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5. DIE BÜRGERLICHE FRAU AM KLAVIER ZWISCHEN TUGEND UND

5.1. TUGEND, SITTSAMKEIT UND ANSTAND

5.1.2. Die bürgerliche Klavierspielerin und das Gesellschaftsporträt

5.1.2.2. Die Vorbildfunktion des englischen „empfindsamen“ Porträts

„Es ist ein eigentümliches Bild, das uns die Entwicklung der deutschen Kunst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bietet. Ein plötzlicher schroffer Bruch mit der Vergangenheit vollzieht sich. Das ganze reiche Erbe der von der Barockzeit erarbeiteten künstlerischen Traditionen wird über Bord geworfen, um neuer anders gerichteter Ziele willen.“498

Die Aufklärung hatte nicht nur immense politische Auswirkungen, sondern sie revolutionierte auch die Kulturlandschaften. Der seit dem Jahre 1760 herrschende Stilpluralismus sowie der Untergang des barocken Ordnungsgedanken („ordo“) waren der mit der Aufklärung einhergehenden Krise499 geschuldet. Man wandte sich vom traditionellen Standesporträt ab und schaute nach England,500 das zum Ideal wurde und Vorbildfunktion für die Bildnismalerei des 19. Jahrhunderts einnahm.501

„Das englische Porträt war maßgebend für die Entwicklung gerade des deutschen Porträts von einem Standes- zu einem Gesellschaftsporträt.“502

Von 1760 bis 1848, in der Zeit der Emanzipation des Bürgertums – die Kulturepochen Klassizismus, Romantik und Biedermeier umschließend – erwuchs das englische Porträt als Vorbild zum zeitgemäßen Bildnis in deutschen Landen. Der deutsche Kulturraum konnte die aufkommenden Neuerungen besonders gut integrieren, da nicht wie in Frankreich eine unumstößliche, einheitliche Porträttradition vorherrschte. Durchgehendes Charakteristikum im Porträt ist die zur Schau gestellte Empfindsamkeit, die zwar nach 1800 schwindet, dennoch bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts erhalten bleibt.503

Edith Hoffmann proklamiert eine Unterscheidung des deutschen Bildnisses zwischen dem bürgerlich-realistischen und dem empfindsam-sensualistischen.504

498 Knauss 1925, S. 5.

499 „[…] der kritische Prozeß der Aufklärung hat die Krise im gleichen Maße heraufbeschworen, wie ihr der politische Sinn dieser Krise verdeckt blieb. Die Krise wird so sehr verschärft, wie sie geschichtsphilosophisch verdunkelt wird; sie wird nie politisch erfaßt, sondern bleibt verborgen in geschichtsphilosophischen Zukunftsbildern, vor denen das Tagesgeschehen verblasst: um so ungehemmter konnte dieses auf eine unerwartete Entscheidung zusteuern. Diese Dialektik gründet in der spezifischen Art der Kritik, die das achtzehnte Jahrhundert getrieben und von der es seinen Namen erhalten hat. Die Rolle des aufsteigenden Bürgertums wurde bestimmt von der Kritik, die die bürgerliche Intelligenz ausgeübt und die die neue Welt zusammengeführt hat.“ (Koselleck 1959, S. 5-6.)

500 Hauser 1973, S. 514.

501 Kluxen 1989, S. 9.

502 Kluxen 1989, S. 9-10.

503 Kluxen 1989, S. 10.

504 Hoffmann 1934, S. 84-85.

Laut Kluxen existieren diese Strömungen nicht nur parallel, sondern es sind gerade die Mischungen, die eine neue repräsentative Gattung schaffen.505

Die Einheit von Intellekt und Emotion wurde schon vor der Aufklärung proklamiert. Doch von England aus kam eine neue Entwicklung, die das Gewicht in Richtung Gefühl verschob und die Emotion vom Verstand emanzipierte. Empfindsamkeit und Sentimentalismus wurden um die Jahrhundertwende zu einem konstanten Element. Emotionalisierung wurde durch Assoziationen erzeugt, entschlüsselbare Zeichen, die Einzug in Kunst und Lebenskultur hiel-ten wie Wertherkleidung, Entstehung des Genres der Stimmungslandschaft (Caspar David Friedrich: „Ein Bild muß nicht erfunden, sondern empfunden sein.“506), Tierliebe, Flucht in die Natur, Rückzug in den Hort der Familie. Nicht nur die Porträts von Gainsborough, son-dern desgleichen die von Reynolds und Lawrence vereinen empfindsame Tendenzen,507 die in den unterschiedlichen Porträttypen verschieden in der Intensität ausfallen.508 Bezüglich Gainsborough kann das bereits erwähnte Bild der Ann Ford (Abb. 5) als Exempel herangezo-gen werden. In nachdenklicher Manier wendet sie sich, das Musikinstrument in Händen, vom Betrachter ab und ist in eine melancholische Stimmung versetzt.

Auch Hogarths Bilder transportieren neben moralisierenden bürgerlichen Werten eine ausgeprägte Empfindsamkeit. Frankreich reagierte auf die englischen Moralisierungstenden-zen mit einer „sentimentalen Krise“ der Malerei, in der Greuze oder Vigée-Lebrun509 das Ge-fühl als alleinige Kategorie des Ästhetischen sahen.510

Christoph Martin Wieland im Kreis seiner Familie von Georg Melchior Kraus

Georg Melchior Kraus511 Werke scheinen vielfach von Jean-Baptiste Greuze inspiriert zu sein, auch wenn eine Mitarbeit in dessen Atelier nicht einwandfrei nachgewiesen werden konnte.

505 Kluxen 1989, S. 102.

506 Friedrich/ Eberlein 2010, S. 122.

507 In diesem Zusammenhang sei ebenfalls das Porträt, abbildend Caroline Viscountess Clifden und Lady Elisabeth Spencer von George Romney (1791) mit Harfe zu erwähnen. Die Harfinistin blickt in schwermütiger Versunkenheit in die Leere. Ihre Gegenspielerin richtet sich in sentimentalem Ausdruck ihr entgegen und lauscht den Klängen. (Siehe dazu auch Bermingham/ Brewer 1995, Plate 25.3.)

508 Kluxen 1989, S. 104-106.

509 Vergleiche hierzu das Bildnis der Duchesse de Polignac von Elisabeth Vigée-Lebrun (1783), welches die Adelige, vom Betrachter abgewandt, am Tasteninstrument in Melancholie und Sentimentalität darstellt. (Siehe dazu auch Bermingham/ Brewer 1995, Plate 24.5.)

510 Kluxen 1989, S. 106.

511 Georg Melchior Kraus (26. August 1737 Frankfurt am Main – 5. November 1806 Weimar)

Ab 1774 ist der Maler und Kupferstecher in Weimar ansässig, Angaben bezüglich voriger Jahre sind rar. Kraus war Schüler Johann Heinrich Tischbeins d. Ä., wobei er sich für sein Studium 1761-66 in Paris aufhielt. In den frühen Aufzeichnungen wird er als Genremaler bezeichnet. Die Genrebilder sind noch an das Rokoko französischer Schulung angelehnt, wobei er jedoch vermehrt das deutsch-bürgerliche in seinen Werken widerspiegelt. Er führt Reisen nach Norddeutschland und die Schweiz und trifft auf Goethe und Lavater. Ein

Eine Anlehnung an den Stil lässt sich jedoch feststellen, hier vor allem in der Darstellung des häuslichen Milieus und von moralisierenden Sittenbildern, wobei er grundsätzlich den

„deutschen Greuzianern“ zuzuordnen ist.512 In einem Familienbildnis des Dichters Christoph Martin Wieland513 (Abb. 33) von 1774/75 präsentiert er Ansätze des empfindsamen und sentimentalischen Stils seines Vorbildes Greuze, welcher die englischen Errungenschaften bereits verinnerlicht hat. Die Demonstration der Sentimentalität vermittelt er durch das Mittel des Familienporträts. Die Familie befindet sich in einem Raum, welcher einer Theaterkulisse gleicht. In Form einer Dreieckskomposition finden alle in Ganzkörperansicht Aufstellung. Die Kinder unterschiedlichen Alters scharen sich um das Elternpaar, wobei die Mutter dem Vater einen Säugling reicht und jener dessen Hand umgreift. Der Vater mit Turban statt weiß gepuderter Perücke, und in Pantoffeln auf einem Stuhl sitzend, wendet sich zu Gunsten seiner Familie von der Arbeit, welche in Form von Schriften auf dem Sekretär sichtbar ist, ab.

Er fungiert hier nicht in seiner offiziellen Rolle des fürstlichen Privaterziehers der Prinzen, sondern wird als Privatperson innerhalb des familiären Kontextes und seiner eigenen literari-schen Arbeit festgehalten.514

Das Elternpaar schenkt dem Betrachter keinen Blick, nur zwei Töchter, welche sich an die Knie des Vaters schmiegen, schauen aus der Szenerie. Die Eltern, welche das Zentrum in en-gem körperlichem Kontakt bilden, eint das Viertelprofil. Die Frau sucht den Blick des Mannes, dieser erwidert ihn allerdings nicht und starrt verträumt zu Boden. Die Mutter schlicht und züchtig verhüllt, verbirgt durch schwere Stoffmasse ihre weibliche Gestalt. Ihre

Porträt der Anna Amalia von Sachsen-Weimar ist nachgewiesen, aber auch Bildnisse Goethes (1775), des Herzogs Carl August (1791), der Luise von Sachsen-Weimar (ca. 1775/80). Ab 1776 wurde er Leiter der herzoglichen freien Zeichenschule in Weimar. Mit Friedrich Justin Bertuch war er Herausgeber des „Journal des Luxus und der Moden“, für welches er die kolorierten Modekupfer herstellte. Er war des Weiteren ein begabter Landschaftsmaler, wie er auf Reisen unter anderem mit Goethe in den Harz beweist. Im Laufe seiner Karriere wandte er sich vermehrt dieser Gattung zu, unter anderem auf Grund der Abneigung gegenüber der klassizistischen Figurendarstellung. (Kröll 1980, S. 686.)

512 Knorr 2003, S. 220.

513 Christoph Martin Wieland (5. September 1733 Oberholzheim – 20. Januar 1813 Weimar)

Der Dichter war der Sohn eines Pfarrers, wodurch ihm eine umfassende theologische Bildung zukam sowie Latein. Schon früh kam er in Kontakt mit griechischen und lateinischen Philosophen sowie Dichtern. 1752 zog er nach Tübingen, wo er sich dem Studium des Rechts zuwenden wollte, er war jedoch mehr bemüht um Kontakte in den Literatenkreis. Er wurde Schüler Bodmers. 1754 ging er nach Zürich als Privatlehrer, 1759 nach Bern. In diesen Jahren entsteht sein Prosaversuch Araspes und Panthea. 1760 zog er in die Reichsstadt Biberach für die Position des Kanzleiverwalters. Er verkehrte in der Gesellschaft des Grafen Friedrich von Stadion. In dem Zwiespalt zwischen bürgerlicher und adeliger Welt entstanden die Werke Der Sieg der Natur über die Schwärmerei oder die Abenteuer des Don Sylvio Rosalva und Die Geschichte des Agathon, welche einem

„Bildungsroman“ entsprechen.

1765 schloss er die Ehe mit der aus Augsburg stammenden Kaufmannstochter Anna Dorothea von Hillenbrand, welche ihm neun Kinder schenkte. 1769 erhielt er einen Professorenposten an der Erfurter Universität. 1772 wandte er sich von diesem Posten an und nahm die Berufung als privater Prinzenerzieher am Weimarer Hof der Herzogin Anna Amalia an. Diese Stelle währte allerdings nur drei Jahre. 1773 gründete Wieland eine Kulturzeitschrift, den „Teutschen Merkur“. Im Jahre 1801 verstarb seine Gattin. (Jaumann 1999, S. 482-483.)

514 Knorr 2003, S. 87.

Haare sind streng zurückgebunden und unter einer Spitzhaube versteckt. Zwei der Kinder aus der Familiengruppe sind leicht entfernt und stehen Hand in Hand im linken Bildgrund, Die größere Schwester umfasst ihre kleine Schwester, welche eine Puppe umarmt, liebevoll von hinten.

Das Familienbildnis erläutert die bürgerliche Idylle, laut Hoffmann ein Porträt „innigster Familiengemeinschaft“515. Knorr hebt allerdings das Interieur hervor, welches eher einer Ku-lisse statt einem realistischen bürgerlichen Interieur entspricht und zahlreiche Anspielungen zu Wielands Person, einem der stärksten Vertreter der deutschen Aufklärung, enthält.516

Wieland befindet sich entsprechend der neuen Moral zwar am Schreibtisch, wird aber umgeben, und dominiert durch die Familie. Wieland wendet sich dadurch von der Klassik ab und so wird dieses Bildnis zum Programmbild eines Lebensabschnittes.517

Der Raum ist eine Bühne, die Kunst und Kultur suggeriert. An der Wand des Kabinetts im linken Bildgrund steht ein Tasteninstrument.518 Die durch Holzvertäfelungen gegliederte Wand beherbergt zwei ovale Reliefplatten sowie ein Gemälde, eine mythologische Szene. In einer Nische im rechten Bildgrund steht eine Statue der „drei Grazien“ sowie ein Sekretär mit einer Porträtbüste von Sokrates519 , auf dem Schrifttum unordentlich gehäuft ist. Vor dem Sekretär und neben einem Schemel liegen Bücher.

Das Klavierinstrument reiht sich in den intellektuellen Kanon ein sowie es des Weiteren ein Indiz für das harmonische Untereinander zwischen den Familienmitgliedern ist. Die Tas-ten des Instrumentes werden von der Frau nicht angeschlagen, die Sorge um die Kinder steht im Vordergrund, denn der Haushalt geht vor. Körperliche Nähe zwischen Familienmitglie-dern ist charakteristisch für den neuen, offenen Umgang mit Emotionalität.520 Nicht ausschließlich die Mutter, sondern auch der Vater nimmt körperlichen Kontakt zu den Kin-dern auf. Im Bürgertum ist eine Interaktion zwischen Vater und Kind und deren Abbildung vermehrt gegeben – eine Übernahme von englischen Vorbildern.521

Die Blicke des Ehepaares strahlen Sentimentalität und Melancholie aus. Die Frau demons-triert ihre Rolle, nicht ihre Person. Sie ist Teil des gesellschaftlichen Verbundes und

515 Hoffmann 1934, S. 70.

516 Auf Grund der Bedeutungsebene bildlicher Symbole und dessen Auskleidung des Raumes proklamiert Knorr eine Nähe zu niederländischen Gemäldetradition. Die metaphorischen Verweise zu seinem Leben sind bei Knorr (2003) aufgeführt. (Knorr 2003, S. 87-88.)

517 Lorenz 1985, S. 44-45.

518 Die Identifikation des Instrumentes ist schwierig. Auf Grund fehlender Sicht auf Dockenleiste kann es sich neben einem Spinett auch um ein Tafelklavier oder Clavichord handeln. (Auskunft Alfons Huber KHM.)

519 Knorr 2003, S. 88.

520 Weber-Kellermann 1991, S. 53.

521 Kluxen 1989, S. 166.

tiert ihn quasi. So hat sie auch keinen direkten Bezug zum Tasteninstrument, ihr Wirken gilt dem Wohlergehen der Familie.