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5. DIE BÜRGERLICHE FRAU AM KLAVIER ZWISCHEN TUGEND UND

5.1. TUGEND, SITTSAMKEIT UND ANSTAND

5.1.1. Die bürgerliche Frau im Zeitalter des gesellschaftlichen Wandels -

Während im Empire die Aristokratie die bestimmende Sozialschicht darstellte, stieg im Biedermeier die Bürgerschicht auf und verantwortete besonders den ökonomischen Fort-schritt.417 Die ständische Gesellschaft hatte allerdings in den deutschen Landen eine ausgesprochen tief verankerte Ordnungsstruktur.418

Die Verwischung der Grenzen zwischen Bürgertum und Adel begann beispielsweise in England früher, wohl auch weil der technische Fortschritt weiter vorangeschritten war und das Erbrecht die Adelsprivilegien nur dem ersten Nachkommen garantierten.419 Und so stand England Pate bei der Emanzipation des Bürgertums.420

Eine Politisierung erfolgte zwar durch das Vorbild Frankreich, doch zögerlich und spät.

Bis 1848 behielt der Adel, trotz seiner schon im Absolutismus gesunkenen Stellung als politi-sche Instanz die Oberhand. Statt der politipoliti-schen Auseinandersetzung folgte also in der Intelli-genz eine Flucht in die Kunst und eine Ästhetisierung von Tugenden wie Empfindsamkeit und Sentimentalität, gipfelnd in der Ich-Bezogenheit und der Idealisierung des Rückzugs in die Natur durch die Romantiker. Die pietistische Bewegung leistete ebenfalls ihren Beitrag zu der favorisierten Verinnerlichung.421

Im deutschen Territorium wurde der Prozess der umfassenden Klassengesellschaftsord-nung, die die Bürgerschicht berücksichtigte, erst im Zuge des 19. Jahrhunderts vollständig herausgebildet. Am Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich das Bürgertum zwischen Adel und Bauern zum so genannten „Mittelstand“.422 Der bürgerliche Mittelstand schottete sich

417 Weber-Kellermann 1991, S. 46.

418 Möller 1986, S. 293-294.

419 Kluxen 1989, S. 127.

420 Kluxen 1989, S. 129.

421 Kluxen 1989, S. 45.

422 Ruppert 1977, S. 9.

deutlich vom unter ihm stehenden Kleinbürgertum ab, das sich vom neu entstehenden vierten Stand, der der „freien“ Lohnarbeiter distanzierte.423

Doch auch innerhalb des neu entstandenen Bürgertums gab es unterschiedliche, konkurrie-rende Gruppierungen424: der alte Bürgerstand, der in Zünften organisiert war und die neue bürgerliche Oberschicht, die aufkommende Berufe ergriff. Die Position in der Gesellschaft wurde nicht mehr durch den Stand der Ursprungsfamilie definiert, sondern ausschlaggebend waren Bildung und beruflicher Werdegang. Bürgerlich wurde also als Synonym für Bildung gebraucht, und es ist die Differenz im Bildungsgrad, die die Abstufungen425 vom Großbürger-tum bis zum KleinbürgerGroßbürger-tum, welches das Hauptaugenmerk auf seine Besitzansprüche stellt, definiert.426

Der Zeitgeist nahm allerdings schon im 18. Jahrhundert Tugenden und Werte des Bürger-tums voraus. Bereits im Absolutismus war eine neue Klasse herangewachsen, welche keinen Platz in der bisherigen ständischen Ordnung fand und die in Gestalt von Gelehrten, Verlegern und Beamten den Grundstein für die Aufklärung schuf.427

Ihr Leben spielte sich im privaten Raum ab mit dem Augenmerk auf die Weitergabe und Verwirklichung ihres Tugend- und Wertesystems.428 Budde deklariert auf Grund dessen das Bürgertum als eine „Wertegemeinschaft“, die Bildung förderte sowie Kunst und Kultur. 429 Die bürgerliche Kunst schlechthin war allerdings anfangs nicht die bildende, sondern die Literatur.430

Das Verschwimmen der Grenzen zwischen dem aufsteigenden Bürgertum und dem Staat erwirkte eine Vermischung der bürgerlichen und höfischen Kultur. Die gesellschaftliche Durchmischung zeigte sich auch darin, dass aufkommende bürgerliche Institutionen, in Form von Salons, Literaturkreisen sowie Akademien ebenfalls stark von der Aristokratie frequen-tiert wurden.431

423 Weber-Kellermann 1991, S. 12.

424 „Eine genaue Grenzziehung zwischen diesen beiden Porträtarten ist allerdings nicht möglich, da sich die allmähliche Auflösung der altständischen Gesellschaft auch im ständischen Bürgerporträt zeigt.“ (Kluxen 1989, S. 130.)

425 Auf Grund der Erlangung von Bildung durch religiöse sowie staatliche Einrichtungen und die Einschränkungen durch das Zunftsystem, stellten Gelehrte zumeist Personen dar, welche Kontakte zu diesen Systemen pflegten. (Kluxen 1989, S. 45.)

426 Kopitzsch 1976, S. 37.

427 Möller 1986, S. 294.

428 Kluxen 1989, S. 128.

429 Budde 2002, S. 427.

430 Kluxen 1989, S. 128.

431 Göpfert 1976, S. 406.

Die Adelskrise zu Anfang des 19. Jahrhunderts bewirkte eine „Verbürgerlichung“ des Adels und damit der adeligen Frau.432 Werte wie Wahrhaftigkeit, Festigkeit des Charakters, Gefühlstiefe, Phantasie, Bescheidenheit, Heiterkeit, tiefe Religiosität, umfassende Bildung, Reinheit und Natürlichkeit waren auf einmal gefragt.433 Auch im Genre des offiziellen Porträts des Mannes wurde reagiert. Aus dem Staatsmann wurde der Staatsdiener und es wurde vermehrt auf neue Legitimationsmittel gesetzt, beispielsweise in Form militärischer Bildnisse.434

Am Ende des 18. Jahrhunderts entbrannte eine Debatte über die Geschlechterverhältnisse.

Theoretiker 435 behaupteten geschlechtscharakteristische Eigenschaften durch differente Physiognomie und Naturell von Mann und Frau. Die Dominanz des Mannes sei in der Natur begründet und keine ausschließliche Sache der Religion, die den Mann über die Frau stelle.

Der Stand wurde zur Nebensache auserkoren und war nun nicht mehr wegweisend für die differenten Wirkungskreise der Geschlechter. Die proklamierten Charaktereigenschaften des Bürgertums für die Frauen waren Passivität, Emotionalität, Duldsamkeit und Natürlichkeit und prädestinierten sie als Gattin und Mutter. Im Gegenzug wurde dem Mann Aktivität, Rationalität und Durchsetzungsfähigkeit zugeschrieben;436 Eigenschaften, wie gemacht, um sich in der Öffentlichkeit zu bewähren und zu behaupten.437

Die Frau fand ihr Aufgabenfeld im privaten Raum des Haushalts, der Mann widmete sich dem Berufsleben, der Politik und Wissenschaft.

Das bürgerliche Verständnis des Weiblichen, welches vor 1750 die gebildete, aufgeklärte und rationale Frau propagierte, allerdings mit der Unterordnung unter das männliche Ge-schlecht, hatte sich gewandelt. Um 1750 folgte die Wende von der Abkehr des Ideals der Ver-nunft zur Hinwendung zu Emotionalität, Tugendhaftigkeit und Passivität. Der Aspekt der Schönheit wurde in den Vordergrund gerückt und erfuhr gegenüber der Gelehrsamkeit eine Aufwertung.438

Mit der Festschreibung der Wesensunterschiede zwischen Mann und Frau kamen im 19.

Jahrhundert auch unterschiedliche Bildungswege für die Geschlechter auf, die die jeweiligen

432 Kluxen 1989, S. 46.

433 Paletschek 1994, S. 165-166.

434 Kluxen 1989, S. 127.

435 Rousseau leitete den Geschlechtsunterschied von der aktiven Rolle des Mannes und der passiven der Frau beim Beischlaf ab. Sophie von La Roche interpretierte die „natürliche“ Differenz der Geschlechter aus der Körperphysiognomie, indem sie proklamierte, dass der feine, zarte Körper des weiblichen Geschlechtes ebenfalls feinere Gefühle zu produzieren fähig sei. (Paletschek 1994, S. 162.)

436 Paletschek 1994, S. 161-162.

437 Ballstaedt/ Widmaier 1989, S. 202.

438 Paletschek 1994, S. 162.

Wesensmerkmale vervollkommnen sollten und die die Lebenswirklichkeiten voneinander abrückte. Erst in der Ehe fanden Frau und Mann ihre echte Erfüllung, da sie von Natur aus sich ergänzen.439

Die Frau erfuhr eine scheinbare Erhöhung, indem ausschließlich die Zusammenführung von männlichen und weiblichen Wesenszügen den idealen Menschen erschuf. Trotz der Einschränkung der Frau bezüglich der Zuweisung in einen ihr gegebenen Raum sowie der Zuschreibung von Verhaltensweisen, folgte aus diesem Umstand eine Aufwertung. Bezüglich des bürgerlichen Frauenbildes ist eine verhaltene Kritik gegenüber der adeligen Gesellschafts-schicht vernehmbar. So konstatiert Campe die tugendhaften, moralischen und gläubigen Eigenschaften der bürgerlichen Frau und stellt sie dem oberflächlichen und sittenlosen Ge-habe sowie der Genusssucht des weiblichen Adels gegenüber. Es wurde ebenfalls die Abgren-zung zur höfischen Mode gefordert, da sie nicht mit der Natürlichkeit vereinbar sei.440

„Die bürgerliche Frau versinnbildlichte die kultivierte, gezähmte Natur. Sie stand damit zwischen der als exaltiert und unnatürlich stigmatisierten adeligen Frau und der als unveredelt naturhaft vorgestellten Frau der unteren sozialen Schichten.“441

Wilhelm Heinrich Riehl beanstandet die „Überweiblichkeit“ der Dame des Adels sowie die

„Unweiblichkeit“ der untersten Schicht.442 Er definiert das bürgerliche Frauenideal in der Abgrenzung zur Aristokratie durch Abkehr vom Müßiggang, der Konstatierung der Bildung nicht in Form des Selbstzweckes, des Pflichtbewusstseins der Hausfrau sowie der mütterli-chen und ehelimütterli-chen Zuwendung. Das Weibliche könne nur in einer adäquaten Lebensweise erblühen,443 und so gäbe es die Frau am Klavier auch nur in der höheren, gebildeten und bes-ser gestellten Schicht.444