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4. DIE ADELIGE FRAU AM KLAVIER: GLANZ, REPRÄSENTATION UND

4.2. Klavierspielerin vom Stand und das repräsentative Porträt

4.2.2. Die Vorbildfunktion des französischen repräsentativen Standesporträts

Bis um 1750 war im europäischen Raum die Orientierung an das absolutistische Standesporträt vorherrschend. Das 18. Jahrhundert bot ein geeignetes Klima für die Entwick-lung der Porträtmalerei in Europa und führte das Genre zur Blüte. Frankreich, welches hier die Vorreiterrolle innehatte, gab die Gestaltungsformen vor. Der politischen Situation, der Aufklärung und der damit bedingten Veränderung der Gesellschaftsstrukturen geschuldet, ergaben sich ein Verlauf vom althergebrachten Standesporträt über das „aufgeklärte“ in Gestaltung leicht zurückgehaltene Bildnis des Rokoko zum Porträt, das individualisierte Züge vermittelt.266 Mitte des 18. Jahrhunderts wandelte sich die Porträtdarstellung wiederum durch Einflüsse englischer Strömungen.267

264 Baumbach/ Bischoff 2003, S. 9.

265 Ausoni 2006, S. 214.

266 Flohr 1997, S. 34-35.

267 Kluxen 1989, S. 72-89.

In der Regierungszeit Ludwig XIV. nahm das höfische Porträt einen besonderen Stellenwert ein. Es war auf Repräsentation ausgerichtet, auf die Verherrlichung des Dargestellten sowie auf die Demonstration des feudalen Systems. Der Raum oder dessen Andeutung durch Draperien, die Ausstattung und Requisiten dienten als dem Stand entsprechende Kulisse und spiegelten die Position im System wider.268 Roger de Piles konstatierte bereits 1708 die Ausformungen und Anforderungen des Standesporträts in seiner Abhandlung Cours de peinture par principes. Er veranschlagt die Naturnachahmung als Maß aller Dinge, welche jedoch in Ausnahmen unter Wahrung der Erkennbarkeit idealisiert werden solle. Ähnlichkeit vor Schönheit ist das auserkorene Ziel. Er vereint in seiner Theorie alte und neue Ansätze, Authentizität wird allerdings zu einem neuen Wert.269 Vier Faktoren seien im Malprozess besondere Aufmerksamkeit geschenkt, der Miene, dem Colorit, der Stellung und der Beklei-dung. Diese sollten in einem Arrangement zusammengeführt werden und in solch einer Zusammenstellung erfolgen, dass der Stand des Dargestellten herauszulesen sei. 270 Vorbildwirkung in diesem Zusammenhang, bezüglich der Umsetzung der Theorie in die Praxis, kam den Malern Hyacinthe Rigaud271 sowie Nicolas de Largillière zu. Sie schufen einen Porträttypus, welcher im europäischen Raum große Verbreitung fand und bis weit ins 18. Jahrhundert die Form prägte. Im Gegenzug dazu entstand eine weitere Porträtgattung, welche ihren Ursprung in der ersten Hälfte des Jahrhunderts hatte. Diese Gattung beinhaltete einen freieren Stil bezüglich Komposition, Format, Ausführung und künstlerischer Gestaltung, dennoch unter Wahrung der Vermittlung eines standesgemäßen Bildes. Die Porträtkunst unter der Herrschaft Ludwig XV. war gekennzeichnet durch die Gestaltungsformen des Rokoko, von Eleganz, Leichtigkeit und einer spielerischen Note. Das propagierte gleichgeschaltete Schönheitsideal als ästhetischer Wert war Sinnbild für den Stand. 272 Ausgewählte Künstler in diesem Zusammenhang sind François Boucher und Jean Marc Nattier, aber auch Carle van Loo und Louis Tocqué. Dargestellt wurden die Personen in intimerem und persönlicherem Kontext sowie in privater Eigenart, wobei die Wahrung von Haltung und die Vermittlung des Standes fortwährend beibehalten wurden. Maurice Quentin La Tour, Jean-Baptiste Perronneau sowie Simon Chardins gestalteten den weiteren Verlauf der Entwicklung, indem sie den Charakter der Person und deren Gefühlsregungen in den Vordergrund stellten.273 Das

268 Flohr 1997, S. 35.

269 Busch 1993, S. 384-386.

270 Kanz 1993 S. 62.

271 Für ein Gemälde mit musikalischem Attribut siehe Monsieur de Gueidan spielt auf der Musette von Hyacinthe Rigaud (1735). (Ausoni 2006, S. 338.)

272 Flohr 1997, S. 36-37.

273 Bauer 1980, S. 19.

„aufgeklärte Porträt“274 war somit eine naturgemäße Darstellung auch der Eigenheiten des Porträtierten. Dieses künstlerische Mittel ist bis in das 19. Jahrhundert greifbar.275

Marguerite de Sève von Nicolas de Largillière

Das aus dem französischen Kulturraum stammende Porträt, ausgeführt von Nicolas de Largillière276 im Jahre 1729, stellt Marguerite de Sève (Abb. 11) dar. Es kann als Vorbild für das repräsentative Standesporträt, auf dem sich ein Tasteninstrument befindet, im Zeitalter des Ancien Régime gesehen werden.

Marguerite de Sève präsentiert sich dem Betrachter als stehendes Kniestück in beinahe vollständiger Frontalansicht. Ihr Gesicht erscheint im Dreiviertelprofil, den Betrachter anblickend. Sie füllt mit ihrer Erscheinung fast den gesamten Bildraum aus, wird allerdings rechts von einem Cembalo und links von einem ausschnitthaft angedeuteten Stuhl gerahmt.

Der imposante Auftritt der Dame ist unter anderem der Mode, welche sie trägt, geschuldet.

Sie ist in ein kräftig rot schimmerndes Gewand mit metallenem Mieder277 gekleidet, welches mit goldenen filigranen Ziselierungen und Edelsteinen verziert ist. Das weiße Unterkleid, welches aus Mieder und Ärmeln herausragt, ist mit einer Spitze gesäumt. Des Weiteren wird das Kleid durch einen Überhang gleicher Farbigkeit und Beschaffenheit komplettiert, wobei

274 „In Wahrheit besteht das Neue des 18. Jahrhunderts darin, daß im Kunstwerk kaum mehr ein Bezug über seine Grenzen hinaus gesucht wird, weder zum Naturvorbild hin, noch zum Symbol. Insofern ist dieses Rokoko a u f g e k l ä r t . Es sieht im gemalten Bild nicht Abbild einer Wirklichkeit, sondern ein künstliches Gebilde, erstellt aus den künstlichen Momenten einer langen Kunsttradition. […] Das Rokoko weiß skeptisch um den Schein in der Kunst, und es stellt dieses Wissen indirekt dar.“ (Bauer 1980, S. 12.)

275 Flohr 1997, S. 37.

276 Nicolas de Largillière (10. Oktober 1656 Paris – 20. März 1746 ebda.)

Seine Jugend verbrachte er in Antwerpen, wo er auch eine Lehre in der Werkstatt von Antoni Goubau absolvierte. 1647 zog er nach England, wobei er am Hofe Karls II. Assistent des Malers Peter Lely wurde, er ging allerdings bereits auch durch eigene Werke hervor. 1678 wurde er auf Grund seiner katholischen Gesinnung des Landes verwiesen, weshalb er nach Paris zurückkehrte. In dieser Zeit lernte er Le Brun kennen. Er wurde in die Academie Royal aufgenommen. 1685 hielt er sich erneut in London auf, bezüglich des Auftrages der Porträtierung des Königspaares. Ihm wurde das Angebot des Hofmalers gemacht, welches er aber ablehnte. Der erste offizielle Auftrag Frankreichs, der ihm zukam, war von Ludwig XIV. In diesem präsentiert der Maler seinen Kolorismus der flämischen Schule und macht ihn zum Vorreiter des Rokoko. 1699 heiratete er, wobei er im gleichen Jahr zuerst den Assistenten, im Jahre 1705 den Professorenstand an der Akademie annahm, 1743 schlussendlich Kanzler. Mit Rigaud nahm er den Ruf des ersten Porträtmalers seiner Epoche. Im Gegensatz zu Rigaud, welcher hauptsächlich die Gesellschaft des Hofes abbildete, malte Largillière vermehrt die Pariser Gesellschaft, sowie der Provinz und die gehobene Schicht im Ausland. Er fertigte allerdings auch Gemälde für den Hof. Kümmel proklamiert, dass Largillière im Vergleich zu Rigaud trotz der Verfolgung gleicher malerischer Intentionen, statt dem ausschließlichen Augenmerk auf die Repräsentation ebenfalls die Anmut der Erscheinung sowie die Gefälligkeit des Ausdrucks betont. Dem Hintergrund wird durch Detailtreue erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt sowie das Beiwerk der Protagonisten zumeist intimer ist. Die ausgeführten Bildnisarbeiten nehmen eine Zahl von über 1500 ein, wobei ihm ebenfalls auch Stillleben und Historienbilder zukommen. (Kümmel 1989, S. 382-383.)

277 Das Mieder ist womöglich aus Seide gestaltet, welche auf ein hartes Material gespannt und anschließend durch eine Modellierung gefertigt wurde. (Ausoni 2006, S. 242.)

dieser mit Pelzbesatz als Innenfutter überzogen ist. Am Mieder stecken an ihrer rechten Brust zwei Blüten, die die Kleiderfarben weiß und rot aufnehmen. Die weiß gepuderte Haarpracht ist leicht nach hinten gesteckt. Bekrönt ist die Frisur von goldenem filigranem Blattwerk. Die Haut der Dame ist in ebenmäßigem Elfenbeinton ausgeführt, wobei die Backen und Lippen in einem kräftigen Rot leuchten und ihr somit ein frisches Äußeres verleihen. Das Licht im Raum und somit die Aufmerksamkeit liegt auf ihr und dem dekorativen „Requisit“, dem Cembalo. Der Hintergrund des linken Bildraumes liegt verschattet.

Die Kleidung und das Arrangement vermitteln dem Betrachter den hohen Rang der Dargestellten auf diesem typischen klassischen Standesporträt.

Nicht nur das Kleid, sondern auch das Cembalo ist detailverliebt festgehalten. Der Korpus ist von fein ausgeführten Blumenranken überzogen, welche auf dunkle schmale Ornamente bezogen sind. Der untere Abschluss wird von einem dekorativen Fries bekleidet, welcher Schnitzereien floralen Musters beinhaltet. Hinter dem Cembalo ragt der mächtige Deckel her-vor. In dessen Mitte wird ausschnitthaft ein flügelförmiges Ornament mit Blumenranken plat-ziert.278 Auf dem schlicht ausgeführten, funktionalen Notenständer liegt ein Notenbuch. Die einzelnen Lagen sind leicht verschoben, das Papier schwach vergilbt. Es ist keine Szene der Musikausübung. Marguerite de Sève sitzt nicht am Klavier und spielt. Nur mit einer Geste

„berührt“ sie das Musikgeschehen, sie blättert um. Jedoch tut sie dies gleichermaßen affektiert wie nachlässig. Es hat den Anschein, als würde sie gleich mehrere Seiten zwischen Daumen und Zeigefinder halten. Sie würdigt diesen Vorgang keines Blickes, der Blick ist gerade auf den Zuschauer gerichtet.

Die Noten sind eine Sammlung von Trinkliedern. Aufgeschlagen ist die Arie „Buvons, chers amis, buvons“ von Lully aus dem komischen Ballett Der Bürger als Edelmann, nach Molière. Die Lautenbegleitung ist in Form einer Tabulatur aufgezeichnet. 279 Diese Informationen lassen Schlüsse auf die Interpretation der Rolle des Tasteninstrumentes im Bild schließen. Es steht hier zum Amüsement der höfischen Gesellschaft, zur Begleitung von Aufführungen. Es ist das Sinnbild höfischer Vergnügungen. Marguerite de Sève weist ihre lieben Freunde an zu genießen und zu trinken, sich die Zeit auf angenehme Weise zu vertrei-ben, ohne dass sie selbst zur Musikakteurin wird. Sie zeigt nicht die Kunstfertigkeit ihrer Finger, sondern die Kunstfertigkeit ihres Geschmacks durch ihre Qualitäten als Gastgeberin.

278 Laut Ausoni muss es sich bei dem zweimanualigen Cembalo um einen Herstellungsort wie Frankreich oder Flamen handeln. Die Ornamente weisen Ähnlichkeiten zu den Ornamentstichen von Jean Bérain auf. (Ausoni 2006, S. 242.)

279 Ausoni 2006, S. 242.

So ist auch ihr Fächer, als weibliches Accessoire, ungeöffnet, sein verführerischer Reiz bleibt ungenutzt. Auch er ist eine standesgemäße Requisite, ein reines Zeichen für Eleganz und Stand.