten sowie der Besuch kultureller Institutionen in Form von Theater, Ausstellungen sowie Konzer-ten waren ein Muss für das Bildungsbürgertum. Weiters musste der entsprechende Fachjargon in der Konversation bewiesen werden. Die Hausmusik entsprach der kulturellen Praxis.

Budde betrachtet die musikalische Beschäftigung der bürgerlichen Gesellschaft als Mittel der Selbstverständigung und –inszenierung.463

„Anders als die in weit höherem Grade ritualisierten und eingeübten Standesregeln der Adelsgesellschaft, die rigide und bindend, aber damit auch leitend und orientierend deren Verhaltensnormen prägten, griff das Bürgertum im gegenseitigen Umgang häufig auf die bunte Palette der Kunst zurück. Nicht traditionelle Etikette, sondern angelesenes Bildungswissen und dilettantische Betätigung strukturierten so das Miteinander.“464

461 Salmen 1969, S. 116.

462 Kluxen 1989, S. 130.

463 Budde 2002, S. 427-428.

464 Budde 2002, S. 454.

Budde proklamiert als den Grundstock bürgerlichen Lebens die Gegensätze von Arbeit und Kunst und deren Verortung in außer- oder innerhäuslicher Sphäre. Ein Bündnis dieser beiden Werte sollte tunlichst vermieden werden, obwohl sie in Kombination den höchsten Stellen-wert im bürgerlichen Tugendkanon einnahmen. Kunst gehörte in die Freizeit und war vor allem für die Frau als Erwerbstätigkeit ausgeschlossen. Ihre aktive Teilnahme am Musikgeschehen geschah in heimischer Umgebung und wurde somit domestiziert.465

Musikausübung als Inszenierung

„Kaum darf man noch fragen: wer ist musikalisch? sondern: wer ist es nicht? In den sogenannt en höher n o der gebi l det ern Krei sen galt Musik längst als unerlässlicher Theil der Bildung; jede Familie fordert ihn, wo möglich für alle Angehörigen, ohne sonderliche Rücksicht auf Talent und Lust; in gar vielen Beschränkt sich, wenigstens für die weibliche Jugend, die ganz freiere Bildung, sogar die gesellige Unterhaltung nur auf Musik.“466

Max Weber konstatierte die Doppelbödigkeit der Musik durch die „innerweltliche Erlösung vom Rationalen“ sowie der Erfüllung von „innerer Logik“.467 Die Musik ist somit eine Verquickung von Rationalität und Emotionalität und entspricht in diesen Grundzügen den Werten des Bürgertums. Im Gegensatz zur Literatur und bildender Kunst umfasste die Musik einen Regelkanon, welcher einen Qualitätsmaßstab setzte und das Künstlerische, Abstrakte, Imponderable dadurch in Schach hielt.468 Die Musik wurde folglich im Laufe der Zeit zu einer der favorisierten Künste des Bürgertums. Die Musik erlaubte es, Gefühle zu vermitteln, welche mittels Sprache nicht auszudrücken waren.469

Ferner spielte der Umstand, dass Musizieren teuer war, eine Rolle. Instrumente mussten angeschafft und unterhalten werden, Musikunterricht musste genommen werden und der Be-such von Konzerten kostete auch Geld. Dies konnte sich nur ein kleiner Kreis leisten,470 der dadurch natürlich umso exklusiver wurde.471

465 Budde 2002, S. 452-453.

466 Marx 1855, S. 131.

467 Weber/ Braun 2004, S. 90/ 207.

468 Budde 2002, S. 428.

469 Rieger 1981, S. 35.

470 Budde 2002, S. 428-429.

471 Ballstaedt/ Widmaier 1989, S. 190.

Kein anderes Instrument als das Klavier war geeigneter, meint Ballstaedt, die beiden Werte des Bürgertums zu repräsentieren: Besitz (da es teuer war) und Bildung (weil das Spielen er-lernt werden musste).472

Ballstaedt zählt also zur Trägerschicht der Salonmusik respektive der innerfamiliären musikalischen Beschäftigung das Besitz473- und Bildungsbürgertum474.475

„Wie keine andere Kunstform unterstand Musik der Prämisse von Besitz und Bildung und schuf damit dem darauf basierenden Bürgertum ein adäquates Forum der Selbstdarstellung und Fremdabgrenzung.“476

Im 18. Jahrhundert wurde die Institution des öffentlichen Konzertes gegründet und die Oper etablierte sich.477 Die Musik und ihre öffentliche Abhaltung boten gesellschaftlichen Kontakt und Austausch.

Die Oper bildete hierbei die glanzvollste Bühne für die familiäre Repräsentation478 und die Garantie eines Umfeldes unter Gleichgesinnten, gleichzeitig konnte die Liebe zur Musik erfüllt werden.479

Eigene Gebäude für den Hörgenuss wurden errichtet. Musik war nicht mehr Nebensache, Hintergrundmusik im höfischen Alltag, sondern wurde zu etwas, dem man sich voll widmen musste. Nicht nur das Spielen, sondern auch das Hören von Musik wurde zur Kunst. Es bedurfte einer kultivierten Haltung, wurde zu etwas Sakralem, man verließ Konzerte

„beseelt“.480 Musik wurde darüber hinaus zum Gemeinschaftsereignis, man erlebte gemein-sam Genuss und teilte Emotionen. Laut Budde erfuhr die Musik eine „mystische Überhöhung“, nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Raum.481 Dieser Auf-schwung der Musik zog ein erweitertes Repertoire nach sich. Lieder sowie Instrumentalmusik

472 Ballstaedt/ Widmaier 1989, S. 190.

473 „Unter Besitzbürgertum sind sowohl die mittleren bis großen Unternehmer, Kaufleute, bürgerliche Guts- und Großgrundbesitzer, als auch die Besitzer von Kapital […] zu verstehen.“ (Ballstaedt/ Widmaier 1989, S. 143.)

474 „Unter Bildungsbürgertum lassen sich im Deutschen Kaiserreich zunächst diejenigen Berufe subsumieren, die eine akademische Bildung zur Voraussetzung hatten. Dies waren zum einen die akademisch-gebildeten Beamten (höhere und höchste Beamte, Professoren, Gymnasiallehrer) zum anderen die selbstständigen Akademiker (Ärzte, Rechtsanwälte, Notare). Beide Berufsgruppen, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch kaum sozial miteinander verflochten, wurden nach 1860 zum Kern des Bildungsbürgertums, um den sich dann Geistliche, Journalisten, Künstler, zunehmend auch ein Teil der mittleren Beamten und die Volksschullehrer gruppierten.“ (Ballstaedt/ Widmaier 1989, S. 144.)

475 Ballstaedt/ Widmaier 1989, S. 142.

476 Budde 2002, S. 429-430.

477 Rieger 1981, S. 36.

478 Der Umstand, dass vermehrt beim Besuch einer Inszenierung die Kleider gewechselt wurden respektive man sich in teure Gewänder und Schmuck hüllte, belegt dies unter anderem. (Budde 2002, S. 431.)

479 Budde 2002, S. 430-431.

480 Gay 1987, S. 270.

481 Budde 2002, S. 432.

erfreuten sich großer Beliebtheit. Die Musik trat aus dem Licht der Zweckkunst, welche für weltliche und kirchliche Auftraggeber geschaffen wurde und wandelte sich zu dem Ideal der Produktion aus innerem, eigenem Antrieb.482

Musikausübung als Inszenierung der bürgerlichen Weiblichkeit

Die „Verweiblichung der Hausmusik“, welche im 19. Jahrhundert allgegenwärtig war und sich vor allem am Instrument Klavier zeigte, war begründet durch die Charakterisierung der Musik als weiblich emotional und im heimischen Haus verortbar. Die Musik diente der fröhli-chen Unterhaltung des Umfeldes wie der Familie und der Ausfüllung einer Pause der Hausar-beit483 und bildete damit einen Gegensatz zum harten Arbeitsalltag der Welt außerhalb.484

Aber nicht nur diese Zwecke standen im Vordergrund. Klavierspiel eignete sich auch als ideologisches Fundament der Erziehung der Mädchen. Sie lernten Disziplin wie

„Gefühlskunst.“485

„[Die Frau ist das] Mollgeschlecht, das reiche, weiche, mit seinen unbestimmteren, zerfliessenderen, aber auch anziehenderen Harmonien. […] der überreiche Stimmungsinhalt der Musik entspricht dem übervollen Gefühlsleben der Frauen, — ihr ganzes Wesen ist ein sonores und in den verborgensten Schlupfwinkeln desselben findet der richtig angeschlagene Ton sein Echo.“486

Im Laufe der bürgerlichen Emanzipation wuchs die Zahl von Gemälden auf denen musizie-rende Frauen abgebildet waren. So wurde es auch ein beliebtes Sujet der impressionistischen Schule. Das Klavier war, wie erläutert, in der Realität sowie der Abbildung vorherrschend und war in zahlreichen bürgerlichen Haushalten anzuteffen.487

„Fehlt ja doch in keiner besseren Fa mi l i e ein Clavier.“488

Der Soziologe Max Weber brachte diesen Umstand in seiner Ausführung über die rationalen und soziologischen Grundlagen der Musik auf den Punkt.

482 Rieger 1981, S. 36.

483 Rieger 1981, S. 41.

484 Budde 2002, S. 436.

485 Ballstaedt/ Widmaier 1989, S. 201.

486 Hiller 1881, S. 34-35.

487 Budde 2002, S. 438.

488 Kistler 1884, S. 1, zit.n. Ballstaedt/Widmaier 1989, S. 138.

„ […] das Klavier ist […] seinem ganzen musikalischen Wesen nach ein bürgerliches Hausinstrument489.“490

Und das Klavier ist nicht nur das bürgerliche Instrument, es ist ein schickliches Instrument für die Frau und auch ihr Lieblingsinstrument.“491 Hanslick sprach auf Grund der enormen Verbreitung des Instrumentes innerhalb des 19. Jahrhunderts, bevorzugt in der weiblichen Bevölkerung, gar von einer „Clavierseuche“492.

Die geistige Strömung des Philantropismus und ihr Vertreter, der Pädogoge Heinrich Campe, schlossen allerdings die professionelle Beschäftigung der Frauen mit Kunst aus.493

„ […] unter hundert preiswürdigen Tonkünstlerinnen […] mögte wol kaum Eine gefunden werden, die zugleich alle Pflichten einer vernünftigen und guten Gattin, einer auf alles aufmerksamen und selbstthätigen Hausfrau und einer sorgfältigen Mutter — ich will nicht sagen, wirklich erfüllt, sondern zu erfüllen nur versteht.“494

Campe missfällt die künstlerische Ausbildung der Frau. Sie sei nur dienlich zur Verhinderung des Müßigganges, zur Beglückung des eigenen oder des Seelenlebens des Gatten.495 Und so wurde das Virtuosentum der Frau strikt zurückgedrängt, eine Ausbildung über die Grundkenntnisse wurde nicht zugelassen. Sich herausbildende Genialität konnte durch die Hausmusik, in der Zurückgezogenheit von Salon und Kinderstube im Bürgerhaus, zurück ge-drängt werden.496

Neben dem Gesang stellte das Klavierspiel die häufigste musikalische Betätigung der Frau dar. Auf Grund der Zuschreibung des Tasteninstrumentes zum weiblichen Geschlecht bildete sich selbst im 17. und vermehrt im 18. Jahrhundert die Mode aus, die Klaviatur in schwarz zu halten, um die zarten, weißen zumeist noch gepuderten Hände hervorzuheben.497

489 Budde proklamiert, dass in etwa 92 % der deutschen Haushalte ein Klavier oder in besser gestellten ein Flügel zum Mobiliar gehörte. Diese Zahlen lassen sich aus den Selbstzeugnissen erfahren. (Budde 2002, S. 439.)

490 Weber 1972, S. 77.

491 Krille 1938, S. 113.

492 Hanslick 1884, S. 572.

493 Rieger 1981, S. 38-41.

494 Campe 1791, S. 39-40.

495 Rieger 1981, S. 42.

496 Budde 2002, S. 455.

497 Krille 1938, S. 112-113.