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Irlands kulturelle Trias im 18. Jahrhundert. Analog zu den bisherigen Befun-den ist auch im kulturellen Bereich eine tiefe Fragmentierung der irischen Gesell-schaft feststellbar, die von der Ascendancy ausging. Hierbei sind zwei Stoßrich-tungen deutlich voneinander zu trennen: Einerseits die Versuche der Ascendancy durch ostentativ-öffentliche kulturelle Repräsentationen ihre reklamierte hegemo-niale Position in der irischen Gesellschaft zu legitimieren und andererseits ihre kulturellen Abgrenzungs- und Distinktionsanstrengungen gegenüber den presby-terianischen und katholischen Kulturtraditionen. Hinter diesen divergierenden kulturellen Vorgehensweisen steckten allerdings im wesentlichen die gleichen Motive, die nur auf unterschiedlichem Wege realisiert werden sollten: Erstens die Absicherung (oder sogar der Ausbau) der hegemonialen gesellschaftlichen Positi-on der Ascendancy und zweitens die Wahrung (oder sogar die Erhöhung) der so-zialen Exklusivität der kolonialen Oberschicht. Die These lautet also, daß Kultur-äußerungen und -leistungen in Irland im 18. Jahrhundert wegen des kolonialen Kontexts zwar nicht automatisch, aber doch überwiegend als Quelle von Sozial-prestige und politischem Kapital aufzufassen sind.

Spätestens an dieser Stelle sind einige erläuternde Bemerkungen zum verwende-ten Kulturbegriff und seiner spezifischen Bedeutung im kolonialen Kontext not-wendig. Angesichts der Pluralität existierender Kulturbegriffe, die in der aktuellen theoretischen Debatte um den – je nach Blickwinkel des Betrachters – ‚postmo-dernen’, ‚poststrukturalistischen’ oder ‚kulturalistischen’ Revisionismus heiß um-stritten sind,440 stellt sich das als ein notwendigerweise eklektisches und reduktio-nistisches Unterfangen dar, zumal der Begriff ‚Kultur’ in der Debatte eine deutli-che Tendenz zur Ausdehnung (und vielleicht sogar zur Überdehnung) an den Tag gelegt hat – von der klassischen Unterscheidung zwischen ‚materieller’ und ‚geis-tiger Kultur’ hin zu einem Verständnis des Begriffs, das ‚Kultur’ als „Lebensstil, Lebensweise, Alltag, in denen kulturelle Muster gelebt, wiederholt und verändert werden,“441 begreift. Für den Zweck dieser Arbeit reicht es aus, zunächst einen

440 C. Conrad/M. Kessel, Geschichte ohne Zentrum, in: dies. (Hgg.), Geschichte schreiben in der Postmoderne, Beiträge zur aktuellen Diskussion, Stuttgart 1994, S. 9-36, S.10-15, 23-25.

441 H. Wunder, Kultur-, Mentalitätengeschichte, Historische Anthropologie, in: R. van Dülmen (Hg.), Fischer Lexikon Geschichte, S. 65-86, Zitat S. 67.

möglichst umfassenden, additiven Kulturbegriff wie den folgenden zugrunde zu legen:

„Heute versteht man unter Kultur die raum-zeitlich eingrenzbare Gesamtheit gemeinsamer materieller und ideeller Hervorbringungen, internalisierter Werte und Sinndeutungen sowie institutionalisierten Lebensformen von Menschen.“442

Ein solches Verständnis taugt zwar wenig zur inhaltlichen Abgrenzung gegenüber den anderen gesellschaftlichen Dimensionen, aber darum geht es hier auch nicht.

Die inhaltliche Auswahl und thematische Schwerpunktsetzung sind vom Erkennt-nisinteresse der Arbeit her zu schultern.

Was das konkret bedeutet, wird unmittelbar deutlich, wenn man die oben zitierte Arbeitsdefinition auf einen kolonialen Kontext appliziert. Die Folge ist schlicht ein Kollaps der Definition. Im kolonialen Kontext ist die ‚raum-zeitliche Eingren-zung’ nicht möglich, weil mehrere, mindestens aber zwei ‚Kulturen’ in der selben Raum-Zeit-Entität wirken. Das Gleiche gilt für die Gemeinsamkeitsthese, die in-tegraler Bestandteil der obigen Definition ist. Schon im Normalfall ist die Vorstel-lung von einem monolithischen Block ‚Kultur’ eine Chimäre, weil es stets eine Grauzone peripherer „materieller und ideeller Hervorbringungen“ gibt, die nur für bestimmte Gruppen innerhalb einer Gesellschaft Gültigkeit besitzen und die zum Teil in Rivalität, wenn nicht sogar im offenen Widerspruch zum Kulturkanon ei-ner Gesellschaft stehen. In erhöhtem Maße gilt dies jedoch für multiethnische und koloniale Gesellschaften:443 Hier wird die an und für sich schon kontroverse De-batte um die potentiellen Inhalte eines gesellschaftlich verpflichtenden Kulturka-nons zu einer Macht- und Konfliktfrage. Gerade im kolonialen Kontext mutieren Kulturfragen sehr schnell zu Zivilisationsfragen, wird die Andersartigkeit der Kulturtraditionen der Kolonisierten aus Sicht der Kolonisten als Minderwertigkeit wahrgenommen. Angesichts des effektiven Machtgefälles zwischen Kolonisten und Kolonisierten und der Kontrolle der Kolonistengruppe über staatliche Institu-tionen und Machtmittel ist der Ausgang eines solchen Konflikts selten zweifel-haft. Euphemistisch ausgedrückt wird die Kulturtradition der Kolonisten zur ge-sellschaftlichen ‚Leitkultur’ (v)erklärt und den Kolonisierten aufoktroyiert.

442 Schäfers, Grundbegriffe, S. 196.

443 Es ist nicht möglich, die innere Fragmentierung der einzelnen Kulturtraditionen immer wieder aufs Neue sprachlich zu markieren. Daher wird der Leser gebeten, die innere Spannung, die in einer beliebigen Kulturtradition zwischen Zentrum und Peripherie sowie zwischen den kulturellen Ausdrucksformen verschiedener sozialer Schichten in einer Kulturgemeinschaft besteht, stets mitzudenken.

gegen der herkömmlichen kolonialen Legitimationsstrategie, wonach die auto-chthone Gesellschaft als direkte Folge der Kolonisation beträchtlicher Zivilisati-onsfortschritte teilhaftig wird, geht es bei diesem Oktroi jedoch keineswegs dar-um, autochthone Kulturtraditionen durch die Tradition der Kolonisten zu substitu-tieren. Von der Warte der Kolonisten wäre ein solches Vorgehen geradezu kont-raproduktiv, da es den Unterschied zwischen Kolonisten und Kolonisierten lang-fristig nivellieren und so die Handhabe für die Fortführung kolonialer Unterdrü-ckung und Ausbeutung zerstören würde. Es kommt daher nicht von ungefähr, daß sich in Irland während des 18. Jahrhunderts nachweisen läßt, daß die koloniale Oberschicht weder an einer Anglikanisierung noch an einer Anglizisierung der irisch-katholischen Bevölkerung wirklich interessiert war. Widerwillige und halb-herzige Maßnahmen sind zwar auffindbar, aber beileibe keine begeisterte ‚Prose-lytenmacherei’ und kein unbändiger ‚Zivilisierungsdrang’.444 Ein solcher Befund untermauert noch einmal, daß es den englischen Kolonisten in Irland primär um kulturelle Distinktion zur Absicherung ihrer hegemonialen Position und mithin um die Einrichtung eines antiegalitären Systems ging, das man in Anlehnung an CLAUS LEGGEWIE etwas plakativ, aber dennoch zurecht als „ethnopluralistische Apartheid“ bezeichnen kann.445 Die kulturellen Riegel und Sperrventile, welche die Ascendancy installierte, um die gesellschaftliche Teilhabe der anderen Bevöl-kerungssegmente auch im kulturellen Sektor zu reduzieren, und die Intentionen, welche die koloniale Oberschicht dabei verfolgte, lassen es zweckmäßig erschei-nen, den zugrundegelegten Kulturbegriff interessengeleitet zu fundieren. Diese Festlegung ist sicherlich nicht alternativlos, erscheint aber angesichts des allge-meinen Erkenntnisinteresses, das sich auf die Identifikation kultureller Konflikt-strukturen im kolonialen Kontext richtet, dem Gegenstand angemessen. Kultur wird daher nicht als Größe an und für sich, sondern als spezifischer gesellschaftli-cher Bereich des Ausdrucks kolonialer Vergemeinschaftungsformen (und damit im wesentlichen analog zu den anderen gesellschaftlichen Dimensionen, die be-reits untersucht wurden) verstanden. Kurzum: Es geht nicht darum, die irische Kultur im 18. Jahrhundert allgemein zu untersuchen, sondern das Verhältnis

444 Das Thema der Konversion wird weiter unten detailliert ausgeführt. Wegen bibliographischer Angaben vgl. dort.

445 Vgl. C. Leggewie, Ethnizität, Nationalismus und multikulturelle Gesellschaft, in: H. Berding (Hg.), Nationales Bewußtsein und kollektive Identität, Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 2, Frankfurt/M. 19962, S. 45-81, S. 60f.

schen den kolonial voneinander abgegrenzten, rivalisierenden Kulturgemeinschaf-ten in der irischen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts.

Mit der Schwerpunktsetzung auf die Trias aus anglikanischer, presbyterianischer und katholischer Kulturgemeinschaft ist die Eingrenzung des Untersuchungsge-genstands jedoch noch nicht zufriedenstellend beendet. Versteht man in Anleh-nung an MAX WEBER unter Kulturgemeinschaft eine „Gruppe von Menschen, welcher kraft ihrer Eigenart bestimmte, als ‚Kulturgüter’ geltende Leistungen in spezifischer Art zugänglich sind“446, dann muß man innerhalb einer Kulturge-meinschaft nach sozialer Lage zwischen verschiedenen ‚spezifischen Arten’ des Zugangs zu ‚Kulturgütern’ – oder vereinfacht und konkreter: zwischen adeliger und bürgerlicher Hochkultur einerseits sowie der Kultur der breiten Bevölkerung andererseits – ebenso differenzieren wie zwischen verschiedenen Kulturräumen (vor allem zwischen Stadt und Land). Außerdem muß man sich der idealtypischen Überspitzung der Vorstellung von drei separaten Kulturgemeinschaften bewußt sein, darf man die Absicht der Ascendancy, eine Trennung der drei Kulturgemein-schaften herzustellen, nicht mit der Verwirklichung dieser Intention verwechseln.

Insbesondere am oberen Ende der sozialen Skala kam es trotz gegenteiliger Be-mühungen der kolonialen Oberschicht sehr wohl zum Kulturkontakt und auch – in beide Richtungen – zum Kulturtransfer.

Da eine solche Sachlage für den Zweck, koloniale Konfliktstrukturen zu rekon-struieren, immer noch zu komplex ist, besteht die Notwendigkeit, den Gegenstand weiter einzugrenzen, um ihn auf ein bearbeitbares Ausmaß zurechtzustutzen. De facto ist es an dieser Stelle also nur möglich, die kolonialen Konfliktstrukturen anhand einiger ausgewählter Themenbereiche schlaglichtartig zu beleuchten. Da-zu werden zwei Selektionskriterien verwendet: Erstens beschränkt sich die fol-gende Analyse auf die gesellschaftlichen Gruppen, deren Schlüsselstellung in der Genese und Entwicklung gesellschaftlicher Konfliktpotentiale bereits als erwiesen gelten kann: Die Ascendancy, das städtische Bürgertum aller Konfessionen (aber nach selbigen getrennt behandelt) und die ländlichen katholischen Unterschichten.

Angesichts der oben erläuterten Tendenz zur kolonial-politischen Indienstnahme kultureller Leistungen bietet es sich zweitens an, nur denjenigen kulturellen Be-reichen Beachtung zu schenken, die für Macht- und politische Repräsentation sowie für Politisierungsprozesse in der Gesellschaft potentiell relevant waren:

Hierzu zählen in Irland im 18. Jahrhundert vor allem die Sprach-, Bildungs- und Religionspolitik, die Geschichtsschreibung, die Festkultur und die Architektur.

a) Ascendancy-Kultur als koloniale ‚Leitkultur’

Die Ausgangssituation. Am Anfang des 18. Jahrhunderts richteten sich die kultu-rellen Abgrenzungsbemühungen der Ascendancy primär gegen die katholische Bevölkerung. Für diese Stoßrichtung waren nicht allein die noch frischen Wunden des Stuart-Erbfolgekrieges und der daran anschließenden wilheminischen Land-enteignungen verantwortlich, sondern ebenso anglikanische Befürchtungen, daß es erneut zu einem jakobitisch-katholischen Aufstand kommen könnte. Diese Ängste basierten nicht allein auf der Existenz eines Stuart-Thronanwärters im französischen Exil, der sowohl die Unterstützung des französischen Königs als auch des Heiligen Stuhls in Rom genoß, sondern auch auf sorgsam von der As-cendancy im kollektiven Gedächtnis der anglikanischen Bevölkerung erhaltenen

‚historischen’ Erinnerungen an den katholischen Aufstand von 1641, der – fak-tisch zu Unrecht! – als direkter Vorläufer des Erbfolgekrieges betrachtet wurde.

Das Ergebnis dieses Sinnkonstruktionsprozesses – de facto einer Mischung aus Analogschlüssen, konfessionellen Befürchtungen und ritualisierten ‚historischen’

Erinnerungen – bestand darin, daß die anglikanische Gemeinschaft von einer Tra-dition katholischen Widerstands mit exterminatorischen Absichten gegen die pro-testantische Bevölkerung ausging, gegen den es präventiv Gegenmaßnahmen zu ergreifen galt.

Daneben figurierte auch das numerische Ungleichgewicht zwischen protestanti-scher und katholiprotestanti-scher Bevölkerung als wesentlicher Faktor anglikaniprotestanti-scher Ängs-te. Die massive Überlegenheit der katholischen Bevölkerung, die im Durchschnitt bei etwa 70 Prozent, in der Provinz Connacht sogar bei über 90 Prozent lag,447 und der Präzedenzfall der sogenannten Old English, der normanno-englischen Siedler, die vor der Reformation nach Irland gekommen waren, wo sie sich der gälischen Bevölkerungsmehrheit anpaßten bis selbst die Kolonialmacht England nicht mehr zwischen ihnen und der gälischen Bevölkerungsmehrheit

446 WG, S. 530.

447 McCracken, Social Structure, S. 37.

schied,448 resultierten in der Furcht der Ascendancy, ihre hegemoniale Position auf Dauer nicht halten zu können. Daß diese Befürchtung zumindest auf dem Land und vor allem im Westen Irlands nicht unbegründet war, läßt sich allein daran ablesen, daß schon die zweite Generation der Nachkommen protestantischer Landbesitzer, die zu Cromwells Zeiten nach Irland gekommen waren, im Westteil des Landes des Englischen kaum noch mächtig waren:449 „Zahlenmäßig der auto-chthonen irischen Bevölkerung enorm unterlegen, stellten die Anglo-Iren in ihren Burgen und Gutshäusern verstreute Inseln des Englischen in einem Meer des Gä-lischen dar.“450 Gewisse kulturelle Erosionserscheinungen waren also – zumindest regional – auch unter den anglo-irischen New English durchaus vorhanden, so daß die Ascendancy als Exponent der anglo-irischen Bevölkerung tatsächlich Anlaß zur Sorge hatte.

Kulturelle Abgrenzung. Vor dem Hintergrund dieser Befürchtungen sind die kulturellen Abgrenzungsbemühungen der Ascendancy besser verständlich. Obers-te Priorität hatObers-te dabei die Verhinderung der Vermischung der proObers-testantischen mit der katholischen Bevölkerung. Da sich ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhun-derts die Praxis durchgesetzt hatte, daß Katholiken eheliche Verbindungen mit Protestanten nur mit Genehmigung des zuständigen katholischen Bischofs und unter der Bedingung eingehen durften, daß die Trauung von einem katholischen Priester vorgenommen, die Religionsausübung des katholischen Partners unter keinen Umständen behindert und aus der Verbindung hervorgegangene Kinder im katholischen Glauben großgezogen werden mußten,451 rückten gemischtkonfessi-onelle Konnubialbeziehungen nun ins Zentrum protestantischer Abgrenzungsbe-mühungen. Interkonfessionelle Ehen wurden zwar nicht generell verboten, aber effektiv so drakonisch bestraft, daß das Resultat dasselbe war. Protestantische Frauen, die einen Katholiken heirateten, wurden gesetzlich für tot erklärt, so daß ihr gesamtes Hab und Gut an den nächsten protestantischen Verwandten fiel.452 Protestantische Männer, die eine Katholikin heiraten wollten, erhielten keine Hei-ratsgenehmigung des zuständigen anglikanischen Bischof. Ließen sie sich selbst

448 Beckett, Tradition, S. 36.

449 D. Corkery, The Hidden Ireland, A Study of Gaelic Munster in the 18th Century, Dublin 19564, S. 21f.

450 R. McCrum u.a., The Story of English, London 1992 (rev. ed.), S. 172.

451 Corish, Catholic Community, S. 50.

452 Lydon, Making, S. 223.

dadurch nicht von ihrem Vorhaben abbringen, wurden sie – ungeachtet ihrer reli-giösen Präferenzen – vor dem Gesetz auch als „Papisten“ betrachtet und unterla-gen damit der ganzen Bandbreite der Strafgesetze.453 Darüber hinaus wurden die Strafen für katholische Priester, die gemischtkonfessionelle Vermählungen vor-nahmen, aufgestockt: Ab 1725 wurde ein solcher Akt als Kapitalverbrechen be-wertet, das mit der Todesstrafe belegt war, und einige Priester wurden deshalb tatsächlich hingerichtet.454 Die Ehen, die auf diese Weise zustande kamen, galten selbst 1745 – als die Ascendancy unter der Hand längst zu einer stillschweigenden Tolerierung der katholischen Religionsausübung übergegangen war – noch immer nicht als rechtsgültig.455 Gerade weil Ehen auch immer einen ökonomischen As-pekt besaßen und es dort unter Umständen um substantiellen Landbesitz ging wurden die Einhaltung dieser Gesetze strikt kontrolliert. Andererseits indiziert die Tatsache, daß die Gesetze gegen gemischtkonfessionelle Ehen ein ums andere Mal neu aufgelegt und ergänzt werden mußten, daß offensichtlich immer wieder Versuche unternommen wurden, sie zu umgehen.456

Der zweite Gefahrenherd für die zahlenmäßig unterlegene anglo-irische Bevölke-rung bestand in der Konversion ihrer Mitglieder zum Katholizismus. Hier wurde noch härter durchgegriffen als beim gemischtkonfessionellen Konnubium: Protes-tantische Konversionen zum Katholizismus durch „Verführung, Überzeugung oder Pervertierung“ wurden unter Berufung auf das Statut Praemunire von 1377 (16 Richard II., II, c.5) als ‚äußerer Eingriff’ in die königliche Autorität betrach-tet.457 Diese Sichtweise reflektierte einerseits die Assoziation des Katholizismus mit dem Vatikan als einer feindlichen äußeren Macht und andererseits den Status der anglikanischen Kirche als Staatskirche Irlands. ‚Äußere Eingriffe’ (d.h. der Versuch, ein Imperium in Imperio zu errichten) stellten jedoch ein Kapitalverbre-chen dar, das mit vollständiger Enteignung und Todesstrafe belegt war – und ge-nau diese Strafen wurden Konvertiten und ihren Mentoren angedroht.458 Um der Konversionsgefahr weiter vorzubeugen wurde gleichzeitig festgelegt, daß kein Katholik die Vormundschaft eines protestantischen Waisen unter 21 Jahren

453 Lecky, History of Ireland 1, S. 152; Froude, English in Ireland 1, S. 258.

454 Corish, Catholic Community, S. 74.

455 Ebd.

456 Wall, Penal Laws, S. 8.

457 Curtis/McDowell, Documents, S. 189.

458 Ebd.

nehmen durfte. Der Court of Chancery war gesetzlich damit beauftragt, in einem solchen Fall einzuschreiten und das Kind bzw. den Jugendlichen dem nächsten protestantischen Verwandten zu überantworten oder ggf. einen nicht blutsver-wandten Protestanten mit der Vormundschaft zu betrauen.459

Kulturelle Marginalisierung der Katholiken: Gesetze gegen Bildung und Kle-rus. Während die Ehe- und Konversionspolitik des Kolonialregimes vor allem darauf abzielte, das numerische Verhältnis zwischen der protestantischen und der katholischen Bevölkerung zu stabilisieren, versuchte die Ascendancy außerdem, die kulturelle Marginalisierung der katholischen Bevölkerung voranzutreiben, indem sie ihr den Zugang zur Bildung verstellte und die Grundfesten der katholi-schen Kirche attackierte. Hier war das Ziel jedoch nicht mehr bloß die kulturelle Segregation, sondern schlicht die Demontage des irischen Katholizismus.

Der Maßnahmenkatalog im Bildungssektor erstreckte sich von den Elementar-schulen bis zur Universität. Katholiken durften weder als Lehrer an öffentlichen Schulen noch als Privatlehrer tätig sein und keine eigenen Schulen unterhalten.

Auf die Denunziation eines katholischen Schulmeisters waren 10 £ Belohnung ausgesetzt. Darüber hinaus war ihnen bei Strafe untersagt, ihre Kinder ins Aus-land schicken, um ihnen in den katholischen Ländern des europäischen FestAus-landes eine Ausbildung zuteil werden zu lassen. Auch der Zugang zur damals einzigen Universität auf irischem Boden – dem anglikanischen Trinity College in Dublin – blieb ihnen versagt.460

Ähnlich rigoros wurde zunächst auch gegen den katholischen Klerus und die Or-densgeistlichkeit vorgegangen. Durch den Banishment Act von 1697 wurden alle katholischen Würdenträger und Ordensgeistlichen des Landes verwiesen. Allein im darauffolgenden Jahr wurden mindestens 440 Priester und 380 Fratres aus Ir-land deportiert.461 Auch das katholische Episkopat war um 1703 fast völlig ausge-schaltet: Von den 26 irischen Bischofssitzen war 1697 die Hälfte bereits vakant, fünf Bischöfe waren mit Jakob II. aufs europäische Festland geflohen, drei weite-re verließen Irland wegen des Banishment Act, einer wurde 1703 nach Portugal deportiert, ein weiterer verstarb im gleichen Jahr.462 Außerdem wurde im gleichen Jahr festgesetzt, daß katholische Priester sich behördlich registrieren lassen und

459 Ebd., S. 190.

460 Vgl. summarisch Lecky, History of Ireland I, S. 148f.

461 Wall, Penal Laws, S. 10.

zwei Leumundszeugen beibringen mußten, die jeweils 50 £ Kaution für das Wohlverhalten des Priesters zu hinterlegen hatten. Pro Kirchspiel durfte es nur einen Priester geben, dem es nur dort erlaubt war, die Messe zu lesen. Katholische Kirchen durften keine Glocken und keinen Kirchturm haben. Die öffentliche Auf-stellung eines Kreuzes war Katholiken ebenfalls verboten.463 Wallfahrten wurden im gleichen Zuge als „Aufruhr“ und „illegale Versammlungen“ eingestuft und als solche unter Strafe gestellt.464 Gerüchte über eine französisch-jakobitische Invasi-on in Irland sorgten 1708 noch einmal für eine Zuspitzung der Lage: Alle Priester, deren man habhaft werden konnte, wurden verhaftet und auf die Ergreifung von katholischen Geistlichen hohe Belohnungen ausgesetzt. Um die nicht-registrierten Priester zu fassen, wurden Magistrate ermächtigt, jeden beliebigen Katholiken unter Eid zu befragen, wann, wo und von wem er das letzte Mal die Kommunion erhalten habe und wer dabei anwesend gewesen sei.465 Außerdem wurden die re-gistrierten Priester – vergebens – dazu aufgefordert, einen Eid abzulegen, in dem sie die Thronansprüche Jakobs II. zurückwiesen.466 Aus Rücksichtnahme auf sei-ne katholischen Allierten im Spanischen Erbfolgekrieg (1702-1713) – der Kaiser und der König von Polen legten offiziellen Protest ein – mußte Großbritannien darauf verzichten, dieses Gesetz rigoros durchzusetzen.467

Es ist aber auch ohne diese äußeren Einflüsse auffällig, daß die praktische Umset-zung gerade der Gesetze, welche die katholische Religionsausübung betrafen, weiter hinter der Rechtsnorm zurückblieb. Zum Teil ist dies sicherlich auf man-gelnde administrative Möglichkeiten des Kolonialregimes zurückzuführen: Die Magistrate und Konstabler waren schlicht nicht in der Lage, den Gesetzen flä-chendeckend Geltung zu verschaffen.468 Darüber hinaus lassen sich in der Intensi-tät der religiösen Verfolgung aber auch gewisse Konjunkturen ausmachen. In Kri-senzeiten (also etwa während englisch-französischer Kriege oder der jakobiti-schen Aufstände in Schottland) wurde die Kontrolle über die katholische Bevöl-kerung stets deutlich verschärft.469 Politische Rücksichtnahme gegenüber

462 Ebd., S. 11f.

463 Zum Strafgesetz von 1703 vgl. Lecky, History of Ireland I, S.156f.

464 Curtis/McDowell, Documents, S. 194.

465 Corish, Catholic Community, S. 76.

466 Zum anti-katholischen Strafgesetz von 1709 vgl. Wall, Penal Laws, S. 17f.

467 Wall, Penal Laws, S. 18f.

468 Ebd., S. 20-25.

469 Ebd., S. 18-20.

schen Verbündeten Großbritanniens wie etwa gegenüber Kaiser Leopold I. in der Regierungszeit Wilhelms III. erzwang dagegen vorübergehend eine mildere Linie gegenüber den irischen Katholiken.470 Auch dynastische Einflüsse auf die Umset-zung der Strafgesetze mit religiösem Inhalt sind feststellbar: In der Regierungszeit Königin Annes (1702-1714) wurde die religiöse Verfolgung der Katholiken mit sehr viel mehr Energie ins Werk gesetzt als unter ihren hannoveranischen Nach-folgern.471 Dessen ungeachtet blieben diese Strafgesetze – da sie nicht abge-schafft, sondern nur informell nicht beachtet wurden – eine potentielle Waffe der Ascendancy, um die katholische Bevölkerung in Schach zu halten: Sie konnten von der Ascendancy – in Absprache mit der britischen Kolonialmacht – jederzeit reaktiviert werden und sei es nur als Drohgebärde, um die katholische Bevölke-rung einzuschüchtern. Angesichts dieser Rechtslage bedeutete die inoffizielle To-lerierungspolitik, die schon in der ersten Jahrhunderthälfte Raum griff und nach dem Scheitern des zweiten jakobitischen Aufstands von 1745 noch deutlich zu-nahm,472 keine Rechtssicherheit für die katholische Bevölkerung, keinen einklag-baren Anspruch auf Bildung oder freie Religionsausübung.

Schwäche der protestantischen Mission. In dieses Bild informeller Tolerierung paßt auch die Feststellung, daß Maßnahmen, die nicht bloß auf die Zerstörung des Katholizismus, sondern auf die aktive Bekehrung von Katholiken zum Protestan-tismus abzielten, ungewöhnlich halbherzig verfolgt wurden.473 Der Versuch, ang-likanische Priester in der gälischen Sprache zu unterrichten oder das anglikani-sche Gebetbuch und den anglikanianglikani-schen Katechismus ins Gälianglikani-sche zu übersetzen, um die protestantische Mission im Westen Irlands voranzutreiben, wurden nach dem Tod Königin Annes im Jahr 1714 sofort eingestellt.474 Der anglikanische Erzbischof von Dublin, William King, der diesen Schritt befürwortet hatte und auch sonst Proselytisierungsversuche unterstütze, erklärte 1724 enttäuscht:

„Aufgrund der Methoden, die seit der Reformation ergriffen wurden und die auch jetzt noch sowohl von den weltlichen wie auch von den kirchlichen Au-toritäten verfolgt werden, erscheint es mir offensichtlich, daß es nie einen

470 Lecky, History of Ireland I, S. 167.

471 Corish, Catholic Community, S. 73.

472 Schon um 1730 bestand wieder ein geordnetes Kirchspielsystem und ab 1747 waren auch wieder alle Bischofssitze besetzt. Vgl. ebd., S. 83; Wall, Penal Laws, S. 29f.

473 Dickson, New Foundations, S. 74; McCracken, Ecclesiastical Structure, S. 88.

474 Lydon, Making, S. 222.